11 Mai 2011

Mein erstes Album



Die erste selbstbezahlte Langspielplatte meines Lebens habe ich mir aus dem Otto-Katalog betellt. Meine Mutter war (und ist bis heute) Sammelbestellerin, die Nutzung dieser Quelle lag also nahe.

Es war ein Doppelalbum und heidenteuer. Bereits auf der Abbildung im Otto-Katalog sah man den riesiger Sticker, der auf dem Cover pappte und mir den Mondpreis („NUR 25,- DM!“) als Schnäppchen verkaufen wollte. Na ja, schließlich konnten weder die Plattenfirma noch Otto wissen, dass 25 Mark damals ungefähr ein Zwanzigstel des Monatseinkommens eines Sparkassenazubis ausmachte, doch diese Stelle trat ich eh erst zwei Jahre später an.

Damals, zum Zeitpunkt dieses Wahnsinnskaufs, erhielt ich meines Wissens ungefähr 5 Mark Taschengeld pro Woche, musste also mehrere Monate lang Teilbeträge davon zurücklegen, um mir irgendwann dieses Doppelalbum leisten zu können.

Es handelte sich um die Liveplatte „Hot August Night“ von Neil Diamond, die mein Interesse geweckt hatte, weil Diamond zu jener Zeit einen auch von mir tatkräftg unterstützten Riesenhit hatte, nämlich „Longfellow Serenade“.

Dass die Liveaufnahmen von „Hot August Night“ bereits mehrere Jahre alt waren und mein aktuelles Lieblingslied somit gar nicht drauf war, konnte ich natürlich nicht ahnen. Und der Otto-Katalog fühlte sich keineswegs in der Pflicht, mich über diesen Umstand aufzuklären.

Heute denke ich ja, dass es gar nicht der Hit war, der mich magisch zu jenem Doppelalbum hinzog, sondern das bemerkenswerte Cover. Neil Diamond sieht darauf nämlich aus, als würde er sich gerade pantomimisch einen von der Palme schütteln. Dazu noch die karpfenhafte Ekstase seines halbgeöffneten Mundes – alles klar, Herr Kommissar.

Für einen pubertierenden Buben, den sie zwei Jahre später in eine Sparkassenausbildung stecken sollten, war so etwas von höchstem Interesse, wenn auch nur unbewusst. Von wegen „Longfellow Serenade“!

Diese hellsichtige Exegese von Diamonds Pose gelang mir übrigens erst in allerjüngster Zeit. Seither ist das Albumcover mit dieser Erkenntnis kontaminiert.

Für Sie jetzt übrigens auch, und dagegen lässt sich hinfort überhaupt nichts mehr machen, so wahr eine Ausbildung bei der Sparkasse die tristeste der Welt ist.


10 Mai 2011

Fundstücke (133)



Dieses in der (wenn ich mich recht erinnere) Taubenstraße entdeckte Klingelschild deutet auf einen durch Eheschließung fahrlässig erworbenen Doppelnamen hin, den beide Partner aber anscheinend ohne viel Federlesens akzeptiert haben.

Irgendetwas Verdammenswertes in mir wünscht sich, der zugehörige Mann hieße zu allem Überfluss auch noch mit Vornamen Wolfgang, obgleich dabei eine nicht nur hochoriginelle, sondern auch im Berufs- und Restleben wenig zweckdienliche Kombination herausgekommen wäre.

„Guten Tag, mein Name ist Wolfgang Wulf-Wolf.“
Einfach wunderbar.

Diese Möglichkeit erinnert mich ein wenig wehmütig an die schöne Zeit, als Wolfgang Wolf noch Trainer in Wolfsburg war und nahe der Wolfsburg wohnte, wahrscheinlich im Wolfssteig.

Ob er damals zufällig mit einer Frau Wulf verheiratet war, weiß ich allerdings nicht.

09 Mai 2011

Pareidolie (1) oder Muster mit Wert



Seit die Pareidolie-Tante hier einen Kommentar hinterlassen hat, sehe ich überall Gesichter. Und ich meine nicht die von Menschen.

In ihrem sehenswerten Blog sammelt die Tante Bilder von Dingen, in die unser Gehirn Physiognomien hineininterpretiert. Diese komische Maschine in unserem Kopf sucht nämlich unablässig und überall nach Mustern, sogar dort, wo gar keine sind oder beabsichtigt waren.

Das Phänomen nennt man Pareidolie, und seit ihrem Kommentar bin ich praktisch zum spontanen Pareidoliker geworden. Plötzlich nämlich schaute mich sogar unser Reiskochtopf irgendwie chinesisch-katzenartig an, obwohl er das vorher nie gemacht hatte. Alles nur wegen der Pareidolie-Tante.

Kurz und gut: Hier beginnt eine neue Serie. Ich mache der Tante einfach mal Konkurrenz, zumindest ein ganz klein bisschen und nur sporadisch.

Viel mehr und auch erheblich frappierendere Bilder gibt es nämlich bei ihr dort drüben, und das wird auch für immer und ewig so bleiben.

08 Mai 2011

Die übliche Ka(c)kofonie



Der Bau des Hafens vor 822 Jahren war ein großer Schritt für Hamburg. Anders verhält es sich mit den alljährlichen Geburtstagsfeierlichkeiten, sofern man das Glück hat, sie vor Ort auf St. Pauli miterleben zu dürfen.

Tagsüber weht nämlich ein Lärmwirrwarr von liebreizender Vielfalt durch die Balkontür, zu dem höchst unterschiedliche Quellen beitragen. Ich möchte mich hier stellvertretend bedanken bei: Propellerflugzeugen mit Werbebannern (also sonisch und optisch eine Zumutung), Hubschraubern, Polizeisirenen, Knatterharleys, verfrüht volltrunkenen Grölern, heute auch Fans des FC Bayern München, die acht (8!) Tore angemessen feiern wollen, sowie Abschleppwagen, die unter lustvollem Klirren und Klappern Falschparker unter unserem Balkon einer ungewissen Zukunft zuführen.

Vor allem aber das ungefähr halbstündige Feuerwerk gegen 23 Uhr hat natürlich jedes Recht, in dieser bei weitem unvollständigen Liste einen Credit zu bekommen.

Übrigens Wahnsinn, aus welchen Lücken die Abschlepper manchmal Wagen rausholen, ohne deren Knautschzonen einem Praxistest zu unterziehen.

Für mich sind das Künstler, echt.

06 Mai 2011

Käse, Metal, Polizei



Wenn Ina Finn (Foto), eine der besten Hamburger Sommelières, erneut die großartigsten Käsesorten Frankreichs für lau sowie passende Spitzenweine für einen angemessenen Preis offeriert, dann sollte man eigentlich meinen, halb Hamburg begehrte entschlossen Einlass an der Tür der Villa Verde, doch es waren nur ungefähr 30 – darunter der Franke, Ms. Columbo, ramses101 und ich.

Während ein wagenradgroßer Brie de Meaux majestätisch zerfloss, fühlten wir uns wie Gott in Frankreich (zumindest im Sinne der aktuellen Lesart, denn einst – in gottesfeindlichen jakobinischen Zeiten –, bedeutete der Spruch ja bekanntlich genau das Gegenteil). Für den Fall, wir müssten für fünf Jahre ins Gefängnis, wäre die Villa Verde zu Käsestammtischzeiten zweifellos ein geeigneter Ort, um die Zeit würdig abzusitzen. „Außer mit Laktoseintoleranz“, ergänzte der Franke lakonisch, ehe er sich wieder mit verheerenden Folgen am Büffet zu schaffen machte.

Nicht vor Ort war natürlich der bekennende Käse-, Wein- und Aquaphobiker German Psycho. Gäbe es bereits olfaktorische Tweets, hätte ich ihm dem Duft des Brie de Meaux getwittert. So aber konnte ich nur twitternd die Nichtexistenz olfaktorischer Tweets bedauern.

Die ältliche Dame neben mir, eine strengfrisierte Erscheinung von hanseatischer Steifheit, nutzte die Aufmerksamkeit meines halben Ohres, um mir von ihren zahlreichen Reisen zu berichten („Schon 35-mal in Italien, aber immer woanders.“). Doch nur ein einziges Mal ergatterte sie meine ganze Aufmerksamkeit, und zwar mit dem frappierenden Satz: „Ich bin von der Klassik zum Heavy Metal gekommen.“

Dann plapperte sie strengfrisiert über ihre Vorliebe für Sepultura und Annihilator und offenbarte, bereist siebenmal Motörhead im Docks gesehen zu haben. Ich nur zweimal. Verdammt.

Auf dem Heimweg fand ich den Personalausweis einer jungen Frau aus der Annenstraße, den ich ihr gern vorbeibringen wollte, doch Ms. Columbo bestand auf Ablieferung bei der Polizeiwache um die Ecke.

Ein Vorschlag mit Folgen, denn die Einreichung eines aufgefundenen Personalausweises setzt einen bürokratischen Prozess ungeahnten Ausmaßes in Gang. „Ein Personalausweis gehört der Bundesrepublik Deutschland“, dozierte Wachtmeister Gohlke, während er meine persönlichen Daten aufnahm, „Sie sind nur der Besitzer.“

Derweil tippte er eine Zeile nach der anderen voll und löcherte mich mit Fragen, unter anderem dieser: „Wünschen Sie einen Finderlohn?“ Ein Danke würde mir reichen, winkte ich generös ab, doch später bereute ich es. „Ich hätte einen Euro verlangen sollen“, sagte ich zu Ms. Columbo. „Dann wäre die Geschichte weitergegangen.“

Und darum geht es doch im Leben, oder nicht: dass die Geschichten weitergehen.

Der nächste Käsestammtisch findet übrigens am 16. Juni statt. Dies als Botschaft an halb Hamburg.

05 Mai 2011

Fundstücke (132)



Fragen Sie mich bitte nicht, warum dieser Schirm …

a) … auf einen Bauzaun in der Seilerstraße geklemmt wurde und
b) … die Aufschrift „Es regnet Kaviar“ trägt.

Schön wär’s ja (sofern Beluga).


04 Mai 2011

Sehr Sade



Vier Gitarren, schleppendes Massive-Attack-Flair, Grooves und Balladen perfekt austariert, poetische Bühnenbilder und Einspielfilme, ein gazehaft transparenter Sound, den sogar meine kleine Digicam einzufangen in der Lage war …:

… Verdammt, es gibt wirklich überhaupt nix zu meckern an Sades Auftritt gestern Abend in der Hamburger o2-World-Arena.

Deshalb ersetzt dieser kleine Mitschnitt jedes weitere Geschwafel, und das ist auch gut so.

03 Mai 2011

Fundstücke (131)



Ein Gehweg ist also kein Hundeklo – aber die eigene Haustür anscheinend das geeignete Medium für ernste Ermahnungen. Manche Menschen verstehe ich einfach nicht.

(Was natürlich nur dann gilt, wenn Herr oder Frau Koch selbst für den Spruch auf ihrer Haustür verantwortlich sind. Sonst nehme ich alles zurück und bestätige, dass ich manche Menschen doch verstehe.)


Entdeckt in der Kastanienallee.



02 Mai 2011

Gut ausgelüftet



Da hat sich wohl jemand gedacht: Den mühseligen Weg zum nächsten Altkleidercontainer spar ich mir. Und dann hat er oder sie die ollsten Klamotten des Bestandes einfach an den Gitterzaun vorm neuen Astraturm gehängt.

Den Zaun hat übrigens der Eigentümer der Immobilie aufgestellt, damit Leute, für die großflächige Büroturmscheiben eine schier unbezwingbare Einschmeißverlockung darstellen, nicht mehr ganz so nah rankommen an den neuen Astraturm.

Allerdings fliegen routiniert geworfene Pflastersteine auch schon mal weiter als die paar Meter, die der Zaun an Distanzierung leistet, doch wem sag ich das.

Zurück zur originellen Altkleiderentsorgung. Um diese Methode ein wenig zu verschleiern und nicht sofort Vermutungen wie Faulheit und Bewegungsscheu aufkommen zu lassen, hat der oder die Verantwortliche wenige Meter weiter das Ganze auf dem Pflaster zum „Umsonstladen“ beschönigt.

Die treffsichere Allegorie „Fiese Hecke“ für den Gitterzaun verdient übrigens Respekt und Anerkennung.

01 Mai 2011

„Ganz Hamburg hasst die Polizei“



Was ist eigentlich dieses „Regen“, von dem man ab und zu im Wetterbericht hört? In Hamburg jedenfalls liegt das Phänomen gefühlt ungefähr so lange zurück wie die letzten 1.-Mai-Krawalle.

Weil das besagte Datum heute wieder dräute, wurde das traditionelle Spielfeld – also Schanze und St. Pauli – behördlicherseits vorsorglich zum „Gefahrengebiet“ erklärt. Bedeutet: Man hatte bei Bedarf der Polizei auch anlasslos Rede und Antwort zu stehen.

Insgesamt sorgte das alles für eine bedrohliche Aura überm sonnentrunkenen Kiez, und aufgrund einer insistierenden Bitte von Ms. Columbo musste ich sogar mein Fahrrad hoch in die Wohnung schleppen, obwohl mich kurz zuvor Chris, der Schlächter, im Fitnesskurs gestriezt hatte bis zur Schnappatmung.

Ms. Columbos Bitte allerdings war wie immer weise, denn wenig später zog bereits die erste Demo durchs Viertel. Darunter waren viele schwarzgekleidete Kapuzenträger mit vollverspiegelten Greta-Garbo-Sonnenbrillen. Sie trugen ein blaues Plakat mit sich herum, auf dem stand: „Ganz Hamburg hasst die Polizei“, was ein recht betrübliches Licht auf ihre Realitätswahrnehmung warf.

Wenn all ihre Analysen so leicht empirisch zu widerlegen sind wie diese, dann gute Nacht, liebe Linke. Irgendwann fing es irgendwo dann an zu krachen, Sirenen juchzten, und wenn sie nicht gestorben sind, dann prügeln sie sich heute
noch.

Es dürfte übrigens gerne mal wieder „regnen“, oder wie das heißt.



30 April 2011

Bekenntnisse eines nearly adopters

Bloggen ist inzwischen so uncool geworden, dass man sofort damit anfangen müsste, wenn man es nicht längst schon täte. Ähniiches gilt allmählich fürs Twittern.

Denn mal ehrlich: Nichts ist schlimmer, als auf fahrende Züge aufzuspringen – wie ich es damals tat, als Bloggen noch halbwegs cool war.

Inzwischen erregt Coolness in mir großes Mitleid. Ebenso die Coolnessträger, also Trendsetter, Auskenner, Herdenführer – und ganz besonders die so innig umschwärmten early adopter. Denn was ist schon ein early adopter? Doch nichts weiter als die arme Wurst, die den Herstellern von unausgegorenem Müll als erste auf den Leim geht.

Derweil wartet der Uncoole ab, bis das Zeugs endlich funktioniert – und trotzdem nur noch halb so viel kostet.

Ich bin allerdings nicht nur kein early adopter, sondern ein für die Unterhaltungsindustrie extrem nerviger Sonderfall, nämlich ein nearly adopter.

Ist zwar nur ein Buchstabe mehr, aber ein himmelweiter Unterschied. Als nearly adopter habe ich nämlich ein gutes, altes Prinzip transformiert, welches sich auch hier auf St. Pauli schon immer als höchst probates Mittel erwiesen hat, keinen Ärger zu bekommen: nur gucken, nicht anfassen.

Das bedeutet, ich bin meist gut informiert über den neusten heißen Scheiß, aber bis ich mir wirklich einen HiTec-Brillen-gestützten 4-D-LED-LCD-USB-DVBT-HDMI-plus-Ultraflachbildfernseher mit Internetzugang, Timeshift, Beamfunktion und WLAN-programmierbarer Mikrowelle kaufe, muss schon die 6-D-Glotze auf dem Markt sein. Mindestens.

Mein sehr verehrter neuster heißer Scheiß, denkt der nearly adopter in mir, während er unbeeindruckt an den Glimmerflimmerwänden im Mediamarkt entlangschlendert, werd du Krücke erst mal deine Kinderkrankheiten los, dann lass uns noch mal reden.

Na ja, lange Rede, ganz kurzer Sinn: Ich gehöre seit kurzem zu den letzten Nachzüglern, die sich nun doch noch das zugelegt haben, was der Rest der Welt schon drei Generationen lang sein eigen nennt: ein iPhone.

Natürlich kein Vierer – viel zu riskant.

28 April 2011

Dr. House praktiziert auf dem Kiez


Da waren sie nun, die ganzen „Dr. House“-Fans. Im aus allen Nähten platzenden Café Keese an der Reeperbahn trat nämlich heute Abend Hugh Laurie auf, der in der TV-Erfolgsserie einen muffeligen Doktor spielt – aber hier, im Keese, den Blues.

Irgendwie passte da was nicht zusammen. Doch die Fans – darunter viele hippe Groupies im Alter potenzieller Laurie-Töchter – mussten da durch, denn hey: Das war er höchstpersönlich! House himself! Auf der Bühne! Live und wahrhaftig! Aber wo war sein Krückstock? Und wieso parlierte dieser Knurrhahn plötzlich so charmant?

Immerhin: Dass er seltsame Uraltsongs von Jelly Roll Morton (1889–1941), Huddie Ledbetter (1889–1949) oder Mahalia Jackson (1911–1972) sang, ließ sich trefflich mit Herumquatschen während des Vortrags sowie euphorischem Juchzen in Einschaltquotenhöhe zwischen den Stücken übertünchen.

„Laurie ist so alt wie wir“, raunte ich dem Franken zwischendurch zu. „Die goldene Generation, Franke!“

Er schaute mich an, als hätte ich eine despektierliche Bemerkung über seine Wampe gemacht, deshalb sparte ich mir die weitere Beweisführung (Madonna, Michael Jackson) und süffelte weiter an meinem Grauburgunder, während Laurie am Klavier eine sehr schöne Version von Louis Armstrongs „St. James Infirmary“ anstimmte.

„Vorm Konzert habe ich gesagt“, sagte Laurie plötzlich, „wenn man uns nach dem dritten Song noch nicht weggesperrt hat, dann gönne ich mir was.“ Euphorisches Juchzen der House-Fans.

Und dann hielt Hugh Laurie plötzlich eine Maß Bier – also einen ganzen Liter – in der Hand. Und nippte. Statt es in kräftigen Zügen mindestens zur Hälfte wegzupumpen und sich einen weißen Bart von der Blume zu holen, nippte dieser Fernsehweichlng nur dran.

Engländer wissen einfach nicht, wie man mit Bier umgeht. Das war die wichtigste Erkenntnis des Abends. Und manche von ihnen lieben den Blues so sehr, dass es ihnen wurschtegal ist, nur über die Stimme eines Privatpartysängers zu verfügen.

Ich glaube, ich muss mir diese Fernsehserie mal anschauen.


27 April 2011

Der Edgar-Wallace-Effekt



Auf dem Flohmarkt am alten Real-Gelände stießen wir auf einen schlauchförmigen Verhau mit Lebensmitteln am Rande des Ablaufdatums und klar darüberhinaus.

Der Höker hatte alles da: Wurst, Käse, Schinken, alles irgendwie graumeliert und eingeschweißt in Plastikfolie, die vor Erschöpfung zu seufzen schien. Wir wollten schon weiter, denn hier gab es nichts zu sehen – bis auf die knallblauen Einkaufskörbe mit dem gelben „Geklaut“-Aufkleber.

Angesichts der Armseligkeit des Sortiments fragte ich mich gleich, ob das ein vorauseilender Sarkasmus war, der all jenen prophylaktisch zugerufen wurde, die erwogen, den knallblauen Einkaufskorb zu entwenden – oder ob der Standbetreiber selbst die Teile en gros bei „Pauli’s Schnäppchenoase“ in 33775 Versmold geklaut hatte und dies nun einfach nassforsch öffentlich bekanntgab.

Denn wie wir alle aus alten Edgar-Wallace-Schinken wissen, ist der Täter niemals der, auf den der erste und plumpeste Verdacht fällt; und vielleicht setzte der Mindesthaltbarkeitsdatumsaustester auf dem Flohmarkt am alten Real-Gelände auf genau diesen Effekt.

Egal, wir werden es nie erfahren, denn wir flohen wurst-, käse-, schinken- und einkaufskorblos von dannen.

Mit angemessen entsetztem Blick, versteht sich.

26 April 2011

Fehlentwicklung Individualverkehr

Ein Abend auf dem Balkon. Alles ist vorbereitet, das Arrangement perfekt: Ms. Columbo, eine Flasche Rieslingtrester, Amaretti mit Schokoladenfüllung von Andronaco und dazu als Soundtrack aus dem Wohnzimmer Beethovens siebte Sinfonie.

Der zweite Satz – Beethoven gab als Tempo „Allegretto“ vor – ist zweifellos das schönste Stück Musik, das je geschrieben wurde, und ich würde mich auf Mozarts Komponiertisch stellen und diesen Satz wiederholen.

Einziges Problem aber: die Großstadt.

Während der knapp acht Allegrettominuten beeinträchtigten den Hörgenuss folgende Störfaktoren: ein Dutzend Autos, ein Motorrad, ein Propellerflugzeug, ein ADAC-Hubschrauber, ein Krakeeler per pedes sowie zwei von der Reeperbahn herüberwehende Polizeisirenen. Am Schlimmsten aber war diese envervierend behäbig vorüberknatternde Vespa während der leisesten Passage.

Wäre ich Beethoven, ich hielte den Individualverkehr für eine krasse Fehlentwicklung. Wäre ich ich, ebenfalls.

25 April 2011

Das Hier und Jetzt



Aller Erfahrung nach – und ich verfüge bereits über mehrere Jahrzehnte davon – werden wir dieses Traumostern noch bitter bezahlen.

Mit Hagel im Mai.
Mit Dauerregen im Juni.
Mit einer vierwöchigen Nebelbank im Juli.
Und dem frühesten Wintereinbruch der Welt am 1. August.

Doch das ist alles Zukunftsmusik. Noch ist Ostern. Noch lassen sich hanseatische Paschas im Glitzer der Frühsommersonne von willigen Blondinen über die Fleete ruden.

Und noch stehen zufällig Blogger am Brückengeländer und dokumentieren das.

23 April 2011

Really umgehaun



Hugo Egon Balder ist ja eine ziemlich coole Socke, ungefähr so eine wie
Rolf Zacher. Bei Balder sieht man das schon daran, dass er mit seinem Geburtsnamen „Egon Hugo Balder“ derart unzufrieden war, dass er sich den Künstlernamen „Hugo Egon Balder“ gab.

Er
und Zacher: Das sind jedenfalls zwei über jeden Zweifel erhabene Typen, die es immer geschafft haben, zwischen Drama, Trash und Komik ihr Ding durchzuziehen.

Gestern Abend waren wir ins Zwick an der Reeperbahn eingeladen, wo Balder sein neues Album live spielen wollte. Natürlich mussten wir hin. Wir wären ja auch zu Rolf Zacher gegangen.

Balders Begleitband waren Rudolf Rock & Die Schocker, eine routinierte Kombo nah am Rentenalter, was einige Bandmitglieder allerdings nicht davon abhielt, Karottenfrisuren wie Rod Stewart anno 72 vorzuführen, nur in Eisgrau. Die betagten Elbletten bei uns am Tisch teilten wohl insgeheim diese Haarfarbe, hätten sie sich nicht einer Wasserstoffperoxidbehandlung unterzogen. Ihr Pseudoblond kontrastierte mit Lippenstiftfarben, die selbst dem Regisseur von „Hostel“ zu grell gewesen wären.

Noch während Ms. Columbo und ich über diese Damen giggelten, kam der Franke krank vor Hunger angehetzt und flehte die Bedienung um ein Schnitzel mit Pommes an. Ihre Antwort – „Erst nach dem Konzert wieder, tut mir Leid“ – stürzte ihn in eine Existenzkrise, doch drei Blechdosen mit gesalzenen Erdnüssen, die er wegsaugte wie ein Walhai den Krillschwarm, milderten die allerärgste Not.

Derweil begann Balder zu singen, und zwar Sachen wie „You are the hottest girl in town, you have me really umgehaun“ oder so ähnlich. Manifeste eines Berufsjugendlichen. Während wir halb unter den Tisch krochen vor Fremdscham und Karl Dall spontan auch noch sein linkes Auge auf Halbmast flaggte, nässten sich die Elbletten vor Lachen fast ein.

Wahrscheinlich hofften sie so ihre Chance auf eine persönliche Aftershow mit Hugo Egon resp. Egon Hugo zu verbessern, denn der Mann ist auch mit 61 noch eine Schnitte, trotz allmählich wachsendem Rundbuckel.

Inzwischen sang er „Der frühe Vogel kann uns mal“, ein wie von Twitter geklauter Satz. Und kurz nachdem er mit stets geblecktem Gebiss die wirklich gute Zeile „Wir sind übern Berg, von nun an geht’s bergab“ rausgeröhrt hatte, packten wir den Franken und schoben ihn en passant ins Texas Bar-B-Q an der Reeperbahn, wo er augenblicklich ein formidables Burgermassaker anrichtete, wie uns später zu Ohren kam.

Das alles geschah natürlich bereits am Donnerstag, denn gestern – wie wir alle wissen – hätte selbst eine coole Socke wie Hugo Egon Balder nicht singen dürfen, vom hottest girl in town schon mal gar nicht.

22 April 2011

Alles verboten

Weil die Kirche es irgendwie geschafft hat, dem ganzen Land am Karfreitag das Singen, Tanzen und Spielen zu untersagen, herrscht auch auf dem Kiez heute tote Hose. Selbst zum Luftgitarrensolo in der Friedrichstraße wird es garantiert nicht kommen.

Und da ich unsicher bin, ob die Kirche es nicht auch irgendwie geschafft hat, am Karfreitag das Bloggen zu untersagen, mache ich hier vorsichtshalber Schluss.