08 November 2006

Warum George Michael ein ganz Großer ist

„Wenn ich heute Abend einen Wunsch frei hätte“, sage ich zu Ms. Columbo, als sie gerade beim Zähneputzen und wehrlos ist, „dann wünschte ich mir, George Michael würde nicht ,Last Christmas' spielen.“

Doch die Hoffnung ist natürlich klein. Schließlich ist es November, das klingt schon fast wie Dezember, und was im Dezember lauert, ist: Weihnachten. Warum also sollte George Michael den größten Hit seiner Karriere nicht spielen?

Auch die zweitgrößte Gefahr des Abends habe ich bereits nachmittags in der Redaktion benannt: dass er auf der Bühne der Color Line Arena einschlafen könnte – wie es ihm zuletzt mehrfach am Steuer passiert ist, meist mitten auf der Kreuzung.

In der Halle erwartet uns indes eine abgezirkelte Großshow. Ein Hit jagt den nächsten, die Band, welche die Songs geradezu verdächtig originalgetreu intoniert, wurde breit auf Tribünen im Bühnenhintergrund verstreut. Denn hier ist nur einer der Star. Meist steht Michael alleine und gleichsam übergroß auf einer LED-Fläche, die hinter ihm als Vorhang zur Decke aufsteigt und visuell keinerlei Wünsche offen lässt.

Klar, das alles ist unfassbar exakter Stechuhrpop, sogar die Pause wird als Countdown heruntergezählt, und pünktlich auf die Sekunde geht die zweite Hälfte los. Doch das Ganze ist auch auf eine Weise perfekt, die bei mir als Heimeligkeit ankommt.

Der Abend schnurrt ab wie die Tausendstelsekundenschritte einer Atomuhr, und Michael gibt dir damit die Illusion, die ganze große weite Welt sei berechenbar bis ins letzte Molekül. Er suggeriert, die Gegenwart und die Zukunft, das ganze Leben seien hier und heute und ein für alle Mal in den Griff zu kriegen. Ich beschließe, mich genau dieser Illusion hinzugeben, und es funktioniert fantastisch.


Die Zugaben kommen. Jetzt wird es geschehen. „Es ist November“, erinnert mich Ms. Columbo mit spöttischem Lächeln, „wegen mir kann er ruhig ,Last Christmas' spielen.“

Aber er tut es nicht.
George Michael ist ein ganz Großer.


Auf dem Foto versucht er übrigens eine Art Hund, der Tony Blair symbolisieren soll, von George Bushs Mittelteil fernzuhalten – oder ihn genau dort hinzudirigieren, das war auf die Entfernung nicht ganz klar.

07 November 2006

Voll von der Rolle

Endlich habe ich mir Rollenapier für die Kleingeldhaufen besorgt. Das Reaktivieren alter Fertigkeiten (ich war mal Bankkaufmann …!) klappte gut, und mit flinken Fingern habe ich Münzen gestapelt, gekippt und eingewickelt. Dann setzte ich alle Rollen – Gesamtwert: 8,50 Euro – dem Postmann vor und erbat einen Umtausch in größere Einheiten.

„Das geht nur aufs Konto“, sagt er. Ich habe kein Konto bei der Postbank. „Dann geht es nicht“, ergänzt er, „nicht ohne Konto.“

Wohin jetzt mit den Rollen? Es ist Samstag, meine Hausbank pausiert. Doch wozu gibt es den Einzelhandel? Allerdings soll der gemeinhin nicht gerade in Jubel und Lobpreis ausbrechen, wenn man mit Popelmünzen in Kilomengen antanzt. Einen Versuch aber ist es wert.

Beim Bäcker Kamps in der Paul-Roosen-Straße habe ich in der Schlange Zeit für strategische Überlegungen. Die Rechnung wird sich auf rund zwei Euro belaufen. In meiner Tasche befinden sich u. a. vier Rollen mit je 50 Eincentmünzen, macht exaktement zwei Euro. Und Geld ist Geld, nicht wahr?

Ich beschließe, diese lapidare Erkenntnis in selbstbewusstes Vorgehen umzuformen. „Macht 2 Euro 18“, sagt die noch arglose Verkäuferin. Mit einer eleganten und kraftvollen Bewegung, die Ruhe genauso verkörpern soll wie eine generelle Üblichkeit meines Handelns, packe ich ihr mit dumpfem Klackern vier Rollen auf den Tresen und sage: „Das sind schon mal zwei Euro.“ Sodann suche ich mit furios gespielter Gelassenheit nach einem weiteren 20-Cent-Stück in der Jackentasche.

Sie schaut baff. „Hehe, hehe“, keckert mein bislang muffeliger Schlangennachbar und grinst breit. „Hehe, hehe, da hat aber einer sein Sparschwein geknackt, hehe.“

Ich lächle schmal und mustere dann wieder ernst die Verkäuferin, und zwar mit dem hoffentlich gut simulierten „Aufmachen!"-Blick eines altgedienten Gerichtsvollziehers.

Und ich habe sie. Das sehe ich an ihrem unsicher zuckenden Lächeln. Dann nimmt sie die Rollen und die 20 Cent, und ich ziehe wohlgemut mit vier Brötchen davon.

Im „Zafer Call Shop“ (der inzwischen den Namen gewechselt hat, aber nicht das Personal) lege ich mit neugewonnener Routine und geräuschvoll eine Rolle Zweicentstücke für die Samstagszeitung vor. Erneut stoße ich auf Erstaunen, aber nicht auf Widerstand.

Es geht also! Man kann dem Einzelhandel massig Münzgeld unterjubeln, zumindest gerolltes. Dabei kann ja niemand wissen, ob ich ich nicht vielleicht doch die ein oder andere Münze „vergaß“; nachgewogen hat jedenfalls keiner.

Und so kam es, dass ich weiterhin über kein Postbankkonto verfüge. Ein Vorzug, den manche Menschen besonders zu schätzen wissen.

05 November 2006

Gammelsprech

Ich hatte es ja prophezeit – aber etwas früher damit gerechnet.

Und ich wäre schon enttäuscht, wenn sich nicht bald weitere Treffer dazugesellen würden. Darf ich also bitten …?

Letzte Geheimnisse: Das Herrenklo (4)

Eigentlich ist es ja mein Fachgebiet, das Herrenklo, wie ich in bisher drei Beiträgen (1, 2, 3) versucht habe nachzuweisen. Doch auch Bachmann-Preisträgerin Kathrin Passig entpuppt sich überraschend als überaus kundig.

Dieses Foto hätte unbedingt die Originalgrundlage für meinen Herrenklotext Nummer 4 werden sollen, aber wann komme ich schon mal in die Wiener Opernpassage?

03 November 2006

Gesichtszwillinge (12)

Polens Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski möchte nicht mehr von der Seite fotografiert werden. Ein Wunsch, der sogar in den Rang einer Regierungsrichtlinie erhoben wurde und somit die Windelweichheit eines Wunsches in Richtung schnarrender Befehl verlassen hat.

Da sein eineiiger Bruder, Staatspräsident Lech Kaczynski, praktisch genauso aussieht wie er, kann die polnische Presse allerdings die Direktive leicht umgehen: Sie nimmt einfach Lech von der Seite auf und verwendet das Foto zur Bebilderung beider Brüder.

Über die Gründe für Jaroslaws Profilneurose kann bisher nur spekuliert werden. Meine These: Jaroslaw ist es peinlich, so auszusehen wie ein Röntgenbild von Homer Simpsons Schädel.

Zumal dort Luft vorherrscht.

Nachtrag von 21.38 Uhr: Nachdem Jaroslaw Kaczynski es geschafft hatte, die Abbildung seines Doppelkinns weltweit ins Unermessliche zu steigern, hat er heute Nachmittag laut Spiegel online die Zensurvorschrift wieder zurückgenommen. Der Beitrag hier bleibt trotzdem stehen. So.

Weitere Gesichtszwillinge:

- Franz Beckenbauer und Erich Honecker
- Angela Merkel und Peter Ustinov
- Anthony Hopkins und Köbi Kuhn
- Udo Lattek und Sven-Göran Eriksson
- Gene Hackman und Luiz Filipe Scolari
- Corny Littmann und Homer Simpson
- Kofi Annan und Morgan Freeman
- Chris Stills und Jens Lehmann
- Robert Mitchum und Jean Reno
- Neil Young und Tony Joe White
- Ronaldinho und Jar Binks


Mein Blogklon auf stern.de

Neulich meldete sich stern.de: Ob ich mir vorstellen könne, auch für sie zu bloggen. Gerne, sagte ich; aber nicht exklusiv und zusätzlich, sondern nur Texte von der Rückseite der Reeperbahn.

Kein Problem, sagte stern.de.

Und heißen müsse mein Blog bei ihnen genauso wie der hier.

Kein Problem, sagte stern.de.

Und wenn ich Lust hätte, Schätze aus dem Archiv zu kramen und dort erneut zu veröffentlichen, dann würde ich das gerne tun wollen.

Kein Problem, sagte stern.de.

Und so kam es, dass seit gestern auch stern.de über eine Rückseite der Reeperbahn
verfügt.

Ex cathedra: Die Top 3 der besten Songs über Mond und Sterne
1. „Wanderin' star“ von Lee Marvin
2. „Just one star“ von Antony & The Johnsons
3. „Moon“ von Roger Eno

01 November 2006

Warum? Darum!

Der HSV hat im Champions-League-Spiel gegen den FC Porto nicht nur erneut eine üble Klatsche kassiert, sondern auch keinerlei Idee mehr, woran es liegt und wie das Elend abzustellen sei.

Hier der beweisführende Interviewausschnitt mit HSV-Manager Dietmar Beiersdorfer im DSF:


Moderator
: „Herr Beiersdorfer, warum ist die Champions League eine deutliche Nummer zu groß für Sie?“

Beiersdorfer
: „Weil wir zurzeit nicht in der Verfassung sind, dieses Spiel zu gewinnen.“


Ah so.


PS: Man verzeihe mir die plumpe Fotosymbolik, doch die auf den Kopf gestellte Rolltreppe schien mir noch das geeignetste Motiv für den HSV 2006.

Die Fundstücke des Tages (29)

1. Warum habe ich eigentlich so viele flüchtige Blogbesucher – und nicht nur solch edle Wesen wie dieses, dessen anbetungswürdige Verweildauer ich hier per Bildschirmfoto verewigt habe? Leider kann man kein Poster draus machen, wegen der schlechten Auflösung.

2. Heute Abend klingelte es. „Ja, bitte?“, frug ich in die Gegensprechanlage. „Halloween!“, quäkte es enervierend kinderstimmig aus dem Lautsprecher, „machen Sie bitte auf!“ Von wegen. Die Gören ließ ich natürlich im Regen stehen. Sie können von Glück sagen, dass ich nicht stantepede zu Michael Myers mutierte. Halloween – was soll das eigentlich?

3. Hier und jetzt möchte ich ein neues Wort kreieren, dessen Aufnahme in den Duden ich unverzüglich wünsche und als dessen Ersterwähner ich hiermit verlange in die Annalen einzugehen. Dieses Wort soll hinfort als Sammelbegriff für alle Deppenapostrophverwender, Denglischverbrecher, Verbenvergesser, Grammatikschänder und Pidginpappnasen in den allgemeinen Sprachgebrauch eingehen und erst dann wieder daraus verschwinden, wenn ihm jegliche Grundlage entzogen wurde. Und sein Name sei GAMMELSPRECH. Ab morgen bei Google.

4. Schon jetzt mein Konzert des Jahres, und das ohne dabeigewesen zu sein: der Gig der Original Schornsteinfeger in der Günzhalle Großkötz. In Großkötz gibt es nicht nur die Günzhalle, sondern auch einen Sportverein, den Verein für Leibesübungen Großkötz, und dessen Vereinschronik erzählt von der ganzen deutschen Geschichte des letzten Jahrhunderts, zum Beispiel von den bewegenden Duellen des VfL Großkötz mit Ettenbeuren, der Einweihung des Vereinsheims 1976 oder der vereinsinternen Machtergreifung eines gewissen Anton Zwibel – und das alles in Großkötz, mitten in Deutschland, genauer gesagt: in Bayern. Wie ich auf all das gestoßen bin: k.e.i.n.e A.h.n.u.n.g.

Alle bisherigen Fundstücke des Tages:
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, Oh, my Google!

31 Oktober 2006

Die Kartoffelamnesie

Wenn ich im Kumpir meine überbackene Stammkartoffel mit Spiegelei bestellen möchte, fällt mir nie der Name des Gerichts ein, sondern immer nur der meines Weinhändlers. Der heißt Ardahan, die Kartoffel aber … wie heißt die noch mal? Ach, ja: Rafadan.

Diese verflixte Kartoffelamnesie ist mir inzwischen peinlich, und ich gehe nicht mehr so oft zum Kumpir. Zumal ich feststellen musste, dass es sich dabei um eine Fränscheißkette handelt. Das entwertet den Laden; es schmeckt dort einfach nicht mehr so wie vor dieser Information.

Es ist wie mit einem geheimen Lieblingssong, der plötzlich in die Charts geht: Danach klingt er fad – als büßte er durch die schiere Quantität des Gehörtwerdens an Qualität ein.

Zurück zum Essen. Heute stieß ich beim Schlendern durch die Karstadtfiliale an der Mönckebergstraße auf etwas Wunderbares: eine Schokoladenmischmaschine. Ich hätte stundenlang verzückt zusehen können. Leider geschah der ganze Vorgang hinter Glas, sonst wären wohl Dinge geschehen, für die sich Ms. Columbo fremdgeschämt hätte.

Aber ich habe einfach 30 Sekunden davon gefilmt. So muss ich nicht immer wieder zu Karstadt.

Weiß eigentlich irgendjemand ein Kumpirrezept mit Schokolade?

29 Oktober 2006

Hauen und Stechen

Das war ja klar: St. Pauli ist erneut der brutalste Stadtteil Hamburgs. Die Zahl der Gewaltdelikte rund um Reeperbahn und Seilerstraße liegt um satte 69.600 Prozent über der des Stadtteils Nienstedten! Dort nämlich gab es im Lauf der letzten zwölf Monate nur einen, hier hingegen 697 aktenkundige Tatbestände.

Allerdings haben sich wahrscheinlich auch nur elf Leute nach Nienstedten verirrt, nach St. Pauli aber grob geschätzte zehn Millionen. Und nur 697 davon polierten Fressen oder (später zu Hause) ihre Messer. Klingt doch gar nicht mehr so schlimm.

Sicherlich hat der Kiez dieses gute Ergebnis auch der deeskalierenden Klassik zu verdanken, die im U-Bahnhof St. Pauli läuft. Heute erklang dort die hochliebliche Melodie von „Greensleeves“ in der sinfonischen Adaption von Ralph Vaughan Williams, und ich stellte mich in Lautsprechernähe, um diesem Stück friedlich hinterherzusinnieren, als mich das abgebildete Warnschild wieder brutalstmöglich in die Realität zurückzerrte.

Gefahr droht offenbar überall und immer, und mir fiel ein Vorfall wieder ein, den ich neulich bei Aldi erlebte:


Verkäuferin: rangiert mit Getöse eine Art Gabelstapler durch den Gang
Kunde säuerlich: „Sie sind aber laut.“

Verkäuferin, rot vor Wut: „Man muss doch hören, dass ich arbeite!“


Abends hat diese Frau möglicherweise – zuungunsten ihres Mannes – die Gewaltdelikte Nienstedtens verdoppelt, was das Verhältnis zu St. Pauli schlagartig auf 39.800 Prozent halbiert hätte.

Insofern wäre das sehr wünschenswert gewesen.

28 Oktober 2006

Mittendrauf, akustisch

Trillionen Nachfragen waren einfach zuviel: Ich beuge mich dem Druck der Straße und stelle die Kiezgeschichte „Mittendrauf, statt nur dabei“ als Podcast zur Verfügung.

Hier kommt sie. Ich habe mich übrigens nur einmal verlesen, worauf ich – als bekennender Haspelsprecher und Nuschelleser – stolz bin wie Bolle.

Wer die (Schnitt-)Stelle identifiziert, erhält eine lauwarme Belobigung.


27 Oktober 2006

Römische Erkenntnisse (3 und Schluss)

1. Wie man an der Namensgebung des Restaurants Casa Nostra sieht, beherrschen die Römer auch die Nuancen der Selbstironie. Was die kalabresische Mafia von dieser kulinarisch gemeinten Verballhornung hält, will ich aber lieber nicht wissen.

2. Die Schönheit und die Aura jedes Ortes trägst du selbst zu ihm hin. Ob du dort nur alte Steine vorfindest oder die wispernden Zeichen eines versunkenen Imperiums: Darüber entscheidest du allein – mit der Qualität deiner Imagination.

26 Oktober 2006

Passfotos abzugeben

Lieber abgebildeter Unbekannter,

am Bahnhof Termini in Rom hast du deine Passbilder im Automaten liegen gelassen, und ich habe sie gefunden.

Auch wenn deine ansonsten grandiose Bewerbung wahrscheinlich an diesem Mangel scheiterte: Vielleicht hast du ja trotzdem noch Verwendung fuer die Bilder. Es sind ingesamt acht. Und immerhin haben sie Geld gekostet.

Jetzt weisst du, wer sie hat. Im Menue links gibt es einen E-Mail-Button.

Ciao, bello

Matt

25 Oktober 2006

Rom raucht nicht mehr

Ob man aus römischen Cafés kommt oder aus Restaurants, man verlässt sie beschwingt und gutgelaunt. Es hat Tage gedauert, bis wir diesen Umstand trennen konnten von der vorauseilenden Vermutung einer urlaubsbedingten Gutgestimmtheit.

Nein, es ist eine kleine Großigkeit, die nicht unerheblich beiträgt zum unbestimmten Wohlgefühl: Man geht nämlich nach Hause, ohne bestialisch zu stinken. Denn nirgendwo in Kneipen, Discos, Cafés, Trattorien und Restaurants darf mehr geraucht werden. Die Italiener haben das offenbar weggesteckt wie einst den Verlust der Kolonien: mit einem Achselzucken. Überall herrscht Trubel, Heiterkeit, Gestikulationsfreude und eine ausgeprägte Bereitschaft zu genussvollem Konsum – aber keinerlei Ärger über Rauchmangel.

Es geht also. Und wenn man nach Hause kommt, haftet Jacke wie Hose höchstens ein Anflug von Caffé an, aber nicht der in Deutschland übliche kalte Kippenqualm, was tagelanges Auslüften oder gleich eine Vollwäsche erfordert.

In Irland, wo sie öffentliches Rauchen ebenfalls verboten haben, ging unter Kneipenbeschäftigten die Zahl der Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 20 Prozent zurück. Gleichzeitig wurden die Gasthäuser voller – denn jetzt traut sich auch jener Teil der Bevölkerung wieder aus dem Haus, den früher die Diktatur der Qualmer vom öffentlichen Leben ausschloss. Und dieser Teil war groß.

In Rom genieße ich das Ausgehen mit Ms. Columbo sehr. Denn in Hamburg kriege ich sie gewöhnlich kaum aus dem Haus – sie hasst Rauch. Würde man den selbstverständlichen Terror der Raucher endlich auch bei uns ahnden, stürmte die schweigende Mehrheit, die zurzeit aus Qualmophobie zu Hause schmollt, gewiss bald wieder Kneipen und Clubs. Und die rückläufigen Einnahmen durch die Tabaksteuer wären ratzfatz ausgeglichen – oder, wie man in Irland sieht, gar überboten.

Nikotinsucht ist die einzige bekannte Abhängigkeit, die andere Menschen chemisch in Sippenhaft nimmt. Italiener und Iren finden das nicht in Ordnung – und kurbeln so die Wirtschaft an.


Und heute Abend machen wir dabei wieder mit, diesmal dreigängig.

24 Oktober 2006

Letzte Geheimnisse: Das Herrenklo (3)

Ja, auch römische Männer pinklen an Hauswände. Beim recht häufigen Anblick der eingetrockneten Rinnen versuche ich die unweigerlich aufkeimende Kiezheimeligkeit zu unterdrücken. Vergeblich.

Apropos pinkeln:
Armin Hary könnte 1960 die gleiche Toilette im römischen Olympiastadion benutzt haben wie ich. Ob vor oder nach seiner Goldmedaille im 4x100m-Rennen, bleibt aber unklar.

Wahrscheinlicher allerdings ist: voher. Denn er lief bestimmt nur deswegen wie ein Windhund über die Bahn, weil er unbedingt recht bald im Hotel eine Nachreinigung gewisser anatomischer Regionen vornehmen wollte. Papier gibt es nämlich bis heute keins im Olympiastadion zu Rom, und nicht nur das: Man hält so etwas auch offenbar für völlig unnötig - es ist nicht einmal eine Halterung dafür vorgesehen.

Das abgebildete Etwas an der Decke hingegen scheint seine Unabdingbarkeit einsichtig nachgewiesen zu haben, denn es hängt in jeder Kabine. Aber um was handelt es sich dabei bloß? Es ist jedenfalls keine Lampe. Ein Sprinkler auch nicht (glaube ich).

Eine Art Megafon?

Armin Hary weiß es vielleicht.

23 Oktober 2006

Beim Fußball

Nachdem wir eine Stunde durch die Stadt gegurkt sind, um an der Piazza Colonna Tickets für das Seria-A-Fußballspiel AS Roma gegen Chievo Verona zu kaufen, entdecken wir zwei Tage später nur 15 Meter von unserem Pensionseingang entfernt einen Roma-Fanladen. Super.

Als Weltmeister Francesco Totti in der zweiten Halbzeit endlich den Ausgleich schießt, geht meine Nachbarin, eine äußerst kregle rothaarige 60-jährige im orangen Strickpulli, vollends in die Luft – und haut mir unter indianischem Kriegsgeschrei („Franci! Franci! Franciiiii!!!“) mehrmals derart enthemmt auf die Schulter, dass ich wünschte, Totti hätte erst in den letzten fünf Minuten getroffen.

Da hatte die Frau nämlich das Stadion schon verlassen.

22 Oktober 2006

Von den Formen der Blasiertheit

Römische Frauen sind im Schnitt nicht hübscher als die Durchschnittshanseatin. Das als Trost nach Hamburg. Jene aber, die aus der Masse der Matronen und grauen Mäuse herausstechen, überspringen gleich die Stufe des Stolzes und stoßen direkt zur Blasiertheit vor.

Ich sah frischverputzte reife Damen, die waren blasiert wegen ihres Reichtums. Und ich sah junge Römerinnnen, die waren blasiert wegen ihres Dekolletees. Teenies sind in der Regel blasiert wegen ihrer coolen Sonnenbrillen, doch nur wenigen von ihnen wird es je gelingen, zur Dekolleteeblasiertheit vorzustoßen oder gar zur Pelzmantelblasiertheit.

Nein, die meisten dieser Mädchen werden bald hinabsinken in die Welt der Matronen oder grauen Mäuse, und dann werden sie sich schämen für ihre Sonnenbrillen von einst. Ihre Söhne hingegen werden diesem geschlechtsunspezifischen Accessoire länger verfallen – vielleicht sogar für immer: Heute sah ich in der Metro einen grauen alten Herrn mit leicht verwegenen Haaren bis zum Hemdkragen, der hatte seine voluminöse Sonnenbrille Marke 70er Jahre leicht hochgeschoben, um im Funzellicht der U-Bahn sehen zu können.

Während Römer bis zum Alter von etwa 50 ihre Brillen (auch ungetönte!) auf der Kopfmitte tragen, trug der Metromann sie mit den Gläserunterkanten auf Brauenhöhe. Wie er sie dort fixiert hatte, weiß ich nicht; eigentlich ist das unmöglich, ich habe es versucht. Ihm aber war es gelungen – und es sah bescheuert aus.

Die Würde, die er dabei wahrte, war gleichwohl ganz und gar römisch; nur wenig mehr davon, und sie wäre in Blasiertheit übergegangen. In die Trotzblasiertheit der Fastwitzfigur.

Die allerdings ist komplett geschlechtspezifisch.

20 Oktober 2006

Römische Erkenntnisse (1)

Es ist etwas substanziell anderes, ob man vorm Forum Romanum mit dem Bus im Stau steht – oder vorm Elbtunnel.

Tja, tut mir leid.

19 Oktober 2006

Das Graffititabu

Rom ist schmutzig. Rom atmet grauen Staub. Und was der Ruß nicht schafft, führen die Sprayer zu Ende. Doch interessanterweise verschandeln sie die Stadt strikt auf italienisch.

Während sich in Deutschland sogar die intellektuelle Elite längst einem den Werbern abgelauschten Deppendenglish ergeben hat, besteht in Rom selbst der brutalste Sprühdosenvandale auf muttersprachliche Artikulation. Und nicht nur das: Vor seinen größten Kulturgütern, den allgegenwärtigen Ruinen, scheint ihn eine gleichsam heilige Scheu fernzuhalten.

Kein Graffito am Petersplatz, kein „Fascismo no!“ am Kolosseum (Foto). Nicht mal an den gewaltigen Basiliken, als Instanzen moralischer Macht traditionell Ziel juveniler Anarchie, ist das kleinste „Forza Lazio!“ zu finden.

Was hält rebellische römische Teens bloß brav fern von der Antike? Drohende Strafe kann es nicht sein. Vielleicht ist es genetisch. Vielleicht ist die Aura der Ruinen eingesickert in ihre DNS. Vielleicht wissen sie intuitiv, dass ihre Stadt kaum bedeutender wäre als Baden-Baden, verfügte sie nicht mehr über die wuchtigen Insignien einer jahrtausendealten Geschichte, die dem Abendland gemeinsam mit Athen das komplette Zeichen-, Gesellschafts- und Moralsystem bereitstellte.

Ja, das muss es sein. An Gelegenheiten nämlich fehlt es den Sprayern nicht. Doch sie schlagen sie aus. Für die Besitzer von Nichtruinen freilich ein ganz schwacher Trost.

18 Oktober 2006

„Are we in Rome yet?“

Ein Mann aus Philadelphia, klischeehaftes Opfer der Fastfoodära, fragt mich im Zug, wie er in Rom von einem großen Bahnhof zum andern kommen könne. Ich, selbst noch nie in Rom gewesen, sage ihm, es führe gewiss eine Metro oder eine Tram.

Sofort strahlt sein massiges Gesicht auf vor Glück. Er klagt mir zur Belohnung sein Leid unter Beigabe unangenehmer Ausdünstungen. Neben seinem schlechten Atem emittiert er auch Stressschweiß, der, wie man weiß, schlechter riecht als der durch Bewegung verursachte.

Dafür gibt es in diesem Fall auch einen gewichtigen Grund, denn er und seine Gruppe sitzen im falschen Zug. In Siena oder so hatten sie nur vier Minuten zum Umsteigen, sie ächzten sich hoch in den nächstbesten Waggon; es war der nach Neapel, also dieser hier.

Nach Neapel aber wollten die Philadelphier gar nicht, sondern ganz woanders hin. Jetzt müssen sie in Rom den Bahnhof wechseln. Wie wenig gerüstet die Gruppe für eine solche Reise ist, beweist sie auf einer gottverlassenen Station namens Orte. Alle steigen aus, weil sie sich bereits in Rom wähnen, was laut Fahrplan auch der Fall wäre. Doch was heißt schon Fahrplan in Italien?

Wer jedenfalls das Kaff Orte mit einem römischen Bahnhof verwechselt, der hält bestimmt auch die Schöpfungsgeschichte für plausibler als die Evolutionstheorie.

Die Gruppe steht ratlos auf dem Bahnsteig herum. „Are we in Rome yet?“, ruft der dicke Mann mir zu. Ich verneine, und die ganze Gruppe ächzt hastig wieder hoch in den Zug, umdünstet von Stressschweiß und dem Duft lebenslanger falscher Ernährung.

Gute Reise, Guys.