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12 Oktober 2007
Der unbehinderte Prophet
Link: sevenload.com
Der sogenannten political correctness begegne ich traditionell mit Skepsis bis Abscheu. Ich lasse mir nur sehr ungern vorschreiben, welche Worte ich verwenden darf und welche nicht; ja, meine Zensurphobie ist ziemlich unheilbar.
Heute geriet ich mit einem Kollegen darüber in Streit. Er meinte den Begriff „Spasti“ in einem üblichen Beleidigungsduell verwenden zu dürfen, während er gleichzeitig meine Verwendung des Wortes „Behinderte“ als politisch unkorrekt kritisierte.
Daraufhin hielt ich ihm die statistische Normalverteilung als generellen Ausgangspunkt für Definitionen jeder Art vor. Nur weil das so sei, führte ich aus, könne man Menschen überhaupt als „klein“, „groß“, „dick“ oder „dünn“ bezeichnen. Oder eben als „behindert“, wenn sie durch bedauerliche Umstände – ob Armbruch oder Contergan – nicht über die statistische Normalmobilität verfügen.
Für mich ist das Wort „behindert“ also ein reiner terminus technicus, der die Realität sachlich und emotionslos beschreibt – im Gegensatz zum Wort „Spasti“, welches körperliches Elend in ein Schimpfwort verwandelt.
Kurioserweise aber hielt der Kollege zwar „behindert“ für tabu, gebrauchte aber das Wort „gehandicappt“, obwohl das auf englisch genau das Gleiche bedeutet. Das zeigt, wie groß die Gefahr für pc-Terroristen ist, in ihre eigenen Fallen zu tappen.
Meines Erachtens hingegen sollte jeder so sprechen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Das Schlimmste, was dabei passieren kann: Er verrät, wie er geistig und politisch gestrickt ist, was er wirklich denkt. Und das ist viel besser, als wenn er tagtäglich pc-Kreide frisst und uns so hinters Licht führt.
Das alles hat natürlich überhaupt nichts mit dem völlig unbehinderten Chuck Prophet zu tun, der heute Abend im Knust ein schönes Konzert spielte. Das hier dokumentierte „New Year’s Day“ war die letzte Zugabe – zu meinem Bedauern, denn Prophets „No other Love“, einer der zehn schönsten Lovesongs aller Zeiten, hätte ich lieber präsentiert.
Es sollte in Künstlerkreisen pc werden, immer meine Lieblingslieder zu spielen, dann wäre die Welt einen ganzen Schritt weiter.
11 Oktober 2007
Nacht der lebenden Slomka
Entweder liegt es an der technisch noch nicht ganz ausgereiften ZDF-Mediathek oder an gewissen Schwächen meiner DSL-Verbindung.
Das Foto zeigt jedenfalls die eigentlich ganz aparte Marietta Slomka.
Wahrscheinlich kriegt sie demnächst ein Casting bei George A. Romero – und wird genommen.
Das Foto zeigt jedenfalls die eigentlich ganz aparte Marietta Slomka.
Wahrscheinlich kriegt sie demnächst ein Casting bei George A. Romero – und wird genommen.
10 Oktober 2007
Bald ist Deember und dann Jauar
Jeden Abend schauen Millionen von Menschen die Sendung heute im ZDF, und der Sender gibt sich viel Mühe, dieses immense Interesse mit Qualität abzugelten.
Der Moderator ist auf lockere Art seriös, die Optik modern, und wenn heute hin und her schaltet vom Berlinkorrespondenten zu dem in Afghanistan, dann klappt das in der Regel verblüffend flüssig, und der Bildschirm ist dann sinnig segmentiert.
Ja, das ZDF steckt richtig Geld in die heute-Sendung. Nur nicht in die Schlusskorrektur. Keine Ahnung, ob eine Fernsehredaktion so etwas überhaupt hat, vielleicht glaubt sie auch, das bekäme sie nebenbei schon selber hin, schließlich steht da doch irgendwo hinter der Yuccapalme das Regal mit dem Duden rum.
Und wenn irgendein Praktikantendödel mal Tippfehler in einen Einblender reinhaut, dann fällt das bestimmt noch jemand auf, und sei es dem Moderator persönlich. Ja, das wäre schön. Doch leider stimmt das nicht.
Heute Abend nämlich erfand heute ganz nebenbei einen neuen Monat: den „Okober“. Zunächst war mir die Datumsangabe oben im Bild gar nicht aufgefallen, ich wähnte mich geborgen im Oktober. Doch Ms. Columbo, von Beruf Lektorin und Schlusskorrektorin, wies mich darauf hin. Was fatal war. Denn von da an starrte ich eine quälende Viertelstunde lang wie hypnotisiert auf den Okober, und Millionen Zuschauer wahrscheinlich auch.
Ob die Bahn streikt, eine Geisel freigelassen oder entführt wurde, ob morgen der Hahn kräht auf dem Mist oder das Wetter bleibt, wie’s ist: Ich habe keinen leichenblassen Schimmer. Der doofe Okober musste nicht mal mein traditionell schwaches Kurzzeitgedächtnis löschen, er hat einfach von vorneherein dessen Befüllung verhindert – mit einem einzigen fehlenden t.
Mal schauen, welche Monate das ZDF demnächst erfinden wird. Noember, Deember, Jauar: Das wären doch alles mal nette Varianten. Selbst die übelsten News machten uns dann nichts mehr aus – weil sie einfach nicht mehr durchdrängen zu uns.
Online hat das ZDF die Datumsangabe übrigens einfach weggelassen. Auch eine Lösung.
PS: Manchmal macht es richtig Spaß, den Korinthenkacker zu spielen. Vor allem, wenn sonst nix passiert ist.
Der Moderator ist auf lockere Art seriös, die Optik modern, und wenn heute hin und her schaltet vom Berlinkorrespondenten zu dem in Afghanistan, dann klappt das in der Regel verblüffend flüssig, und der Bildschirm ist dann sinnig segmentiert.
Ja, das ZDF steckt richtig Geld in die heute-Sendung. Nur nicht in die Schlusskorrektur. Keine Ahnung, ob eine Fernsehredaktion so etwas überhaupt hat, vielleicht glaubt sie auch, das bekäme sie nebenbei schon selber hin, schließlich steht da doch irgendwo hinter der Yuccapalme das Regal mit dem Duden rum.
Und wenn irgendein Praktikantendödel mal Tippfehler in einen Einblender reinhaut, dann fällt das bestimmt noch jemand auf, und sei es dem Moderator persönlich. Ja, das wäre schön. Doch leider stimmt das nicht.
Heute Abend nämlich erfand heute ganz nebenbei einen neuen Monat: den „Okober“. Zunächst war mir die Datumsangabe oben im Bild gar nicht aufgefallen, ich wähnte mich geborgen im Oktober. Doch Ms. Columbo, von Beruf Lektorin und Schlusskorrektorin, wies mich darauf hin. Was fatal war. Denn von da an starrte ich eine quälende Viertelstunde lang wie hypnotisiert auf den Okober, und Millionen Zuschauer wahrscheinlich auch.
Ob die Bahn streikt, eine Geisel freigelassen oder entführt wurde, ob morgen der Hahn kräht auf dem Mist oder das Wetter bleibt, wie’s ist: Ich habe keinen leichenblassen Schimmer. Der doofe Okober musste nicht mal mein traditionell schwaches Kurzzeitgedächtnis löschen, er hat einfach von vorneherein dessen Befüllung verhindert – mit einem einzigen fehlenden t.
Mal schauen, welche Monate das ZDF demnächst erfinden wird. Noember, Deember, Jauar: Das wären doch alles mal nette Varianten. Selbst die übelsten News machten uns dann nichts mehr aus – weil sie einfach nicht mehr durchdrängen zu uns.
Online hat das ZDF die Datumsangabe übrigens einfach weggelassen. Auch eine Lösung.
PS: Manchmal macht es richtig Spaß, den Korinthenkacker zu spielen. Vor allem, wenn sonst nix passiert ist.
09 Oktober 2007
Ein Abend mit Busch-Frauen
Nach einem dänischen Stummfilm, den ich mit A. im 3001-Kino besuche, wird überraschend noch ein Bonusstreifen gezeigt. Er heißt „Die schwarze Messe“, dauert acht Minuten – und ist ein mit Beethovens 9. Sinfonie unterlegter deutscher Hardcoreporno von 1928.
Schon damals ging es heftig und geübt zur Sache, o ja, aber das überrascht nur Leute (wie mich), die sich nicht von Zeit zu Zeit mal wieder klar machen: Sobald man kurbeln konnte, flogen auch die Klamotten in die Ecke. Pornos waren immer vorne, ob im Kino oder im Web.
„Was man sich ebenfalls viel zu selten klar macht“, sage ich danach versonnen in einer Bar namens „Bar“ zu A., „ist die Tatsache, dass nackte Menschen zu allen Zeiten weitgehend gleich aussehen. Sobald die Kleider weg sind, gibt es außer der Frisur keine Anhaltspunkte mehr – ohne Mode keine Chance.“
A. widerspricht bzw. präzisiert. „Man erkennt schon, in welcher Zeit ein Film spielt“, sagt er, „und zwar am Busch. So viele Haare wie 1928 trägt heute keine mehr.“ Als Pornodarsteller verfügt A. natürlich über eine viel breitere empirische Basis als ich, deshalb kann und darf ich die Grundsätzlichkeit seiner Aussage nicht anzweifeln.
Lieber mäandere ich hinüber zu einem weiteren Gedanken, der mich in der Bar befällt. Nur fünf Jahre, nachdem der anonyme Regisseur die Orgie abfilmte, übernahm Hitler Deutschland und damit wahrscheinlich auch die meisten der zahlreichen Akteure aus „Die schwarze Messe“. Deren unmaskiertes Treiben haben die Nazis möglicherweise heimlich goutiert, doch öffentlich bestimmt bösartigst missbilligt.
Was mag aus diesen ganzen Busch-Frauen geworden sein – Opfer oder Täterinnen, Mauerblümchen oder Mutterkreuzträgerinnen? Vielleicht lebt noch eine von ihnen, sie wäre heute um die 100.
Wenn ja: bitte melden. Ich hätte da einige Fragen.
Schon damals ging es heftig und geübt zur Sache, o ja, aber das überrascht nur Leute (wie mich), die sich nicht von Zeit zu Zeit mal wieder klar machen: Sobald man kurbeln konnte, flogen auch die Klamotten in die Ecke. Pornos waren immer vorne, ob im Kino oder im Web.
„Was man sich ebenfalls viel zu selten klar macht“, sage ich danach versonnen in einer Bar namens „Bar“ zu A., „ist die Tatsache, dass nackte Menschen zu allen Zeiten weitgehend gleich aussehen. Sobald die Kleider weg sind, gibt es außer der Frisur keine Anhaltspunkte mehr – ohne Mode keine Chance.“
A. widerspricht bzw. präzisiert. „Man erkennt schon, in welcher Zeit ein Film spielt“, sagt er, „und zwar am Busch. So viele Haare wie 1928 trägt heute keine mehr.“ Als Pornodarsteller verfügt A. natürlich über eine viel breitere empirische Basis als ich, deshalb kann und darf ich die Grundsätzlichkeit seiner Aussage nicht anzweifeln.
Lieber mäandere ich hinüber zu einem weiteren Gedanken, der mich in der Bar befällt. Nur fünf Jahre, nachdem der anonyme Regisseur die Orgie abfilmte, übernahm Hitler Deutschland und damit wahrscheinlich auch die meisten der zahlreichen Akteure aus „Die schwarze Messe“. Deren unmaskiertes Treiben haben die Nazis möglicherweise heimlich goutiert, doch öffentlich bestimmt bösartigst missbilligt.
Was mag aus diesen ganzen Busch-Frauen geworden sein – Opfer oder Täterinnen, Mauerblümchen oder Mutterkreuzträgerinnen? Vielleicht lebt noch eine von ihnen, sie wäre heute um die 100.
Wenn ja: bitte melden. Ich hätte da einige Fragen.
Diskutable Sünden
Unlängst stolperte ich im Internet über die Definition von neun interessanten Sünden, deren Herkunft mich erstaunte.
Ich beschloss, Ms. Columbo rätseln zu lassen, zu welcher Religion sie wohl gehören könnten. Hier sind sie:
1. Dummheit
2. Anmaßung
3. Solipsismus
4. Selbsttäuschung
5. Zugehörigkeit zur Herde
6. Mangel an Perspektiven
7. Vergesslichkeit gegenüber früheren Grundsätzen
8. Kontraproduktiver Stolz
9. Mangel an Ästhetik
Darunter sind doch durchaus unterschreibungswürdige Sündendefinitionen. Ms. Columbo sinnierte. „Buddhismus?“
Nope. Doch wie hätte man auch darauf kommen können – auf die Church of Satan?
Vielleicht sollten wir uns mal eine Werbebroschüre schicken lassen.
Ich beschloss, Ms. Columbo rätseln zu lassen, zu welcher Religion sie wohl gehören könnten. Hier sind sie:
1. Dummheit
2. Anmaßung
3. Solipsismus
4. Selbsttäuschung
5. Zugehörigkeit zur Herde
6. Mangel an Perspektiven
7. Vergesslichkeit gegenüber früheren Grundsätzen
8. Kontraproduktiver Stolz
9. Mangel an Ästhetik
Darunter sind doch durchaus unterschreibungswürdige Sündendefinitionen. Ms. Columbo sinnierte. „Buddhismus?“
Nope. Doch wie hätte man auch darauf kommen können – auf die Church of Satan?
Vielleicht sollten wir uns mal eine Werbebroschüre schicken lassen.
08 Oktober 2007
Wenn die kühnsten Fantasien Wirklichkeit werden
Manche Dinge sind schlicht unvorstellbar. Sie müssen schon wirklich passieren, damit man sie glauben kann. Heute geschah so etwas.
Ich war mit dem Zug unterwegs von Gießen nach Kassel, wo ich neun Minuten nach der geplanten Ankunft den ICE nach Hamburg zu erwischen gedachte. Ein überaus spannendes Unterfangen mit völlig offenem Ausgang, sofern man prophylaktisch von der üblichen Verspätung ausgeht (was man unbedingt tun muss).
Nur die Tatsache, auf dem gleichen Bahnsteig einzulaufen, von dem auch der ICE abfahren sollte, puschte wider alle Empirie meinen naiven Optimismus. Dann aber geschah das oben dramaturgisch geschickt angedeutete Unvorstellbare: Unser Zug erreichte Kassel sechs Minuten vor der Zeit, und im gleichen Moment fuhr auf dem Nachbargleis ein ICE nach Hamburg ein – doch nicht etwa „meiner“, sondern der davor!
Völlig verdattert stieg ich ein, verbrachte euphorisiert und kopfschüttelnd selige Stunden im Speisewagen (selbst die Fehlbestellung eines Mixgetränks aus Bier und Orangensaft konnte meine Stimmung nicht recht trüben) und erreichte Hamburg eine knappe halbe Stunde früher als geplant.
Ich wiederhole, für die Annalen: früher als geplant.
Jaha, aus so was müssten sie mal ein Drehbuch stricken, die Herren Science-Fiction-Autoren! Und nicht immer fantasielos plausible Storys erzählen von Zeitreisen ins Pleistozän oder Alieninvasionen von Alpha Centauri.
Ich war mit dem Zug unterwegs von Gießen nach Kassel, wo ich neun Minuten nach der geplanten Ankunft den ICE nach Hamburg zu erwischen gedachte. Ein überaus spannendes Unterfangen mit völlig offenem Ausgang, sofern man prophylaktisch von der üblichen Verspätung ausgeht (was man unbedingt tun muss).
Nur die Tatsache, auf dem gleichen Bahnsteig einzulaufen, von dem auch der ICE abfahren sollte, puschte wider alle Empirie meinen naiven Optimismus. Dann aber geschah das oben dramaturgisch geschickt angedeutete Unvorstellbare: Unser Zug erreichte Kassel sechs Minuten vor der Zeit, und im gleichen Moment fuhr auf dem Nachbargleis ein ICE nach Hamburg ein – doch nicht etwa „meiner“, sondern der davor!
Völlig verdattert stieg ich ein, verbrachte euphorisiert und kopfschüttelnd selige Stunden im Speisewagen (selbst die Fehlbestellung eines Mixgetränks aus Bier und Orangensaft konnte meine Stimmung nicht recht trüben) und erreichte Hamburg eine knappe halbe Stunde früher als geplant.
Ich wiederhole, für die Annalen: früher als geplant.
Jaha, aus so was müssten sie mal ein Drehbuch stricken, die Herren Science-Fiction-Autoren! Und nicht immer fantasielos plausible Storys erzählen von Zeitreisen ins Pleistozän oder Alieninvasionen von Alpha Centauri.
06 Oktober 2007
Fäden, lose verknüpft
„Oooh, diese ekligen Mistviecher!“, schimpft Ms. Columbo über einen weiteren kiezaffinen Moskito, der ihr ums entzückende Näschen tanzt. „Nun, aus ihrer Sicht“, wende ich spitzfindig ein, während ich wild und vergeblich nach dem Monster schlage, „sind wir eklige Mistviecher.“
Zu diesem Tiefsinn passt der Dialogfetzen zweier Frauen überhaupt nicht, den ich neulich im Bus aufschnappte. „Du bist Mutter“, schimpfte die eine, „du MUSST hinten Augen haben!“ Schon, dachte ich. Doch andererseits zwingt einen ja niemand auf der Welt, Mutter zu werden und somit seltsame Mutationen auszubilden.
Als heimlicher Lauscher stand es mir natürlich nicht zu, dies zur Diskussion beizusteuern. Zumal nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die Mutter im Bus das Graffito, welches mir vorgestern in der Fabrik vor die Kamera geriet, einst allzu unbedacht und somit folgenreich wörtlich genommen hatte.
Ja, das sind bisweilen so die Dinge, die mich beschäftigen.
Zu diesem Tiefsinn passt der Dialogfetzen zweier Frauen überhaupt nicht, den ich neulich im Bus aufschnappte. „Du bist Mutter“, schimpfte die eine, „du MUSST hinten Augen haben!“ Schon, dachte ich. Doch andererseits zwingt einen ja niemand auf der Welt, Mutter zu werden und somit seltsame Mutationen auszubilden.
Als heimlicher Lauscher stand es mir natürlich nicht zu, dies zur Diskussion beizusteuern. Zumal nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die Mutter im Bus das Graffito, welches mir vorgestern in der Fabrik vor die Kamera geriet, einst allzu unbedacht und somit folgenreich wörtlich genommen hatte.
Ja, das sind bisweilen so die Dinge, die mich beschäftigen.
04 Oktober 2007
Das pralle, längliche Ding in meiner Hand
Manchmal habe ich keine Lust, auf dem Nachhauseweg um den Block zu tapern, der die Reeperbahn von der Seilerstraße trennt. Dann nutze ich eine Abkürzung, nämlich quer durch einen der Glitzerläden. Die meisten haben einen Hinterausgang, und dann stehe ich praktisch vor unserer Haustür.
Gestern entschied ich mich für die Passage durch einen Sexshop. Beim Durchqueren verharrte ich wohl einen Moment zu lange vorm erstaunlich breitgefächerten Sortiment an Vibratoren. Jedenfalls eilte ein Verkäufer herbei und erbot sich zu helfen.
„Ich möchte Ihnen etwas empfehlen“, sagte er und ging vor. Ich folgte ihm. „Schauen Sie mal hier.“ Er blieb vor der vielschwänzigen Kollektion eines deutschen Herstellers stehen. „Man sollte ja nicht allzu patriotisch sein“, bemerkte er entschuldigend, „aber das hier ist wirklich Spitzenqualität.“
Alles reines Silikon, erläuterte er, beste Verarbeitung. Ob Batterie- oder Akkubetrieb – alles ginge. „Manchmal kommen die Kunden nach kurzer Zeit mit den Chinadingern an und sagen: Die gehen nicht mehr – tja …“ Er zuckte lächelnd mit den Achseln, doch nicht anzüglich, sondern auf jene Art und Weise, die sich aus überlegenem Fachwissen speist.
„Warten Sie mal kurz“, bat er und eilte davon. Ich wartete. Er kam wieder mit einem der patriotischen Wackeldinger, ausgepackt und betriebsbereit. „Hier“, sagte er und streckte es mir entgegen, „fassen Sie mal an.“
Ich packte die Spitze, er hielt das andere Ende. Dann drückte er einen Knopf, der mit einem Pluszeichen gekennzeichnet war. Darunter befand sich einer mit einem Minus. Der Silikonphallus begann tieffrequent in meiner Hand zu vibrieren. Er drückte noch mal, jetzt vibrierte er stärker.
„Erstaunlich leise“, lobte ich. „Tja-ha“, freute sich der Verkäufer. „Aber jetzt … passen Sie auf …“ Er drückte erneut auf den Plusknopf. „Wow“, rief ich aus, „Intervallschaltung!“ Der Mann lächelte glücklich. Dann schaltete er noch mal hoch. Wahnsinn.
Plötzlich wurde mir klar, was hier gerade passierte. Ich stand mitten in einem Erotikshop, hielt einen lustvoll brummenden künstlichen Schwanz in der Hand, und vor mir stand ein Mann, der daran herumdrückte. Von draußen musste das … nun ja: merkwürdig aussehen.
Trotzdem ließ ich nicht los; ich wollte ihn nicht enttäuschen. Und dann sagte er jenen Satz, den jeder Verkäufer im Schlaf herbeten können muss, und zwar branchenübergreifend: „Das gleiche Modell“, sagte er ernst und blickte mich an dabei, „benutze ich auch zu Hause.“
Zum ersten Mal schaute ich ihn mir näher an. Ein Mittdreißiger, leicht massig, doch nicht adipös. Rundes Gesicht, volles Braunhaar, unauffällig seitengescheitelt. Ein Durchschnittstyp in Strickpulli und Jeans. Der zu Hause patriotische Vibratoren benutzt.
Auf dem Heimweg versuchte ich mir vergeblich seine Freundin vorzustellen.
Gestern entschied ich mich für die Passage durch einen Sexshop. Beim Durchqueren verharrte ich wohl einen Moment zu lange vorm erstaunlich breitgefächerten Sortiment an Vibratoren. Jedenfalls eilte ein Verkäufer herbei und erbot sich zu helfen.
„Ich möchte Ihnen etwas empfehlen“, sagte er und ging vor. Ich folgte ihm. „Schauen Sie mal hier.“ Er blieb vor der vielschwänzigen Kollektion eines deutschen Herstellers stehen. „Man sollte ja nicht allzu patriotisch sein“, bemerkte er entschuldigend, „aber das hier ist wirklich Spitzenqualität.“
Alles reines Silikon, erläuterte er, beste Verarbeitung. Ob Batterie- oder Akkubetrieb – alles ginge. „Manchmal kommen die Kunden nach kurzer Zeit mit den Chinadingern an und sagen: Die gehen nicht mehr – tja …“ Er zuckte lächelnd mit den Achseln, doch nicht anzüglich, sondern auf jene Art und Weise, die sich aus überlegenem Fachwissen speist.
„Warten Sie mal kurz“, bat er und eilte davon. Ich wartete. Er kam wieder mit einem der patriotischen Wackeldinger, ausgepackt und betriebsbereit. „Hier“, sagte er und streckte es mir entgegen, „fassen Sie mal an.“
Ich packte die Spitze, er hielt das andere Ende. Dann drückte er einen Knopf, der mit einem Pluszeichen gekennzeichnet war. Darunter befand sich einer mit einem Minus. Der Silikonphallus begann tieffrequent in meiner Hand zu vibrieren. Er drückte noch mal, jetzt vibrierte er stärker.
„Erstaunlich leise“, lobte ich. „Tja-ha“, freute sich der Verkäufer. „Aber jetzt … passen Sie auf …“ Er drückte erneut auf den Plusknopf. „Wow“, rief ich aus, „Intervallschaltung!“ Der Mann lächelte glücklich. Dann schaltete er noch mal hoch. Wahnsinn.
Plötzlich wurde mir klar, was hier gerade passierte. Ich stand mitten in einem Erotikshop, hielt einen lustvoll brummenden künstlichen Schwanz in der Hand, und vor mir stand ein Mann, der daran herumdrückte. Von draußen musste das … nun ja: merkwürdig aussehen.
Trotzdem ließ ich nicht los; ich wollte ihn nicht enttäuschen. Und dann sagte er jenen Satz, den jeder Verkäufer im Schlaf herbeten können muss, und zwar branchenübergreifend: „Das gleiche Modell“, sagte er ernst und blickte mich an dabei, „benutze ich auch zu Hause.“
Zum ersten Mal schaute ich ihn mir näher an. Ein Mittdreißiger, leicht massig, doch nicht adipös. Rundes Gesicht, volles Braunhaar, unauffällig seitengescheitelt. Ein Durchschnittstyp in Strickpulli und Jeans. Der zu Hause patriotische Vibratoren benutzt.
Auf dem Heimweg versuchte ich mir vergeblich seine Freundin vorzustellen.
03 Oktober 2007
Mittwochs frei: Wer ist dabei?
Die Elbe vor Teufelsbrück glitzerte an diesem gloriosen Mittwoch wie flüssiges Silber, als wir auf der Fähre nach Finkenwerder übersetzten.
Man sollte, finde ich seit heute, generell Mittwoche zu Feiertagen erklären. Zwei Tage arbeiten, einen Tag frei, wieder zwei Tage arbeiten und dann zwei Tage frei: Irgendwie kommt mir das vor wie ein verdammt guter Plan. Kann sich vielleicht eine Partei dafür erwärmen? Die erwöge ich zu wählen.
In Finkenwerder stießen wir auf einen Bootshafen, wo abgetakelte Yachten und kleine Fischkutter herumlagen und vom Meer träumten. An einer Rampe, die ins Hafenbecken führte, standen die abgebildeten Warnschilder, und ich schiebe es einfach mal auf den Einfluss meines liederlichen Stadtteils St. Pauli, beim Wort „Slipbetrieb“ an etwas ganz anderes gedacht zu haben als wahrscheinlich die Finkenwerder Behörde.
Später fanden wir einen unbemannten Obststand mit Tüten voller Äpfel und Birnen und einer Blechbüchse, in die man einsfünfzig pro entnommener Packung einwerfen sollte. Wieder fiel mir St. Pauli ein, während wir den Obolus entrichteten. Dort wäre dieser menschenlosen Form des Verkaufens wohl wenig Erfolg beschieden. Am Ende wäre das Obst vielleicht noch da, doch gewiss keine Büchse mehr.
Trotzdem fuhren wir wieder zurück, mit der Fähre von Finkenwerder bis zu den Landungsbrücken, durch flüssiges Silber. Vielleicht sollten wir sie einfach selber gründen, die Mittwochsfreipartei.
MFP klingt jedenfalls ziemlich unverbraucht.
Man sollte, finde ich seit heute, generell Mittwoche zu Feiertagen erklären. Zwei Tage arbeiten, einen Tag frei, wieder zwei Tage arbeiten und dann zwei Tage frei: Irgendwie kommt mir das vor wie ein verdammt guter Plan. Kann sich vielleicht eine Partei dafür erwärmen? Die erwöge ich zu wählen.
In Finkenwerder stießen wir auf einen Bootshafen, wo abgetakelte Yachten und kleine Fischkutter herumlagen und vom Meer träumten. An einer Rampe, die ins Hafenbecken führte, standen die abgebildeten Warnschilder, und ich schiebe es einfach mal auf den Einfluss meines liederlichen Stadtteils St. Pauli, beim Wort „Slipbetrieb“ an etwas ganz anderes gedacht zu haben als wahrscheinlich die Finkenwerder Behörde.
Später fanden wir einen unbemannten Obststand mit Tüten voller Äpfel und Birnen und einer Blechbüchse, in die man einsfünfzig pro entnommener Packung einwerfen sollte. Wieder fiel mir St. Pauli ein, während wir den Obolus entrichteten. Dort wäre dieser menschenlosen Form des Verkaufens wohl wenig Erfolg beschieden. Am Ende wäre das Obst vielleicht noch da, doch gewiss keine Büchse mehr.
Trotzdem fuhren wir wieder zurück, mit der Fähre von Finkenwerder bis zu den Landungsbrücken, durch flüssiges Silber. Vielleicht sollten wir sie einfach selber gründen, die Mittwochsfreipartei.
MFP klingt jedenfalls ziemlich unverbraucht.
02 Oktober 2007
Neue lächerliche Fotografierversuche
Es ist stockdunkel im Schmidt’s Tivoli, die Vorstellung beginnt. Als es noch ein bisschen heller war, sah man an der Rückseite der Bühne schwarze Vorhänge. Jetzt flammt ein einzelner Spot auf, und er tritt herein: Nikolai Kinski, Sohn des großen Klaus.
Er trägt Schwarz, vom Haar übers Hemd bis zu den Hosen und Schuhen. Trotz des Spots hat sich also an der gefühlten Finsternis kaum etwas geändert. Nikolai rezitiert Verse seines Vaters, und ich will den üblichen kleinen Erinnerungsfilm anfertigen. Doch sofort eilt aus dem Off eine Theaterangestellte herbei und sagt: „Das ist nicht erlaubt!“
Ja, ja, na gut, mache ich. Kaum ist sie weg, plane ich den nächstkleineren Coup. Ein Foto, das ist von nun an mein Ziel. Heimlich und im, wie gesagt, Stockdunkeln hantiere ich am Gerät herum, versuche es schussfertig zu machen.
Wesentlich dafür ist natürlich das Ausschalten des Blitzlichts. Schließlich ist es duster und das Fotografieren verboten; es wäre sehr unklug, diese Vorsichtsmaßnahme nicht zu ergreifen. Also stelle ich den Blitz aus.
Zumindest versuche ich es. Denn dabei gerate ich Volltrottel versehentlich auf den Auslöser – und ein Blitz von einer Stärke, die ich meiner kleinen, tapferen Digicam niemals zugetraut hätte, erhellt für Sekundenbruchteile das Tivoli.
Ich habe mein Knie fotografiert. Es ist oben zu sehen.
Natürlich schießt auch sofort wieder die Angestellte herbei, droht mir flüsternd mit Konfiskation der Kamera und setzt sich neben mich auf den Boden. Sie traut mir nicht mehr, und das zu recht. Dabei bin ich inzwischen nervlich ebenso zerrüttet wie von jedem illegalen Gedanken geheilt, aber so was von.
Später versuche ich Kinski beim Signieren zu fotografieren, doch das Foto wird unscharf und patinös, als stammte es aus den 30ern. Ich hätte blitzen sollen.
Er trägt Schwarz, vom Haar übers Hemd bis zu den Hosen und Schuhen. Trotz des Spots hat sich also an der gefühlten Finsternis kaum etwas geändert. Nikolai rezitiert Verse seines Vaters, und ich will den üblichen kleinen Erinnerungsfilm anfertigen. Doch sofort eilt aus dem Off eine Theaterangestellte herbei und sagt: „Das ist nicht erlaubt!“
Ja, ja, na gut, mache ich. Kaum ist sie weg, plane ich den nächstkleineren Coup. Ein Foto, das ist von nun an mein Ziel. Heimlich und im, wie gesagt, Stockdunkeln hantiere ich am Gerät herum, versuche es schussfertig zu machen.
Wesentlich dafür ist natürlich das Ausschalten des Blitzlichts. Schließlich ist es duster und das Fotografieren verboten; es wäre sehr unklug, diese Vorsichtsmaßnahme nicht zu ergreifen. Also stelle ich den Blitz aus.
Zumindest versuche ich es. Denn dabei gerate ich Volltrottel versehentlich auf den Auslöser – und ein Blitz von einer Stärke, die ich meiner kleinen, tapferen Digicam niemals zugetraut hätte, erhellt für Sekundenbruchteile das Tivoli.
Ich habe mein Knie fotografiert. Es ist oben zu sehen.
Natürlich schießt auch sofort wieder die Angestellte herbei, droht mir flüsternd mit Konfiskation der Kamera und setzt sich neben mich auf den Boden. Sie traut mir nicht mehr, und das zu recht. Dabei bin ich inzwischen nervlich ebenso zerrüttet wie von jedem illegalen Gedanken geheilt, aber so was von.
Später versuche ich Kinski beim Signieren zu fotografieren, doch das Foto wird unscharf und patinös, als stammte es aus den 30ern. Ich hätte blitzen sollen.
01 Oktober 2007
Die verpasste Sause
Ohne Reklame ist ein Produkt schon a priori mausetot – und sei es ein Friedhof.
Der Ohlsdorfer feiert heuer seinen 130. – ähem – Geburtstag, und dazu schmiss er eine Riesenparty, für die er hamburgweit trommelte, auch in der U-Bahn. Unterirdisch passt ja auch besonders gut.
Dort, in der U-Bahn, wurde auch ich mit dem entsprechenden Werbeplakat konfrontiert. Es pries geradezu atemlos diverse Attraktionen an, darunter die Punkte „lebendige Steinmetzwerkstatt“, „Snacks und Getränke“ sowie „Grabpflege“. Besonders mutig fand ich den Punkt „Mitmachzirkus“.
Leider kam mir das alles viel zu spät zu Ohren, der Rummel zwischen Grabmalen und Aufbahrungshalle fand nämlich schon am 16. September statt. Sonst hätte ich Ms. Columbo mal zu einer richtigen Sause im Freien ausgeführt.
Aber so ist die ganze Sache natürlich längst gestorben.
Der Ohlsdorfer feiert heuer seinen 130. – ähem – Geburtstag, und dazu schmiss er eine Riesenparty, für die er hamburgweit trommelte, auch in der U-Bahn. Unterirdisch passt ja auch besonders gut.
Dort, in der U-Bahn, wurde auch ich mit dem entsprechenden Werbeplakat konfrontiert. Es pries geradezu atemlos diverse Attraktionen an, darunter die Punkte „lebendige Steinmetzwerkstatt“, „Snacks und Getränke“ sowie „Grabpflege“. Besonders mutig fand ich den Punkt „Mitmachzirkus“.
Leider kam mir das alles viel zu spät zu Ohren, der Rummel zwischen Grabmalen und Aufbahrungshalle fand nämlich schon am 16. September statt. Sonst hätte ich Ms. Columbo mal zu einer richtigen Sause im Freien ausgeführt.
Aber so ist die ganze Sache natürlich längst gestorben.
30 September 2007
Oliver Stone und ich haben was gemeinsam
Link: sevenload.com
Reeperbahnfestival, dritter und letzter Tag, nicht mehr lang bis Mitternacht. Ich bin extra eine halbe Stunde zu früh im D-Club, um noch die Chance zu haben, mich in die ersten Reihen vorzukämpfen.
Denn Juliette Lewis wird spielen, die Frau aus Oliver Stones „Natural born Killers“, und so eine schaut man sich nun mal nicht aus der Ferne an.
Der D-Club ist so voll, dass die Masse schier rausquillt auf den Spielbudenplatz. Dort steht eine unwirsche Schlange, die von grimmigen Türstehern gebändigt wird. Ich werde nur deshalb noch reingelassen, weil ich einen Wunderpass um den Hals trage und ein Wunderbändchen am Handgelenk.
Mit Letzterem musste ich die letzten Tage sogar duschen. Was man nicht alles tut für die Kunst und privilegierten Einlass. Jedenfalls klappt es, ich bin drin, und dann schubse, schiebe und kneife ich mich vor bis in Bühnennähe.
Dort ist neben Luftholen (sofern man die gasförmige Substanz, die sich hier zäh wie flüssiges Gummi durch die Bronchien zwängt, noch als Luft bezeichnen kann) keine andere Bewegung mehr möglich. Ein Zustand, der sich gegenüber dem, der folgt, als komfortabel erweisen soll.
Als die rockende Mimin auftaucht, bekomme ich eine Bierdusche ab, noch vor dem ersten Song. Das hätte mich warnen sollen, doch ich bin arglos, trotz der Erfahrungen vieler hundert Konzerte.
Dann legt die Band los, und sofort klärt sich die Lage auf fatalste Weise: Ich befinde mich zu meinem Entsetzen mitten unter hunderten von Hardcore-Fans. Und diese Leute sind brutalst entschlossen, jener Frau, die statt einer Serienkillerin heute Abend die klassische Rock’n’Roll-Bitch spielt, ihre Verehrung deutlich zu zeigen, vor allem physisch.
Für mich heißt das Übles. Um mich herum beginnt es zu brodeln und zu toben, hundert Kilo schwere Lewis-Fans beginnen unter demokratischer Berücksichtigung aller horizontalen und vertikalen Möglichkeiten zu hüpfen und verfehlen dabei nicht immer meine Füße.
Statt einer einzelnen Bierdusche setzt zudem ein Bierregen ein. Und von allen Seiten rammen mir enthemmte Wahnsinnige Ellenbogen in alle verfügbaren Weichteile.
Ich halte mit den Fäusten dagegen, setze beide Schultern ein, schlage zurück. Erzieherische Wirkung entfaltet das aber alles nicht. Irgendwann wird mir alles egal, und ich hole unter abenteuerlichen Umständen die Kamera raus, um mich endlich mal auf Augenhöhe mit Oliver Stone zu fühlen.
Wer die technische Qualität des Clips moniert, sollte bedenken: Jeder Wackler dokumentiert unsichtbar einen hingenommenen Schlag in die Rippen, jedes Verrutschen des Bildes einen gefühlten Zehenbruch. Was man nicht alles tut für die Kunst und Videodokumente für die Ewigkeit.
Danach kämpfe ich mich raus, biergetränkt, rauchverpestet, durchgewalkt. Und irgendwo tief drin keimt auf einmal beängstigend viel Verständnis für natural born killers, ich weiß auch nicht warum.
29 September 2007
Arme Rauke
Vor einigen Jahren startete die Etepetetekamarilla eine überraschend erfolgreiche Kampagne. Ihre Mitglieder sind bis heute nicht namentlich bekannt, man weiß nur soviel: Diverse bis dahin klaglos funktionierende deutsche Wörter ersetzten diese Leute mit gespreiztem kleinem Finger durch Begriffe aus dem romanischen Sprachraum, die in ihrem Ohren offenbar cooler klangen, obwohl sie das Gleiche bedeuteten.
Dieses pseudoelitäre Getue, wahrscheinlich motiviert durch einen Minderwertigkeitskomplex und geplant als Vergrämung des Plebs, ging allerdings nach hinten los.
Denn plötzlich plapperte das ganze Volk diese überflüssigen Ersatzwörter nach – gerne auch, ohne überhaupt zu wissen, was es da so vor sich hin bramarbasierte. Altbekannte Musterbeispiele für Etepetetesprech sind Modebegriffe wie „Pinot noir“ für Spätburgunder – oder „Rucola“ für die stinknormale Rauke.
Ich weiß, ich weiß: All das habe ich schon mehrfach ordnungsgemäß verhöhnt, doch dank Edeka muss es jetzt schon wieder sein. Denn der ansonsten recht sympathische Laden in der Paul-Roosen-Straße auf St. Pauli schafft es nicht nur, der unschuldigen Rauke das scheinbar nach italienischer Lebensart duftende Rucolaröckchen umzuhängen. Ihm gelingt es dabei auch noch, sein unverschleierbares Fremdeln gegenüber diesem Wort mithilfe mehrerer Rechtschreibfehler peinigend klar herauszuarbeiten.
Denn dort heißt die arme Rauke neuerdings sage und schreibe „Ruccula“ … (das Deppenleerzeichen ignoriere ich mal geflissentlich.) Wenn Ädekka oder so ähnlich beim Unterscheiden von Öko-, Bio- und Pestizidprodukten genauso kompetent vorgeht wie beim verdummenden Beschönigen von Begriffen, dann aber gute Nacht.
Ich jedenfalls traue dank „Ruccula“ jetzt auch den Tomaten dort nicht mehr so richtig.
Dieses pseudoelitäre Getue, wahrscheinlich motiviert durch einen Minderwertigkeitskomplex und geplant als Vergrämung des Plebs, ging allerdings nach hinten los.
Denn plötzlich plapperte das ganze Volk diese überflüssigen Ersatzwörter nach – gerne auch, ohne überhaupt zu wissen, was es da so vor sich hin bramarbasierte. Altbekannte Musterbeispiele für Etepetetesprech sind Modebegriffe wie „Pinot noir“ für Spätburgunder – oder „Rucola“ für die stinknormale Rauke.
Ich weiß, ich weiß: All das habe ich schon mehrfach ordnungsgemäß verhöhnt, doch dank Edeka muss es jetzt schon wieder sein. Denn der ansonsten recht sympathische Laden in der Paul-Roosen-Straße auf St. Pauli schafft es nicht nur, der unschuldigen Rauke das scheinbar nach italienischer Lebensart duftende Rucolaröckchen umzuhängen. Ihm gelingt es dabei auch noch, sein unverschleierbares Fremdeln gegenüber diesem Wort mithilfe mehrerer Rechtschreibfehler peinigend klar herauszuarbeiten.
Denn dort heißt die arme Rauke neuerdings sage und schreibe „Ruccula“ … (das Deppenleerzeichen ignoriere ich mal geflissentlich.) Wenn Ädekka oder so ähnlich beim Unterscheiden von Öko-, Bio- und Pestizidprodukten genauso kompetent vorgeht wie beim verdummenden Beschönigen von Begriffen, dann aber gute Nacht.
Ich jedenfalls traue dank „Ruccula“ jetzt auch den Tomaten dort nicht mehr so richtig.
28 September 2007
Was Schneider nicht passt, wird Passig gemacht
Ms. Columbo und ich suchen und finden schließlich sogar das aufschrift- und hinweislos in einem Hinterhof versteckte Goethe-Institut am Hauptbahnhof. Unser Ziel: eine mit Wolf Schneider (Stilpapst), Kathrin Passig (Blogpäpstin) und Feridun Zaimoğlu (Kanakspraklegende) prominent besetzte Podiumsdiskussion zum gewagt formulierten Thema „Wer rettet die deutsche Sprache?“
Kathrin Passigs leicht schläfriger Blick und schwankungsarmer Ton steht in hartem Kontrast zu ihrer Blitzgescheitheit, die auch im Angesicht Wolf Schneiders, dem Mount Rushmore des Journalismus, nicht ins Wanken geraten will. Dabei hätte das Schneider nur zu gern.
Doch während er den „Überschuss idiotischer Anglizismen“ beklagt, wirft sie ihm leicht schläfrig und schwankungsarm „Sprachbesorgnishuberei“ vor. Ein bisschen springt Schneider wenigstens der zum Labern neigende Zaimoğlu bei.
Zaimoğlu – das muss hier betont werden – erweist sich live als bei weitem weniger hässlich als auf sämtlichen Fotos, die ich von ihm kenne. Offenbar ist der Mann ein Musterbeispiel für praktisch komplett abwesende Fotogenität, was ich übrigens auch (in hoffentlich abgeschwächter Form) für mich selbst reklamieren kann.
Zaimoğlu jedenfalls findet Folgendes: „Sprachunvermögen ist nur Ausdrucks eines Hangs zur Idiotie“, und das ist schon schneideresk. Derweil wettert Schneider in geschliffener Eloquenz gegen E-Mails und Chatrooms, muss aber unwillig zugeben, sein komplettes Wissen darüber aus zweiter Hand zu haben – Punkt für Passig, aber ein dicker.
Die bleibt gelassen, sagt, beim Chatten und so weiter ginge es mehr um soziale Nähe als um gehobene Schreibe, und an irgendeiner Stelle sagt Charmeur Schneider zu ihr: „An dieser Stelle möchte ich Ihnen gerne den Krieg erklären.“
Passig lächelt schläfrig, während Zaimoğlu seine elektrische Schreibmaschine lobt und Computer labernd beschimpft, vor allem ihre Tastaturen. Interessanter Abend.
Danach hetze ich aufs Reeperbahnfestival, verpasse dank der Sprachdiskutanten Salim Nourallah im Kukuun-Hotel, wo aber zum Glück der rosa Flur noch da ist, so dass ich wenigstens ein verblogbares Bild im Kasten habe.
Kathrin Passigs leicht schläfriger Blick und schwankungsarmer Ton steht in hartem Kontrast zu ihrer Blitzgescheitheit, die auch im Angesicht Wolf Schneiders, dem Mount Rushmore des Journalismus, nicht ins Wanken geraten will. Dabei hätte das Schneider nur zu gern.
Doch während er den „Überschuss idiotischer Anglizismen“ beklagt, wirft sie ihm leicht schläfrig und schwankungsarm „Sprachbesorgnishuberei“ vor. Ein bisschen springt Schneider wenigstens der zum Labern neigende Zaimoğlu bei.
Zaimoğlu – das muss hier betont werden – erweist sich live als bei weitem weniger hässlich als auf sämtlichen Fotos, die ich von ihm kenne. Offenbar ist der Mann ein Musterbeispiel für praktisch komplett abwesende Fotogenität, was ich übrigens auch (in hoffentlich abgeschwächter Form) für mich selbst reklamieren kann.
Zaimoğlu jedenfalls findet Folgendes: „Sprachunvermögen ist nur Ausdrucks eines Hangs zur Idiotie“, und das ist schon schneideresk. Derweil wettert Schneider in geschliffener Eloquenz gegen E-Mails und Chatrooms, muss aber unwillig zugeben, sein komplettes Wissen darüber aus zweiter Hand zu haben – Punkt für Passig, aber ein dicker.
Die bleibt gelassen, sagt, beim Chatten und so weiter ginge es mehr um soziale Nähe als um gehobene Schreibe, und an irgendeiner Stelle sagt Charmeur Schneider zu ihr: „An dieser Stelle möchte ich Ihnen gerne den Krieg erklären.“
Passig lächelt schläfrig, während Zaimoğlu seine elektrische Schreibmaschine lobt und Computer labernd beschimpft, vor allem ihre Tastaturen. Interessanter Abend.
Danach hetze ich aufs Reeperbahnfestival, verpasse dank der Sprachdiskutanten Salim Nourallah im Kukuun-Hotel, wo aber zum Glück der rosa Flur noch da ist, so dass ich wenigstens ein verblogbares Bild im Kasten habe.
26 September 2007
Susi verschmäht Schnittwurst
Als wir uns vorm Ausflug nach Heidelberg frühstückend stärken, betritt ein gelbbrauner Jack-Russell-Terrier den Raum. Er sieht sich um und stellt sich dann vor mich hin. Seine Flanken zittern, wohl bedingt durch seine unübersehbare Betagtheit.
Der Hund schaut mich an. Bettelt er? Wirkt so. Kurz überlege ich, ob der von uns verschmähte Teller mit Schnittwurst ihn interessieren könnte, wage es aber nicht, ihm eine Scheibe hinzuwerfen. Zu resolut nämlich schilderte uns die riesenzähnige Wirtin bisher sämtliche Ge- und Verbote, die in ihrem Gästehaus unter allen Umständen gelten.
Dazu gehören etwa die Modalitäten des Türabschließens, Fensteröffnens sowie Heizungsauf- und -abdrehens. An Hundefütterregeln erinnere ich mich zwar nicht, doch das Risiko, mit der pfälzischen Wuchtbrumme unbedacht in Streit zu geraten, möchte ich nicht eingehen. Zu ungewiss wäre der Ausgang.
Da steht also der Hund und bettelt, und vor mir steht der Wurstteller. Jetzt betritt die Wirtin den Raum. „Susi!“, schnappt sie sofort, „du sollst doch hier net roi!“ Susi also; eine Hündin. Sie duckt sich, weicht aber noch nicht.
„Nix gesche Sie“, wendet sich die Wirtin nun in ruhigerem Tonfall an mich, „awwer de Susi steht off Männer mit wenich Haare.“ Der Hund steht vor mir und starrt mich weiter an. Doch nicht bettelnd, wie ich nun weiß, sondern bewundernd. Ich schaue mildgestimmt zurück.
„Nun“, antworte ich dann der strengen Chefin, „die Vorliebe für Männer mit wenig Haaren teilt die Susi mit meiner Frau.“ Endlich bin ich mal situationsgenau schlagfertig, doch die Wirtin überhört mein Bonmot. Stattdessen führt sie zahlreiche weitere empirische Beispiele für Susis spezielle Neigung an. Dann beginnt sie, das Tier auszuschimpfen.
Susi weiß sofort, was Sache ist und verzieht sich routiniert unter den Nachbartisch. Doch die dralle, pralle Winzerin hat sich plötzlich aus dem Nirgendwo mit einer giftgrünen Fliegenklatsche munitioniert. Das erweitert ihren Aktionsradius enorm, und unter „Raus mit dir, Susi!“-Rufen fuchtelt sie mit der Klatsche unter dem Tisch herum.
Susi gerät in ernsthafte Bedrängnis, ihr bleibt jetzt nur noch die Flucht aus dem Frühstücksraum. Im Weglaufen wirft sie mir einen traurigen Blick zu, der sich zu gleichen Teilen aus Wehmut und Sehnsucht speist – und keineswegs dem Teller mit der Schnittwurst gilt.
Schon eine Nette, die Susi. Werden wir uns jemals wiedersehen?
PS: Das Foto zeigt übrigens den abendlichen Ausblick vom Balkon des geschätzten Bloggerkollegen Joshuatree.
Der Hund schaut mich an. Bettelt er? Wirkt so. Kurz überlege ich, ob der von uns verschmähte Teller mit Schnittwurst ihn interessieren könnte, wage es aber nicht, ihm eine Scheibe hinzuwerfen. Zu resolut nämlich schilderte uns die riesenzähnige Wirtin bisher sämtliche Ge- und Verbote, die in ihrem Gästehaus unter allen Umständen gelten.
Dazu gehören etwa die Modalitäten des Türabschließens, Fensteröffnens sowie Heizungsauf- und -abdrehens. An Hundefütterregeln erinnere ich mich zwar nicht, doch das Risiko, mit der pfälzischen Wuchtbrumme unbedacht in Streit zu geraten, möchte ich nicht eingehen. Zu ungewiss wäre der Ausgang.
Da steht also der Hund und bettelt, und vor mir steht der Wurstteller. Jetzt betritt die Wirtin den Raum. „Susi!“, schnappt sie sofort, „du sollst doch hier net roi!“ Susi also; eine Hündin. Sie duckt sich, weicht aber noch nicht.
„Nix gesche Sie“, wendet sich die Wirtin nun in ruhigerem Tonfall an mich, „awwer de Susi steht off Männer mit wenich Haare.“ Der Hund steht vor mir und starrt mich weiter an. Doch nicht bettelnd, wie ich nun weiß, sondern bewundernd. Ich schaue mildgestimmt zurück.
„Nun“, antworte ich dann der strengen Chefin, „die Vorliebe für Männer mit wenig Haaren teilt die Susi mit meiner Frau.“ Endlich bin ich mal situationsgenau schlagfertig, doch die Wirtin überhört mein Bonmot. Stattdessen führt sie zahlreiche weitere empirische Beispiele für Susis spezielle Neigung an. Dann beginnt sie, das Tier auszuschimpfen.
Susi weiß sofort, was Sache ist und verzieht sich routiniert unter den Nachbartisch. Doch die dralle, pralle Winzerin hat sich plötzlich aus dem Nirgendwo mit einer giftgrünen Fliegenklatsche munitioniert. Das erweitert ihren Aktionsradius enorm, und unter „Raus mit dir, Susi!“-Rufen fuchtelt sie mit der Klatsche unter dem Tisch herum.
Susi gerät in ernsthafte Bedrängnis, ihr bleibt jetzt nur noch die Flucht aus dem Frühstücksraum. Im Weglaufen wirft sie mir einen traurigen Blick zu, der sich zu gleichen Teilen aus Wehmut und Sehnsucht speist – und keineswegs dem Teller mit der Schnittwurst gilt.
Schon eine Nette, die Susi. Werden wir uns jemals wiedersehen?
PS: Das Foto zeigt übrigens den abendlichen Ausblick vom Balkon des geschätzten Bloggerkollegen Joshuatree.
25 September 2007
Das Wort der Woche
Ein rustikales Neustädter Gästehaus mit angeschlossenem Weingut hat viele handfeste und flüssige Vorteile, die ich hier nicht näher aufzählen möchte, doch es hat auch ein entscheidendes Manko: "W-LAN" hält man hier höchstens für den westlichen Teil eines hessischen Flusses, der durch Wetzlar und Gießen fließt.
Zum Glück aber gibt es selbst in Neustadt schon Internetcafés, wenngleich mit überschaubaren Öffnungszeiten. Wenn Ms. Columbo und ich gegen 22.30 Uhr bestens gelaunt eine der höchst gastlichen Pfälzer Speisewirtschaften verlassen, fällt das in der Regel zusammen mit der soeben erfolgten Schließung des Loginlokals.
Abendliches Bloggen fällt also schwer, wie regelmäßige Leser gestern Abend schmerzlich erfahren mussten, und wer mir zurzeit Mails schickt, wird hoffentlich seine bald aufflammende und sehr verständliche Missbilligung ob meines Schweigens mit diesen schwierigen Bedingungen hier vor Ort entschuldigen.
Als ich es vorgestern dennoch während der knapp bemessenen Geschäftszeit ins Webcafé schaffte, durfte ich gar mit meinem eigenen Laptop online gehen. Erstaunlicherweise entpuppte sich das mir offerierte W-LAN aber als gänzlich ungeschützt. Kein Passwort war erforderlich, eine schlichtes OK genügte, um mich einzuloggen.
Dazu freilich wäre es, wie mir bald aufging, gar nicht nötig gewesen, den Laden kostenpflichtig zu betreten. Ich hätte mich einfach davor auf den Gehsteig hocken und lossurfen können, ohne dem naiven Geschäftsinhaber seinen moderaten Halbstundenobolus von einem Euro entrichten zu müssen.
Nicht, dass ich ein derart entehrendes Verhalten einpassen könnte in mein mir selbst oftmals korsettartig vorkommendes ethisch-moralisches Weltbild. Doch man darf ja mal ein wenig sardonisch vor sich hin spinnen.
Mein Laptop ist übrigens trotz alledem zum wichtigsten Reiseutensil geworden. Bei Ms. Columbo ist es hingegen etwas ganz anderes: nämlich ihr Linsenstöpselaufbewahrungsbehälter.
Genau der liefert mir übrigens auch schon jetzt mein Wort der Woche – und nicht das völlig enigmatische „Flurförderzeuge“, das ich illegalerweise im Mercedes-Werk Rastatt fotografieren konnte.
Zum Glück aber gibt es selbst in Neustadt schon Internetcafés, wenngleich mit überschaubaren Öffnungszeiten. Wenn Ms. Columbo und ich gegen 22.30 Uhr bestens gelaunt eine der höchst gastlichen Pfälzer Speisewirtschaften verlassen, fällt das in der Regel zusammen mit der soeben erfolgten Schließung des Loginlokals.
Abendliches Bloggen fällt also schwer, wie regelmäßige Leser gestern Abend schmerzlich erfahren mussten, und wer mir zurzeit Mails schickt, wird hoffentlich seine bald aufflammende und sehr verständliche Missbilligung ob meines Schweigens mit diesen schwierigen Bedingungen hier vor Ort entschuldigen.
Als ich es vorgestern dennoch während der knapp bemessenen Geschäftszeit ins Webcafé schaffte, durfte ich gar mit meinem eigenen Laptop online gehen. Erstaunlicherweise entpuppte sich das mir offerierte W-LAN aber als gänzlich ungeschützt. Kein Passwort war erforderlich, eine schlichtes OK genügte, um mich einzuloggen.
Dazu freilich wäre es, wie mir bald aufging, gar nicht nötig gewesen, den Laden kostenpflichtig zu betreten. Ich hätte mich einfach davor auf den Gehsteig hocken und lossurfen können, ohne dem naiven Geschäftsinhaber seinen moderaten Halbstundenobolus von einem Euro entrichten zu müssen.
Nicht, dass ich ein derart entehrendes Verhalten einpassen könnte in mein mir selbst oftmals korsettartig vorkommendes ethisch-moralisches Weltbild. Doch man darf ja mal ein wenig sardonisch vor sich hin spinnen.
Mein Laptop ist übrigens trotz alledem zum wichtigsten Reiseutensil geworden. Bei Ms. Columbo ist es hingegen etwas ganz anderes: nämlich ihr Linsenstöpselaufbewahrungsbehälter.
Genau der liefert mir übrigens auch schon jetzt mein Wort der Woche – und nicht das völlig enigmatische „Flurförderzeuge“, das ich illegalerweise im Mercedes-Werk Rastatt fotografieren konnte.
23 September 2007
Vom täglichen Ablecken
In der angeblich ältesten Weinstube Neustadts platziert uns der jederzeit amüsierbereite Wirt aus Platzmangel kurzerhand an einem Tisch, der bereits von zwei Rentnerehepaaren belegt ist.
Wir werden augenblicklich mit großem Hallo in die zechende Gemeinschaft aufgenommen. Als man vernimmt, wir kämen aus Hamburg, wird sofort der Standardspruch aus dem Klischeehandbuch abgerufen: „Ja, dort sind die Nächte lang!“
Sie haben durchaus recht, die Pfälzer Rentner, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen muss; denn jedes Klischee klammert sich ja verzweifelt an die bockige Wahrheit, ohne je abgeschüttelt zu werden.
Mit 71 wäre ich übrigens gern noch so kregel wie die wasserstoffblonde vollübertünchte nette Bonner Schabracke von gegenüber, die ihre Zigarette und schrilllackierten Fingernägel gen Decke reckt und mir in verpfälztem Rheinländisch von den gemeinsamen 49 Neustädter Jahren mit ihrem „ehemaligen Verlobten“ erzählt.
Der, 75, bestätigt die innige Verbindung gerne: „Desweche brauche wir aach kaa Wasser“, erzählt er mit jener explosionsartigen Routine, die auf ein häufiges Zumbestengeben dieses Bonmots verweist, „wir legge uns jede Daach ab!“
Das Doppelpaar versucht uns Pfalznovizen mit vereinten Kräften von den Vorzügen der hiesigen Lebensart zu überzeugen, liefert aber durch seine hedonistische Grundhaltung unbewusst schon genügend Argumente. Ich bestelle Saumagen, um endlich dahinter zu kommen, warum dieses Gericht es ermöglicht, in Deutschland Kanzler zu werden, und ich muss sagen: Es liegt an der Würze.
Sie macht munter, und in Verbindung mit einem trockenen Pfälzer Riesling liefert der Saumagen zuverlässig jene hellwache Pseudobräsigkeit, die dich jede Intrige siegreich überstehen lässt.
Insofern hat Kurt Beck (Pfalz) vielleicht doch noch Chancen, bei der nächsten Wahl die Merkel (Meck-Pomm) abzulösen. Mehr Gründe als der Saumagen fallen mir aber auch zurzeit nicht ein; doch vielleicht reicht das ja schon.
Die vier Rentner verabschieden sich irgendwann, und als ich beim jederzeit amüsierbereiten Wirt mit EC-Karte zahlen möchte, lehnt er bedauernd ab. „Aber Sie können mir ihre Frau dalassen“, schlägt er alternativ vor. „Dann lieber bar“, erwidere ich, „aber ich kann Sie verstehen.“
Ms. Columbo lächelt fein, aber nur wegen des Fünftelliters Weißburgunder, den sie weggezischt hat wie eine geübte Pfälzerin.
Wäre sie stocknüchtern gewesen, hätte sie säuerlich gegrinst. Mindestens.
Wir werden augenblicklich mit großem Hallo in die zechende Gemeinschaft aufgenommen. Als man vernimmt, wir kämen aus Hamburg, wird sofort der Standardspruch aus dem Klischeehandbuch abgerufen: „Ja, dort sind die Nächte lang!“
Sie haben durchaus recht, die Pfälzer Rentner, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen muss; denn jedes Klischee klammert sich ja verzweifelt an die bockige Wahrheit, ohne je abgeschüttelt zu werden.
Mit 71 wäre ich übrigens gern noch so kregel wie die wasserstoffblonde vollübertünchte nette Bonner Schabracke von gegenüber, die ihre Zigarette und schrilllackierten Fingernägel gen Decke reckt und mir in verpfälztem Rheinländisch von den gemeinsamen 49 Neustädter Jahren mit ihrem „ehemaligen Verlobten“ erzählt.
Der, 75, bestätigt die innige Verbindung gerne: „Desweche brauche wir aach kaa Wasser“, erzählt er mit jener explosionsartigen Routine, die auf ein häufiges Zumbestengeben dieses Bonmots verweist, „wir legge uns jede Daach ab!“
Das Doppelpaar versucht uns Pfalznovizen mit vereinten Kräften von den Vorzügen der hiesigen Lebensart zu überzeugen, liefert aber durch seine hedonistische Grundhaltung unbewusst schon genügend Argumente. Ich bestelle Saumagen, um endlich dahinter zu kommen, warum dieses Gericht es ermöglicht, in Deutschland Kanzler zu werden, und ich muss sagen: Es liegt an der Würze.
Sie macht munter, und in Verbindung mit einem trockenen Pfälzer Riesling liefert der Saumagen zuverlässig jene hellwache Pseudobräsigkeit, die dich jede Intrige siegreich überstehen lässt.
Insofern hat Kurt Beck (Pfalz) vielleicht doch noch Chancen, bei der nächsten Wahl die Merkel (Meck-Pomm) abzulösen. Mehr Gründe als der Saumagen fallen mir aber auch zurzeit nicht ein; doch vielleicht reicht das ja schon.
Die vier Rentner verabschieden sich irgendwann, und als ich beim jederzeit amüsierbereiten Wirt mit EC-Karte zahlen möchte, lehnt er bedauernd ab. „Aber Sie können mir ihre Frau dalassen“, schlägt er alternativ vor. „Dann lieber bar“, erwidere ich, „aber ich kann Sie verstehen.“
Ms. Columbo lächelt fein, aber nur wegen des Fünftelliters Weißburgunder, den sie weggezischt hat wie eine geübte Pfälzerin.
Wäre sie stocknüchtern gewesen, hätte sie säuerlich gegrinst. Mindestens.
22 September 2007
Kougelhöpf aus dem Baeckoffe
Baden-Baden atmet geradezu sein New Pop Festival. Alle Bewohner zwischen 8 und 80 haben ein Glänzen in den Augen vor Erleichterung. Denn einmal im Jahr ist das Städtchen mal kein Rentner-, sondern ein Partyparadies.
Sogar die Puppen wollen dabei sein, stürzen sich in die Bistros und mimen dort Gäste – und werden selbst dann vom sanftmütigen Badener Wirt noch geduldet, wenn echte Menschen keinen Platz mehr finden.
Vor lauter Begeisterung hat sogar das Reformhaus bis Mitternacht geöffnet. In der Buchhandlung spricht uns eine Verkäuferin an, deren Namensschild sie als „Frau Rübenkönig“ ausweist, und fragt, ob wir gestern das Konzert im Mercedes-Werk Rastatt gesehen haben. „Ja“, bestätige ich, „doch der Sound war nicht so gut.“ Ihr Beglücktsein wirkt schlagartig leicht eingetrübt, ist aber letztlich nicht torpedierbar.
Alle hier fiebern, feiern und juchzen unverfälscht mit, und während der Festivalkonzerte herrscht grimmigste Entschlossenheit, sich um jeden Preis euphorisieren zu lassen – Mitklatschen schon beim ersten Stück. Ja, der Einheimische ist ausgehungert, und er frisst auch den trockensten Brotkanten, als sei es himmlisches Manna.
In Straßburg hingegen, wo wir vormittags hingezockelt waren, herrscht beschauliche Ruhe. Fachwerk träumt unter blauem Himmel, durchrauscht von Mühlbächen, die zwischen den alterskrummen Wackelhäusern hervorstürzen.
Derweil liegt die ovale Glaskuppel des neuen Bahnhofs da wie ein satter Pottwal, der gemütlich ein antikes Gebäude verdaut. Den historischen Bahnhof nämlich ließen die Straßburger einfach stehen und bauten eine ihn überwölbende Glaskonstruktion drumherum.
Wie in einen Kokon spinnt auch die französische Sprache die überall herumliegenden deutschen Relikte ein. Auf den Klingelschildern tummeln sich noch immer Namen wie „Schreiber“ oder „Einhorn“, doch die Speisekarten der Restaurants offerieren bereits mutierte Formen wie „Kougelhöpf“ oder „Le Baeckoffe“. Aber auch „Nudeln“, die hier wahrscheinlich „Nüdälln“ ausgesprochen werden, was wir jedoch nicht genau wissen, denn wir essen Sauerkraut, genauer gesagt „choucroute“, und zwar mit „Knack“. Womit die Straßburger Würste meinen.
Zurück in Baden-Baden; dort ist seit heute Nacht das Festival vorbei. Die Stadt wird zurücksinken in ihre blitzsaubere Beschaulichkeit, und daran sind wir mitschuld: Denn wir reisen ab.
Sogar die Puppen wollen dabei sein, stürzen sich in die Bistros und mimen dort Gäste – und werden selbst dann vom sanftmütigen Badener Wirt noch geduldet, wenn echte Menschen keinen Platz mehr finden.
Vor lauter Begeisterung hat sogar das Reformhaus bis Mitternacht geöffnet. In der Buchhandlung spricht uns eine Verkäuferin an, deren Namensschild sie als „Frau Rübenkönig“ ausweist, und fragt, ob wir gestern das Konzert im Mercedes-Werk Rastatt gesehen haben. „Ja“, bestätige ich, „doch der Sound war nicht so gut.“ Ihr Beglücktsein wirkt schlagartig leicht eingetrübt, ist aber letztlich nicht torpedierbar.
Alle hier fiebern, feiern und juchzen unverfälscht mit, und während der Festivalkonzerte herrscht grimmigste Entschlossenheit, sich um jeden Preis euphorisieren zu lassen – Mitklatschen schon beim ersten Stück. Ja, der Einheimische ist ausgehungert, und er frisst auch den trockensten Brotkanten, als sei es himmlisches Manna.
In Straßburg hingegen, wo wir vormittags hingezockelt waren, herrscht beschauliche Ruhe. Fachwerk träumt unter blauem Himmel, durchrauscht von Mühlbächen, die zwischen den alterskrummen Wackelhäusern hervorstürzen.
Derweil liegt die ovale Glaskuppel des neuen Bahnhofs da wie ein satter Pottwal, der gemütlich ein antikes Gebäude verdaut. Den historischen Bahnhof nämlich ließen die Straßburger einfach stehen und bauten eine ihn überwölbende Glaskonstruktion drumherum.
Wie in einen Kokon spinnt auch die französische Sprache die überall herumliegenden deutschen Relikte ein. Auf den Klingelschildern tummeln sich noch immer Namen wie „Schreiber“ oder „Einhorn“, doch die Speisekarten der Restaurants offerieren bereits mutierte Formen wie „Kougelhöpf“ oder „Le Baeckoffe“. Aber auch „Nudeln“, die hier wahrscheinlich „Nüdälln“ ausgesprochen werden, was wir jedoch nicht genau wissen, denn wir essen Sauerkraut, genauer gesagt „choucroute“, und zwar mit „Knack“. Womit die Straßburger Würste meinen.
Zurück in Baden-Baden; dort ist seit heute Nacht das Festival vorbei. Die Stadt wird zurücksinken in ihre blitzsaubere Beschaulichkeit, und daran sind wir mitschuld: Denn wir reisen ab.
21 September 2007
Der Lappen ist weg!
„Denkst du daran, deinen Führerschein mitzunehmen?“, hatte Ms. Columbo gestern kurz vor der Abreise noch gesagt. Ich erinnere mich gut, sie mitleidig angeschaut zu haben. „Den Führerschein“, wies ich sie zurecht, „habe ich immer in der Brieftasche. Immer.“ Dann setzten wir uns in den ICE und fuhren wir los.
Heute Abend, während des Konzertes von Zasha Moktan im Theater Baden-Baden (Foto), hole ich zur Sicherheit meine Brieftasche heraus, um mir den Führerschein anzusehen; morgen früh wartet der Mietwagen auf Abholung.
Ich schaue in jedes Fach und finde den Führerschein nicht. Eine etwas hektischere Wiederholung des Prozesses bringt kein anderes Ergebnis.
Nach insgesamt vier vergeblichen Durchwühlversuchen wende ich mich an Ms. Columbo und flüstere: „Ich finde den Führerschein nicht.“ Sie schaut mich mit ihren großen braunen Augen an. „Aber ich habe dich doch gestern noch …“ „Ja“, unterbreche ich sie kraftlos, „aber der war immer da drin. Immer!“
Ich wühle wieder – nichts. Das Problem ist: Praktisch der gesamte Urlaub – ausgenommen Hin- und Rückfahrt mit der Bahn – basiert auf dem Prinzip Mietwagen. Und ohne Führerschein werden sie mir morgen früh bei Avis höchstens ein Kopfschütteln über den Tresen schicken, aber keinen Autoschlüssel.
Wir schweigen beide. Fieberhaft rattere ich Möglichkeiten durch. Kann die Polizei mir einen Ersatzführerschein ausstellen, obwohl ich ihnen nicht mal eine Nummer oder so was nennen kann? Bei der ausgebenden Stelle in Herborn werden sie niemand erreichen, die sind alle im Wochenende – Beamte halt, verdammt.
Nein, nix da: Ich habe es vermasselt, den kompletten Urlaub. Adieu, Elsaß, tschüs, Heidelberg, ade, Siegen (wohin uns der weiteste und wichtigste Ausflug geführt hätte: Besuch beim kranken Vater). Mir steht der Schweiß auf der Stirn, während dort unten Zasha Moktan nichts weiß vom Ablauf des Dramas auf der Empore.
Zwanghaft wühle ich erneut, zum gefühlt fünfzigsten Mal grabe ich fahrig in allen Fächern, selbst in jenen, wo der Führerschein höchstens vierfach gefaltet Platz gefunden hätte.
Und plötzlich – ertaste ich ihn …
Das Luder von Lappen hat sich verzweifelt ans Innenfutter geschmiegt wie Blattgold an einen Bilderrahmen, wie ein neurotisches Kängurujunges in Mamas Beutel, wie Kusch an von Beust.
Urplötzlich ist alles wieder gut. Mein Schweiß trocknet, Ms. Columbo sieht grundlos von weiteren Sanktionen ab.
Schade, dass man ein derart süßes Gefühl der Erleichterung nur damit erkaufen kann, dass man vorher richtig Scheiße baut.
20 September 2007
Nicht nur eine Frage der Menge
Natürlich ist es pipileicht, den unlängst schon mal erwähnten Likör mit dem derben Namen zu missbrauchen.
Die spätnachmittags urgemütliche Kneipe namens Herz von St. Pauli tut das kongenial – zumal jene spezielle Dienstleistung, auf die das abgebildete Schild anspielt, nur hundert Meter entfernt in bunter Vielfalt offeriert wird.
GP und ich, die wir beim Feierabendbier über all das nachsinnen, haben aber auch angesichts der Mengenangabe „2 cl“ angemessen schlüpfrige Gedanken. Ist das nun ein guter Preis, und wie unterscheidet er sich von dem in der Davidstraße?
Wir kommen zu keinem sinnvollen Ergebnis. Erst nachdem ich über den herbstlich tristen Spielbudenplatz (Foto) nach Hause geschlurft bin, gelingt mir nach sorgfältiger Recherche die mathematische Lösung dieser Frage.
Sie sieht so aus: Während man im Herzen von St. Pauli 2 Euro hinlegen muss und dafür 2 cl bekommt, fordern die netten Damen da drüben für die Entsorgung von 2 ml (also eines Zehntels dieser Menge!) ungefähr den 30-fachen Betrag.
Im einen Fall erhält man also etwas, im anderen gibt man etwas her – und blecht trotzdem 300-mal so viel. Das ist doch nicht gerecht.
Wer jetzt vermutet, es läge am hirnerweichenden Einfluss des Kiez’, dass ich solch bekloppte Sachen nicht nur im Stillen durchdenke, sondern auch verblogge – der liegt wahrscheinlich völlig richtig.
(Diese Argumentationstechnik nennt man übrigens Immunisierung.)
Die spätnachmittags urgemütliche Kneipe namens Herz von St. Pauli tut das kongenial – zumal jene spezielle Dienstleistung, auf die das abgebildete Schild anspielt, nur hundert Meter entfernt in bunter Vielfalt offeriert wird.
GP und ich, die wir beim Feierabendbier über all das nachsinnen, haben aber auch angesichts der Mengenangabe „2 cl“ angemessen schlüpfrige Gedanken. Ist das nun ein guter Preis, und wie unterscheidet er sich von dem in der Davidstraße?
Wir kommen zu keinem sinnvollen Ergebnis. Erst nachdem ich über den herbstlich tristen Spielbudenplatz (Foto) nach Hause geschlurft bin, gelingt mir nach sorgfältiger Recherche die mathematische Lösung dieser Frage.
Sie sieht so aus: Während man im Herzen von St. Pauli 2 Euro hinlegen muss und dafür 2 cl bekommt, fordern die netten Damen da drüben für die Entsorgung von 2 ml (also eines Zehntels dieser Menge!) ungefähr den 30-fachen Betrag.
Im einen Fall erhält man also etwas, im anderen gibt man etwas her – und blecht trotzdem 300-mal so viel. Das ist doch nicht gerecht.
Wer jetzt vermutet, es läge am hirnerweichenden Einfluss des Kiez’, dass ich solch bekloppte Sachen nicht nur im Stillen durchdenke, sondern auch verblogge – der liegt wahrscheinlich völlig richtig.
(Diese Argumentationstechnik nennt man übrigens Immunisierung.)
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