
Unterm knusprigen Knirschen des Pulverschnees verschwindet der ganze Siff von St. Pauli.
Die unbeschreiblichen Flecken auf dem Pflaster der Reeperbahn, das Urinodeur, welches die Sockel der Häuser unablässig ausdünsten, die eingetrockneten Pfützen von letzter Samstagnacht: alles versteckt unterm großen Weiß. Und sogar die Tabledanceschuppen ragen harmlos und gemütlich aus dem Schnee.
Ein Koberer, an dem ich heute so rasch wie elegant vorbeischlittern wollte, trat mit den jahreszeitlich kompatiblen Worten „Oh mein Gott, oh mein Gott!“ und wildem Raufen seiner Wollmütze an mich heran, was mich zum Lachen brachte.
„Danke, ich habe einen Termin“, sagte ich vollkommen wahrheitsgemäß, noch ehe er seine zweifellos originelle Einleitung mit haltlosen Versprechungen aufhübschen konnte. Inzwischen lief er allerdings hoffnungsfroh neben mir her. „Du bist nur schüchtern!“, theoretisierte er nassforsch. Mittlerweile waren wir aber beim Paradise angelangt, und das ist Konkurrenzrevier – ich war ihn augenblicklich los.
Im Beatlemania, meinem Ziel, spielte heute Abend die Bochumer Nachwuchsband Frida Gold, die bestimmt mal ganz groß wird in den Charts, so wie Silbermond zum Beispiel, zumal sie demnächst im Vorprogramm von Kylie Minogue gebucht ist.
Songzeilen wie „Komm zu mir nach Haus/dort sieht es gut aus“ sind zwar noch nicht der Weisheit letzter Schluss, dafür aber hundertprozentig der Hintern der Sängerin, den sie zu unser aller Freude in eine krampfaderngefährdende Latexhose gezwängt hatte.
Auf dem Heimweg knirschte der Pulverschnee noch knuspriger als vorhin, und all die Koberer, die sich auf dem Hinweg noch auf mich gestürzt hatten wie die Tauben auf dampfende Dönerreste, ließen mich jetzt in Ruhe.
Vielleicht haben diese Menschen doch so etwas wie ein Gedächtnis.