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02 September 2013
Wie optimistisch, wie naiv
Hübsch symbolisch, dieser Wegweiser auf einer Wand an der Großen Bergstraße. Diese Wand trifft sich mit einer anderen Wand in einer spitz zulaufenden Sackgasse. Ende Gelände.
Allerdings weiß ich beim besten Willen nicht, woher die Urheber des „Way of capitalism“-Wegweisers ihren Optimismus nehmen. Denn für ein baldiges Ende des Kapitalismus gibt es weder einen Grund noch Indizien noch historische Beispiele.
Revolutionen jedenfalls (korrigieren Sie mich, wenn ich ein Gegenbeispiel vergessen haben sollte) fanden bisher nur gegen Autokratien statt – gegen Monarchien (z. B. Frankreich 1789, Russland 1917, Iran 1978) oder Diktaturen (DDR 1989), aber noch nie gegen eine demokratisch legitimierte Regierung in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem.
Das hat seine guten Gründe. Der Kapitalismus ist deswegen die bisher erfolgreichste Wirtschaftsform in der Geschichte, weil er so flexibel ist, so geschmeidig. Er versteht es bestens, interne Verwerfungen und Unwuchten gerade so weit abzuschmirgeln, dass er als Gesamtsystem nicht in Gefahr gerät.
Nur ein Beispiel: Als die Arbeiterbewegung aufkam, die potenziell systemgefährdend gewesen wäre, verstand „der Kapitalismus“ es hervorragend, sie in Form von Gewerkschaften zu legitimieren, einzubinden und somit zu besänftigen, gerade in westlichen Staaten wie Deutschland. Die Teilhabe auch unterer Schichten am Wohlstand, ihre Chance auf Auto, Häuschen und Italienurlaub sorgte zudem stets für Ruhe im Karton.
Ja, der Kapitalismus ist perfide genug, sogar die Armutsgrenze peu à peu den gestiegenen Durchschnittseinkommen anzupassen, so dass immer nur eine nicht systemgefährdende Minderheit revolutionären Gedanken nachhängt. Diese Anpassungsfähigkeit des Kapitalismus, welche spiegelbildlich seiner Fähigkeit entspricht, die Produktivität immer weiter zu steigern, ist sein unschlagbares Erfolgsrezept.
Das war es schon immer, das wird es auch bleiben. Und ob Bankenkrise, Umweltprobleme, Massentierhaltung, Geheimdienstüberwachung oder Altersarmut: Ehe irgendetwas davon so viel Druck auf den Kessel gibt, dass er zu explodieren droht, werden die Triebkräfte des Kapitalismus schon Mittel und Wege finden, genügend Luft rauszulassen. Und zwar gerade so viel, dass die Geschäfte weiter gut laufen.
Eine Revolution innerhalb eines demokratisch legitimierten Kapitalismus ist deshalb praktisch undenkbar. Seine Einhegungskompetenzen sind zu groß, seine Dehnungsfugen zu flexibel.
All das schoss mir heute durch den Kopf, als ich eingangs der spitz zulaufenden Sackgasse den Wegweiser „Way of capitalism“ erblickte. Wie grundlos optimistisch, dachte ich, wie erschütternd naiv.
Das aufgemalte Schild zeigte übrigens auch gen St. Pauli, und dorthin schritt ich denn auch munter aus im prickelnden Hamburger Herbstnieselregen.
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Zumal dieser verdammte Kapitalismus noch ein paar Asse im Ärmel hat, wenn ihm wirklich jemand dumm kommen will: Gestiegene Lebenserwartung, höhere Lebensqualität, verringertes Armutsrisiko, Innovation und all dieses verdammte Zeuchs, das ein wahrer Revolutionär aus tiefstem Herzen ablehnt, aber die Vertreter der Spießerklasse aus irgendeinem unerfindlichen Grund so toll finden.
AntwortenLöschenWofür sollte man denn Revolution machen, wenn nicht für all dieses "verdammte Zeuchs"?!
LöschenFuck, das hatte ich noch zu erwähnen vergessen.
AntwortenLöschenLieber Matt Wagner, Ihrer Aussage, dass Revolutionen bisher nurmehr gegenüber autokratischen Regimen stattgefunden haben mag ich so nicht unwidersprochen lassen.
AntwortenLöschenZumindest, wenn ich die Revolution, wie in der Wikipedia mit einem „meist, jedoch nicht immer, gewaltsamer politischer Umsturz“ gleichsetzen darf.
Wie würden Sie denn die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland bezeichnen? Oder die Machtergreifung Pinochets 1973 in Chile? Waren die Weimarer Republik und die Regierung Allende autokratische Systeme?
Natürlich kann man zweitere Gegebenheit auch als "Militärputsch" bezeichnen, jedoch träfe auch dann die Definition des Begriffs "Revolution" aus der Wikipedia zweifelhaft zusätzlich zu.
Die Nationalsozialisten wurden durch eine Parlamentswahl stärkste Partei. Dass sie danach durch diverse Gesetzesänderungen die Demokratie allmählich außer Kraft setzten, hat mit einer Revolution, wie ich sie hier nahelege, wenig zu tun. Ich habe den Begriff benutzt im Sinne eines Aufstands von unten mit entsprechender Massenbasis – Frankreich war prototypisch dafür. In diesem Sinne war Pinochets Machtübernahme in der Tat keine Revolution, sondern ein Putsch. So was hat es natürlich häufig gegeben, oftmals initiiert und unterstützt von außen – im Fall Chile durch die USA.
LöschenZweifellos sollte es natürlich heißen, nicht zweifelhaft...
AntwortenLöschenHallo Herr Matt -
AntwortenLöschenhier noch ein paar Zutatenfür Sie und Ihre Leser zum eventuell besseren Verständnis unter Berücksichtigung auch von Hartz IV und Nebenwirkungen, wo wohl auch kein Arzt oder Apotheker weiterhelfen kann:
http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Arbeitslosen_von_Marienthal
(zur ersten Orientierung)
und nun die Studie von 1933 (!) selber auf der website des AGSÖ (mit im übrigen sehr freundlichen Profs., die sie betreiben)
http://agso.uni-graz.at/marienthal/00/einfuehrung.htm
Diese Mechanik oder Dynamik ist nicht wirklich lustig...
Eher menschlich.
Der Schwachpunkt bei Revolutionsplänen scheint mir überdies, dass keiner so recht weiß, was tun nach erfolgter Revolution, außer Konterrevolutionäre zu erschießen und Deutschlandradio Kultur zu besetzen. Völker ohne Eigenheime, Mittelklassefahrzeuge und regelmäßigen Italienurlauben fangen bald an herumzunerven und dann ist guter Rat teuer. Ich stelle mich an die Bushaltestelle und irgendwann demnächst kommt der Bus – das ist doch großartig! Tut er das auch nach der Revolution? Wird dafür gesorgt, dass der Bordeaux-Nachschub nie abreißt? Werden die Anzüge hochwertig bleiben und das Schuhwerk erste Sahne? Und wenn ja, wer kümmert sich drum? Ich nicht – das kann ich direkt ankündigen.
AntwortenLöschenSie Spielverderber.
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