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21 September 2011

Gefahren, überall



Mit nicht geringer Verwunderung traf ich in einer Caféteria unterm Gipfel des Ätna – in 2000 Metern Höhe also – eine historische Jukebox an.

Das allein hätte den Grad meiner Verwunderung allerdings kaum begründen können; dafür musste noch die Tatsache hinzukommen, dass auf dieser Jukebox was auswählbar war?

Joachim Witts „Tri Tra Trullala“.

Nur Minuten nach dieser Entdeckung verschlechterte sich das Wetter dramatisch. Bei nur noch acht Grad Celsius kam ein von peitschendem Regen begleiteter Sturm auf, der jeden goldenen Reiter aus dem Sattel gehauen hätte, und urplötzlich lachte wieder die Sonne. Der Ätna hat schon was drauf, meine Herrn.

Zurück auf dem Schiff entschloss ich mich, den vieltausendfachen Anfragen nach Details zum Schokoladenbrunnen (vgl. Eintrag v. 18. 9.) nachzugeben und ihn der Einfachheit halber zu fotografieren. Dabei setzte ich mich einer größeren Gefahr aus als mittags auf dem Ätna.

Jedenfalls ist er verführerisch dunkel, der Schokoladenbrunnen. Mit unmenschlicher Willenskraft verweigerte ich mich allerdings erneut dem Drang, beim Thekenmann eine gestrichen volle Tasse zu ordern.

Auf dem Weg zur Kabine kamen wir an einem Stand der Weight Watchers vorbei, und irgendwie löste dieser Anblick tiefe Befriedigung aus. Aber auch Zukunftsangst.

Morgen: Mallorca.

19 September 2011

Pareidolie (20): Pompeij



Eine Frau an unserem Tisch sieht aus wie die Schwester von Howard Carpendale, und ich erwarte zwischen Vorspeise und Hauptgang sekündlich, dass sie aufsteht und anfängt, „Deine Spuren im Sand“ zu singen.

Obwohl sie das bisher nicht getan hat, habe ich den Song seit nunmehr zwei Tagen als Wurm im Ohr. Vielleicht erklärt das die gewisse aufgekratzte Lockerheit, mit der ich nach Pompeij fuhr.

Nicht nur hirnrissige Kalauer fielen mir angesichts der uralten Mauern ein (z. B. „EiaPOMPEIJa“ und „Aber HeidschiPOMPEIJtschi“), sondern auch Pareidolien darauf auf (Foto 1). Selbst später, an den überteuerten Nippesständen für tumbe Touristen, vermochte ich diesen Blick nicht abzustellen (Foto 2).

Abends saßen wir dann wieder neben Howard Carpendales Schwester, mit den bekannten Folgen. Morgen geht es nach Sizilien, auf den Ätna. Ob erstarrte Lava sich ebenfalls um Pareidolien bemüht?

Ich habe fast die Befürchtung.

18 September 2011

Die Moleküle des Mittelmeers



Zu neunt über die Alpen – das klingt nach Expedition und Abenteuer, hat seine Ursache aber nur in einem extrem dünnbesiedelten Reisebus (Foto: die obere Etage).

Auf dem Schiff beginnt das Schicksal umstandslos damit, uns härteste Prüfungen aufzuerlegen. Aus einem Prospekt nämlich erfahren wir von der Existenz eines SCHOKOLADENBRUNNENS.

„Ich habe Angst davor“, gestehe ich Ms. Columbo.
„Ich habe auch Angst“, erwidert sie.

Noch ist nichts passiert. Aber wir wissen inzwischen, wo er steht, der Brunnen. Und ich habe eine Frau gesehen, die von dort kam, mit einer Tasse schwarzbrauner Schokolade in der einen und einem Croissant in der anderen Hand.


Übrigens wüsste ich gerne, wie viel Prozent der Moleküle des Mittelmeerwassers heute noch identisch sind mit denen von vor tausend Jahren (aus Gründen übrigens, die damit zu tun haben, nachts in seidenmilder Luft auf dem Schiffsbalkon zu liegen).


Plausible Theorien bitte in den Kommentaren.


15 September 2011

Nur noch 4762 Kreuzfahrten



Die liebe Freundin R., eine zweifache Mutter entzückender Töchter, kritisierte heute meine Vorliebe für Kreuzfahrten mit einem Link auf diese Seite.

Dort werden Kreuzfahrtschiffe völlig zu Recht als Dreckschleudern diskreditiert, die den Klimawandel vorantreiben. Das liegt nicht in erster Linie an der Nachfrage, die ich und Ms. Columbo anmelden, sondern vor allem an der Gesetzeslage, die Schiffen das Verbrennen von Schwerölen erlaubt, die an Land als Sondermüll entsorgt werden müssten.

Ich bin selbstverständlich dafür, dass Schiffe – auch Kreuzfahrtschiffe – endlich verpflichtet werden, umweltverträglichere Treibstoffe zu verfeuern. Macht mal hin, ihr Gesetzgeber! Von der Privatwirtschaft, den Reedereien, wäre Freiwilligkeit einfach zu viel verlangt, so was tun Unternehmen nicht, das mindert ja den Gewinn. Jedenfalls werde ich nach Verabschiedung der entsprechenden Emissionsgesetze ein noch größerer Fan von Kreuzfahrten, versprochen.

Als R. mir diesen Link mailte, führte ich zur Entschuldigung erst mal unser Alltagsleben außerhalb von Kreuzfahrten ins Feld, denn das kann sich sehen lassen. Wir haben weder Auto noch Motorrad, sondern fahren immer Fahrrad oder Zug, wir fliegen nie – und bei einem so klimafreundlichen, mobilitätstechnisch geradezu vorbildlich asketischen Leben dürfen wir ja wohl ab und zu auch mal auf ein Schiff, verdammte Hacke.

Bis auf die verdammte Hacke schrieb ich ihr das praktisch genauso und schloss zudem mit einem passgenauen Adorno-Zitat („Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“). All das war schon mal nicht schlecht, doch ein weiteres Argument fiel mir erst im Nachhinein ein. Es ist in mehrerlei Hinsicht ein Killerargument.

Jeder Mensch in Deutschland verbraucht nämlich pro Jahr elf Tonnen Treibhausgase. Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 80 Jahren macht das also satte 880 Tonnen. Und da ich bis dato – im Gegensatz zu R. – keine zwei entzückenden Töchter in die Welt gesetzt habe, müssen mir auf meinem Weltzerstörungskonto von vorneherein schon mal minus 1760 Tonnen Treibhausgase gutgeschrieben werden, jawohl.

Dann habe ich mich hingesetzt und meinen persönlichen Treibhausgasverbrauch für die bevorstehende Mittelmeerkreuzfahrt ausgerechnet. Laut Greenpeace verbrauche ich pro 100 Kilometer auf dem Meer 1,31 Liter klimaschädlichen Treibstoff. Bei der anstehenden Reise komme ich somit auf knapp 42 Liter, also rund 0,042 Tonnen.

Seien wir generös und nehmen Ms. Columbos Verbrauch noch dazu, macht also 0,084 Tonnen. Da ich – wie oben ausgeführt – durch den ebenso vorausschauenden wie selbstlosen Verzicht auf klimaschädliche Reproduktion 1760 Tonnen im Plus bin, kommen wir
also von der Kreuzfahrt mit einem weiterhin satten Guthaben von 1759,92 Tonnen zurück nach St. Pauli.

Selbst wenn man nur den transportbezogenen Klimaschaden der beiden Töchter zugrunde legte (2,5 Tonnen pro Jahr x 2 x 80 = 400), könnten Ms. Columbo und ich noch 4762-mal auf Kreuzfahrten gehen, ehe wir das ausgeglichen hätten.

Aber keine Sorge: Das haben wir nicht vor.

22 August 2010

Auf Kreuzfahrt (7): Ziemlich amüsant, aber …

Mitten auf dem Meer: Internet! WiFi über Satellit! Ein Traum – aber nicht ganz billig.

Ich buchte gleich am ersten Tag drei Stunden Zugang, was sich in harschen 24 Euro auf der Rechnung niederschlug. Der Webjunkie (= ich) zitterte dennoch vor Freude; der Dealer (= Costa) erst recht. Drei Stunden für neun Tage, das macht umgerechnet 20 Minuten pro Tag – und fühlte sich an wie ein ziemlich harter Entzug.

Blogeinträge bereitete ich abends also offline vor und lud sie mit fahriger Ungeduld über die tempotechnich keineswegs mit DSL vergleichbare Verbindung hoch. Darüberhinaus reichte es nur noch für einen flüchtigen Blick auf die Mailliste, interessante Artikel speicherte ich in einem Wettlauf gegen die Zeit auf der Festplatte ab und las sie später, dann ohne den obligaten Schweißfilm auf der Stirn. Für die Beantwortung von Blogkommentaren reichte die knappe Zeit natürlich nicht, vielleicht hole ich das noch nach.

Nicht nur ich, auch einige andere an Bord waren mit Laptops unterwegs. Ein paar Scans ergaben über 20 Rechner, deren WLAN-Wolken durchs Schiff waberten und sich in der Seitenleiste als kryptische Liste (Foto) niederschlugen. Einer der Laptopbesitzer lagerte seine Fotos sogar im öffentlichen Ordner; jeder der anderen hätte sie sich einfach so auf seinen Rechner ziehen können, sofern er ein durchtriebener, charakterloser Intimsphärenverletzer gewesen wäre – oder Google-Mitarbeiter.

Wenn man kein WiFi-Web gebucht hatte, konnte man eine einzige Internetseite trotzdem besuchen: die der Reederei. Dort bewirbt sie ihre Kreuzfahrtdienste u. a. mit folgenden Worten: „Die Wellnessbereiche sind das Highlight der Costa Schiffe, insbesondere auf der Costa Concordia mit dem Samsara Spa – einem der größten Spaß, das je auf einem Kreuzfahrtschiff realisiert wurde.“

Eine herrlich missglückte Pluralbildung von Spa – der mitgemeinte Subtext schlägt sich auf geradezu freudianische Weise in der Orthografie nieder. Das hätte gewiss auch David Foster Wallace grinsend goutiert, der in seinem Buch „Ziemlich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“ die Absurditäten einer Kreuzfahrt urkomisch aufs Korn nimmt.

Unser Fazit ist ähnlich und doch ganz anders: ziemlich amüsant, aber in Zukunft … vielleicht doch noch mal mit uns.


21 August 2010

Auf Kreuzfahrt (6): Auf zu Sadam!



Uns plagt der Shiplag. Auf der Fahrt nach Russland mussten wir die Uhr binnen eines Tages zweimal um eine Stunde vorstellen.

Mit Folgen: Das Wecken zum Landgang in St. Petersburg lag nach Hamburger Zeit um 4:15 Uhr. Ergo torkelte ich – trotz einer beherzten Koffeinüberdosis zum Frühstück – durch die Eremitage wie ein volltrunkener Bonobo. Inzwischen sind wir bereits wieder beim Zurückstellen der Uhren. Ein erheblich angenehmerer Job; trotzdem gerät alles immer mehr durcheinander.

Auf der ganzen Reise kam ich bisher übrigens nur ein einziges Mal in Kontakt mit der Ostsee – als ich am Hafenufer von Tallinn auf einem glitschigen Algenfilm (Foto oben) ausglitt und mit dem rechten Schuh ins Wasser musste, um einen Sturz abzufangen und die Kamera zu retten. Will sagen: Wir sind in Estland.

Gestern holten die USA ihre letzten Kampftruppen aus dem Irak, heute mussten wir zu Sadam – so heißt nämlich Hafen auf Estisch. Und Estisch ist keineswegs ein Küchenmöbel mit Tippfehler, sondern die hiesige Sprache, eine Verwandte des Finnungarischen und deshalb hochgradig seltsam.

Die Esten waren in den vergangenen fast tausend Jahren nur lächerliche 40 nicht besetzt, die beiden Dekaden seit 1990 machen also die Hälfte der estischen Freiheit aus. Entsprechend gut sind sie drauf, sogar die Uniformträger.

Heute wollten wir in einer Tallinner Mall aufs Klo, welches sich als kostenpflichtig entpuppte, doch wir hatten keine hiesigen Münzen parat. Zwei Sicherheitsleute bekamen das mit, einer zückte seine Chipkarte, öffnete damit die Schranke und sagte: „Today it’s free for you.“

Zum ersten Mal im Leben haben wir also einen original Klobesuch spendiert bekommen: welch ein Tag. „Have a happy hour!“, riefen uns die Wachmänner fröhlich hinterher. Hatten wir; auch wenn sie nur fünf Minuten dauerte.



Tallinn verfügt übrigens über eine grandiose gotische Altstadt, die komplett zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Überall Kopfsteinpflaster, windschiefe Steinhäuser, Zwiebelturmkirchen und bunte Paläste, manche davon 800 Jahre alt. Die Gebäude säumen und formen krumme Gässchen, in denen zauberhafte Estinnen in Landestracht Stadtpläne oder glasierte Mandeln verticken – und sich manchmal einfach unbesorgt von der Augustsonne die Lider wärmen lassen, als käme bis in alle Ewigkeit keiner mehr, um dieses kleine Land wieder zu unterjochen.

An einem Tag wie diesem möchte man fast dran glauben, Historie hin oder her.


20 August 2010

Auf Kreuzfahrt (5): In „St. Petersburg“



Ankunft in Leningrad, welches sich vor 20 Jahren in einer Anwandlung neomonarchistischer Romantik in „St. Petersburg“ zurücktaufte. Weicheier!

Zum Glück ist dennoch weiterhin kein Mangel an handfesten stalinistischen Plattenbauten – gut so, denn was kann einen Sonnenuntergang zauberhafter widerspiegeln als Glanzstücke proletarischer Wohnkloarchitektur? Reiseleiterin Irina allerdings erwähnt diese bahnbrechenden Gebäude mit keinem Wort, stattdessen geleitet sie uns mit dem umflorten Blick Rolf Seelmann-Eggebrechts durch den eklen Prunk des Palastes der Adelsfamilie Yussupow.

Sie schwärmt von den „schönen, begabten, steinreichen“ Mitgliedern dieses degenerierten Geschlechts – und verschweigt, wie die Mischpoke einst jene Fantastilliarden erräuberte, ohne die sie niemals ihre Tapeten mit Blattgold hätte durchwirken können. Abstoßend!

Immerhin können die Yussupows auf die verdienstvolle Massakrierung des durchgeknallten Esofreaks Rasputin verweisen – und zwar hier im Keller, unter unseren Füßen, nur ein paar Meter weit weg vom Tapetenblattgold.

Nur auf der Kanalrundfahrt hatte die schwärmerische Irina kurz ihre stramme UdSSR-Sozialisation aufblitzen lassen. „Äs war nicht alläs schlächt in Sowjetzeit“, sagte sie, „abgäsähän von Stalin vielleicht, aber heute auch ist nicht alläs gutt!“ Eine wohltuende präventive Relativierung all dessen, was später an Seelmanneggebrechteskem aus der guten Frau herausbrechen sollte.

Die Leningrader … na gut: Petersburger Jugend frönt übrigens einem merkwürdigen Brauch, dessen Ursprung sich selbst die ansonsten allwissende Irina nicht erklären kann: Sie befestigt Schlösser an den zahlreichen Brückengeländern, die das sog. Venedig des Nordens zieren, welches am Stadtrand eher als Bitterfeld des Ostens durchgeht.

Nach dem Anbringen der Schlösser entsorgt die Jugend die Schlüssel, wahrscheinlich der Einfachheit halber in der Newa. Irgendwann war die verweichlichte Stadtverwaltung so verzweifelt über diese Unsitte, dass sie – anstatt die Jugend nach gutem alten, leider etwas in Vergessenheit geratenem Brauch en tout nach Sibirien zu expedieren – an allen Brücken quaderförmige Gitterkäfige aufstellte.

Damit verband sie die Hoffnung, die Jugend möge ablassen von den historischen Geländern und sich stattdessen den Käfigen zuwenden. Einen Honigtopf in die Zimmerecke zu stellen, um Wespen vom Kuchen wegzulocken, folgt ähnlichen taktischen Überlegungen.

Das Irre an der Petersburger Aktion: Die verweichlichte, neomonarchistische Jugend fiel darauf rein! Seitdem kettet sie ihre Schlösser nicht mehr an Brücken, sondern brav an die Gitterkonstrukte. Versteh einer die russische Seele!

Hätte die Stadtverwaltung stattdessen alle Brücken abgerissen und dort handfeste Plattenbauten hingestellt, die abends den Sonnenuntergang zauberhaft widerspiegeln, wäre dieser romantische Spuk ebenfalls von heute auf morgen vorbei gewesen.

Unter Stalin, so viel ist sicher, wäre das nicht passiert.

19 August 2010

Auf Kreuzfahrt (4): Von der natürlichen Schönheit der Finn(inn)en



Wir besichtigten Helsinki, eine Stadt mit Stadtteilen namens „Töölö“ und auch sonst von überschaubarem Liebreiz. In ihrem straßenbahnveredelten Jugendstil ist sie gleichwohl ohne jede Anfälligkeit für ein naheliegendes böses Wortspiel mit Doppel-l.

Die Sonne brannte zunächst auf eine Weise, wie ich es so weit im Norden niemals vermutet hätte, ehe es sich ordnungsgemäß zuzog und leicht zu tröpfeln begann.

Ms. Columbo wies mich beim Stadtbummel auf die hohe Anzahl teiggesichtiger Frauen mit auffälliger Kopfbreite hin. Bis dahin war mir einfach nur zur sprichwörtlichen natürlichen Schönheit der hiesigen Bewohnerinnen das entsprechende Sprichwort nicht mehr eingefallen, doch nun, da ich einmal darauf hingewiesen worden war, begegneten mir an allen Ecken Helsinkis ausgesprochene Musterexemplare breitgesichtiger Teigigkeit.

Viele Männer hingegen (das Foto zeigt zwei Hafenarbeiter, auf die alle nun folgenden Erläuterungen nicht zutreffen) schienen direkt aus Aki Kaurismäkis Castingbüro zu kommen. Die Aufgedunsenheit ihrer Torsi, welche durch bedauerlich passgenaue T-Shirts gut sichtbar herausgearbeitet wurde, versuchten viele zu übertünchen, indem sie sich Fusselbärte stehen ließen und einen allgemeinen Eindruck von Zerzaustheit herzustellen versuchten.

Doch ob Menschen anderer Kulturen in unseren Augen schön sind oder nicht, ist letztlich egal. Nein, die Mitglieder einer territorialen Gemeinschaft müssen sich vor allem untereinander in ausreichendem Maße sexuell anziehend finden; dann hat diese Gemeinschaft eine gute Chance, bis in alle Ewigkeit teiggesichtige, aufgedunsene und zerzauste kleine Scheißer zu zeugen.

Wie es allerdings um das innerfinnische Attraktivitätsempfinden wirklich bestellt ist, vermag ich nicht zu sagen. Die geringste Reproduktionsquote hat meines Wissens jedenfalls nicht Finnland, sondern Italien, und egal, was man gegen die Nachfahren der Römer ins Feld führen kann: breitgesichtige Teigigkeit etc. pp. gehört nicht zu ihren hervorstechenden körperlichen Attributen.

Ab jetzt wird es übrigens richtig spannend auf dieser Kreuzfahrt: Es geht in die Stadt Dostojewskis. Schalten Sie nicht um!

18 August 2010

Auf Kreuzfahrt (3): Wo sind Rolf und Hilde?



Der Tag in Stockholm endete dramatisch, denn ein deutsches Ehepaar blieb bis zur geplanten Abfahrt verschwunden.

Es war vom Landausflug nicht mehr zurückgekehrt. Am Ende, nach zwei Dutzend dringlichen, doch durchweg erfolglosen Suchdurchsagen über Bordlautsprecher, musste unser Schiff ohne Rolf und Hilde weiterfahren; schließlich ist das Ganze hier ist ein Millionenunternehmen, saumselige deutsche Ehepaare müssen im Zweifelsfall selbst sehen, wie sie zurecht- und nach Helsinki kommen.

Die nunmehr verwaiste Kabine der beiden Verschwundenen liegt auf Deck 8. Beim Abendessen fehlten überraschenderweise erstmals auch unsere festen Tischnachbarn, deren Namen wir zwar nicht kennen, aber ihre Decknummer: 8 …

Ist das nun Koinzidenz oder Korrelation? Das blieb bis zum nächsten Morgen erregend ungewiss, bis wir die Nachbarn putzmunter auf Deck 4 antrafen. Rolf und Hilde: Wo seid ihr?!

Apropos Stockholm: Die dortigen Islamisten haben – siehe Foto – offensichtlich eine Rechtschreibschwäche. Oder kein u auf der Tastatur.

17 August 2010

Auf Kreuzfahrt (2): Verlorene Seelen



Als Passagier auf einem Kreuzfahrtschiff huldigt man dem brutalstmöglichen Eskapismus. Alles hier ist falsch, aber es ist großartig falsch.

Ein Kreuzfahrtschiff der gehobenen Klasse erfüllt die essenziellen Bedürfnisse des westlichen Menschen auf engstem Raum (wenn man 272 Meter Länge, 36 Meter Breite und eine Höhe von 14 Decks als „eng“ bezeichnen will).

Der westliche Mensch kann auf bestens präparierten Terrassen in der Sonne braten, so lange er möchte, er kann sich mitten auf dem Meer über eine vielfach gewundene Rutsche (Foto) ins beheizte Schwimmbad stürzen, er kann Fitnesstraining betreiben, bis der Arzt kommt (was Dottore sich mit 60 Euro pro Kabinenbesuch entlohnen lässt), er kann sich in unzähligen Clubs seine westlichen Depressionen schöntrinken, Bingo, Basketball, Roulette oder Tischtennis spielen – und vor allem: essen, essen, essen.

Die gebratenen Tauben, wie man so schön sagt, fliegen dir den ganzen Tag ins Maul, während Pakistan ertrinkt und Russland erstickt, und die Selbstkasteiung, Espresso, Wein und Whiskey extra bezahlen zu müssen, bringt dich kein Stück weiter auf dem Weg zur Rettung deiner Seele.

Vielleicht würde es helfen, die abendliche sog. Heilige Messe zu besuchen (immer um 17:15 Uhr, wir sind auf einem italienischen Schiff), doch wer’s nicht glaubt, wird halt auch nicht selig.

Weil das alles nun mal unwandelbar so ist, wie es ist, genieße ich mit nur maßvoll schlechtem Gewissen einen brutalsteskapistischen Nachmittag im Whirlpool. Über uns ist der Himmel makellos blau, während unendlich lange die an Rügen erinnernden Klippen von Gotland vorüberziehen.

Abends beim Dinner, als uns wieder gebratene Tauben ins Maul fliegen (respektive Ente bei Ms. Columbo und Knurrhahn bei mir – u. v. m. natürlich, das Dinner hat fünf Gänge, man hätte aber auch neun ordern können), konstatieren wir einen Wechsel in der Besetzung des Kellners gegenüber gestern (s. letzten Blogeintrag).

Der vibrierende Brasilianer hat erstaunlicherweise – obwohl sein Namensschild noch immer auf Tisch 42 steht – heute Abend bereits wieder frei. Oder er sitzt alternativ im Gefängnistrakt unter Deck, weil er sich gestern Abend, als wir längst aufgebrochen waren Richtung Mitternachtspizza im Büffetrestaurant, doch noch wild brüllend durch die übriggebliebenen Passagiere tranchierte, was die Kreuzfahrtleitung aber bislang peinlichst zu verheimlichen wusste.

So, mal schauen, was die Landgänge bringen.


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16 August 2010

Auf Kreuzfahrt (1): Der Kellner

Im Restaurant sitzen wir großartigerweise an Tisch 42 (remember Douglas Adams), doch der brasilianische Kellner scheint uns (und alle unsere Nachbarn) vom ersten Augenblick an zu verachten. Nicht uns als Menschen, sondern in unserer Inkarnation als Kreuzfahrtpassagiere.

Er verachtet uns, weil er scheißfreundlich sein muss und weil es unter seiner Würde ist, Teller abzuräumen, auf denen noch Garnelenreste liegen. Beim Bücken legt er den Kopf schief, eine verkrampfte Geste erpressten Devotseins, für die er seiner Meinung nach bei weitem zu lausig bezahlt wird.

Er ist ein stämmiger Einsneunzigmann mit licht werdendem Haar, das er streng zurückgegelt hat, und er verachtet uns auch deshalb, weil er seine Verachtung nicht zeigen darf.

Stattdessen knipst er sein Lächeln an wie eine 7-Volt Energiesparlampe und sagt mit italienischem Akzent laut „Entschuldigen, Madame!“, ehe er den Teller ruckartig hochnimmt und mit der Kante nur um Zentimeter die Schläfe einer Frau an unserem Tisch verfehlt.

„Entschuldigen, Madame!“, ruft er mit erpresstem, viel zu lausig bezahltem Energiesparlampenlächeln, doch in seinen Träumen zertrümmert er brüllend und mit geblecktem Gebiss sämtliches Porzellan auf unseren Köpfen und tranchiert uns mit allen acht Besteckteilen, die links und rechts neben dem Teller in genau jener Reihenfolge von außen nach innen aufgereiht sind, wie er es in der Kellnerschule gelernt hat.

Ich mag ihn nicht, aber ich kann ihn verstehen. Ich wäre genauso.



01 Oktober 2008

Kreuzfahrtnachklapp



Noch eine kleine Episode vom Schiff. Ich stand erschöpft und schweißnass im Aufzug auf Deck 10, als dieser alte Herr mit der Gehhilfe zustieg, dessen Hupe die Philippinos (Foto) aus dem Speisesaal immer so gerne drücken.

Er wackelte mit winzigen Trippelschrittchen herein, schaute mich an und fragte mit zittriger Stimme: „Ka-ann e-es sa-ain, dass Sie schwit-zen?“ „Nun“, antwortete ich, „es ist eben mörderanstrengend, eine 110 Kilo schwere Vettel zu entbeinen.“

Ms. Columbo schaut mich entgeistert an, als ich das erzähle. „Das hast du nicht wirklich gesagt, oder?“ Nein, natürlich nicht. Aber ich kenne einen, der das getan hätte. Ich Langweiler hingegen sagte natürlich bloß die Wahrheit: Dass ich vom Fußball käme.

Der alte Herr nahm es still hin. Aber er starrte mich an, als hätte ich gesagt, es sei mörderanstrengend, eine 110 Kilo schwere Vettel zu entbeinen.

Bis zum Aussteigen herrschte Schweigen im Aufzug. In der Kabine ging ich dann sofort duschen.

29 September 2008

Attentat in Kopenhagen

Wenn ich früher in fremde Länder und Städte reiste, suchte ich stets nach den besten Plattenläden und kam nach Hause mit einem Stapel Vinyl, der einen beträchtlichen Teil meines Reisebudgets verschlungen hatte.

Wenn ich heute in fremde Länder und Städte reise, suche ich noch immer nach den besten Plattenländen und komme nach Hause mit – nichts. Es gibt keine Plattenläden mehr.

Die ganze Woche über stromerten wir durch skandinavische Großstädte, ohne Erfolg. „Die Schuhgeschäfte sind auch öde“, sagt Ms. Columbo, „wenn dich das tröstet.“ Nun: tut es nicht.

In Kopenhagen scheint man übrigens auch die Qualität aktueller Modetrends zu missbilligen, wie die Schussverletzung der abgebildeten Schaufensterscheibe nahelegt. Irgendwie ist der Kapitalismus halt auch nicht mehr das, was er mal war.

28 September 2008

Der doppelte Vogel

An Bord sind lauter Doppelgänger. Das fängt beim Kapitän an, der zwar Morten Arne Hansen heißt, aber aussieht wie Niki Lauda. Und gestern Abend in der Casablanca Bar saß am Nachbartisch Rita Süßmuth.

„Nein“, widerspricht Ms.Columbo, „das ist höchstens Jutta Limbach.“ Bei dem weißhaarigen Herrn mit den nach oben breiter werdenden Graulocken sind wir uns allerdings einig: ganz klar Hans-Jochen Vogel (Foto) – obwohl sich Ms.Columbo lange Zeit unsicher war, ob es sich dabei überhaupt um einen Mann handelte.

Verstohlen schaue ich mir den Menschen länger an. „Vielleicht ist das wirklich Hans-Jochen Vogel“, flüstere ich Ms. Columbo zu. „Hätte er dann nicht Personenschutz?“, wendet sie ein. „Der ist doch längst pensioniert und wohnt im Seniorenheim“, versuche ich ihr stichhaltiges Argument zu widerlegen.

Andererseits traf ich in einem Hamburger Klaviergeschäft mal Altkanzler Helmut Schmidt, und der war in Begleitung eines auffällig unauffälligen Mannes von kräftiger Statur, der auffällig interessiert tuend seine desinteressierte Nase in Notenblätter steckte.

Aber Schmidt war mal Kanzler, und was war Vogel? Nein, nicht jeder retirierte Expolitiker kriegt zeitlebens Personenschutz.

Schon gar nicht mit dieser Frisur.

23 September 2008

Alter Schwede



Schwupps, Goeteborg. Die Ost- war wie die Nordsee: ein funkelndes Silbertablett. Seestaerke 1 also. Und die Windgeschwindigkeit ist identisch mit unserem Fahrtempo, aber auch nur, WEIL wir uns bewegen; sonst waere sie null.

Selbst die Norweger und Schweden reiben sich die Augen, weil sie so einen Spaetsommer noch nicht erlebt haben. Wir aber nehmen ihn einfach persoenlich.


Normalerweise passiert uebrigens immer etwas Ungewoehnliches, wenn wir irgendwo urlauben, und ich muss meine Eltern telefonisch beruhigen. In Rom zum Beispiel entgleiste gleich an unserem Ankunftstag die U-Bahn. Auch das ist diesmal anders: Es gibt lediglich einen Amoklauf in Finnland. Wahrscheinlich muss ich meine Eltern trotzdem telefonisch beruhigen.


Unsere Stadtrundfahrt durch Goeteborg leitete heute ein Herr, der bei uns scheel angeschaut wuerde, wenn er nur versuchte, allein die Strasse zu ueberqueren. Also ein echter alter Schwede ...


Jedes Land, das meine Kalaueritis nicht hemmt, ist mir uebrigens sehr sympathisch.

22 September 2008

Pimp our city!

Seltsam, waehrend der Mahlzeiten im Schiffsrestaurant laufen staendig die Soundtracks von "Titanic" und "Das Boot" - aber waren das nicht beides Wasserfahrzeuge, die sich unversehens in recht unangenehmen Situationen befanden, und sollte man die Teilnehmer einer Kreuzfahrt nicht eher ablenken von so etwas ...?

Dazu kommt: Es sind nicht die Originalscores, sondern an Scheusslichkeit nicht zu ueberbietende Panfloetenversionen. Wenigstens werden wir so mitten auf dem Meer an die Heimeligkeit festverankerter Fussgaengerzonen erinnert.

Hier in Oslo haengen an Muelleimern uebrigens Schilder, auf denen steht: "Pimp our city!" Die Einwohner werden also ersucht, ihre sympathische Stadt moeglichst auf Zuhaelterniveau zu hieven.

Da fuehlen wir uns doch gleich wie zu Hause auf der Reeperbahn.

So, heute Nacht geht es nach Schweden.


20 September 2008

Leinen los!



So, hier wird in den nächsten acht Tagen eine gewisse Sporadik Einzug halten, denn diejenige, die bei uns die Blumen gießt und wachsam wie ein Erdmännchen die Wohnung hütet, hat keinerlei Blogbefugnis.

Und ob ich unterwegs auf hoher See zufällig ein offenes WLAN antreffe, ist eher subwahrscheinlich. Zudem soll ich bei Landgängen nach Ms. Columbos Meinung nicht sofort für Stunden in einem Internetcafé verschwinden, sondern mich eher mit ihr der nordischen Kultur und Kulinarik widmen.

Also: Alles ist möglich – natürlich auch nichts.