24 Juni 2015

Billys Bauch und Stevens’ Beitrag


Komme gerade vom Billy-Idol-Konzert im Stadtpark, und es war lustig. Allerdings aus den falschen Gründen. 

Der gute Billy singt nämlich inzwischen mit dem Stimmvolumen eines lungenkranken Wiedehopfs, lenkt davon aber optisch nicht ungeschickt ab mit einem Six Five Four Three Twopack, der für einen Mann meines Alters durchaus vorzeigbar ausfällt. Was Billy übrigens schon ab dem dritten Song ebenfalls findet, aber so was von.

Höhepunkt des Abends nichtsdestotrotz: sein optisch ausgesprochen grotesker Gitarrist Steve Stevens. Der Mann ist ein toller Instrumentalist, unbenommen – aber leider zum Glück hat er sich zurechtgemacht wie die vertikal herausgeforderte Parodie eines Hair-Metal-Heinis, der in Schlaghosen aus Schwarzleder in einen Topf voller Ron Woods gefallen ist. 

Aus all diesen Gründen war das Billy-Idol-Konzert im Stadtpark jedenfalls ziemlich lustig. 
Und vielleicht sogar ja doch aus den richtigen Gründen.


18 Juni 2015

Fundstücke (204)


Keine Ahnung, worauf genau sich die angepriesene volle Funktionsfähigkeit bezieht, aber wäre ich eine Frau, wollte ich das wahrscheinlich auch gar nicht wissen. 
 
Hm … So eigentlich auch nicht.

Entdeckt mitten auf St. Pauli, wo sonst.


08 Juni 2015

Wie werde ich zum Smartphonezombie?


Eine Kurzanleitung in acht Schritten

1. Um ein Smartphonezombie zu werden, brauchen Sie unbedingt ein „Mobile Device“. Zum Beispiel ein iPhone oder ein Tablet, es reicht auch ein gebrauchtes. Mehr ist gar nicht nötig. Alles Weitere liegt ganz allein bei Ihnen – genauer gesagt: aufm Platz.

2. Beginnen Sie Ihre Karriere als Smartphonezombie erst mal zu Hause und im Freundes- und Familienkreis, am besten beim gemeinsamen Essen. Nutzen Sie Ihr Gadget in geselliger Runde, indem sie draufstarren, statt sich an Gesprächen zu beteiligen. Machen Sie mürrisch „Hä?“, wenn Sie angesprochen werden, natürlich ohne aufzuschauen. Vor allem, wenn Sie zur Adipositas neigen, ist ein Dasein als Smartphonezombie bei der Essensaufnahme geradezu ein Segen: Denn jeder Tweet, den Sie tippen, jeder Facebook-Kommentar, den Sie hinterlassen, hält Sie nun mal von der Kalorienaufnahme ab. Smartphonezombies sind nachgewiesenermaßen um 30 Prozent schlanker als der Bevölkerungsdurchschnitt. Denken Sie mal darüber nach!

3. Treten Sie in die zweite Entwicklungsphase ein und nutzen Sie ihr Gadget in der Öffentlichkeit, am besten in Großstädten und – das ist das Wichtigste überhaupt! – während Sie sich fortbewegen. Zu Fuß ist gut für Anfänger, zu Rad für Fortgeschrittene und am Steuer eines Autos auf der sechsspurigen, von Dauerbaustellen zerschredderten Bundesautobahn meisterlich.

4. Wo immer Sie auch sind, was immer Sie auch tun, wer immer zugegen ist: Konzentrieren Sie sich ganz und gar auf ihren kleinen Screen, starren Sie drauf, ignorieren Sie komplett Ihre Umwelt. Aber: Bleiben Sie niemals stehen, bremsen Sie nicht, bewegen Sie sich weiter, immer weiter – das ist der entscheidende Punkt! Karriolen Sie also irre durch die Stadt, taumeln Sie passantengefährdend über den Bürgersteig, eiern Sie raumgreifend über Radwege, befahren Sie jede beliebige BAB in die Gegenrichtung, dafür aber unbedingt in Schlangenlinien – und starren Sie dabei un-a-b-l-ä-s-s-i-g auf den Bildschirm Ihres Mobile Device. Nicht hochschauen! Nicht ablenken lassen! Auch nicht von der Polizei, die Sie möglicherweise anhält – die starrt ja selbst irgendwo rein, um Ihre Daten abzurufen.

5. Zucken Sie nur kurz zusammen, wenn Sie mit jemand zusammenkrachen, aber überlassen Sie es dem Unhold, sich zu entschuldigen. Schließlich ist er der Blöde; er hat Sie ja gesehen und Sie ihn nicht. Das ist nämlich das Tolle, wenn Sie sich als Smartphonezombie etabliert haben: Sie sind damit die komplette Verantwortung für die Folgen Ihrer öffentlichen Anwesenheit los. Im Kleingedruckten der AGB Ihrer Gadgethersteller ist genau geregelt, dass Sie mit der Nutzung der Geräte die Verantwortung für alle Folgen kollektiv an jene übertragen, die solche Geräte noch nicht in der vorgesehenen Weise nutzen. Diese retardierten Hinterwäldler sind jetzt für Sie mitverantwortlich, wie eine Art Vormund – und zwar so lange, bis sie selbst zu Smartphonezombies geworden sind. Aber mal ehrlich: Wer das bis jetzt noch nicht geschafft hat, wird es wahrscheinlich nie mehr schaffen. Im Gegensatz zu Ihnen.

6. Verfluchen Sie ruhig innerlich den Laternenmast, der nicht ausgewichen ist, obwohl Sie gesenkten Kopfes einhermäanderten, doch lassen Sie sich von der blutenden Beule an Ihrer Stirn nicht von Ihrem neuen Lebensentwurf abhalten. Sonst werden Sie niemals ein Smartphonezombie von Weltklasse, und das kann keiner wollen.

7. Hauchen Sie auf der Trage im Rettungswagen mit letztem Atem: „Wo ist mein iPhone? Geht es ihm gut?“ Und wenn der Notarzt wortlos den Kopf schüttelt, dürfen Sie loslassen. Zu überleben hätte jetzt eh keinen Sinn mehr.

8. Sorgen Sie aber vorher unbedingt noch für einen riesigen Vorrat an aufgeladenen Lithium-Ionen-Akkus an einem geheimen Ort, den nur Sie kennen. Denn die Smartphonezombieapokalypse wird kommen, das ist so sicher wie das iPhone 7. Und dann werden Sie ganz vorne dabei sein.

Wir „sehen“ uns.

Foto: Apple




 

30 Mai 2015

Fundstücke (203)


Außergewöhnlich sinnvolle Selfiestickvariante – entdeckt an einer Hauswand in der Großen Freiheit, St. Pauli.

19 Mai 2015

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (96)



Eichhörnchen in Planten un Blomen.

Der kleine Kerl hat neben Nüssen allem Anschein nach auch eine professionell gedrehte Tüte stibitzt (rechts unten). 
Auf St. Pauli sind eben auch die Eichhörnchen clever.

13 Mai 2015

Aller schlechten Dinge sind sieben

Fahrraddiebstahl Nummer sieben. Statistisch etwas verfrüht, denn ich hatte das Rad erst seit 18 Monaten, und im Schnitt wird es mir immer erst nach ungefähr zweieinhalb Jahren entwendet.

Als ich heute Morgen meine geliebte Gazelle vom Laternenmast losschnallen wollte, fand ich jedenfalls nur noch das durchschnittene Kettenschloss vor. Achtlos war es auf dem Gehweg zurückgelassen worden.

So weit, so üblich, doch etwas war anders, etwas Irritierendes: Auch der Fahrradständer lag dort, mit einem sauberen Schnitt durchtrennt. Warum schneidet jemand, der ein Rad stiehlt, den Ständer ab und legt ihn neben das Schloss? Was möchte mir der Dieb damit sagen? Ist das so etwas wie eine Kastrationsfantasie? Oder gar -androhung?

Das steht ernsthaft zu befürchten. Wahrscheinlich muss ich umziehen, um diesem Schicksal zu entgehen. Denn was bitte soll man ausgerechnet in St. Pauli anfangen ohne Ständer?

Wer das abgebildete Fahrrad irgendwo herumstehen sieht, und sei es in Polen oder Portugal: bitte melden. 

05 Mai 2015

Nürnberg und die Folgen

Durchaus mit vorwurfsvollem Unterton informierte ich gestern den Franken darüber, dass ich nach nur drei Tagen Aufenthalt im fränkischen Nürnberg ein ganzes Kilo mehr auf die Waage bringe.

„Wahrscheinlich warst du einfach noch nicht aufm Klo“, versucht er sich und seine Ethnie zu rechtfertigen. „Also bitte“, antworte ich, „über solche Werte informiere ich immer nur inflationsbereinigt.“

Nein, meine Theorie geht eher von einer spezifisch fränkischen Kalorienausstattung sämtlicher oral zuführbarer Dinge aus. Nehmen wir die Kässpätzle, welche ich arglos in einem Restaurant namens Nürnberger Alm orderte: Nicht nur handelte es sich dabei um einen schier monströsen Berg Kulinarik, der mir beinah die Sicht auf Ms. Columbo versperrte, auch die verschwenderische Üppigkeit, mit der die unschuldigen Nudeln käsekontaminiert waren, ließ mich vor Schreck erst mal am Alm-Schwarzen nippen.

Apropos Alm-Schwarzes: Bier serviert man drunten an der Pegnitz generell in Mindestgrößen, die hier in Hamburg bereits das obere Ende der Fahnenstange bilden. Und wagte es ein Schankwirt, dem Gast Frankenwein in einer Abgabemenge von lediglich 200 Milliliter (-> das Wort sieht übrigens recht lustig aus) zu offerieren, so bewürfe der ihn umstandslos mit Bocksbeuteln.

Nein, ein Viertele muss es generell sein, und die gewöhnlich ausschankdiensthabende Fränkin würde den Teufel tun und trotz alledem den Eichstrich nicht deutlich überschreiten. Alles hier in Nürnberg nämlich ist voller, dicker, breiter, höher, gehäufter als in hanseatischen Breiten – nur am Ende sympathischerweise die Rechnung nicht.

Unter diesen Umweltbedingungen wäre es kaum verwunderlich, wenn das hier seine Tage und Jahre fristende Frankenvolk kurzatmig, teigig und adipös durch die Stadt walzte, kaum mehr fähig, die Kaiserburg zu ersteigen, weshalb es sich lieber in Lokalen wie der Nürnberger Alm ächzend hinter die Holzbänke zwängen und erst mal eine Portion Kässspätzle vertilgen müsste, was das Ersteigen der Kaiserburg erst recht in eine ungewisse Zukunft vertagte.

Doch so voluminös wie vermutet greift der Nürnberger Franke gar nicht Raum. Natürlich: Eine gewisse Stämmigkeit, ein pralles Ausfüllen der durchweg geschmacklosen Kleidung ist in der Altstadt, die hauptsächlich Gegenstand unserer Feldforschungen war, keineswegs zu leugnen. Am anatomischen Extremismus mancher US-amerikanischen Vorbilder indes orientiert sich der durchschnittliche Frankenkörper noch immer nur eher vage.

Wie also vermeidet er es, binnen drei Tagen ein Kilo zuzulegen, im Jahr also ungefähr hundert? Ich weiß es nicht, und der Hamburger Franke („Wie: Ihr habt nicht mal Nürnberger Rostbratwürste gegessen? Ihr Vegetarier!“) erst recht nicht.

Die gewisse Bequemlichkeit der Bevölkerung hinsichtlich aller Bewegungsabläufe manifestiert sich übrigens auch in den Graffiti, wie das Bild oben beweist. Statt selbst etwas irgendwohin zu pinseln, streicht der pfiffige Nürnberger lieber (hinter)sinnigerweise etwas weg.

Herauskommt Sozialkritik auf Fränkisch. Und danach erst mal ein Berg Kässpätzle. Oder ein paar Rostbratwürste im Weckla.





29 April 2015

Sie lässt mich einfach nicht ran


Fitnessstudio am Rödingsmarkt. Die Dame am Rückengerät, wo ich gerne meine nächsten Übungen durchführen würde, macht schon seit mehreren Minuten keinerlei Anstalten, ihren Platz zu räumen, obwohl sie ihn nur noch zum Ausruhen nutzt. Und zum Simsen.

Ich überbrücke das Warten mit Dehnen in ihrem Sichtfeld und trage eine düster umwölkte Stirn zur Schau, welche von der Rückengerätblockiererin eigentlich als sanftes Drängeln gedeutet werden müsste. Indes vergebens. Die Dame bleibt sitzen.

Nach weiteren drei bis vier zähen Minuten – inzwischen bin ich gedehnt bis zum Ohrläppchen – reicht es mir. Ich gehe hinüber – und stutze kurz vorm Erreichen des Showdownareals. Mir ist nämlich auf einmal nicht mehr ganz klar, mit welchen wohlgesetzten Worten ich ihr mein Anliegen denn nun eigentlich verklickern soll.

„Können Sie mich kurz ranlassen?“ klingt irgendwie deutlich verfänglicher, als es gemeint ist. „Darf ich mal dazwischen?“ hat einen geradezu obszönen Beiklang. Und ein „Lassen Sie mich mal ans Gerät?“ schließt angesichts ihrer Oberweitenausstattung einen unfreiwilligen Nebensinn zumindest nicht vollends aus.

Das Problem ist verzwickt. Ja, es erscheint mir sogar in dieser durchgegenderten Welt voller Sprech- und Tretminen hier und jetzt nicht ohne weiteres lösbar.

Aber die Brustpresse ist ja auch ein nützliches Gerät, und nach dem Fotografieren des wunderhübsch zerfurchten Balancekissens geht zum Glück auch schon der Bauchkurs los.


20 April 2015

Pareidolie (104)


Meine Wolfsburger Lieblingsnichte Judith (9) führte mich am Wochenende zu einer Pareidolie, die sie an einem Bretterzaun entdeckt hatte – und die ehrlich gesagt alles schlägt, was diesbezüglich bisher hier im Blog veröffentlicht worden ist. 

Hiermit ernenne ich sie demzufolge zu meiner offiziellen Pareidoliebeauftragten für ganz Niedersachsen. Zumal sie die Vokabel „Pareidolie“ bereits in ihren aktiven Wortschatz überführt hat.

Damit hat sie ihren Lehrern mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas voraus.

17 April 2015

Die Brötchenbetatscherin


Kiezbäcker, morgens um 9. Hinter mir die Schlange ist genervt, denn ich bin ein wenig eigen.

Sie möge doch bitte die Brötchen nicht mit den ungeschützten Händen anfassen, mahne ich die Verkäuferin, das fände ich unhygienisch. Habe sie doch gar nicht, protestiert sie. Doch, widerspreche ich, mit eigenen Augen hätte ich es gesehen – und nur deshalb überhaupt die Notwendigkeit zur Intervention verspürt und sodann auch umgesetzt.

Dann solle ich bloß nicht in die Backstube schauen, verteidigt sie sich verschnupft, denn dort wühle man unablässig tagein, tagaus mit bloßen Händen im Teig. Mag sein, kontere ich, doch hätten die fraglichen Hände wohl kaum vor ihrer Teigwühlarbeit unzählige klebrige Biotopenbesiedlungsgebiete namens Euroscheine angefasst und direkt danach dann distanzlos verzehrfertige Brötchen eingetütet.

Es geht hin und her zwischen mir und der Verkäuferin, und plötzlich sagt der Mensch hinter mir in der Schlange, Typ fusselbärtiger Mittzwanzigerhipster aus dem Schanzenviertel: „Ich nehme die Brötchen. Die können Sie ruhig anfassen. Mir macht das nichts.“

So, meine Damen und Herren, kann ich nicht arbeiten.

Statt mir im Dienst des Überlebens der Menschheit hygienetechnisch den Rücken zu stärken, riskiert der Schanzenfusselbart eine Erhöhung der durchschnittlichen deutschen Mortalitätsrate, nur um cooler zu wirken als ich.

Der Typ will mich eindeutig als Spießer dastehen lassen, und das gelingt ihm auch, zumindest in den Augen der genervten Schlange und der innerlich augenrollenden Kiezbäckerverkäuferin.

Doch wie auch immer: Da muss man durch als geistiger Bruder Jerry Seinfelds. Und am Ende kriege ich meine etepetete mit der Zange herausgeklaubten unkontaminierten Brötchen und sehe ihn, den Hipster, vorm geistigen Auge auf dem Sterbebett pickelgesichtig Blut husten.

Zu Hause stärkt mir Ms. Columbo, die eins der Brötchen immerhin inkorporieren muss, argumentativ den Rücken. Und alles andere ist auch völlig unwichtig, dass das mal klar ist.


PS: Das Foto zeigt in Ermangelung einer treffsichereren Illustration nicht die Fassade des Kiezbäckers, sondern irgendeines Standesgenossen aus Eppendorf.


 

 

01 April 2015

Ein langer Weg nach Hause


Seinen Gangnachbarn im Bus kann man sich leider nicht aussuchen.

Mir wies das sich ins Fäustchen prustende Schicksal ein kugelförmiges Exemplar männlichen Zuschnitts zu, welches mir die Fahrt über die Alpen mit allerlei Eigenheiten bereichern sollte. Und ich meine damit nicht nur den Anblick seines Wolf-Biermann-artigen Schnauzers.

Denn der ungefähr 60-jährige Mann neigte auch noch …

a) … zum baldigen Öffnen seiner Cargohose, da sie im Sitzen anscheinend den raumgreifenden Freiheitsdrang seines Kugelbauches auf quälende Weise einhegte

b) … zu olfaktorisch fragwürdiger Sockenlosigkeit, was er alsbald durchs Entledigen seiner Schuhe und der Präsentation von jedweder Pediküre unbehelligter nackter Fleischklumpen mit gelbbraunen Nägel vornedran gerichtsfest unter Beweis stellte

c) … zu einem röchelartigen Schnarchschlaf, dessen tieffrequentes Chrrrr sich durch meine Ohrhörer fräste wie der Tunnelbohrer Bärlinde durch den Hauptstadtuntergrund

d) … zu einem periodischen schleimsatten Husten mit ergiebigem Auswurf, den er sich dann ächzend von Kinn und Hals wischte.

Nach einer Raststättenpause kehrte ich vor ihm zurück und sah, was auf seinem Sitz lag: ein etwa halber Meter langer metallener Schuhlöffel, dessen Biografie ich mir lieber nicht ausmalen möchte. Gerade als ich dieses … Ding … fotografieren wollte, kam der Mann angewackelt, und ich verriss nervös die Kamera. Das Ergebnis sehen Sie oben.

Bestimmt habe ich noch gar nicht erwähnt, dass die Busfahrt zwölf Stunden dauerte. Oder dass ich jede Sekunde davon persönlich kenne.


 

28 März 2015

Danke für nichts, Rabat!




Jene steinernen Häuser, welche das Gassengewirr der Kasbah von Rabat bilden, sind oben weiß und am Sockel blau getüncht. Und dieses Blau protzt mit einem derartig saftigvollen Leuchten, dass der Himmel über der Stadt unablässig die Konkurrenz verfluchen dürfte.

Mitten im Gewirr der Treppchen, Plätzchen und Schlängelgänge plötzlich etwas Lebensnotwendiges: eine öffentliche Toilette. Sie wird bewacht von einem jungen Mann, der den Zutritt restriktiv regelt und für die Vielzahl der Aufgaben, die der Betrieb einer öffentlichen Toilette mitten in der Rabater Kasbah naturgemäß mit sich bringt, einen Obolus erwartet.

Als ich dran bin und endlich eine der beiden geschlechtsübergreifenden Kabinen betreten darf, überkommen mich allerdings schnell Zweifel an seiner Kernkompetenz. Die Toilette ist ein Trümmerhaufen, die Brille ruht separiert von der Keramik arbeitslos in der Ecke, und die Sauberkeitsdefinition des Toilettenburschen scheint zudem nicht unbeträchtlich abzuweichen von meiner. Habe ich schon erwähnt, dass nirgendwo Klopapier zu sehen ist?

Von den beiden Waschbecken vor dieser kaum funktionstüchtigen Toilettenkabine ist nur eins im Betrieb – und das gerade belegt. Eine deutsche Touristin hat sich beim Gang durch die Kasbah von einer der zahlreichen mit Spritzen bewaffneten Hennadamen zur Verzierung ihrer Hände hinreißen lassen und sich anschließend durch unbedachte Bewegungen Jacke, Hemd und Hose beschmiert.

Jetzt rubbelt sie das Zeug wütend wieder ab, doch Henna ist, wenn es erst einmal Hautkontakt aufgenommen hat, recht hartnäckig. Dort, wo die Frau die gröbsten Schlieren abgewaschen hat, sehen ihre Hände aus, als wäre beim Nachspielen von „50 Shades of Grey“ etwas schrecklich schiefgegangen.

„Na das war wohl eine Fehlinvestition“, versuche ich Trost und Mitgefühl zu simulieren. Sie grummelt irgendwas und schubbert verbissen weiter. Das einzige funktionsfähige Waschbecken der öffentlichen Toilette der Rabater Kasbah bleibt also dank der Hennahennen erst mal unzugänglich. Derweil lehnt der Kloboy vorn am Eingang weiterhin gelangweilt am Rahmen und gewährt dem Nächsten Zugang, sobald jemand mit entsetztem Gesicht aus der Kabine taumelt.

Trotz alledem will der Bursche natürlich Geld – für nichts. Nach der Zusammenlegung unserer beiden Länder (s. Blogeintrag von gestern) muss das Toilettenaufsichtswesen in den Südprovinzen dringend neu geregelt werden. Klar, man sollte dort auch Arbeitslosengeld und so was einführen. 
Aber bitte erst danach.




27 März 2015

Marokko gehört zu Deutschland – und umgekehrt

Marokko vergreist nicht gerade: 60 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 25. Deutschland hingegen liegt am gegenüberliegenden Ende der Skala. 
Während unserer Stadtrundfahrt durch Casablanca fällt mir eine nobelpreisverdächtige Lösung für gleich beide Probleme ein: Warum nicht kurzerhand unsere beiden Länder zusammenlegen?

In der dadurch demografisch von Null auf jetzt harmonisierten neuen BRDuM (Bundesrepublik Deutschland und Marokko) hätten wir alle eine gemeinsame Staatsangehörigkeit, lernten in der Schule Deutsch und Arabisch als gleichberechtigte Erstsprachen, würden ermuntert, uns kräftig reproduktiv zu vermischen (vor allem für BRDuM-Bewohner aus den nördlichen Provinzen ein Fest, das kann ich Ihnen sagen!), und der zunächst wahrscheinlich zukunftsängstlich herummaulende marokkanische König Mohammed VI. ließe sich gewiss leicht kalmieren, indem man ihn lockte mit dem Amt des Bundespräsidenten.

Der Mann dürfte meinetwegen auch in seinem Casablancer Königspalast (Foto) verbleiben, statt ins Schloss Bellevue umziehen zu müssen – aber nur, wenn er die beiden wenig repräsentablen Sonnenschirme vorm Eingangsportal endlich zum Sperrmüll gäbe. Deal, Mohammed?

Kurz: Ich sehe bei dieser ganzen Sache – bis auf das zugegebenermaßen nicht ganz leicht zu lösende Problem einer Anschlussverwendung für Joachim Gauck – insgesamt wenig Probleme, ehrlich gesagt. Das gilt auch in optischer Hinsicht, denn Casablanca wirkt – wie Ms. Columbo schon wenige Minuten nach unserer Ankunft herausgefunden hat – „ein wenig wie Wilhelmsburg“.

Rege hiermit die ersten bilateralen Sondierungsgespräche noch in diesem Sommer an.






23 März 2015

Fundstücke (202)


Deppenleerzeichen, -bindestriche und -apostrophe: Sie sind die Pest, optisch wie grammatisch. Vor ihnen war ich von Hamburg ins hinterste Andalusien geflohen – nur um dort auf eine „Tapa’s Bar“ zu stoßen.

Es gibt also kein Entrinnen. Auch nicht in Malaga. Die Rettung wird morgen nun Casablanca sein – und sei es auch nur deshalb, weil die arabische Schrift wahrscheinlich gar keine Apostrophe kennt.

16 März 2015

Fundstücke (201)

Wie gut, dass wir just an diesem Tag in Süddeutschland unterwegs sind.

Entdeckt in der Seilerstraße.

15 März 2015

Woran Olympia in Hamburg scheitert


Morgen fällt die Entscheidung über die deutsche Bewerbung für Olympia 2024, und wie immer das Duell zwischen HH und B ausgeht: Die Stadioninstallation in der Europapassage, mit der die Kandidatur Hamburgs unterstützt werden sollte, lieferte monatelang ein hübsches Fotomotiv.

Der rote Typ in der Mitte mit dem erhobenen Arm wirkt dabei interessanterweise weniger begeistert als vielmehr auf Widerstand gebürstet. Den haben die Modellbauer wohl subversiv eingeschmuggelt unter die Masse der hanseatischen Jubelperserpuppen.

Daran wird morgen alles scheitern, Sie werden sehen. Dabei wäre ich so gerne mal zu Fuß zum 100-Meter-Finale spaziert.

13 März 2015

Mein erstes und letztes Interview mit Daevid Allen

Es häuft sich: dass Künstler, die Interviewpartner waren, sich für immer verabschieden. Im Januar war es der Tangerine-Dream-Chef Edgar Froese, heute der Mitbegründer der legendären Band Gong, Daevid Allen (77). 

Hier als Hommage an einen ganz Großen der Rock- und Fusiongeschichte noch einmal unser Interview, erschienen erst vor wenigen Wochen, im Dezember 2014 in kulturnews.


Die weibliche Null

Der 1967 in Frankreich gestrandete Australier Daevid Allen (76) ist eine Fusionlegende. Nun hat er seine alte Liebe Gong wiederbelebt – und erklärt, warum diese Band niemand je verlassen kann.

Mr. Allen, es gab im Lauf der vergangenen viereinhalb Jahrzehnte verwirrend viele Inkarnationen der Band Gong. Welche war denn die einzig wahre?
Daevid Allen: Na, die heutige! Und auf Tour war die jeweilige Formation immer die einzig wahre. Wenn du dir das aktuelle Album anhörst, merkst du, wie wahr die aktuellen Gong sind und was für eine Wahnsinnskraft diese Band hat.

Sie sind gebürtiger Australier und bekamen 1967 nach einer Frankreichtour mit Soft Machine keine Einreisegenehmigung mehr nach Großbritannien, wo Sie damals lebten. Was hatten Sie denn verbrochen?
Allen: Ich war 1960 nach Großbritannien gezogen und hatte als Australier zunächst die gleichen Rechte wie britische Staatsbürger. Dann wurden die Einwanderungsgesetze geändert, was ich aber erst mitkriegte, als ich 1967 mit Soft Machine wieder einreisen wollte. Die Band hatte sich einen ziemlich schlechten Ruf erarbeitet, weil sie einige sehr prominente Londoner Debütantinnen mit LSD versorgt hatte – was dem einflussreichen englischen Establishment eine gute Ausrede lieferte, um mich draußen zu halten. Das neue Gesetz bot die Chance dafür.

Immerhin: Ohne diesen Umstand hätte es Gong nie gegeben, denn Sie blieben in Frankreich und gründeten die Band. Glauben Sie eigentlich an so etwas wie Schicksal ...?
Allen: Klar - und es hält überraschende Volten bereit. Es scheint, als hätte ich viel Glück gehabt, und ich bin dankbar dafür. Man kann Magie definieren als perfekten Mix aus Fantasie und Willenskraft. Damals war ich enttäuscht vom Schicksal Soft Machines, aber ich wollte einfach unbedingt was erreichen, und das trieb mich weiter an.

Obwohl sehr viele Musiker zur Band stießen und irgendwann wieder gingen, hat ein Exmitglied, der Gitarrist Steve Hillage, mal gesagt: „Niemand verlässt jemals Gong.“ Wie hat er das denn gemeint?
Allen: Gong ist nicht nur eine Band, sondern eine ganze Gemeinschaft von Bands, Künstlern und einem weltweiten Publikum aller Altersgruppen. Von Zeit zu Zeit veranstalten wir die „Gong Unconvention“, ein Festival mit Gong und befreundeten Bands. Jeder, der mal Mitglied war, ist eingeladen. Das Fest ist ein Magnet für Gong-Freaks, die aus der ganzen Welt anreisen. Das letzte fand 2006 im Amsterdamer Club Melkweg statt. Nächstes Jahr soll es ein weiteres geben. Wenn Sie vorbeikommen, werden Sie sehen, dass niemand je Gong verlassen hat …

Neue Tracks wie das hektische „Occupy“ schließen den Kreis zur hochpolitischen Gründungszeit von Gong, dem Jahr 1968. Was empfehlen Sie denn der Jugend von heute: Wogegen soll sie auf die Barrikaden gehen?
Allen: Mit dem Internet ist eine ganz neue Form der Politik entstanden, ganz klar. Die Bewegung unterscheidet sich von allen davor, und es ist unvorhersehbar, wie sie sich als frei organisiertes Netzwerk entwickeln wird. Und natürlich ist auch die Jugend von heute geprägt von diesem dynamischen Prozess, der die noch im 19. Jahrhundert verwurzelten politischen Systeme entweder weiter transformieren oder sogar ganz überwinden wird. Es gibt zurzeit viele interessante Köpfe wie Thomas Pickety oder Slavoj Žižek, und in vielerlei Hinsicht ist Musik ein Indikator für den anstehenden sozialen Wandel. Allerdings ist der eine visionäre Denker noch nicht aufgetaucht, der eine große internationale Bewegung lostreten könnte.
Die nächste Revolution, sagen Sie in einem Song, wird nicht mehr auf den Straßen stattfinden, sondern in uns selbst. Wenn Marx mit seiner materialistischen Philosophie den Idealisten Hegel auf die Füße gestellt hat, dann stellen Sie mit dieser Prognose wohl Marx auf den Kopf ...
Allen: Einige von uns warten in der Tat auf einen umgedrehten oder von innen nach außen gekehrten Karl Marx. Der neue Gestalter des politischen Fortschritts ist aber wohl eher ein Think-Tank. Ein Kreis Gleichgestellter. Eine weibliche Null statt einer männlichen Eins.
Zurück zur Musik: Bei welchem jungen Fusionkünstler sehen Sie – als Pate des ganzen Genres – eine strahlende Zukunft, wer wird mal ganz groß?
Allen: Oha, ich sehe hier eher Konfusion … Ich lebe praktisch in einem Teehaus am Strand. Aus der Fusion, auf die ich als Pate Einfluss hatte, ist die Infusion geworden. Der Körper und der Teebeutel sind eins, und deshalb sind Vergangenheit und Zukunft für mich auch nicht mehr zu unterscheiden.

Das Album "I see you" ist seit Mitte November im Handel.   

Foto: Madfish Music