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08 Oktober 2008

Letzte Geheimnisse: Das Herrenklo (9)



Im Bambi am Hamburger Berg gerate ich beim Versuch, mir die Hände zu waschen, an eine sanitäre Einrichtung unbekannter Funktion.

Das quadratische Metallbecken mit mittigem Abfluss verfügt nur über einen Druckspüler, doch den Hahn suche ich vergeblich. Stattdessen rinnt plötzlich von allen Seiten Wasser ins Becken und gurgelt ostentativ durch den Abfluss.

Ratlos stehe ich davor, mit weiterhin qualvoll ungewaschenen Händen. Der direkt neben mir unverdrossen pinkelnde Mensch am Pissoir dreht sich um und empfindet die Situation nicht derart, dass er nicht parlieren könnte. Im Gegenteil.

Er – pissend, doch wissend – klärt mich auf über die Funktion dieses Dings. „Das ist ein Kotzbecken“, erläutert er zum Soundtrack seines schniedelinduzierten Plätscherns, „und ich kenne keine andere Hamburger Kneipe, in der es so etwas gibt.“

Mir geht es genauso, gebe ich ihm zu verstehen, und entdecke derweil um die Ecke ein astrein funktionierendes Waschbecken, das meine hygienischen Bedürfnisse voll und ganz zu erfüllen weiß. Zurück am Platz bitte ich Ms. Columbo, die Damentoilette zu investigieren und nach einem baugleichen Kotzbecken Ausschau zu halten. Sie kommt ergebnislos zurück.

Das Kotzen, so meine empirisch jedoch nicht ganz wasserdicht abgesicherte Erkenntnis, scheint eine männliche Domäne zu sein. Denn eins ist sicher im Kapitalismus, in dem wir trotz Finanzkrise noch immer ganz kregel zu leben verpflichtet sind: Nachfrage
induziert Angebot, und nur deshalb gibt es im Bambi ausschließlch auf dem Herrenklo ein Kotzbecken.

Ich bin mir nicht ganz sicher, was das für mein Selbstverständnis als Mann bedeutet, aber das finde ich bestimmt noch heraus.

10 September 2008

Auftritt der Hessen-Boys

Während einer Diskussion war GP mal entfallen, in welcher Band Sting einst gespielt hatte. Und ich leistete mir mal einen Blackout, als ich den Namen des Rolling-Stones-Sängers repetieren wollte.

Ideale Voraussetzungen also, um abends im Bambi auf dem Hamburger Berg ein Team beim Quizzen zu bilden. Dabei müssen teamweise und kneipenweit Fragen beantwortet werden; man sammelt Punkte, und fürs Siegerteam gibt's am Ende 30 Euro.

Der Dritte in unserem Bunde war übrigens ein Wiesbadener, weshalb wir den Kampf als „Die Hessen-Boys“ aufnahmen – und zwar im unerschütterlichen Glauben an den Nimbus unserer Unbesiegbarkeit.

Am Ende, als wir Vorletzte geworden waren, beglückwünschten wir uns herzlich, aber leise dafür, diesen Nimbus eher intern behandelt und nicht sonderlich breit öffentlich diskutiert zu haben.

Eine der Fragen, an der wir kleinlaut scheiterten, lautete übrigens: Wer war der erste Außenminister der Bundesrepublik Deutschland? Tjaha.

Die verklammerten Frösche, mit denen wir für unsere errungene Platzierung entlohnt wurden, wussten es übrigens auch nicht.


30 August 2008

Nur sechs Stunden

Das vorletzte Mal, dass ich im kleinen St. Paulianer Live- und Indietanzclub Grüner Jäger war, lernte ich morgens gegen 3 unversehens einen aufgeräumten jungen Burschen kennen, und zwar auf der Toilette.

Als ich die Kabine verließ, sprach er mich recht verschwommen an, ohne auch nur im geringsten die intensive Nutzung des Pissoirs zu unterbrechen. Seine Absichten mir gegenüber freilich waren nichtwasihrdenkt, sondern hehr, er wollte nur jemand von seinem Schicksal erzählen, und wahrscheinlich war ich eher der zwölfte als der erste.

Sechs Stunden habe er noch, erklärte er mir zungenlahm und pimmelschwenkend, dann ginge es unvermeidlich hinaus auf hohe See für viele, viele Wochen. In diesen sechs Stunden, so fuhr er fort, müsse er unbedingt noch eine weibliche Bekanntschaft machen, von deren zwar kurzem, doch hoffentlich um so süßerem Verlauf er draußen auf See wochenlang erinnernd zehren könne.

Ich wünschte ihm viel Glück dabei und empfahl mich. Sechs Stunden später tuckerte er vorbei an Teufelsbrück (Foto) Richtung Westen, hinaus auf hohe See, und ob ihm eine süße Erinnerung im ankerschweren Kopf herumspukte oder nicht, werden wir nie erfahren.

Die Chance war aber eher klein.

08 Juli 2008

Zeitweise nett



Nach dem Kaffee zum Gehen oder Sitzen stießen wir nun in einem St.Paulianer Kneipenfenster aufs abgebildete Schild, das sich an eine weitere Rückübersetzung eines grassierenden englischen Terminus wagt.

Und das ist tückisch. Die gelobte Stunde – im Englischen noch rundum glücklich – ist plötzlich nur noch freundlich. Gut, Schwund ist zwar immer, doch das klingt eher so, als fielen vielleicht die Cocktailpreise in der ominösen Stunde (es sind sogar zwei) gar nicht so stark wie erhofft.

Oder die Kneipe meint etwas ganz anderes, nämlich das Personal. Normalerweise, so suggeriert uns die Ankündigung einer explizit „freundlichen Stunde“, werden wir in dieser Kneipe nämlich schroffstens angepflaumt, sobald wir eine Bestellung wagen, und fürs Trinkgeld erntet man unabhängig von dessen Höhe nichts weiter als verächtliches Schnaufen.

Doch dann kommt die freundliche Stunde. Von einer Sekunde auf die andere betet das Bedienungspersonal ausgesucht höflich die Getränkekarte her, sagt „bitte“ und „danke“, lächelt hinreißend nett und hilft uns beim tränenreichen Abschied in den Mantel.

Und mal ehrlich: Dafür nähmen wir sogar höhere Cocktailpreise in Kauf.

28 Juni 2008

Nichts in der Hose

In der Kiezkneipe Zoë, wo Fatih Akin damals eine Sequenz von „Gegen die Wand“ drehte, weiß man schon jetzt, wie das EM-Finale ausgehen wird. Wir liefen heute Abend daran vorbei auf dem Weg zum Konzert einer Mariachiband im Café Mexico in der Weidenallee, zu dem auch GP erschien.

Als ich und mein Jever so dasaßen und den Mexikanern beim Musizieren zusahen, fiel mir auf, dass sie allesamt recht wenig in der Hose hatten. Nicht, dass ich bewusst darauf geachtet oder diese Information aktiv recherchiert hätte, nein. Doch auch bei zunächst unbewusstem Betrachten der Band überwand irgendwann die erwähnte Erkenntnis meine Wahrnehmungsschwelle.

Freilich thematisierte ich sie nicht; so etwas ist nun wirklich kein Gesprächsstoff bei einem Konzert, erst recht nicht in Gesellschaft von Damen. Als ich später GP nach draußen begleitete, um ihm beim Rauchen Beistand zu leisten, sahen wir die Band durch die Scheibe von hinten.

„Weißt du, was mir auffällt“, sagte GP sinnierend wie zu sich selbst, „die haben alle nichts in der Hose.“ Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen, denn genau das schwirrte ja auch mir unausgesprochen im Kopf herum.

GP allerdings hatte seine Erkenntnis – wie sich alsbald in einer vertiefenden Diskussion herausstellte – beim Betrachten der rückwärtigen Ansicht der Band gewonnen, ich hingegen stützte meine gewagte These auf die gegenüberliegende Seite.

Ms. Columbo trat hinzu und ließ sich von uns über alle Rechercheergebnisse informieren. „Das ist mir“, erwiderte sie trocken, „auch schon aufgefallen.“

Zusammenfassend und gestützt auf drei Zeugenaussagen kann man also mit Fug und Recht sagen: Diese Mariachis waren insgesamt nicht gerade üppig ausgestattet, weder vorne noch hinten. Immerhin – und das ist in ihrem Metier wahrscheinlich auch wichtiger – trugen sie sehr, sehr große Hüte.

Nichts als Kompensation, murmelte ich innerlich, fand es aber unfair, den Gedanken auszusprechen, und werde das mit Sicherheit auch nicht tun.

24 Juni 2008

Ein Wein, der nicht weh tut

Obwohl dort selbst die Fensterscheiben mit roter Folie verhängt sind, damit das Licht schön bordellig durch den Raum schwebt, ist das Komet in der Erichstraße einfach nur eine Kneipe, und zwar eine sehr patente.

Dort läuft heute Abend coole alte Countrymusik, dort schmauchen die Gäste direkt vor den Rauchverbotsschildern gemütlich ihren Joint.

Und dort erläutert uns die dralle Bedienung den einzigen angebotenen Weißwein mit den Worten: „Das ist ein Spanier. Nichts Besonderes, aber er tut auch nicht weh.“

Und ganz genauso ist es auch. Vielleicht gucken wir dort morgen das Halbfinale.

15 April 2008

In Rosis Bar

„Ist das eine Lesbenbar?“, fragt GP irritiert. Das einzige (und zudem – wie ich aus Erfahrung weiß – falsche) Indiz dafür sind die beiden Frauen am Tresen, die mit der Wirtin schnacken. Nur sie bevölkern heute Abend Rosis Bar, die wir gleichwohl forsch betreten.

Die abgebildete Lampe über unserem Tisch wird im Lauf des Abends eine zunehmende Zahl leerer Astraflaschen gnadenlos ausleuchten, und für die Mehrzahl davon wird GP verantwortlich sein, das muss hier mal gesagt werden.

Sobald das Wochenende vorbei ist, fällt der Kiez in eine Art Schockstarre. Alles ruht, einsam wacht – ja, wer eigentlich? Höchstens die mächtige Discokugel, die unermüdlich ihre Runden dreht, über Heteros und Lesben, über Gut und Böse und über zwei Bloggern am Tisch neben dem Eingang, das ist ihr ganz egal.

Wir sitzen da, nuckeln am Astra, und GP erläutert mir irgendwelche komplexen Gedanken über Gutgemeintes, das effektlos bleibt, und Egoistisches, das anderen zugute kommt. Auf irgendeine Weise will er mich so von den Vorzügen des Kapitalismus überzeugten, doch es gelingt ihm nicht.

Solange durchdrehende Banker bei Wetten Milliarden einfahren und wir in dem Moment, wo der ganze Irrsinn explodiert, mit Steuergeldern die Wettschulden blechen müssen, ist die Strahlkraft des Kaptalismus von eher fahler Provenienz, in meinen Augen. Allerdings hält sich der Widerstand dagegen trotzdem in engen Grenzen – oder nimmt recht merkwürdige Pseudoformen an.

Nehmen wir die organisierten Spontanversammlungen namens Flashmobs: Sie stürmen Burgerläden, bestellen tausende Fleischklopse auf einmal, bezahlen ordentlich und freuen sich darüber, dass die immigrierten Mindestlohnjobber in der Küche zwei Stunden lang mal richtig ins Schwitzen kommen. Der Burgerladen bejubelt den Umsatz des Jahres – und die Kurzstreckendenker des Flashmobs glauben, ihnen wäre eine irgendwie systemkritische Aktion gelungen. Käse.

Wir ordern noch ein Astra. Draußen stöckeln zwei bonbonbunte Transen durch die Nacht, und ich sage zu GP: „Mann, bin ich froh, in einer Stadt zu leben, wo bonbonbunte Transen unbetuschelt durch die Nacht stöckeln können.“

Wir stoßen an auf diese Stadt, auf die leere Bar, auf die Frauen am Tresen, auf die Discokugel, die über uns einsam kreiselnd wacht, und dann kommt die Wirtin und räumt die leeren Astraflaschen ab, damit die ganze Szenerie ein wenig unpeinlicher aussieht.

Ich lobe sie dafür, doch sie lächelt nicht. Welch eine Stadt!

14 April 2008

Trinken, hoch und tief

Rechtzeitig zu ihrem taufrischen Ruhm als Buchautorin hat mich die alte Bekannte Jutta Vey übers Internet aufgespürt, um mit mir einen trinken zu gehen – das erste Mal seit 12 Jahren.

Wir landen in der Bar 20up im Empire Riverside Hotel (Foto). Dort, in majestätischen 60 Metern Höhe, ist der Ausblick auf den Hafen dank der gigantischen Panoramafenster so unfassbar glorios, dass sich quasi jedes Pixel des optischen Eindrucks exponentiell in den Getränkepreisen niederschlägt.

Für ein Viertel Grauburgunder berappt man hier zehn Euro, ein Preis, der sich nur durch beständiges Hinuntergucken auf den Hafen halbwegs amortisiert. Doch das tue ich natürlich nicht, wo ich doch eine taufrisch berühmte Buchautorin als Tischgast habe.

Danach verschlägt es uns in die Ritze. Sie liegt 60 Höhenmeter tiefer an der Reeperbahn, und selbstverständlich erwarten wir dort ein adäquat abgesenktes Preisniveau von zwar nicht einem 60-stel des 20up, aber doch ein erheblich niedrigeres. Für die zwei Piccolofläschchen Durchschnitts-Pinot-Grigio möchte die zentimeterdick beschminkte Wirtin Inge allerdings gloriose neun Euro pro Stück, so dass wir mit Trinkgeld exakt auf dem Riverside-Niveau landen.

Der entscheidende Unterschied liegt im Ausblick: Statt majestätischer Kreuzfahrtschiffe im Trockendock präsentiert sich uns ein Fernseher, auf dem DSF läuft, und eine Polaroidgalerie mit Autogrammen von Lisa Fitz und Jan Fedder.

Ein Grund zu gehen, zumal die im Wesentlichen von Schminke zusammengehaltene Wirtin den Stones-Song „Brown Sugar“ derart aufdreht, dass an eloquente Plaudereien nicht mehr zu denken ist.


Allerdings hatte dafür auch schon der Wein gesorgt – zumindest bei Frau Vey, deren taufrischer Ruhm sich noch ganz und gar nicht in exponentiell wachsender Trinkfestigkeit niedergeschlagen hat.

19 März 2008

Zwischen Wodka und Bionade

Ja, es ist wirklich schön, auf dem Kiez zu wohnen. Das gilt natürlich ganz generell (den Beweis führe ich seit September 2005 – siehe Monatsleiste links) – und speziell dann, wenn man zu einer sog. „Listening Session“ in Rosi’s Bar eingeladen ist, die nur hundert Schritte von der Wohnung entfernt liegt.

Uns wird die neue Platte von In Extremo vorgespielt. Dazu gibt es Häppchen vom Buffet (Foto), und der Gitarrist läuft ein ums andere Mal mit Wodkatabletts herum. Hicks.

Zwischendurch gibt Sänger Michael Robert Rhein den sympathischen Rockproll. Wenn er seine Sitzbank verlassen will, benutzt er sie als Treppe und steigt über die Lehne. Und natürlich legt er die Füße auf den Tisch. Nur eins passt nichts ins Bild: Er trinkt Bionade.

Aber immerhin süffelt er auch den Wodka vom Tablett des Gitarristen, was ich zum traulichen Prosit nutze. Ich frage den Mittelaltermann, wohin er denn mit einer Zeitmaschine reisen würde.

Eine natürlich eher rhetorische Frage, denn der Mann zog schon früh als Gaukler und Feuerspucker über die Mittelaltermärkte und seit zehn Jahren als Sänger mit In Extremo durch die Welt – einer Band, die Marktsackpfeifen, Trumscheit und Schalmeien mit Krachgitarren verbindet.

Seine Antwort ernüchtert mich zwar nicht, überrascht aber doch. Denn so hat mir noch keiner geantwortet. „Ich glaube“, sagt Herr Rhein, „ich bliebe hier.“

Amtliche Aussage. Darauf noch einen Wodka.

26 Februar 2008

Und sie bewegt sich doch!



Bei Dittsche sitzt Schildgrödee immer stumm rum wie ein buddhaesker Mollusk. Doch auch das Flinke, Laute, Ekstatische steckt in ihr drin, o ja, man muss es nur rauslassen.

Heute Abend war es soweit. Und siehe da: Sie bewegt sich doch. Schildgrödee nämlich rockte in der Layback Lounge in St. Georg mächtig ab, ihre zu dünnen, zu langen, zu graublonden Haare wehten wild im Ventilatorwind, die wurstigen Finger flitzten übers Keyboard wie Kurzschwanzzwerghamster auf Futtersuche, und dazu röhrte sie „Long Tall Sally“ – man glaubt es kaum.

Bis man erfährt, dass Franz Jarnach – so heißt Schildgrödee außerhalb von Ingos Imbissbude – mal Mitglied der Rattles war und einst sogar gemeinsam mit den Beatles rockenrollte.

Der Anlass des Ganzen war übrigens die Prästentation eines neuen Qype-Werbespots, in dem Schildgrödee die Aufgabe zufällt, uns ein für alle mal die richtige Aussprache dieses Kunstworts einzubleuen. Nämlich „Kwaip“.

Beim Franken und mir fiel dieser komplexe Lernstoff übrigens auf vergleichsweise fruchtbaren Boden, vor allem dank des aufmerksamkeitsfördernden Drumherums – es gab Currywurst und Pilsner Urquell vom Fass.

24 Februar 2008

Der Reinperler

Auf dem Heimweg von einem Konzert betrete ich spontan die St.Pauli-Kneipe in der Detlev-Bremer-Straße, weil dort, wie von draußen zu sehen ist, ein Fußballspiel übertragen wird.

Hier wird gequalmt, als gäbe es kein Morgen und kein Gesetz dagegen. Und die Leinwand zeigt ein Bild, dessen Milchigkeit nur noch von seiner Unschärfe übertroffen wird.

Ich bestelle Orangensaft. Der Wirt schaut mich kurz an, als hätte ich ihm eröffnet, ich sei sein bei der Geburt getrennter Zwillingsbruder. Dann kramt er eine Weile im Kühlschrank und holt eine frische Flasche hervor. Er schüttelt sie so gekonnt, als hätte hier in der St.Pauli-Kneipe wirklich schon mal jemand Saft bestellt. Aber vielleicht transferiert er auch einfach sein Cocktailkönnen auf neues Terrain.

Ich setze mich an einen Tisch nah an der Theke (jeder Platz ist hier nahe an der Theke). Dort, am Tresen, führt ein Mann mit abgewetztem Jacket das große Wort und übertönt damit lässig den Sportreporter von der milchigen Leinwand. Der Mann wirkt schmierig, ungefähr wie Rolf Zacher, und strahlt jenes völlig grundlose Machoselbstvertrauen aus, das man nicht selten findet hier auf dem Kiez, bei Jung und Alt.

Er jedenfalls ist eher alt, sein Haar aber noch voll und ohne graue Strähnen, was nach meiner bescheidenen Meinung kein Geschenk der Natur ist. Der Mann stützt den Ellenbogen auf die Theke, hält die Zigarette hoch in die Luft und labert seinem jungen Nachbarn ein Ohr ab.

„Ich rauch seit 53 Johrn“, informiert er jetzt. Damit scheint er sich für ein positives Rollenmodell zu halten, denn: „Da gibt's welche, die kommen aufn Gesundheitstribb, die hörn auf zu saufen und hörn auf zu rauchen. Aber das machd der Organismus gor nich midd – unn wech sinnse!“

Längst übertönt er den Fußballreporter. Gut so. „Der Organismus“, paraphrasiert er, „kommt damit einfach nich zurächd.“ Sein Opfer schweigt. Der Schmierige zieht an der Zigarette, es ist etwa die vierhunderttausendste in 53 Jahren.

„Du“, wechselt er unvermittelt das Thema, „wenn ich deine Mudder känngelärnd hädde, dann wärst du jetz mein Souhn. Du, der hädd ich einen reingeperlt! Aber ich hab die ja gor nich känngelärnd.“

Mein Orangensaft ist alle. Ich wette, wenn ich in acht Wochen wieder hier einkehrte und ein Glas bestellte, es käme aus derselben Flasche. Und der schmierige Reinperler säße wieder rauchend an der Theke, mit tadellos funktionierendem Organismus.

Er darf nur nicht versehentlich aufhören zu rauchen. Dann isser wech.

31 Januar 2008

Es strömt in Gießen

In der Bar Die Welt ist schön läuft zwar die ganze Zeit Housepop, doch zum Glück dezent genug, um sich unterhalten zu können.

Andernfalls hätte ich Andreas’ Erinnerung an seinen originellsten Studentenjob auch gar nicht mitgekriegt: das Ausliefern von 25 000 Klobürsten. Nicht schlecht. Da kann ich nicht mithalten.

Auch nicht beim Dreher des Tages. Den lieferte nämlich Ms. Columbo, und sinngemäß ging der so: Es gießt in Strömen, es strömt sogar in Gießen.

Chapeau. Dabei war heute in Hamburg nur Nieselwetter, und jetzt leuchten draußen gar die Sterne.

Versteh einer die die Sinfonie der Synapsen.

20 Januar 2008

Kleine Gefechte unter Fremden

In der Kneipe schräg gegenüber der Davidwache bin ich mit GP verabredet. „Dort gibt es eine Raucherlounge“, hatte er frohlockt.

Als er den Kellner nach der genauen Lage des Raumes fragt, offeriert der allerdings sofort einen Aschenbecher. „Das ist verboten“, teste ich pflichtgemäß des Kellners Gesetzestreue. „Ja, aber bis März wird das nicht bestraft“, trägt er lächelnd Eulen nach Athen, denn natürlich weiß ich das längst. Und ich mag kleine unverhoffte, zwischen Ernst und Spott changierende Wortgefechte mit wildfremden Menschen.

Let’s roll: Ob er nicht wisse, dass dieses lachhafte Moratorium bis März nichts weiter sei als ein billiger Wahlkampftrick von Bürgermeister Ole von Beust, der keine Lust habe, bei der just Ende Februar anstehenden Landtagswahl auch noch die Stimmen der Raucher zu verlieren, aber danach umso ungerührter zuschlagen werde? Ob er, der Kellner, etwa darauf reinzufallen gedenke? Ja, ob er gar von Beust wählen wolle???

All diese Fragen knattere ich ihm fröhlich vor, und er lächelt sie lässig weg und sagt, nein, den gedenke er nicht zu wählen. „Ich werde Sie anzeigen!“, grinse ich. „Dann werde ich Sie rauswerfen!“, grinst er zurück. „Ich gehe sofort rüber zur Davidwache!“, plustere ich mich auf. So haben wir unseren Spaß.

Der Kellner holt den nächsten Chardonnay, der vollendete Gentleman GP hingegen hat inzwischen den Aschenbecher auf einem leeren Nachbartisch abgestellt und bläst den Rauch ins Irgendwo, jedenfalls weg von mir.

Wenig später beugt sich ein älterer Herr herüber. Ermuntert von GPs offensichtlich ungeahndetem Gesetzesbruch, doch noch immer sichtbar unsicher, bittet er um leihweise Überlassung des Aschenbechers. GP reicht ihn rüber.

„Tut gut, sich mal wieder so richtig illegal zu fühlen, nicht wahr?“, frage ich den Nachbarraucher gespielt komplizenhaft. „Äh, genau“, antwortet er. „Sie sind ein Revoluzzer“, ziehe ich die Schraube weiter an, „wie Che Guevara!“. Er schaut verwirrt, seine Begleiterin ebenfalls.

Kein Zweifel: Es wird höchste Zeit für den nächsten Chardonnay.

03 Januar 2008

Kneipenbesuch mit einem Rauchverbotsverbotsbefürworter

Der gestrige Beitrag hat mir viel Schimpf eingebracht. Obzwar ich dachte, mich sachlich geäußert und den Text nur hie und da mit einer feinen Prise Ironie gewürzt zu haben, halten mich nun selbst Menschen, die ich als bisher als wunderbar schätzen gelernt habe, für „kleinlich“, „niedrig“ oder gar einen „fanatischen Nichtraucher“.

Natürlich frage ich mich, ob man wirklich fanatisch nicht rauchen kann. Glaube ich eher weniger. Ich bin höchstens geradezu fanatisch kein Serienkiller. Doch solche semantischen Feinheiten spielen längst keine Rolle mehr in dieser aufgeheizten Situation.

Die Grundbereitschaft zur Hysterie bei den Rauchverbotsgegnern hat mich jedenfalls verblüfft. Dabei sind für die bisher bekannten Fälle von Militanz nach meinem Eindruck stets Raucher verantwortlich. Wahrscheinlich werden pöbelnde und marodierende Nichtraucher von der Presse einfach totgeschwiegen, deshalb …

Was mich bei der ganzen Diskussion so erstaunt: Wenn in der Kneipe jemand grundlos verprügelt wird, würdet ihr das (hoffentlich) missbilligen; wenn einem aber jemand in der gleichen Kneipe ein todbringendes Gasgemisch in die Lunge bläst, findet ihr das nicht nur tolerierbar, sondern fordert dieses Recht geradezu empört ein.

Beides aber, das Prügeln und das Paffen, meine Damen und Herrn, ist schlicht und einfach Körperverletzung – wobei Prügel die deutlich harmlosere dieser beiden Varianten darstellen.

Zum Glück aber fand heute im Aurel nichts davon statt. Als der ausgewiesene Rauchverbotsverbotsbefürworter GP und ich dort um 18 Uhr eintrafen, war die Kneipe von samtiger Frischluft erfüllt – und erstaunlicherweise voller als beim letzten Treff.

Natürlich halte ich das keineswegs für repräsentativ, bitte nicht missverstehen. Doch der von Raucherkassandras als Katastrophenszenario heraufbeschworene sofortige Kneipenkollaps hat zumindest heute in Ottensen noch nicht eingesetzt.

GP übrigens ertrug die Tortur, seine (und meine) Lunge für eine Stunde mal nicht langzeitschädigen zu dürfen, tapfer wie ein Mann. Nicht alle Raucher sind also hysterische Memmen. Wieder was dazugelernt.

18 November 2007

No sex, we’re british

Nachts auf dem Kiez, nicht weit vom Spielbudenplatz (Foto): Während um uns herum das Leben tobt, sitzen wir zu dritt in der beschaulichen Weinbar Traubenzauber und kriegen die Bedienung dazu, den ekligen 80er-Jahre-Pop durch Rat-Pack-Songs zu ersetzen. Sie leistet kaum Widerstand.

Als sie weg ist, kommt die Frage auf, welche Männer wir sexy fänden, wenn wir schwul wären. German Psycho erkürt (natürlich) Christian Bale zu seinem persönlichen Sexgott, zur Not akzeptiere er auch Brad Pitt.

C. pickt sich Jack Nicholson raus. Ich erbitte eine Lebensphaseneingrenzung und schlage die „Easy Rider“-Ära vor, was C. erleichtert bejaht.

Nur mir fantasielosem Hetero fällt kein Kerl ein, kein einziger. Was bedeutet das bloß, tiefenpsychologisch gesehen? Bin ich etwa – Gott bewahre – homophob?

Ohne Ergebnis wechseln wir gegen eins in den English Pub am Hans-Albers-Platz, wo plötzlich eine Prostituierte auftaucht. Sie verkörpert den orientalischen Typ mit ihren streng hinterm Kopf zusammengebundenen schwarzen Haaren, dem dunklen Teint und einer Nase, mit der man die Vorsilbe „Stups“ keineswegs assoziiert.

Durchs sorgfältig zerschnittene Blau ihrer hautengen Jeans schimmern weiße Fäden. Ihre Gürteltasche – Pflichtaccessoire aller Huren auf St. Pauli – scheint prall gefüllt. Kein Zweifel, sie will hier im English Pub klammheimlich und illegal ihr Revier erweitern.

Bald verschwindet sie mit einem jungen Türken aufs Klo. Doch die beiden haben die gewiss nicht knappe Rechnung ohne die Bedienung gemacht, die mit ihren blonden Zöpfen irgendwie zünftig und sehr entschlossen aussieht. „Heidi Stahl“ nenne ich sie insgeheim, obwohl das ein Spitzname ist, den German Psycho soeben für eine andere blonde Wuchtbrumme erfunden hat.

Heidi Stahl jedenfalls holt die beiden Geschäftspartner vom Örtchen, ihre Schimpfkanonade übertönt sogar die Musikbox. Dann schmeißt sie die Hure raus. Die wehrt sich nur der Form halber, sie weiß genau, was Sache ist und was ihr blüht, wenn sie sich mit Heidi Stahl anlegt.

Als sie sich trollt, trägt sie ihre bachtliche Nase grundlos hoch, was ihr beim Abgang zumindest den schwachen Anflug einer Siegeraura gibt.

Der frustrierte Junge hat die ganze Zeit wortlos dabeigestanden. Trotz seines offenkundigen Triebstaus lässt er keinen Kampfgeist erkennen, keinen unbedingten Willen zum Sex. Er geht ihr nicht einmal nach. Was ist nur los mit der Jugend von heute?

Amüsiert stehen wir am Tisch und kippen ein Newcastle. Es hat erstaunlich viel Schaum für ein englisches Bier, das muss ich schon sagen.

05 November 2007

Von Pumpen und Ratten

Zum ersten Mal im Leben Kegeln gewesen, in „Frank’s Kegel-Eck“ in Eimsbüttel. Fazit: sehr unterhaltsam. Wenn man vom Finanziellen absieht.

Anfangs warf ich einige sogenannte Pumpen; ein erfahrener Kollege nannte diese öffentlichen Blamagen auch Ratten, wahrscheinlich um mich aufzumuntern. Das ist, wenn du die Kugel so lachhaft mies wirfst, dass sie von der Bahn abkommt und sich via Regenrinne elegant an den stumm feixenden Kegeln vorbeidrückt. Matt: zero points.

Während ich dafür mit Spott, Gejohle und einer eisig schmallippig kuckenden Teamkapitänin davonkam, erwiesen sich meine größten Erfolge als letztlich schlimmer. Sie bestanden nämlich aus zweimal alle Neune, yeah.

Dafür aber wurde jedesmal, wie die zahlreichen Experten mir eilfertig und erwartungsfroh erklärten, eine Runde Saure für alle fällig. Alle: Das waren 18 Kegler. Dennoch überwog die Freude. Ich meine: alle Neune!

Insgesamt schlug ich mich recht passabel. Nur blöd, dass ich einmal die Kugel frohgemut und vehement Richtung Kegel drosch, die putzigen Gesellen aber von der drögen Automatik noch gar nicht wieder hingestellt worden waren. Der Spielleiter, das muss ich gestehen, hatte sogar noch verzweifelt an die Scheibe hinter mir geklopft, hatte „Matt, stopp! STOPP!“ geschrien, doch im Ignorieren wohlgemeinter Ratschläge bin ich spitze.

Die Aktion zählte natürlich trotz null umgeworfener Kegel nicht als Pumpe resp. Ratte, denn die Kugel war ja 1a die Bahn entlang gerollt; nur stand halt am Ende nix rum.

Am nächsten Tag zwickte es Ms. Columbo im rechten Oberschenkel, ich verfügte über Muskelkater im linken Glutaeus maximus.

Vom Kegeln! Sachen gibt’s.

19 September 2007

Ein feuchter Eckenpinklertraum

Als ich heute auf eine CD stieß, die der Praktikant in der Datenbank als „mongolisches Obertonjodeln“ kategorisiert hatte, wusste ich: Ich brauche Urlaub. Dringend.

Zum Glück geht es übermorgen los. Weg, nichts wie weg, nach Süden, wenn auch nur den Süden Deutschlands. Doch noch ist es nicht so weit, und ich sitze abends einsam im Kiezbeach auf der Reeperbahn, weil meine Verabredung A. absagt. Er muss „länger arbeiten“. Klassiker.

Dann verliert auch noch der SV Werder Bremen in Madrid, vom Nebentisch weht zusammenhanglos der Satz „Ich bin kein Linker, aber ich mag diese Musik“ herüber, und ich schlurfe alsbald mäßig begeistert um die Ecke nach Hause.

Dort lässt mir ein kurzer TV-Check den Atem stocken. Auf DSF sind sie offenbar wild erpicht, das 9Live-Niveau zu pulverisieren. Eine der DSF-Abzockshows ist nämlich in der Rolle der Erwartungsmoderatorin besetzt mit einer umgerechnet zwei Cent billigen Blondine, die sie in der Davidstraße glatt zum Teufel jagen würden – derart nuttig in einem rosa Bikini herumhängende Brüste zur lila Lackhose gingen selbst auf den Strich nicht durch, niemals.

Doch es wird noch schlimmer: Diese Karikatur eines feuchten Eckenpinklertraums ist schwer erkältet. Sie krächzt vor sich hin. Sie muss ständig husten. Und man fragt sich automatisch und bang: Wohin soll das alles noch führen? Zu Leprakranken, die uns ihr Schamlippenpiercing entgegenstrecken, während sie hirntote Quizfragen vor sich hinbrabbeln und ein paar Kröten ausloben, die allenfalls in einem Paralleluniversum ausgezahlt werden?

Mit diesen Gedanken lege ich mich schlafen und hoffe wider besseres Wissen auf angenehme Träume. Halleluja.

17 September 2007

Uriniert und ruiniert

Neulich erst hatte ich mir vorgenommen, über die einzigartig ruinierte rückseitige Fassade des Imperialtheaters in der Seilerstraße zu bloggen. Sie stellt einen Anziehungspunkt dar für herumtorkelnde Kiezbesucher, die den dort festgebackenen Taubendreck mit selbstproduzierten Körperflüssigkeiten in einen mörtelartigen Schmier verwandeln. Mit diesem Stoff könnte man B-Waffen produzieren. 

Außerdem hatte ich vor, aus dieser bedauerlichen Tatsache das dringend erforderliche Tünchen der gepeinigten Theaterwand zu folgern – doch jetzt ist der ganze fürchterliche Dreck plötzlich wirklich übertüncht und damit auch die Blogidee. 

Alles geht auf dem Kiez eben schnell. Du guckst einmal nicht hin, und schon steht da ein neues Hochhaus, eine urinierte Fassade ist frisch getüncht oder deine Stammkneipe eine Straße weitergezogen – wie vor einiger Zeit das Komet. Immerhin liegt der Laden weiterhin immens zentral, wie ich am Wochenende dem Tresenglobus entnehmen konnte. Die vor sich hin glühende Weltkugel hat nämlich ausschließlich Hamburg zum Thema; die Rückseite der Reeperbahn und somit auch das Komet liegen leicht südlich des Äquators (Klick aufs Fotos macht es groß)

Wenn wenigstens auch das Wetter sich an die geografischen Vorgaben des Kometglobus hielte. Doch dieses stundenlange Sprühen, das uns ein zynischer Spätsommer heute statt eines ordentlichen Wolkenbruchs anbieten zu müssen glaubte, dachte gar nicht daran. Wenigstens senkt das feuchte Fusseln auch die Quote herumtorkelnder Kiezbesucher. 

Vielleicht kommt mir das aber auch nur so vor, weil Montag ist – die Leute liegen einfach alle noch im Koma.

14 September 2007

Der nette Vandale und die noch nettere Noack


Link: sevenload.com

Eingedenk dessen, was meinem Rad schon alles angetan wurde auf dem Kiez, war die Herangehensweise dieses Unbekannten geradezu soft. Er muss die Schutzkappen beider Reifen aufgedreht, die Ventile entnommen und anschließend solange gewartet haben, bis die Luft zur Gänze entwichen war.

Dann setzte er die Ventile wieder fachmännisch ein, schraubte beide Gummikappen drauf und ging seines Weges; in meiner Fantasie tat er das zufrieden pfeifend und mit sich im Reinen. Schikane light. Irgendwie ein netter Vandale, in meiner Fantasie. Außerdem bringt so eine erzwungene Aufpumpaktion am Morgen den Kreislauf auf Touren. Alles gut also.


Abends in Ottensen aber nicht. Ich sah im Vorbeifahren, wie ein Mann vor einem Dixieklo stand und dagegen pinkelte. Ich wiederhole: Er war nicht hineingegangen, sondern er stand davor, hatte alles ausgepackt, was auszupacken war, und pinkelte dagegen. Genauer gesagt: gegen die Tür. Manchmal schäme ich mich, zu dieser Hälfte der Menschheit zu gehören.

Das war allerdings längst wieder vergessen, als GP und ich in der Hasenschaukel einfielen, um mit rund zehn weiteren Gästen das Konzert der Berliner Sängerin Julia A. Noack zu genießen. Ich ließ die Kamera ein wenig mitlaufen, und wenn man mich schonen und es positiv ausdrücken möchte, geschah das im Stil des film noir.

Nach diesem Clip nämlich kann Frau Noack garantiert weiter unerkannt durch St. Pauli laufen; sie ist so gut wie nicht zu sehen, selbst ihre umstrittenen Schuhe nicht.

Doch das Schummerlicht, der flimmernde Kaminersatz hinter ihr, das Lagerfeuerhafte der ganzen Situation: All das passt perfekt zum Song „Leave the door ajar“, den sie hier in klassischer Folkmanier zupft. Danach setzte sie sich zu uns und wir – wie heißt das so schön? – hingen gemeinsam ab bis fast halb zwei.

Sogar GP, der eigentlich auf Cowpunk und so was steht, kaufte ihr ein Album ab, trotz der Schuhe. Feiner Kerl, irgendwie.

12 August 2007

Auf der Dorfdisco

Nach fünfstündiger Bahnfahrt, während der mir nahe Northeim das Himmelsbild gelang, verbringen wir ein Wochenende in meinem hessischen Heimatdorf am Fuße des Westerwaldes. So vertraut, so fremd.

Die Verwandtschaft zum Beispiel hat die Angewohnheit, so fröhlich wie lautstark durcheinanderzuplappern. Eine von A angefangene Geschichte wird von B begeistert zu Ende erzählt, was A aber nicht dazu bewegt, den Staffelstab einfach loszulassen.

Nein, munter spinnt er die Geschichte ebenfalls fort, und die so entstehende kommunikative Kakophonie ergibt erstaunlicherweise am Ende doch eine recht runde Story.

Abends Oldiedisco in der einzigen Kneipe des Dorfes. Man erkennt mich, nötigt mir Bier auf, tätschelt mir die Glatze, lobt lallend Hamburg, artikuliert gesteigerten Besuchswillen.

Oft nicke und lächle ich einfach freundlich, weil ich im brachialen Lärm der Oldiedisco eh nichts verstehe und klar ist, dass eine Nachfrage kaum mehr Klarheit ins semantische Dunkel brächte.

Heute, am Tag danach, habe ich allerdings den Verdacht, durch unbewusstes Abnicken mehreren reisefreudigen Dorfdiscobesuchern persönliche Kieztouren und weitere Betreuungsangebote in Aussicht gestellt zu haben.

Übrigens ist nicht nur eine generelle Kakophonie typisch für meine Familie, sondern auch eine beeindruckende Gestaltungshöhe im Ethisch-Moralischen. „De Marga erzeehld Geschichde“, informiert man mich mit latenter Empörung über den geistigen Dämmerzustand einer Heiminsassin, „dej sei gor ned wuhr!“

Selbst eigentlich entlastende Demenz vermag also einen gottesfürchtigen Protestanten nicht davon abzuhalten, auf die generelle Sündhaftigkeit des Lügens hinzuweisen.

Zum Ausgleich sehe ich auf der Rückfahrt am Marburger Bahnhof eine junge Frau, die ein T-Shirt mit der Aufschrift „Back from Hell“ trägt. Und direkt hinter ihr gehen zwei Nonnen.