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29 Juli 2007

Wenn es Nacht wird auf St. Pauli

In der Kiezklause nahe dem Hans-Albers-Platz brüllt uns aus der Musikbox Ballermannmucke das Hirn aus dem Schädel.

Als dann auch noch ein als Mensch getarnter Panzerschrank mit Glatze und riesigem „Thor Steinar“-Schriftzug auf dem Rücken an der Theke auftaucht, verlassen wir den Laden – nicht ohne dass GP ein Naserümpfen der Missbilligung und des Ekels Richtung Tresendame schickt. Hoffentlich hat sie verstanden.

Nächste Station: der Club Inside. Er liegt im Keller, ein DJ spielt ausschließlich Musik der 80er, doch meinen Wunsch („Electricity“, OMD) kann er trotzdem nicht erfüllen. Im Inside hängen halbierte Discokugeln an der Decke, und wenn man hochschaut durch die Kellerfenster, kann man den Huren unter die Röcke sehen.

Beim Weiterziehen Richtung Kogge verliert sich unsere Gruppe binnen zehn Metern, so viel Trubel herrscht hier nachts um eins, und wir müssen uns zusammentelefonieren. GP versucht noch schnell in einer Kneipe aufs Klo zu gehen, doch er kommt schon nach wenigen Sekunden wieder zurück. „Geht nicht“, sagt er, „da kotzt gerade einer die Treppe voll.“

Später, gegen zwei, auf dem Weg ins nächste Kneipenirgendwo, begegnen wir einem Typen, der an die ehrwürdigen Mauern der Davidwache pinkelt, doch es ist keine despektierliche Kritik an der Ordnungsmacht, sondern pures Laufenlassenmüssen in Verbindung mit Faulheit.

„Drüben an der Reeperbahn ist eine öffentliche Toilette!“, belle ich den Neandertaler an und hoffe, dass ihm vor lauter Scham der Strahl erstirbt, während ich gleichzeitig versuche, das über den Gehweg schäumende Rinnsal zu umtänzeln.

Er stammelt etwas Unverständliches, während sein Genital weiter in der kalten Julinacht baumelt und einen unbeeindruckt kräftigen Strahl gegen die Davidwache pladdern lässt. Es ist alles so vergeblich, so hoffnungslos.

Und darüber verliert sich erneut die Gruppe, wir stehen unversehens nur noch zu zweit auf dem Spielbudenplatz, schauen hin und her – doch die anderen sind verschwunden, verschluckt von den Menschenmassen, und es ist zu spät, um sich zum zweitenmal in dieser Nacht zusammenzutelefonieren.

Also verabschieden wir uns, ich kämpfe mich gegen den Strom die Reeperbahn hoch und frage mich eine Sekunde lang ernsthaft, was diese Menschen überhaupt alle hier wollen. Aber ich weiß es ja, und deshalb frage ich keinen einzigen von ihnen.

Zum Trost hing heute ein Regenbogen überm Kiez. Alles war gut.

22 Juli 2007

Letzte Geheimnisse: Das Herrenklo (6)



Fitnessstudio, Toilette. In der Nachbarkabine schnauft es schwer, und mir fallen dafür gerade nur zwei denkbare Gründe ein.

Apropos: Die beliebte Herrenkloserie geriet etwas in Vergessenheit, doch heute soll sie fortgesetzt werden. Diesmal dran: das Örtchen im Windjammer in der Davidstraße.

Die Verantwortlichen dort begegnen innerhäusiger Graffiti offensichtlich mit sehr großem Wohlwollen. An eine Entfernung der Höhlenmalereien denken sie jedenfalls im Traume nicht.

Und warum auch? Zum einen werden sie erfahrungsgemäß in 30 000 Jahren mal wichtig, zum anderen geben die typografisch eigenwilligen Nachrichten aus einer verborgenen Männerwelt dem Windjammerklo genau jene eigentümliche Spezifik, die blanke Kacheln nun mal nicht liefern können.

Ich habe mich dort jedenfalls recht wohl gefühlt. Irgendwie.


21 Juli 2007

Erst Wind-, dann Katzenjammer

Zwar befindet man sich im Windjammer in der Davidstraße im tiefsten, dunkelsten und zugleich fröhlichsten Herzen St. Paulis, doch ein Besuch wirft auch Probleme auf, die mithilfe einer einfachen Rechnung ganz und gar nicht abbildbar sind.

Denn Windjammerwirt Fred (66) und seine polnische Komplizin Isabella (ca. 33) neigen dazu, dich nebenbei den ganzen Abend samt Nacht lang mit illuster gefärbten kryptischen Schnäpsen zu versorgen (die am Ende – das ist der Trick – natürlich trotzdem auf der Rechnung auftauchen …).

Einmal frage ich ratend Richtung Isabella „Eierlikör?“ und ernte nur ein präempörtes Stirnrunzeln. Denn die korrekte Kombination dieses gelblichen Teufelsbräus lautet: Kokos vs. Ananas. Plus Promille natürlich.

Dies alles – in Kombination mit Andreas' buchstäblicher Schnapsidee, Jägermeisterlokalrunden zu schmeißen – führt generell nicht dazu, Freds Begründungen für seine robuste Gesundheit („Gene plus Sport“) viel Aufmerksamkeit zu schenken. Zumal er sie unverdrossen rauchend, trinkend und mit blaue Flecken erzeugender Gestik untermauert. Dass man zwischendurch Freds immensen Bizeps betasten muss, belegt seine Philosophie dennoch eindrucksvoll.

Beim Heimwärtstaumeln fällt mir ein Gesprächsfetzen ein, den ich zuvor am Hamburger Berg aufschnappte: „Hör auf zu betteln, geh ackern!“

Ein weiser Rat, auch wenn ich nicht zur Zielgruppe gehöre.


10 Juli 2007

Puler unter sich

Auf Kiezkneipentour mit A. Als Startpunkt designiert war die Hasenschaukel, doch die hat überraschend erst ab mittwochs auf.

Also rein in den benachbarten Silbersack, eine legendäre Kneipe mitten im Rotlichtviertel, die aber auch nicht mehr das ist, was sie mal war. Ihren Ruhm in den Reiseführern verdankt sie vor allem ihrer Vinylmusikbox mit Schlagern, doch die ist: weg, nicht mehr da, Geschichte.

Schlimmer noch: Sie wurde schnöde ersetzt durch eine CD-Box. So geht’s natürlich nicht, Silbersack, und vielleicht ist deswegen auch niemand da, als wir gegen 21.30 Uhr eintreffen.

Nach zwei Astra ziehen wir weiter in die Kogge, ein uriger Schummerladen mit kostenlosem Kicker, einem DJ, der den ganzen Abend famosen 50er-Jahre-Countryswing spielt, und einem kerzensatten Tresen, der zugleich eine Rezeption ist, denn die Kogge fungiert in einem halbgeheimen Zweitleben auch als Hotel, allerdings mit Dusche auf dem Flur und Klo im Keller. Aber das Flair!

Wir hocken am Tresen resp. der Rezeption und widmen uns zufrieden der fortgesetzten Astrabekämpfung. Dabei stellen A. und ich eine gemeinsame Macke fest: Wir pulen beide an Flaschenetiketten.

A. gesteht mir seine geheime Obsession fürs Silberpapier an den Hälsen von Jeverbuddeln. Ich hingegen preise die versteiften Aluminiumummantelungen von Sektflaschenkorken, die sich wunderbar knüllen, zwirbeln und zerkrumpeln lassen.

Momentan aber habe ich – wie gesagt – nur eine Astrapulle zur Hand, was nicht gut ist. Zum einen hat sie keine befingerbare Halskrause, sondern nur ein Bauchetikett. Und sobald du davon den ersten Zipfel vom Glas gelöst hast, kannst du mit der nötigen Feinfühligkeit, die freilich jeder passionierte Friemler wie nebenbei erwirbt, das ganze Etikett auf einmal von der Flasche ziehen, und zwar mit einem sanften Ritsch, das fast untergeht im Countryswing.

Doch das macht keinen Spaß, das geht zu leicht, zu schnell, das ist, als käme man zu früh. Man muss also immer neue Flaschen Astra ordern, und vielleicht will die sardonische Brauerei genau das und schlingt den Flaschen deswegen keine Krausen um den Hals.

Mit Erörterungen wie diesen geht der Abend dahin, und plötzlich ist es 2 Uhr morgens und Zeit zu gehen. Eine Hure spricht uns an in der Friedrichstraße, sie sagt den üblichen Spruch: „Ihr zwei, kommt ihr mal mit?“ Und zum wiederholten Male verpasse ich es, „Klar, wann hast du Feierabend?“ zurückzufragen. Ich wüsste zu gern, was sie antworten würde.

Na, beim nächsten Mal.

15 Juni 2007

Hentschel revisited

Heute Abend um 22 Uhr sendet Vox eine neue Dokumentation (Foto: Spiegel TV) über den Kiezluden Stefan Hentschel.

Der Mann hat mir auch schon mal Ärger gemacht – allerdings posthum.



26 Mai 2007

Der Tag nach der Nacht nach dem Aufstieg

„Ein 2:2, das reicht für Liga zwei
Nie mehr, nie mehr Liga drei!
Gar noch höher soll’s bald gehen,
bis Liga eins – und sei's mit Wehen!”


Wenn ich den Satz, den ich gerade anfange zu schreiben, sprechen sollte, klänge das ungefähr nach „Wnn ch dn Stz, dn ch grde nfönge zu schrbn, sprchn slltö …“ oder so ähnlich, jedenfalls käme ein ziemlich tieffrequentes, vokalarmes Krächzen dabei raus.

Zunächst nämlich verlor ich gestern Abend im Stadion die erste Hälfte meiner Stimme beim Runterbrüllen von „You’ll never walk alone“ und „Niemand siegt am Millerntooooor!“ und die andere Hälfte dann nachts im Drafthouse beim Versuch, mich gegen den Höllenlärm der fantastischen Hausband zu verständigen.

Als ich noch mit dem üblichen Bariton reden konnte – also vorm Spiel –, waren indes auch schon Ausfälle aufgetreten, allerdings eher geistiger Art. Nach einer verwirrenden Diskussion mit dem Franken am Imbissstand orderte ich „Zwei Thüringer mit Bratwurst, bitte“, was die Frau hinterm Tresen zu einer Nachfrage und den Franken zum hämischen Grölen bewog.

Wenn ich es recht bedenke, gab es auch nachmittags im Transmontana am Schulterblatt bereits Probleme im Dienstleistungsbereich. Ich verließ den Laden nämlich voll beladen, doch ohne zu bezahlen, und wunderte mich noch, warum mir die Barportugiesin so seltsam hinterherblickte.

Draußen fiel mir mein zechprellendes Gebaren auf, ich ging zurück und sagte: „Ich habe ja noch gar nicht bezahlt!“, und sie sagte: „Ganz genau!“, und zwar unverhohlen vorwurfsvoll. Aber vorher nur seltsam gucken, klar.

Drei Tische weiter von uns saß übrigens Michel Friedman, zusammen mit einem unstandesgemäßen Typen, der eine schwarze Lederkappe trug und wie ein obdachloser Schanzenhippie wirkte. Doch auch Friedman war nicht völlig korrekt gekleidet; über seinem (immerhin schneeweißen) Oberhemd fehlte das Jackett.

German Psycho, der Friedman vor allem aus ästhetischen Gründen heillos bewundert („Er ist wahrscheinlich schon Mitte 50, aber wir müssen es beide zugeben: Er sieht jünger aus als wir!“), schnürte um seinen Tisch herum und bewunderte Friedmans feine Schuhe, fand aber nicht den richtigen Ansatz, den Mann dafür angemessen zu loben.

GP war auch nachts im Drafthouse dabei, als mir allmählich auch physisch die Lage entglitt. Da brüllt er dir was Unverständliches ins Ohr; du fragst dreimal nach, und am Ende entpuppt sich sein Gebrüll als simple Frage nach dem just zu hörenden Song: „IST DAS SLADE?“ Ich brülle korrigierend: „NEIN, AC/DC!“, nur um eine Halbsekunde später festzustellen, es ist doch Slade, und GP zuzubrüllen: „NEIN, ES IST DOCH SLADE!“

Wegen solcher Dinge sind Nächte wie diese für mich letztlich immer mit einer Hypothek belastet. Ausgerechnet bei „Summer of 69“ wurde ich kurz darauf von Terroristen aus meinem unmittelbaren Umfeld am Kragen des St.Pauli-T-Shirts gepackt und umstandslos auf die Tanzfläche gezerrt. Dort musste ich heftig hüpfen, wobei mir völlig zu Recht die Digitalkamera aus der Hosentasche flog und lautlos auf dem Boden zerschellte.

Na ja, immerhin hätte ich sonst diese ganzen Frauen nicht kennengelernt, die extra ihre ungleich geschmeidigeren Tanzaktivitäten unterbrachen und mir nacheinander die malträtierte Kamera, den Akku und die abgerissene Klappe des SIM-Schachtes reichten. Komischerweise funktioniert der Apparat seit dem Zusammenpuzzlen wieder tadellos.

Das Erste übrigens, was mir heute Morgen nach dem Aufwachen zustieß, war ein Wadenkrampf. Einer von den O-Säften letzte Nacht war wohl schlecht.

28 April 2007

Auf nach Sachsen

Morgen geht es auf Kurzurlaub nach Dresden, und ich schwöre Ms. Columbo auf die Reise ein. „Wir müssen versuchen“, führe ich aus, „nicht über diese Menschen und ihre Sprache zu lachen. Wir müssen versuchen, uns auf den semantischen Kern ihrer Aussagen zu konzentrieren.“

Ms. Columbo ist grundsätzlich einverstanden, bringt aber eine Korrektur an. „Wir müssen vor allem versuchen“, sagt sie, „den semantischen Kern ihrer Aussagen zu verstehen.“ Ich nicke. Es ist ein Experiment. Neuland, Terra incognita. Sachsen eben.

Als Rüstzeug hole ich mir noch eine Kiezvolldusche in der Domschänke, wo die Zementierung des ersten Tabellenplatzes von St. Pauli (3:0 gegen Ahlen!) zünftig begangen wird. Während den Fans dank der Kombination aus Euphorie und Astra zunehmend die Gesichtszüge entgleisen, sind jene der zwei Domschänkenxanthippen wie in Beton gegossen.

Anders können die beiden solche Abende auch nicht überstehen. Und um die fragwürdige Statik des abgebildeten Bierturms mental zu ertragen, hilft nur genau jene Stoik, über die sie im Übermaß verfügen.

Der Astraturm brach übrigens den ganzen Abend über nicht zusammen, was man von einigen St.Pauli-Fans nicht unbedingt behaupten kann.

So, jetzt auf nach Sachsen. Haben die da überhaupt schon WLAN? Oder Strom?

21 April 2007

David Gilmour oder Zu früh ist auch zu spät

Gestern mit Andreas in der sanktpaulianischen Kneipenlandschaft versackt. Auf die genaueren Umstände kann ich erst später näher eingehen, doch hier schon mal zwei Geschichten über den Pink-Floyd-Gitarristen David Gilmour, die sich im gestrigen Kneipendialog als verblüffende ungleiche Zwillinge entpuppten. 

Meine Story geht so: Vergangenes Jahr schwelgte ich in zitternder Vorfreude aufs Konzert von Gilmour im CCH. Es sollte meine erste leibhaftige Begegnung mit einem Mitglied von Pink Floyd werden und war aus biografischen Gründen von ganz immenser Bedeutung. Denn als Teenager schlief ich jahrelang ein zu „Dark side of the moon“, nachdem ich mir das Album auf Cassette gezogen und vorher das elendige Weckerklingeln von „Time“ rausgeschnipselt hatte. 

Jedenfalls traf ich in der Stadt damals zufällig einen Kollegen und fragte ihn, ob ich denn morgen Abend die Freude hätte, auch ihn beim Gilmour-Konzert anzutreffen. „Morgen?“, fragte er und runzelte auf unheilverkündende Weise die Stirn, „das Konzert war doch gestern …“ Nun, er hatte Recht. Und ich einen mächtigen Hals. 

Viele Jahre vorher, nämlich 1989, traf Andreas in der Bar Centrale in St. Pauli mal auf David Gilmour, der anlässlich eines Pink-Floyd-Konzertes in Hamburg weilte und damals offenbar nichts dabei fand, sich ins Kieznachtleben zu stürzen wie jeder normale Mensch auch, zum Beispiel Andreas. Letzterer, zwar kein ausgewiesener Floyd-Fan, doch zeitlebens dem Kontakt mit musikalischer Prominenz zugeneigt, trat tapfer an Gilmour heran und fragte wenig originell (wie er selbst zugibt): 

„Mr. Gilmour, how was the concert tonight?“ 

Gilmour, der begnadete Schöpfer solch elegischer Gitarrensoli wie in „Shine on you crazy diamond“ oder „Comfortably numb“, blickte auf. Dann erwiderte er: 

„The concert tomorrow was brilliant.“ 

So haben sich unsere beiden Geschichten gleichsam ausgeglichen. In der einen kam Andreas zu früh, in der anderen ich zu spät. Ergibt quasi ein 1:1 – was aber nichts an der Tatsache ändert, dass weder Andreas noch ich je ein Konzert von David Gilmour gesehen haben. 

Soviel zur Aussagekraft von Statistiken. 

17 März 2007

Die Totenkopfbluse


Link: sevenload.com

„Berlin Mitte“ heißt jetzt „Maybrit Illner“ – na, hoffentlich bleiben wenigstens die Postleitzahlen gleich. Mit solchen Gedanken radle ich mit A. von St. Pauli aus nach Westen Richtung Fabrik, wo der amerikanische Songwriter Bonnie Prince Billy spielt. Jeder nennt ihn einen Schrat, deshalb tue ich das nicht.

Zumal Billy, der eigentlich Will Oldham heißt, sich nicht als schrullige trübe Tasse, sondern als Witzbold entpuppt, der nach zwei Stunden seine letzte Zugabe, die wir ihm diktatorisch akklamierend abnötigen, mit dem Countryklassiker „On the Road again“ beschließt.

Dann, gegen 12, pesen wir zurück durch die Nacht im Nieselregen, preschen furios durch die Fußgängerzonen und über Bürgersteige, donnern über rote Ampeln, fahren keinen um und landen in der Domschänke, wo die (relativ neue) blonde Bedienung eine Bluse mit lauter Totenköpfen trägt.

„Hübsches Hemd“, lobe ich, während aus der Musikbox Simon & Garfunkels „Scarborough fair“ den melancholischen Glanz vergangener Jahrhunderte heraufbeschwört (und das in Mörderlautstärke). „Danke“, sagt sie und lächelt kein bisschen.

Später, als ich auf dem Weg zur Toilette versehentlich eine Tür öffne, auf der „Privat“ steht, höre ich hinter mir ein schneidendes „Halt!“. Sie ist es, die Blonde mit der Totenkopfbluse, und sie lächelt noch immer nicht. Ich glaube, für die Domschänke, wo sich nach St.Pauli-Spielen die Decke wölbt unterm Druck des hervorplatzenden Adrenalins, ist sie die Bestbesetzung.

Plötzlich ist es halb drei morgens, und meine Trinkkumpane überschütten mich lallend mit Spott, weil ich mich schon trolle – „on the road again“ für höchstens eine Minute, dann parke ich das Rad vorm Haus, und die Nacht nach dem fünften Konzert diese Woche erlischt wie eine Kerze, die man im Sturm auf den Balkon gestellt hat.

21 Februar 2007

Streit um den Pornobalken

Während der Fußballübertragung Madrid gegen Bayern streite ich mich mit meinem Begleiter A. über die genaue Ausformung jenes Bartes, den man gemeinhin als „Pornobalken“ bezeichnet. Für mich ist das etwas Buschiges, Horizontales, welches eine scharfe Begrenzung zwischen Nase und Oberlippe bezeichnet, wobei es den Verlauf der Letzteren recht exakt nachzeichnet, sie aber keineswegs umschließt (links).

A. allerdings beharrt störrisch auf etwas Kuranyihaftem (rechts), also auf einem Bartverlauf, der auch das Kinn umrandet. Noch während ich mich echauffiere über diese ungeheuerliche Behauptung, reklamiert A. eine Kernkompetenz für sich, die aus gewissen beruflichen Erfahrungen herrührt.

Er habe nämlich, führt er aus, einst in dem Film „Trommelfeuer aus der Sackkanone“ den plötzlich versagenden Hauptdarsteller würdig vertreten, und zwar zur Zufriedenheit aller, vor allem der Hauptdarstellerin. Daher wisse er sehr genau, was unter einem Pornobalken zu verstehen sei, jawohl.

Von soviel Sack- … äh, Sachkenntnis überwältigt, erwäge ich einen Augenblick lang, klein beizugeben, doch das ist einfach nicht meine Art. So steht es in Ermangelung einer objektiven neutralen Instanz am Ende Remis. Zu Hause muss ich natürlich trotzdem zwanghaft googeln nach dem „Trommelfeuer aus der Sackkanone“ – vor allem um herauszufinden, unter welchem Pseudonym A. damals den Hauptdarsteller gedoubelt hat. Dirk Diggler? Bud Naked? Benny Behind?

Allerdings stoße ich nur auf Seiten, die lustige Filmtitel auflisten, darunter „Der Greis ist heiß“, „Kuck mal, wer da schluckt“, „Vegetarierinnen zur Fleischeslust gezwungen“ oder „Kung Fu Fisting“. All das hilft mir natürlich nicht entscheidend weiter. Ich muss wohl das Remis akzeptieren. Wikipedia allerdings gibt mir qua Beschreibung recht, obwohl auch dort die „smoking gun“, also die Abbildung, fehlt.

Ich muss jetzt unbedingt diesen Film auftreiben, aus diversen Gründen.

07 Februar 2007

Der Kulturstoffel

Oft treibt es uns mittags ins winzige italienische Café Centrale. Nachdem der Wirt, der uns längst duzt und mit jovialem Handschlag begrüßt, mir unlängst auf Nachfrage die Pluralform von „doppio“ erläutert hat, bestelle ich heute forsch „Zwei Espressi doppi, bitte!“

Während er sich eilfertig ans Werk begibt, nutzt der Franke die Gelegenheit zur harschen Kritik an meiner Bestellmethode. Er – ausgerechnet er, dessen seltsamen Sprachfehler man südlich des Mains völlig vergebens als „fränkischen Zungenschlag“ zu folklorisieren versucht – er also behauptet frech, sofern er geordert hätte, wäre das Ganze komplett italianisiert abgelaufen, nämlich inklusvie des Zahlworts „due“.

Ich brause sogleich auf. Nein, nein, das wäre ganz falsch gewesen, widerspreche ich erregt, zwar nicht grammatikalisch, aber aus einem anderen Grund: Gerade die komplett italienisch artikulierte Phrase, womöglich gar beendet mit einem geschnarrten „Per favore!“, hätte die Grenze zwischen höflichem Entgegenkommen und eitler, anbiedernder Affigkeit deutlich überschritten, und zwar ganz ohne Not.

Die von mir gebrauchte Mischform hingegen, so versuche ich dem Begriffsstutzigen mühsam beherrscht zu verklickern, habe dem Wirt einerseits meinen guten Willen signalisiert, ihm aber auch klar verdeutlicht, dass ich keineswegs vorgehabt habe, sein ureigenes Territorium zu okkupieren.

Von derart spitzfindigen theoretischen Unterfütterungen meines Vorgehens ist der Franke naturgemäß überfordert, weshalb er sturköpfig einfach noch mal wiederholt, wie er bestellt hätte: „Nein, duä Äsbräsi dobbi!“

Aha, also ohne „Per favore“? Banausenfranke, Kulturstoffel, Nichtsmehrmerker!, schießt es mir stakkatisch durch den längst zornesroten Kopf. Doch noch während wir uns kabbeln, bringt uns der Wirt zum Schweigen – mit zwei Doppelespressi und ebensovielen Stücken unfassbar guten Apfelmarzipanwalnusskuchens.


Die bisherigen Teile der Frankensaga
19. Der Kulturstoffel 18. Fußball auf Fränkisch! 17. Auhuuu! 16. Die Bettelblickattacke 15. Der Franke bleibt störrisch 14. Der unvollendete Panini-Coup 13. Duck dich, Sylt! 12. Auf Partypatrouille 11. Laggs auf vier Uhr 10. Der Franke ist überall 9. Die Greeb-Pfanne 8. Erste gegen dritte Liga 7. Die verspätete Riesenkartoffel 6. Der historische Tag 5. Der Alditag 4. Der Faschingskrapfen 3. Der Klozechpreller 2. Der Dude 1. Das Alte Land

25 Januar 2007

Wie auf Ecstasy

So, jetzt ist es also mal Winter. Schnee in Hamburg, Frost in der Luft. Und prompt begrüßt mich mein Fahrrad mit einer eingefrorenen Schaltung. Von meinen sieben Gängen funktionieren nur noch die ersten drei.

Das ist eine ausgesprochen kleine Übersetzung, wie ich feststellen muss. Auf geraden Strecken sieht mein Fahrstil nun aus, als juckelte ein Duracellhase auf Ecstasy durch einen zu schnell abgespielten Stummfilm.

Ähnlich fix war heute Abend die bemützte Bedienung im Aurel. Ich fragte sie, wie sie es bloß schaffe, ein Pils vom Fass, welches doch die sprichwörtlichen sieben Minuten brauche, in exakt sieben Sekunden servierfertig ins Glas zu bekommen.

Sie hatte nicht die Spur einer Ahnung. Es müsse, mutmaßte sie immerhin ein wenig herum, an der Marke liegen: Große Freiheit laufe schlicht schneller ein als zum Beispiel Jever. Viel dünner als Jever schaindes awer drodsdem nich ssussein.

Der Abend endete im Grünen Jäger, wo es so voll war, dass die auftretenden Künstler unsichtbar blieben und dank ihrer zarten Akustikgitarren auch weitgehend unhörbar. Nach einem Wackelfoto der grün bestrahlten Discokugel trat der Duracellhase das Heimradeln an, hibbelig wie eine Nähmaschine.

Ich hätte ja ehrlich gesagt nichts gegen einen außergewöhnlich frühen Frühlingseinbruch.

28 Dezember 2006

Das Dorf in mir

Erstaunlich, wie naiv ich manchmal bin. Heute Abend im Miller (Foto), einer der wenigen Kneipen für Normalos auf St. Pauli, stand ein Typ neben uns an der Theke, der trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „My girlfriend's sick in bed“.

Abgesehen davon, dass dieser Spruch meine These von den Normalos ins Wanken brachte, fragte ich mich
, was der junge Mann uns damit sagen wollte. War das mitleidsheischend gemeint, oder wollte er damit vielleicht Spenden generieren? Der lebensweise German Psycho aber hatte sofort die richtige Exegese parat: „Das heißt: Bin bereit zum Ficken.“

Natürlich. Klar. Logisch.
Hätte ich auch drauf kommen können.
Wenn ich nicht vom Dorf käme.

Denn du kannst die Provinz verlassen, wie ein alter Spruch sagt, aber die Provinz verlässt dich nie. Und wenn man so ein T-Shirt sieht, wird einem das mal wieder überdeutlich bewusst.

Vielleicht lag meine Begriffsstutzigkeit aber auch an den vier Gläsern Weißwein, die ich im Lauf des Abends gepichelt habe. Bestimmt.

19 Dezember 2006

Tod eines Luden

Manchmal frage ich mich, was die vor Muskeln oft bizarr verbeulten Kiezluden, die man hier ihre Staffordshireterrier Gassi führen sieht, eigentlich tun, wenn sie mal alt sind.

Wenn sie nicht mehr die Massivgoldkette ins Nest ihrer deutlich sichtbaren Brustwolle betten können. Wenn ihr gockelroter Lamborghini keinen Parkplatz mehr vorm Laufhaus findet. Wenn sie eine Kneipe betreten und Furcht und Schrecken sich in überschaubaren Grenzen halten. Wenn sie weggejagt worden sind von der nächsten, brutaleren Generation.

Wohin mit ihnen? Sie sind schwer vermittelbar, ihre Spezialkenntnisse in der freien Wirtschaft nur begrenzt gefragt. Und Altersteilzeit gibt es ja für Luden nicht. Seit heute aber weiß ich, was ein alter Kiezlude macht, wenn er sein einstiges Königreich nur noch als Bettler durchstreifen kann.

Zumindest von einem Kiezluden weiß ich das, vom 58-jährigen Muskelberg Stefan Hentschel: Er hängt sich auf. Und zwar stilecht in der Ritze, wo er bis gestern jeden Nachmittag im Keller boxte, um wenigstens seine Muskelberge am Dahinschmelzen zu hindern, wenn schon seine 27 Bordsteinschwalben von einst nur noch Erinnerung sind.

Als die Putzfrau ihn fand, baumelte er am selben Haken, an dem sonst sein Boxsack hing. Wie klar, schnörkellos und letztlich überzeugend seine Art zu argumentieren noch im Ruhestand war, zeigt der hier dokumentierte kleine Clip über Hentschels Begehung seiner alten Domäne, der Großen Freiheit.

Nachtrag vom 23. 12.: Der Rechteinhaber des Ausschnitts, realistfilm, hat mir Rechtsmittel angedroht, wenn ich den Clip nicht entferne. Tu ich natürlich (un)gern.

Nachtrag vom 29. 12.: Heute erhielt ich eine vorgefertigte Unterlassungserklärung, die ich bis 2. 1. zu unterzeichnen habe, andernfalls 25.000 Euro Vertragsstrafe fällig würden …

15 Dezember 2006

Rettet den Lotterbuben!

Allein unser engstes Postleitzahlgebiet weist angeblich 118 Kneipen und Restaurants auf, doch eine Stichprobe ergab: Die Angaben sind höchst lückenhaft. Es gibt also weitaus mehr.

Viele davon tragen schrullige Namen. Einer der liebsten ist mir „barbarabar“. Wenn man den Namen ausspricht (macht Spaß!), klingt das etwas herrische „Papperlapapp“ an – ein Wort, das auch schon mal größere Erfolge gefeiert hat. Vielleicht geht es bald schon den Gang alles Irdischen und wird komplett abgelöst von „barbarabar“.

Mich störte das nicht gar zu sehr, obwohl ich gemeinhin sehr an Wörtern hänge und ihr Dahinscheiden generell mit Bedauern und Missmut verfolge. Sollte zum Beispiel demnächst eine Trauerfeier für „Lotterbube“ anberaumt werden müssen, stünde ich gewiss an der Grube und schüttete unter Verdrückung einer Träne eine Tasse Blümchenkaffee hintendrein.

Vorsorglich aber rufe ich hiermit alle mutigen und wörterliebenden Kneipiers von St. Pauli auf, möglichst zeitnah ein Etablissement namens Lotterbube zu gründen, um dem Dahinwelken dieses sicher noch nicht ausgeschöpften Wortes tathaft entgegenzuwirken.

Zum Glück sind nicht nur Verluste zu beklagen; auch Nachwuchs stellt sich gelegentlich ein, oftmals dank der hiesigen Kneipenszene. Vor allem schwebt mir da die „Hasenschaukel“ in der Silbersackstraße vor, an der Ms. Columbo und ich heute Abend vorbeischritten, bereit, einen Absacker zu uns zu nehmen, doch leider wollte man Eintritt für eine Lesung, und darauf waren wir nun gerade gar nicht eingestellt.

Beim Namen „Hasenschaukel“ denke ich übrigens weniger an Hugh Hefners Bunnys als an putzige Osterhoppler oder Hauskaninchen mit Schleife im Fell, so rosa ist alles an und in der Hasenschaukel. Als Gegenentwurf dazu tritt uns scharf der Crazy Horst entgegen, und auch der Knallermann am Hamburger Berg scheint der Kontemplation wenig Raum zu geben.

Doch ich rede theoretisch, denn wenn ich mich überhaupt in einem der zahllosen Versorgungspunkte in unmittelbarer Nachbarschaft aufhalte, dann im stinklangweilig benamten Miller.

Dabei säße ich viel lieber in der barbara- oder Wunderbar in der Nähe des Lümmeltütenautomaten und tränke einen Einspänner, aber das Wort hätte die Hupfdohle von Bedienung bestimmt ihr Lebtag noch nicht gehört.

23 November 2006

Fußball auf Fränkisch

Mit dem Franken in einer Kneipe Champions League zu gucken, ist ein schwieriges Geschäft. Wenn gerade seine Bayern nicht spielen, verfällt er nämlich in eine konsequente Muffelstarre. Vor allem dann, wenn Bremen spielt.

Halbkreisförmig und mit aufgestütztem Kopf sitzt der Franke dann trübe da. Meist schweigt er, nur manchmal purzelt ihm feindseliges Gegrummel aus dem Mund.

„Hühnerhaufen“, wirft er etwa mit müdem Triumph in die desinteressierte Runde, wenn die Bremer eine Kombination des Gegners nicht augenblicklich stoppen können. „Kein Foul“, kommt es unvermittelt aus dem fränkischen Muffelzentrum, wenn beispielsweise Frings gerade einen Ellenbogen ans Jochbein gerammt bekommt.

Und unser Jubeln und Klatschen beim Siegtor kommentiert er mit: „Die können euch nicht hören. Ihr seid albern.“ Aber glücklich!, erläutere ich dem Griesgram frohgemut. Und erinnere ihn an gemeinsame Momente im Wohnzimmer beim Konsum meist öder Bayernspiele, als sein zartfühlendes „Hau ihn um!“-Geschrei Richtung Fernseher noch lange durch die Häuserschluchten St. Paulis hallte, trotz der geschlossenen Fenster.

Auch sah ich ihn schon bei Toren auf der richtigen Seite zutiefst aufgewühlt vom Freischwinger rutschen und ein animalisches „Jaaaaaa!“ brüllen, welches von einer Provenienz war, für die er sich jedesmal hinterher entschuldigen zu müssen glaubte. Zurecht übrigens – schließlich musste ich weiter mit den Nachbarn leben, nicht er.

Werder Bremen gewann heute Abend wirklich gegen Chelsea, und im Kiez-Beach an der Reeperbahn herrschte selige Ausgelassenheit. Nur im Zentrum des Glücks hockte ein pechschwarzes Loch, und es kam aus Franken.

Ich gestehe: Dieser Anblick verdoppelte meine Freude über Bremens Coup. Aber sagt's ihm nicht, sonst kommt er nächstes Mal nicht mehr mit.

Die bisherigen Teile der Frankensaga
19. Der Kulturstoffel 18. Fußball auf Fränkisch! 17. Auhuuu! 16. Die Bettelblickattacke 15. Der Franke bleibt störrisch 14. Der unvollendete Panini-Coup 13. Duck dich, Sylt! 12. Auf Partypatrouille 11. Laggs auf vier Uhr 10. Der Franke ist überall 9. Die Greeb-Pfanne 8. Erste gegen dritte Liga 7. Die verspätete Riesenkartoffel 6. Der historische Tag 5. Der Alditag 4. Der Faschingskrapfen 3. Der Klozechpreller 2. Der Dude 1. Das Alte Land


25 Oktober 2006

Rom raucht nicht mehr

Ob man aus römischen Cafés kommt oder aus Restaurants, man verlässt sie beschwingt und gutgelaunt. Es hat Tage gedauert, bis wir diesen Umstand trennen konnten von der vorauseilenden Vermutung einer urlaubsbedingten Gutgestimmtheit.

Nein, es ist eine kleine Großigkeit, die nicht unerheblich beiträgt zum unbestimmten Wohlgefühl: Man geht nämlich nach Hause, ohne bestialisch zu stinken. Denn nirgendwo in Kneipen, Discos, Cafés, Trattorien und Restaurants darf mehr geraucht werden. Die Italiener haben das offenbar weggesteckt wie einst den Verlust der Kolonien: mit einem Achselzucken. Überall herrscht Trubel, Heiterkeit, Gestikulationsfreude und eine ausgeprägte Bereitschaft zu genussvollem Konsum – aber keinerlei Ärger über Rauchmangel.

Es geht also. Und wenn man nach Hause kommt, haftet Jacke wie Hose höchstens ein Anflug von Caffé an, aber nicht der in Deutschland übliche kalte Kippenqualm, was tagelanges Auslüften oder gleich eine Vollwäsche erfordert.

In Irland, wo sie öffentliches Rauchen ebenfalls verboten haben, ging unter Kneipenbeschäftigten die Zahl der Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 20 Prozent zurück. Gleichzeitig wurden die Gasthäuser voller – denn jetzt traut sich auch jener Teil der Bevölkerung wieder aus dem Haus, den früher die Diktatur der Qualmer vom öffentlichen Leben ausschloss. Und dieser Teil war groß.

In Rom genieße ich das Ausgehen mit Ms. Columbo sehr. Denn in Hamburg kriege ich sie gewöhnlich kaum aus dem Haus – sie hasst Rauch. Würde man den selbstverständlichen Terror der Raucher endlich auch bei uns ahnden, stürmte die schweigende Mehrheit, die zurzeit aus Qualmophobie zu Hause schmollt, gewiss bald wieder Kneipen und Clubs. Und die rückläufigen Einnahmen durch die Tabaksteuer wären ratzfatz ausgeglichen – oder, wie man in Irland sieht, gar überboten.

Nikotinsucht ist die einzige bekannte Abhängigkeit, die andere Menschen chemisch in Sippenhaft nimmt. Italiener und Iren finden das nicht in Ordnung – und kurbeln so die Wirtschaft an.


Und heute Abend machen wir dabei wieder mit, diesmal dreigängig.

07 Oktober 2006

Letzte Geheimnisse: Das Herrenklo (2)

Diese Serie beschäftigt sich mit dem, was der weiblichen Hälfte der Menschheit gemeinhin verborgen bleibt: Herrentoiletten. Genauer gesagt: dem Innern der Kabinen.

Die zurecht als Kultkneipe geltende Ritze an der Reeperbahn versucht mit der gewagten Kombination aus Zierkacheln und Holzfurnier zu punkten, und das scheint selbst jene Besucher, die zufällig Schreibutensilien dabei haben, in eine Schockstarre zu versetzen. Denn Grafitti ist hier kaum zu sehen. Und wenn, dann ist es kryptisch statt vulgär.

Vielleicht liegt die Grafittiarmut auch an der abschreckenden Wirkung des in unmittelbarer Nähe liegenden Boxrings. Oder an der respekteinflößenden Aura von Michalczewski und anderen Weltmeistern, die im Lauf der Zeit vor dieser Klokabinenwand gestanden und versonnen an sich herab geschaut haben.

In der warmen Farbgebung offenbart sich schließlich doch ein entscheidender Vorteil der nur auf den ersten Blick fatalen Kachel/Holz-Kombi, denn mal ehrlich: Welches andere Herrenklo wirkt schon derart heimelig wie das im Bauch der Ritze? Nein, nein: Man hat hier alles richtig gemacht.

Teil 1: Bar Hamburg

06 Oktober 2006

Rosen in der Ritze

Beim Zechen mit Joshuatree und German Psycho im Herz von St. Pauli, der Ritze und Gretel und Alfons gehen unterwegs die Rosen verloren, die ich spontan bei einem fliegenden Händler für Ms. Columbo erstanden habe.

Genauer gesagt: Ich vergesse die Blumen in der Ritze, wo die platinblonde Drohne von Wirtin sich als besonders geschäftstüchtig erwiesen hatte (auf ihre Frage: „Noch drei Bier?“ antwortete GP besänftigend „Langsam“, woraufhin sie praktisch sofort drei Bier servierte – die wir widerstandslos akzeptierten.)

Zum Glück macht mich nach dem Ende der Zechtour joshuatree per SMS auf die verlorenen Rosen aufmerksam, woraufhin ich mich lange nach Mitternacht noch mal aufs Rad schwinge – und einen fulminanten Beweis für meine Orientierungslosigkeit abliefere.

Denn ich finde unfassbarerweise die Ritze nicht mehr.

Rauf und runter radle ich die Reeperbahn, und was präsentiert sich mir? Ein Tabledanceschuppen nach dem anderen, hochmotivierte Koberer, Hotdog-Läden, Polizisten im Einsatz, „Amazing grace“ grölende Penner – aber keine Ritze, nirgends.

Erst bei der dritten, inzwischen verzweifelten Durchfahrt entdecke ich sie; sie hat sich hämisch versteckt am Ende eines Seitengässchens, das seit dem Rosenvergessen mindestens um den Faktor 3 schmaler geworden ist.

Die Wirtin aber weiß schon Bescheid. Sie hat die Rosen verteidigt wie eine Löwin ihr Junges. „Da wollten schon viele ran“, erklärt sie stolz und saugt an ihrer Zigarette, dann wickelt sie die Blumen in eine Serviette und überreicht sie mir mit einer Anmut, die mir vorhin, als sie uns die drei unverlangten Biere hinklatschte, gar nicht aufgefallen ist.

Ein versöhnlicher Abschluss eines sowieso versöhnliches Abends, wie Joshuatree und German Psycho sicher bestätigen werden.

Sofern sie sich noch daran erinnern können.