22 Februar 2011

Der Ätschi-bätschi-Gott



Ein etwa 17-jähriges Mädchen marschiert telefonierend bei Rot über die vierspurige Stresemannstraße, ohne den Verkehr auch nur eines Blickes zu würdigen.

Es gibt schließlich Wichtigeres als eine Tonne heranrauschendes Todesblech, und das Wichtigere kommt gerade aus einem kleinen Kästchen mit SIM-Karte, welches das Mädchen fest ans Ohr presst. Auch als das ignorante Teenie mitten auf der Straße empört angehupt wird, zeigt es keine Reaktion, sondern schlurft weiter, über die nächsten zwei Spuren.

Echt cool, die Kleine. Und entschieden suizidal, freilich ohne es zu ahnen.


Das hupende Auto verfehlt das Mädchen knapp. Wir schauen fasziniert zu. „Solchen Leuten“, moniert Ms. Columbo mit einer Mischung aus Genervtheit und Bewunderung, „passiert immer nichts.“ „Nun“, erwidere ich, „das würde ja einen Gott voraussetzen, der sich als eine Art Kontraindikator versteht.“ „Genau!“, pflichtet mir Ms. Columbo bei, „ein Ätschi-bätschi-Gott!“

So verwunderlich wäre das freilich gar nicht, denn schon in der Bibel wird von einer eingehenden Psychoanalyse berichtet, die zu dem beunruhigenden Ergebnis kommt, die Wege des Herrn seien unergründlich. Und zur Unergründlichkeit gehört es unbedingt dazu, auch mal optional die Verdammenswerten zu hätscheln und die Folgsamen zu vierteilen.

Das Mädchen, das da so sinnierend und in sich gekehrt über die vierspurige Stresemannstraße stapfte, kam jedenfalls mit dem Leben davon. Wohl bald schon wird es seinen fragwürdigen Genpool wider alle Vernunft reproduzieren, vielleicht sogar mithilfe seines Gesprächspartners am anderen Ende der Handyverbindung, wer weiß das schon.

Als wir Zeuge dieses Vorfalls wurden, kamen wir übrigens gerade aus einem mit bröckeligen Kacheln verkleideten Café namens Herr Max (Foto) in der Schanze, wo es den definitiv besten Espresso gibt, den man für einen Euro kaufen kann.

Ich würde mich übrigens auf die Theke des Caffe Latte stellen und das wiederholen. Aber dort ist der Espresso eh teurer.


21 Februar 2011

Where is my vote, Wahlleiter?



Gestern Mittag saßen wir angespannt in den Wahlkabinen im Ortsamt St. Pauli und studierten das Quartett der umfangreichen Broschüren, zu denen der gute, alte Stimmzettel in Hamburg inzwischen geworden ist (wahrscheinlich durch unkontrollierte Zellteilung).

Die vier verschiedenfarbigen Broschüren – es handelte sich parallel um eine Landtags- und eine Kommunalwahl – wirkten wie Mutationen. Statt dem bewährten Prinzip „Ein Mensch, eine Stimme“ weiter treu zu bleiben, konnten wir diesmal gleich 20 Stimmen vergeben, fünf in jeder dieser Broschüren. Und diese Stimmen durften wir beliebig aufteilen, auch querbeet.

Anfangs kam mir das vor wie eine bürokratische Blähung, doch jetzt, nach der (hoffentlich) unfallfreien Bewältigung des Parcours, sehe ich auch die Vorteile dieses Verfahrens. Immerhin kann ich nun erstmals in meiner Wahlgeschichte persönliche Koalitionswünsche signalisieren, indem ich zum Beispiel der Partei X drei Stimmen gebe und Partei Y zwei.

Die üblichen Statements in den Elefantenrunden à la „Der Wähler will Rot-Grün!“, nur weil das beliebige Zusammenzählen verschiedener Prozentzahlen eine parlamentarische Mehrheit ergäbe, war aus statistischer Sicht immer sinnlos, weil austauschbar. Beweis? Seit 1949 hätte man (mit Ausnahme von 1957) nach jeder Bundestagswahl unwiderlegbar argumentieren können, „der Wähler“ wünsche sich am innigsten eine Große Koalition – denn CDU und SPD waren stets die stärksten Parteien.

Doch was wir Kreuzchenmacher wirklich wollen, lässt sich erst mit dem neuen Hamburger Wahlsystem herausfinden. Ich hoffe, die Auswertung erfolgt denn auch derart detailliert, dass dies nachvollziehbar zutage tritt.

Eine solche Feinanalyse würde ich unter der Rubrik Trostpflaster verbuchen – nachdem sich all meine 20 mühsam aufgeteilten Stimmen gleichsam in Luft aufgelöst haben.

Dafür danke auch, lieber Scholzomat.


PS: Das Foto zeigt ein Graffito an einer Hausfassade in St. Pauli und hat keinerlei Bezug zum heutigen Blogtext.
Echt nicht.

20 Februar 2011

Tun Sie’s, verdammte Hacke!

Sehr geehrter Herr German Psycho,

heute habe ich ein zugegeben ungewöhnliches Anliegen an Sie, doch es ist sehr wichtig. So wichtig, dass ich gar die Form eines offenen Briefes wähle. Eingedenk der Befürchtung, mein Appell könnte Ihnen nicht behagen, ja sogar Ihren Ekel erregen, setze ich auf den öffentlichen Druck, den ein offener Brief gemeinhin auszulösen imstande ist. Und natürlich auf Ihre Vernunft und Einsichtsfähigkeit.

Hiermit also appelliere ich inständig an Sie: Wählen Sie heute bei der Hamburger Bürgerschaftswahl die FDP!

Wahrscheinlich verwundert Sie dieses Anliegen im höchsten Maße, war ich Ihnen doch bisher noch nie als Anhänger eines Westerwelle oder gar einer Suding aufgefallen. Und in der Tat, das ist auch weiterhin so. Doch manchmal muss man taktisch denken, und heute ist so ein Tag.

Denn nur, verehrter Herr German Psycho, wenn die Liberalen die 5-Prozent-Marke schnackeln, wird die Gefahr einer Alleinherrschaft von Olaf Scholz’ SPD sicher zu bannen sein – und bei diesem Unterfangen setze ich ganz und gar auf Sie.

Das liegt, wie Ihnen sicherlich bereits dämmert, an Ihrer staatsbürgerlichen Vergangenheit. Denn Sie haben bereits mehrfach bewiesen, im Bedarfsfall sowohl psychisch als auch physisch in der Lage zu sein, FDP zu wählen. Und deshalb erwarte ich nun diesen Dienst am hanseatischen Volk von Ihnen.

Klar, Sie sind, wie ich weiß, bitter enttäuscht von Schwarz-Gelb auf Bundesebene und wollten eigentlich keinesfalls mehr die Gelben wählen, auch nicht bei einer Landtagswahl. Wer könnte das besser verstehen als ich, und doch müssen Sie!

Wahrscheinlich wundern Sie sich nun, warum ich nicht selbst bereit bin, dieses beträchtliche Opfer zu bringen. Das will ich Ihnen gerne sagen: Ich kann nicht. Ich bin dazu schlicht nicht in der Lage. Meine Finger würden es in der Wahlkabine nicht schaffen, den Stift in Richtung der entsprechenden Felder zu führen. Ich habe es testweise auf dem Musterwahlzettel einmal ausprobiert, aber es geht einfach nicht, echt nicht.

Und das ist der Grund, sehr geehrter Herr German Psycho, weshalb Sie es tun müssen, nur einmal noch, bitte. Pro bono, contra Olaf, verstehen Sie?

Und jetzt tun Sie’s, verdammte Hacke!

Mit freundlichen Grüßen
Matt



19 Februar 2011

a mal vier

Und nun zu einem ganz anderen Thema.

In einem Wiener Bezirk gibt es eine Gemeinde namens Oberlaa. Durch Oberlaa fließt das Flüsschen Liesing. Gäbe es nun in diesem Gewässer Aale, und zwar welche, die sich auch noch im Laufe ihrer Evolution zu einer eigenen Oberlaaer Unterart entwickelt hätten, so dürfte – nein: müsste! – man mit Fug und Recht sprechen vom:


Oberlaaaal.

Das ergäbe das wohl einzige Wort in deutscher Sprache, welches mit vier identischen Vokalen in Folge auftrumpfen könnte. Nur dem Nachbarbezirk Unterlaa wäre es möglich, diese Spitzenleistung zu verwässern bzw. zu verdoppeln.

Allein schon aus diesem Grund ist es meines Erachtens dringend geboten, in der Liesing Aale anzusiedeln. Hiermit fordere ich die Gemeindeverwaltungen von Oberlaa und Unterlaa ultimativ dazu auf.


Und fragen Sie mich bitte nicht, wie ich auf diesen Blogbeitrag gekommen bin.

18 Februar 2011

Die Sollbruchstelle



Das Besondere und definitiv auch Schöne an der Architektur der sogenannten tanzenden Türme, die seit einigen Monaten eingangs der Reeperbahn entstehen, ist natürlich der deutlich hervortretende Knick in der Optik.

Vor allem deshalb, weil man schon jetzt genau sehen kann, wo dereinst die Sollbruchstelle bei der Abrisssprengung liegen wird.

PS: Übrigens sollte man als Blogger, wie mir gerade durch den Kopf schießt, den Ehrgeiz entwickeln, in jedem Beitrag ein Wort mit einem Tripelbuchstaben unterzubringen. Mal schauen, ob dieser Gedanke sich als tragfähiger erweist, als die tanzenden Türme aussehen.

16 Februar 2011

Derbysieg



Nach dem so glücklichen wie gloriosen Derbysieg des FC St. Pauli – welcher der Gegend rund um die Reeperbahn den größten Fußballtag seit 34 Jahren verschafft – ist es hier um kurz vor Mitternacht erstaunlich ruhig. Die mittwochsüblichen versprengten Sirenen aus der Ferne, das ist alles.

Vielleicht kloppen sie sich auch nur woanders (was man aus Anwohnersicht nur begrüßen kann). Die St. Paulianer, das zurzeit glücklichste Volk der Welt, wenn nicht ganz Hamburgs, feiern anscheinend alle drinnen, und die HSVler sind mental wohl viel zu zerbröselt, um noch die Energie für einen Kiezbesuch aufzubringen, wo sie im besten Fall verhöhnt, im schlimmsten getröstet würden.

„Wenn ich sehe, wie die Paulianer hier in unserem Stadion feiern, könnte ich kotzen", sagte vorhin Bastian Reinhardt, der Sportdirektor des HSV, im Fernsehinterview. Und mal ehrlich: Das sind die schönsten Worte, seit ich mir damals
zitternd vor Ergriffenheit Rainer Maria Rilkes „Duineser Elegien“ laut vorgelesen habe.

Man sollte sie sich auf ein T-Shirt drucken lassen und es dann nie mehr waschen. Reinhardt, nicht Rilke.


Obwohl: den auch.

Foto: Spiegel online


Mit links



Wenn man bereits ein krankes Knie sein eigen nennt und legt sich dann auch noch blitzeisbedingt mit dem Fahrrad lang hin:

Ist es dann eigentlich besser, aufs lädierte Knie zu donnern oder doch lieber aufs andere, bisher gesunde – mit der Konsequenz, somit überhaupt kein voll funktionsfähiges Gelenk mehr verfügbar zu haben?

Das sind Fragen, mit denen ich mir zurzeit das Hirn martere. Jedenfalls knallte ich aufs rechte, das jetzt noch malader ist als vorher. Mein linkes hingegen funktioniert astrein, dafür könnte ich es knutschen.

Das ebenfalls in Mitleidenschaft gezogene Handgelenk hätte hingegen besser nicht ausgerechnet das rechte sein sollen. Es ist nämlich, wie sich herausgestellt hat, von erstaunlicher Diffizilität, sich mit links ein Brot zu schmieren. Das sollte man in guten Zeiten öfter üben – nur so als Tipp.

Doch das ist eh alles pillepalle, es gibt zurzeit Wichtigeres in der Stadt: Das vorletzte Woche dem Wetter zum Opfer gefallene Derby zwischen dem HSV und dem FC St. Pauli steht endlich an. Prompt schneit es sei heute wieder aus allen Löchern, als fände Frau Holle den Termin erneut nicht dolle.

Die Stadt aber ist nicht nur wetterbedingt im Ausnahmezustand: Wie es heißt, soll die Polizei vorsorglich schon mal den größten verfügbaren Wasserwerfer betankt haben.

Wohnten wir im Erdgeschoss, ich würde alle Fenster verrammeln – mit der gleichen Anmut und Eleganz übrigens, wie ich mir zurzeit ein Butterbrot schmiere.


15 Februar 2011

Ausnahmesituation



Wann immer ich in den vergangenen Jahren das Obdachlosenlager an der Simon-von-Utrecht fotografierte, gewann das Motiv seinen widersprüchlichen Reiz aus einer ganz speziellen Wechselwirkung zwischen Reklame und Elend.

Meist schien das Werbemotiv auf geradezu absichtlich zynische Weise das Schicksal der Heimatlosen zu seinen Füßen zu kommentieren (zum Beispiel hier, hier und hier). Heute aber motivierte mich erstmals genau das Gegenteil zur fotografischen Dokumentation der Szenerie.

Denn ausgerechnet die Obdachlosenzeitung Hinz & Kunzt hat diesen Werbeplatz gebucht, und endlich ist die Gesamtsituation dort harmonisch und homogen. Kein Hintersinn, kein Sarkasmus, keine Bösartigkeit lädt die Lage mit Symbolik und Sozialkritik auf. Man sieht nur eine Werbung, die von der Realität bestätigt wird und umgekehrt.

Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.

Der polnische Obdachlose – nennen wir ihn Jaczek A. – war übrigens damit einverstanden, fotografiert zu werden. Trotzdem war es mir sehr unangenehm, die Linse auf ihn zu richten. Sie verwandelte sich dabei unversehens in eine Waffe, die auf einen Schutz- und Wehrlosen gerichtet war.

Trotzdem schien mir das Motiv wichtig genug, um mich über die Obszönität der Situation hinwegzusetzen. Denn wenn Jaczek A. schon mal nicht von einem Werbeslogan für Wohlstandsbürger düpiert und veralbert wird, dann sollte das ebenfalls dokumentiert werden.

Es wird eh die Ausnahme bleiben, so viel ist sicher. Demnächst wirbt an dieser Stelle wieder irgendjemand für „Kokowääh“, Flatratetarife oder den Heidepark Soltau.

Vielleicht auch für wahnsinnig günstige Baukredite.

14 Februar 2011

So weit ist es in Deutschland schon gekommen



Vor der Postfiliale steht ein falsch geparkter Pinneberger Nissan Micra mit eingeworfener Heckscheibe. Der dazu missbrauchte Pflasterstein liegt noch auf der Rückbank.

Vorn auf der Ablage macht sich ein Exemplar der BILD-Zeitung breit, auf dem Beifahrersitz ein roter Mantel. Man muss sich Sorgen machen.

Plötzlich tapst ein älterer kleiner Herr mit Hut heran. Sein Gesicht ist grau und geprägt von faltigen Hautlappen. Ihn umschlottert ein Trenchcoat, der erstaunlich treffsicher seiner Gesichtsfarbe entspricht. Der Mann stellt eine leere Limonadenflasche auf dem Dach ab und kramt nach dem Autoschlüssel.

„Ist das Ihr Wagen?“, frage ich. „Das ist meine Strafe“, sagt er mit dem Anflug eines bitteren Lächelns und schließt die Fahrertür auf. Ich schaue wohl irritiert, denn er sieht sich zu einer Erklärung veranlasst.

„Das waren Jugendliche, denen ich die Wahrheit gesagt habe über die Sexualität von Männern“, salbadert er mit leiser, fast tonloser Stimme und schiebt nach kurzem Zögern „und Frauen“ nach. „Man darf ja in diesem Land“, ergänzt er, „nicht mehr die Wahrheit sagen, sonst wird man bestraft.“

Himmel hilf, ein Schwätzer. Ich hätte ihn gar nicht erst ansprechen sollen. Und ich werde ihn keinesfalls fragen, was denn die Wahrheit sei über die Sexualität von Männern (und Frauen), obwohl das ja ein Rätsel ist, welches noch keine befriedigende Erklärung gefunden hat im Lauf der letzten 200.000 Jahre.

Ob ich eine Werkstatt wüsste, wo er seine Autobatterie wieder aufladen könne, fragt er. Ich empfehle ihm die Tankstelle am Spielbudenplatz, keine 100 Meter entfernt. „Ach, die Esso“, winkt er ab. „Dort hat neulich ein Ausländer einen Deutschen rausgeworfen. Soweit sind wir in Deutschland schon gekommen, dass ein Ausländer einen Deutschen rauswerfen kann“, klagt er mit seinem leisen Stimmchen.

Mit einem barschen „So ein Quatsch“ lasse ich ihn stehen. Ich hätte ihn wirklich gar nicht erst ansprechen sollen. Wer in Deutschland einen Satz beginnt mit „Soweit sind wir in Deutschland schon gekommen, dass …“, der bewirbt sich damit jedenfalls inniglich um das Recht, kostenlos die Heckscheibe seines Nissan Micra eingeworfen zu bekommen.

Zumal seine Vaterlandsliebe so tief wohl doch nicht ist – sonst hätte er sich ein deutsches Auto zugelegt, nicht wahr.


13 Februar 2011

Wahlkampf absurd

Der federführend an der neulich in diesem Blog aufgedeckten Römerverschwörung in der CDU beteiligte Dennis Gladiator (Wahlkreis Bergedorf) sieht seinem Altonaer Konkurrenten Ploetz von der Piratenpartei verdächtig, ja geradezu alarmierend ähnlich …



… während die homöopathiegläubige Grünenchefin Renate Künast
sich erschreckenderweise nicht mal mehr selber ähnelt:



Was macht die Politik nur aus den Menschen?
Es ist erschütternd.

12 Februar 2011

Endlich mal nicht grundlos verdächtig



An der Max-Brauer-Allee husche ich im letzten Moment mit dem Fahrrad über die Fußgängerampel, obwohl sie, wie ich zugeben muss, bereits die Farbe von Draculas Lieblingsgetränk angenommen hatte.

Auf der Verkehrsinsel in der Mitte der Straße stoppe ich daher; die zweite Hälfte will ich angesichts des bereits losgerollten Verkehrs lieber bei Grün absolvieren. Als ich so dastehe, bemerke ich, wie hinter mir ein Wagen auf die Insel fährt und anhält.

Ein Streifenwagen, um genau zu sein.

Anscheinend stand er in der ersten Reihe, als ich illegal die Straße querte. Er hatte also einen Logenplatz. Gleich drei Uniformierte steigen aus, eine Frau und zwei Männer.

Der Fahrer, ein muskulöser Typ mit Aknenarben und ohne Zweifel Anführer der Besatzung, stützt sich auf die Wagentür, beugt sich aus der lichten Höhe von knapp zwei Metern zu mir herab und sagt: „Steigen Sie bitte mal vom Rad.“

Ich zittere ja sowieso schon, wenn ich der Polizei begegne, und signalisiere so stets ein grundlos schlechtes Gewissen, was mich, wie ich befürchte, generell verdächtig wirken lässt. (Übrigens die einzige Eigenschaft, die ich mit Alfred Hitchcock teile.) Nun auch noch wirklich und wahrhaftig etwas verbrochen zu haben, macht mich keineswegs ruhiger.

Kurz: Ich bin ein Nervenbündel.

„Warum haben Sie das gerade gemacht?“, fragt der Anführer. „Das war … spontan und … unbedacht“, stammle ich. „Sie haben sicher schon öfter Ärger mit der Polizei gehabt deswegen“, sagt der Riese. „Äh, nein … warum?“, frage ich, nun vollends in der Defensive, und das mitten im Nieselregen auf einer Verkehrsinsel in Altona, unter den Augen der interessierten Öffentlichkeit.

„Weil Sie sagen: ,spontan und unbedacht’“, analysiert er. „Nein, wirklich nicht, noch nie“, flüstere ich und schaue hilfesuchend die Polizistin an. Sie lächelt mir aufmunternd zu. Wahrscheinlich ein automatisiert aufflammender Mutterinstinkt. Dabei ist sie mindestens 20 Jahre jünger als ich.

Jetzt verlang schon endlich meinen Personalausweis, barme ich innerlich, verpass mir den Bußgeldbescheid, und dann lass mich laufen. Tut Mr. Akne aber nicht.

„Machen Sie das nie wieder“, sagt er, „ich möchte Sie nämlich nicht unter meinem Wagen hervorkratzen müssen.“ Verständiges Nicken scheint mir die Situation weiter zu kalmieren, deshalb nicke ich verständig. „Und ich“, ergänze ich mit brüchiger Stimme, „möchte erst recht nicht unter Ihrem Wagen hervorgekratzt werden.“

Die Polizistin nickt erneut lächelnd und nun sogar mit geschlossenen Augen; ich habe also zweifellos den richtigen Ton getroffen. Ich schaue wieder den Riesen an. „Noch einen schönen Abend“, sagt er und steigt in den Wagen. Die anderen folgen ihm, und dann fahren sie davon.

Ich auch, mit zittrigen Knien – um 62,50 Euro reicher und einen Punkt in Flensburg ärmer.

Danke. (Auch wenn ich nicht weiß warum.)

Foto: Matthias Wiechmann, Polizei Hamburg


11 Februar 2011

Die Kommunikation der Zukunft

Ms. Columbo und ich hatten soeben eine großartige Idee, welche nicht nur die zwischenmenschliche Kommunikation revolutionieren wird, sondern zugleich auch die individuelle Sicherheit von uns allen: ein Telefon mit Schnur!

Gegenüber der derzeitig gebräuchlichen Krückentechnologie hätte ein solches Gerät unzählige Vorteile. Zum Beispiel wäre man dadurch völlig unabhängig von der Willkür schwankender Funknetze, Irrwege wie „WLAN“, „WI-FI“ oder „UMTS“ gehörten schlagartig der Vergangenheit an.

Außerdem würde uns das fest mit einem stabilen Wandanschluss verbundene Schnurtelefon™ zuverlässig daran hindern, als blinde, kopflose Plapperhühner durch die Gegend zu karriolen und mit Passanten zusammenzustoßen oder unter einen Lkw zu geraten.

Doch wir planen noch mehr. Wir werden das revolutionäre Schnurtelefon™ mit einem absoluten Killerfeature ausstatten – einem eigens abnehmbaren Hörer™! Dadurch bräuchte man sich bei einem Gespräch künftig nicht mehr das komplette Gerät an den Kopf zu klatschen, wie es heutzutage gang und gäbe ist, sondern nur noch das zur direkten Kommunikation gerade eben Notwendigste, nämlich Mikrofon und Lautsprecher.

Das Großartigste aber wäre – festhalten! – ein von uns so bezeichnetes Drehrad™ zum Wählen am Basisgerät. Dieses Ausstattungsmerkmal des Schnurtelefons™ würde das irrlichternde Anvisieren von Tasten (oder gar ihrer optischen Simulation wie auf lachhaft altmodischen Smartphones) völlig überflüssig machen. Und durch das Eintauchen des Fingers in die entsprechend groß dimensionierten Ausbuchtungen der einzelnen Zahlen des Drehrades™ wäre ein Verwählen hinfort praktisch unmöglich.

Ich glaube, unsere Idee wird den Telekommunikationsmarkt komplett durcheinanderwirbeln. Wir haben die Zukunft gesehen – und müssen uns das Gesamtkonzept jetzt nur noch schützen lassen.

Hat das Patentamt eigentlich freitags geöffnet?

10 Februar 2011

Bleibt bitte weg!



Die Zeitschrift Merian mag die Reeperbahn nicht. Sie nennt sie „norddeutschen Ballermann“ und fordert Touristen auf, sie tunlichst zu meiden.

Dem kann ich nur beipflichten. Ja, tut das, Touristen: Meidet die Reeperbahn!

Die allwochenendlichen Pinneberger Partyprolls (Beispielfoto) dürfen sich diesen Rat ebenfalls gern zu Herzen nehmen. Auch ihr Herren Hooligans: Lest Merian! Und du, schwarzer Block: Willst du nicht lieber Pöseldorf kurz und klein hauen als den Kiez?

Ja, ihr Lieben, hört auf Merian, bleibt weg. Und wenn ihr schon da seid, dann geht weiter.

Denn hier gibt es nichts zu sehen.


08 Februar 2011

Der rätselhafte Sticker



Hier auf dem Kiez nimmt man oftmals die Eigenschaften jener an, deren Pendant man eigentlich zu sein glaubt.

Neulich in der Haspafiliale an der Reeperbahn zum Beispiel sollte ich etwas unterschreiben. Der Haspamitarbeiter machte mich mit den Worten „Das müssen Sie noch unterschreiben“ auf diesen Umstand aufmerksam.

Ich schaute etwas ratlos auf das Dokument. „Wo denn?“, fragte ich. Und der Haspamann mit seinem Anzug, seiner Krawatte und der sorgfältigen Scheitelakkuratesse auf dem Schädel antwortete nur mühsam beherrscht: „Wo man halt unterschreibt.“

Da sieht man mal, wie die raue Herzlichkeit unseres Viertels auch vor traditionell förmlichen Bankangestellten nicht Halt macht. Nein, sie sickert Tröpfchen für Tröpfchen auch in die Herzen jener ein, die sich eigentlich in einer anderen Sphäre wähnen.

Manche betreiben die Mimikry möglicherweise auch ganz bewusst – wie jener Anonymus, der den oben abgebildeten Aufkleber an die Fassade eines Hauses klebte, das einst, in den 80ern, zu den hart umkämpften besetzten Häusern der Hafenstraße gehörte.

Damals riefen Besetzer und Sympathisanten der Polizei den Schlachtruf „Hafenstraße bleibt!“ entgegen. (Sie hatten übrigens Recht: Die Hafenstraße ist noch immer genau an der gleichen Stelle wie damals.) Und heute parodiert jemand mit sticheliger Häme diesen Klassiker, indem er ihn zu „Hafen city bleibt!“ verballhornt.

Bei der HafenCity (übrigens nur echt mit Binnenmajuskel!) handelt es sich, wie man in – sagen wir – Kornwestheim vielleicht nicht ganz so genau weiß, um die größte Baustelle Europas. Dort entstehen überwiegend Luxusbüros und -wohnungen für Menschen, die auch mal 10.000 Euro pro Quadratmeter auf den Tisch legen können, um vor Gästen mit einem unverbaubaren Wasserblick prunken zu können.

Dieses Megaprojekt nun per Sticker mit den damaligen Bruchbuden der Hafenstraße in Verbindung zu bringen, hat durchaus einen gewissen Pfiff. Aber wer steckt dahinter? Eine klandestine Yuppiebruderschaft, die sich nun beömmelt über ihre zynische Persiflage des linken Aktivistenjargons? Oder die Hafenstraßenbewohner selbst, die uns damit die Absurdität eines künstlich geschaffenen Luxusrefugiums mitten im Hafen vor Augen führen wollen?

Beides ist denkbar, beides möglich. Der Sticker jedenfalls wird bislang toleriert unter all den sich harmonisch in den Sound der Hafenstraße einfügenden Konkurrenzslogans. Das spricht eigentlich dafür, dass ihn doch jene erfunden haben, die so tun wollen, als seien sie die anderen, die jene persiflieren.

Vielleicht ist es aber auch genau andersrum.

07 Februar 2011

Das große dunkle Loch im Nachmittag



Wenn so ein Derby ausfällt wie gerade das in der Wie-auch-immer-Arena an der Müllverbrennungsanlage, dann fühlt man sich um wesentliche Gefühle betrogen. Um die Vorfreude, das Entgegenfiebern, das Kribbeln. Um die Angstlust in der Magengegend.

Zwischen 15:30 und 17:15 Uhr klaffte jedenfalls ein großes dunkles Loch im Nachmittag, derweil draußen Hamburg weiterhin im Regen ertrank, wie seit Tagen schon.

Nur kurz war ich daher morgens draußen gewesen zum Brötchen- und Zeitungsholen und fand dabei Gelegenheit, die Überreste des gestern von HSV-Hools zerlegten Streifenwagens zu fotografieren.

Auch unsere gläserne Haustür hatte trotz ihrer generellen Passivität den Zorn dieser Menschen erregt und wies nun strahlenkranzförmige Splitterspuren von beeindruckender Länge auf.

Eine gläserne Haustür auf St. Pauli: Das ist aber auch wirklich eine tolle Idee.



06 Februar 2011

Neuigkeiten aus dem Szeneviertel


00:40 Uhr. Unten an der Postfiliale hat eine große Gruppe „Hooligans!“-brüllender Hooligans einen geparkten Streifenwagen entdeckt. Das bekommt dem Ärmsten nicht gut.

Sie ziehen ihm alles mögliche über, darunter jene Sperrgitter, die erst vorgestern vom schwarzen Block als Barrikaden missbraucht wurden.

Dann zünden sie Feuerwerkskörper. Immerhin illuminieren sie so mein bis dahin arg dusteres Video. Vielleicht tun sie das aber auch, weil das eigentlich für heute Nachmittag angesetzte Derby zwischen HSV und dem FC St. Pauli kurzfristig abgesagt wurde und sie enttäuscht darüber sind, die Feuerwerkskörper nicht im Stadion hochjagen zu können.

Die Seilerstraße füllt sich jedenfalls rasend schnell mit Rauch. Dann kommt die Kavallerie mit Blaulicht und Getöse, die Hools verflüchtigen sich wie böse Geister in die Detlev-Bremer-Straße, die Streife jagt hinterher.

Übrigens begründet unsere Hausverwaltung die neuesten Mieterhöhungen damit, St. Pauli sei ja inzwischen ein Szeneviertel geworden.

Arschlecken.


05 Februar 2011

Wo der Kiez im Kitsch ersäuft



Für einen Sänger wie Nathaniel Rateliff ist die Prinzenbar um die Ecke des Spielbudenplatzes ein Traumort der Widersprüche.

Ein kleiner Raum, der mit großem, komplett unpassendem und natürlich nicht ernstgemeintem Kitsch prunkt.

Ein Folksänger zwischen Stuckengeln. Americana in der Ästhetik des Feudalen. Hier passt nichts zusammen – und deshalb ist alles perfekt.

Zumindest wenn man von diesem Besoffenen absieht, der sich mit dem Ellenbogen auf meiner Schulter abstützt, als ich an der Theke ein Bier bestelle, und – als ich mich vorwurfsvoll schauend umdrehe – grinsend „Oh, schulligung!“ lallt.

Neulich bei Aldi gab es übrigens Spalthämmer im Sonderangebot.
Fällt mir nur gerade ein.


04 Februar 2011

In den Fängen einer Brillenschlange

Auf der Post. Ich möchte eine alte (und doppelte) Neil-Young-Langspielplatte verschicken, und zwar als Warensendung für 1,65 Euro.

Die Postbedienstete wiegt erst mal nach und dann bedauernd den Kopf: „Hm, 525 Gramm. Das sind leider 25 zu viel für eine Warensendung“, sagt sie. Die Alternative ist furchterregend: eine Verschickung als Päckchen für die utopische Summe von 4,10 Euro.

„Das ist ja nicht mal versichert“, maule ich. Die Frau nickt mitfühlend. „Sie wollen mich wieder mal in die Arme von Hermes treiben, nicht wahr?“, unterstelle ich ihr einfach mal betriebsschädigendes Verhalten.

Das will sie allerdings nicht auf sich sitzen lassen. Ihre Stimme wird ziemlich leise, und sie beugt sich leicht über den Tresen. „Wir können es“, raunt sie, „trotz der 25 Gramm zu viel als Warensendung frankieren. Aber wenn irgendjemand nachwiegt, dann kommt es zurück.“

Ich begreife sofort die Raffinesse ihres Vorschlags. Dabei handelt es sich um eine Art Wette. Da ich ein natural born Zocker bin, schlage ich ein.

Die Rahmendaten sind demnach folgende: Mein Einsatz beträgt 1,65 Euro, und wenn es klappt, gewinne ich die Differenz zum Päckchen, das sind immerhin 2,45 Euro, wenn auch nur virtuell, denn natürlich zahlt mir den Betrag niemand aus.

Geht es indes schief, und die Platte kommt zurück, ist der Einsatz von 1,65 Euro einfach so verloren, und ich muss die Neil-Young-LP erneut versenden, diesmal zum utopischen Preis – aber dann natürlich mithilfe von Hermes, da ist das Ganze für 4 Euro wenigstens versichert.

Erst als ich die Post schon wieder verlassen habe, dämmert mir plötzlich, dass die Postbedienstete das alles schon mitbedacht haben muss, als sie mir die Wette vorschlug.

Denn statt mich einfach so zu Hermes davonziehen zu lassen, machte sie mir spontan diesen kleinen konspirativen Betrug schmackhaft. So hat sie für die Post wenigstens sicher 1,65 eingenommen, anstatt gar nichts.

Jetzt fühle ich mich ein wenig übers Ohr gehauen, komme aber nicht umhin, dieser raffinierten Brillenschlange Respekt zu zollen.

Ich wette übrigens, dass niemand nachwiegt und die LP einfach so zugestellt wird.

Wer hält dagegen?