10 Oktober 2012

Der ununterdrückbare Reflex

Auf der Reeperbahn und drumherum ist es unvermeidlich, unablässig angebettelt zu werden. Am scheißfreundlichsten tun es die zahlreich auf dem Gehweg lagernden Punks.

Wenn du dich näherst, unterbrechen Sie kurz das Tätscheln ihrer Hunde, tänzeln geschmeidig herbei, machen ironische Verbeugungen, während sie mit Plastikbechern rasseln, und verabschieden dich übertrieben höflich; schließlich weiß man nie, ob man sich nicht noch mal sieht im Leben. Oder später am Tag.

Paradoxerweise unterliege ich dem ununterdrückbaren Reflex, das tagtägliche Ansinnen der Punks stets mit einem gemurmelten „Nein, danke“ zu beantworten – ganz so, als böten sie mir etwas an, statt etwas von mir zu wollen. Im Nachhinein schüttle ich immer den Kopf über mich, doch wenn mich das nächste Mal ein Punk anbettelt, das weiß ich schon jetzt, rutscht mir garantiert wieder dieses ununterdrückbare „Nein, danke“ raus.

Die Reeperbahnpunks müssen sich schwer wundern über mich. Aber was soll ich tun? Das ist wohl eine Typenfrage. Oder genetisch bedingt. Denn wenn mich jemand anrempelt, sage ich auch automatisch „Entschuldigung“ statt „HEY! AUFPASSEN, DIGGA!!“

Als ich neulich mal wieder über die Reeperbahn lief, geriet ein Mann, der mir entgegenkam, gerade ins Schleppnetz eines becherschüttelnden Punks. Er schaute den devot grinsenden Burschen düster an und sagte dann einen Satz, den ich mir merken muss. Dringend.

Der Mann sagte: „Lass ma gut sein.“

Genial. Warum kommen immer nur andere Leute auf so was? Und warum rutscht mir morgen stattdessen garantiert wieder ein ununterdrückbares „Nein, danke“ raus?

Vielleicht bin ich doch nicht kieztauglich. Nach 16 Jahren auf der Reeperbahn und drumherum wäre das allerdings eine derart betrübliche Erkenntnis, dass ich sie hiermit innerlich empört von mir weise.


7 Kommentare:

  1. Also, ich würde mal sagen, des einen Waffe ist die Feder, des anderen des Göschle. Geht mir genauso, vielleicht, weil ich etwas schüchtern bin ... Aber höflich ist es allemal.
    Und Sie wollen doch Ihre Zelte nicht wirklich dort abbrechen? Obwohl, für Ihre Wohnung wüsst ich da jemanden ... ;-)

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  2. Ach, die wäre ihr wahrscheinlich viel zu groß …

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  3. Mein lieber Matt, es ist exakt derselbe Wortlaut, den ich von mir gebe, wenn ich diese Menschen mit den Bechern sehe. Ich allerdings sehe die Entgegnung „nein, danke“ eher als Provokation, tue ich doch so, als hätte man mir gerade angeboten, mich aus dem Klingelbeutel frei zu bedienen.

    Von daher: Bleiben Sie doch ruhig dabei! Ziehen Sie nur die Mundwinkel ein klein wenig nach oben, wenn Sie diese wunderbare Antwort geben. Und ganz wichtig: Ziehen Sie dabei den Krawattenknoten etwas nach oben.

    Oh. Verdammt.

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  4. "Nein Danke" sagt ich auch immer. Weil ich höflich die überaus großzügig offerierte Gelegenheit ablehne, mich der ideellen Fesselung durch materielle Werte ein kleines Stück weit zu entledigen und dabei etwas für mein Karmakonto zu tun. Es ist ja keinem Punk zu verdenken, wenn er voll missionarischem Eifer sogar selbst die Bürde auf sich nimmt, mir ein paar der verurteilenswerten Verkörperungen des Kapitalismus abzunehmen...

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  5. Auch bei uns hier - in Wien - sind die Punks die höflichsten und charmantesten unter den Bettlern. Deshalb sind sie auch die einzigen, denen ich alle heiligen Zeiten mal ein paar kleine Münzen spendiere. Tut mir leid, wahrscheinlich ist mein Ansatz völlig falsch und mein Karmakonto schwer in den Miesen, aber ich mag es einfach nicht, wenn man mir weinerlich jammernd Amputationsstümpfe vor die Nase hält. Da bekomme ich schlechte Laune und weiche großräumig aus.
    Ein freundliches Lächeln mit ein bisschen Geblödel ist halt einfach zielführender.
    "Nein, danke" finde ich für den Fall der Fälle aber schon klasse. Muss ich mir merken.

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  6. Die flächendeckende Zustimmung zum „Nein, danke“ rührt mich. Und irgendwann, GP, werde ich auch in der Lage sein, dabei meinen Krawattenknoten nach oben zu ziehen. Den Sie mir vorher binden müssen.

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  7. Hm, diesen Reflex kenne ich auch. Mir rutscht jedoch jedesmal ein, ebenso wie bei Ihnen hinterher verfluchtes,"Nee, tut mir Leid" oder auch "Nee, sorry" heraus. Mir tut aber gar nichts Leid. Ich bilde mir in dieser Beziehung immer noch eine freie Willensbildung ein, die sagt: ich geb' jetzt nix. Dementsprechend braucht es mir auch nicht Leid zu tun.

    Würde mir etwas Leid tun, müsste ich ja gerade etwas geben. Zudem: Gerade bei den Reeperbahnpunks habe ich oft den Verdacht, dass ein Großteil von denen nach getaner Arbeit den Hund einpackt und wieder zu den Eltern aufs Land fährt. Aber das ist vermutlich ein anderes Thema.

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