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08 Oktober 2007

Wenn die kühnsten Fantasien Wirklichkeit werden

Manche Dinge sind schlicht unvorstellbar. Sie müssen schon wirklich passieren, damit man sie glauben kann. Heute geschah so etwas.

Ich war mit dem Zug unterwegs von Gießen nach Kassel, wo ich neun Minuten nach der geplanten Ankunft den ICE nach Hamburg zu erwischen gedachte. Ein überaus spannendes Unterfangen mit völlig offenem Ausgang, sofern man prophylaktisch von der üblichen Verspätung ausgeht (was man unbedingt tun muss).

Nur die Tatsache, auf dem gleichen Bahnsteig einzulaufen, von dem auch der ICE abfahren sollte, puschte wider alle Empirie meinen naiven Optimismus. Dann aber geschah das oben dramaturgisch geschickt angedeutete Unvorstellbare: Unser Zug erreichte Kassel sechs Minuten vor der Zeit, und im gleichen Moment fuhr auf dem Nachbargleis ein ICE nach Hamburg ein – doch nicht etwa „meiner“, sondern der davor!

Völlig verdattert stieg ich ein, verbrachte euphorisiert und kopfschüttelnd selige Stunden im Speisewagen (selbst die Fehlbestellung eines Mixgetränks aus Bier und Orangensaft konnte meine Stimmung nicht recht trüben) und erreichte Hamburg eine knappe halbe Stunde früher als geplant.


Ich wiederhole, für die Annalen: früher als geplant.

Jaha, aus so was müssten sie mal ein Drehbuch stricken, die Herren Science-Fiction-Autoren! Und nicht immer fantasielos plausible Storys erzählen von Zeitreisen ins Pleistozän oder Alieninvasionen von Alpha Centauri.

21 September 2007

Der Lappen ist weg!



„Denkst du daran, deinen Führerschein mitzunehmen?“, hatte Ms. Columbo gestern kurz vor der Abreise noch gesagt. Ich erinnere mich gut, sie mitleidig angeschaut zu haben. „Den Führerschein“, wies ich sie zurecht, „habe ich immer in der Brieftasche. Immer.“ Dann setzten wir uns in den ICE und fuhren wir los.

Heute Abend, während des Konzertes von Zasha Moktan im Theater Baden-Baden (Foto), hole ich zur Sicherheit meine Brieftasche heraus, um mir den Führerschein anzusehen; morgen früh wartet der Mietwagen auf Abholung.

Ich schaue in jedes Fach und finde den Führerschein nicht. Eine etwas hektischere Wiederholung des Prozesses bringt kein anderes Ergebnis.

Nach insgesamt vier vergeblichen Durchwühlversuchen wende ich mich an Ms. Columbo und flüstere: „Ich finde den Führerschein nicht.“ Sie schaut mich mit ihren großen braunen Augen an. „Aber ich habe dich doch gestern noch …“ „Ja“, unterbreche ich sie kraftlos, „aber der war immer da drin. Immer!“

Ich wühle wieder – nichts. Das Problem ist: Praktisch der gesamte Urlaub – ausgenommen Hin- und Rückfahrt mit der Bahn – basiert auf dem Prinzip Mietwagen. Und ohne Führerschein werden sie mir morgen früh bei Avis höchstens ein Kopfschütteln über den Tresen schicken, aber keinen Autoschlüssel.

Wir schweigen beide. Fieberhaft rattere ich Möglichkeiten durch. Kann die Polizei mir einen Ersatzführerschein ausstellen, obwohl ich ihnen nicht mal eine Nummer oder so was nennen kann? Bei der ausgebenden Stelle in Herborn werden sie niemand erreichen, die sind alle im Wochenende – Beamte halt, verdammt.

Nein, nix da: Ich habe es vermasselt, den kompletten Urlaub. Adieu, Elsaß, tschüs, Heidelberg, ade, Siegen (wohin uns der weiteste und wichtigste Ausflug geführt hätte: Besuch beim kranken Vater). Mir steht der Schweiß auf der Stirn, während dort unten Zasha Moktan nichts weiß vom Ablauf des Dramas auf der Empore.

Zwanghaft wühle ich erneut, zum gefühlt fünfzigsten Mal grabe ich fahrig in allen Fächern, selbst in jenen, wo der Führerschein höchstens vierfach gefaltet Platz gefunden hätte.

Und plötzlich – ertaste ich ihn …

Das Luder von Lappen hat sich verzweifelt ans Innenfutter geschmiegt wie Blattgold an einen Bilderrahmen, wie ein neurotisches Kängurujunges in Mamas Beutel, wie Kusch an von Beust.

Urplötzlich ist alles wieder gut. Mein Schweiß trocknet, Ms. Columbo sieht grundlos von weiteren Sanktionen ab.

Schade, dass man ein derart süßes Gefühl der Erleichterung nur damit erkaufen kann, dass man vorher richtig Scheiße baut.

26 August 2007

Keine Moralapostel, o nein

Wie die Landeier stehen wir kurz vor Abfahrt des Zuges nach Lüneburg vorm Fahrkartenautomaten – und geben schließlich aus Verzweiflung und Zeitnot entnervt auf.

Wir verstehen einfach nicht, was genau das Gerät von uns will. Und immer, wenn wir es zu wissen glauben, will es doch etwas anderes, was wir allerdings nicht dechiffrieren können. Dabei haben wir beide studiert!

Na gut, dann lösen wir die Fahrkarten eben im Zug beim Schaffner, ist doch egal. Doch während der halbstündigen Fahrt kontrolliert uns kein Mensch, wir steigen unbehelligt in Lüneburg aus nach kostenloser Fahrt.

Und nun die Frage an alle Mahatma Gandhis, Martin Luther Kings und Dietrich Bonhoeffers unter uns: Hätten wir fairerweise in Lüneburg doch noch Hin- und Rückfahrt lösen sollen?

Immerhin haben wir ja eine kostenpflichtige Dienstleistung in Anspruch genommen, und die sollte ordnungsgemäß entlohnt werden; das Sklavenhalterzeitalter ist schließlich längst überwunden. Wenn ich einen Flohmarktstand betreibe, erwarte ich ja auch, dass niemand ihn plündert, nur weil ich mal kurz auf Toilette muss.


Trotz alledem erwiesen wir uns als moralisch verwahrlost und buchten nur Rückfahrttickets.

Später auf der Geburtstagsparty erzählte uns ein Freund, es wäre unmöglich gewesen, im besagten Zug nachzulösen. Man hätte uns mit je 40 Euro zur Kasse gebeten, wegen Schwarzfahrens.

Ms. Columbo feixt noch breiter als vorher. Ich auch. Aber ich habe das Gefühl, Mahatma Gandhi hätte uns nicht adoptiert.

12 Juli 2007

Eher eine Großigkeit

Natürlich, eigentlich ist es nur eine Kleinigkeit.

Doch wenn du aus dem Bunker fliehst, wo dir das MySpace-Freikonzert der französischen Band Justice außer geschickt programmierten Beats nur musikalische Ödnis geboten hat, derweil du fast erstickt bist im Qualm und dir den 1. Januar 2008, also den (Feier-)Tag des Rauchverbotes in öffentlichen Räumen, innerlich herbeigesehnt hast (was verdammt noch mal nicht funktionierte), wenn du dann wie betäubt unten aus dem Lift taumelst, dein am Baum angekettetes Fahrrad losbinden willst und dir dabei der Schlüssel im Schloss abbricht:

Dann ist das eben doch keine reine Kleinigkeit mehr.

Also trottest du, während du dich mit der Anschaffung eines Bolzenschneiders anfreundest, fluchend zur U-Bahn, wo dich – ausgerechnet dich! – ein Herumhänger um eine Kippe anschnorrt, der dir nicht glaubt, dass du Nichtraucher bist, und ein anderer dir die Wartezeit mit einem geblökten Handygespräch in einem hässlichen afrikanischen Dialekt versüßt:

Dann ist das inzwischen fast schon eine Großigkeit.

Trotzdem war ich früher zu Hause, als es das Foto nahelegt, und das war eigentlich das Beste am ganzen Abend.

26 Juni 2007

Mit Kutis Groove durch Westpommern



Wir jagen im Zug durch die Kaschubei nach Westen.

In Rumia sind alle Häuser schlammfarben, doch plötzlich strahlt ein blaues Dach surreal auf im Licht der launischen Sonne. Nah an den Gleisen schaukelt ein Kind, bewacht von seiner Mutter.

Ein halbfertiger Rohbau liegt rot und traurig da im Stillstand des Sonntags, während mir Grayson Capps sein „Mercy“ ins Ohr singt. Verlassen steht ein grüner Bus auf einem menschenleeren Platz in Wejherowo. Er ist der heimliche Bruder des traurigen Rohbaus; den Score dazu liefert Bert Janschs Folkmelancholie „Magdalina’s dance“.

Ich verbringe die meiste Zeit im Gang am offenen Fenster, und als mich niemand sieht, werfe ich ein gebrauchtes Papiertaschentuch heimlich hinaus in den Fahrtwind – Dünger für die polnische Krume …

In der weiten Tieflandebene vor Wiekowo steht ein Fuchs reglos auf einer Wiese zum baldigen Schaden einer Maus, lauernd, konzentriert und unbeeindruckt vom Rattern unseres Zugs, von der Zeit, dem Universum und davon, dass in zwölf Milliarden Jahren die Sonne die Erde auf großer Flamme braten wird, auch Polen.

Von Runowo bis Ulikowo, also fast durch halb Westpommern, legt Fela Kutis halbstündiges „Beast of no nation“ den richtigen Groove unters Stampfen des Zugs, während ich die Nase in den Wind halte, und ich verwettete Haus und Hof, dass noch nie irgendein Mensch die Zugfahrt zwischen Runowo und Ulikowo mit Kutis „Beast of no nation“ verbracht hat.

Das verändert den Blick auf die Landschaft, o ja, und der Blick verändert die Musik, das hätte ewig so weiter gehen können. Doch jetzt sind wir wieder zurück auf St. Pauli, die meisten polnischen Geschichten sind erzählt. Nur die noch nicht von mir in nasser Unterhose am Strand von Brzezno, aber die erzähle ich erst morgen.

Frühestens.

12 Juni 2007

Besessen von Pennytüten!

Das Oberteil der rauchenden jungen Frau, die uns auf der Treppe zur U-Bahn St. Pauli begegnet, ist keineswegs maßgeschneidert, und das rotgelbe Material des Kleidungsstücks wirkt irgendwie künstlich. Nein, sie trägt nicht gerade American Apparel.

Doch erst beim näheren Hinsehen sehen wir es: Die Frau hat Löcher in die unteren Ecken einer großen Plastiktüte von Penny geschnitten und sie sich dann kopfüber angezogen.

„Nicht unoriginell“, sage ich anerkennend zu Ms. Columbo, „nur eventuell etwas kalt im Winter.“ Die rauchende Frau braucht das aber nicht zu kümmern: Zum Glück haben wir ja gerade Klimakatastrophe.

Diese kleine unwichtige Begebenheit – Achtung: Jetzt wird es sehr selbstbezüglich! – will ich zu Hause natürlich verbloggen, weil es auf der Rückseite der Reeperbahn nun mal so Sitte ist, kleine unwichtige Begegnungen zu verbloggen und so dem rechtmäßigen Vergessen zu entreißen.

Leider habe ich zur Illustration keine abknipsbare Pennytüte zur Hand. Deshalb google ich in der Bildersuche nach diesem Begriff – und sitze genau 0,06 Sekunden später schockiert blinzelnd vom Bildschirm, als erzählte mir gerade jemand, der Papst habe soeben eine Bank in Stockholm überfallen.

Was da nämlich als Suchergebnis vor meinen ungläubigen Augen die komplette Monitorfläche füllt, ist eine seitenlange Sammlung von Fotos aus diesem Blog

O Mann, ich bin ganz offensichtlich besessen von Pennytüten! Und mit diesem Beitrag lindere ich nicht gerade die Symptome.

23 April 2007

Macken (1): Worte entbeinen

Die charmanteste von Ms. Columbos Macken ist die: Zu glauben, sie hätte keine. Aber sooo viel sind es ja auch wirklich nicht. Zumindest im Vergleich zu mir.

Wenn in diesem Blog erst jetzt, nach mehr als anderthalb Jahren, eine Rubrik namens „Macken“ startet, so liegt es nämlich keineswegs an der völligen Abwesenheit derselben – im Gegenteil: Es versteckten sich derart zahlreiche in den bisherigen Blogeinträgen, dass ich zu dem Schluss kam, sie verdienten eine eigene Rubrik.

Beginnen wir also diesen hoffentlich langen und fruchtbaren Strang, und zwar mit einer relativ harmlosen: Wenn ich S- oder U-Bahn fahre und nichts zu lesen dabei habe, beginne ich mich nach einer gefühlten Nanosekunde entsetzlich zu langweilen – was ich sofort gierig damit überbrücke, Wörter von den Werbeschildern im Wagon in alle nur denkbaren deutschen Teilwörter zu zerlegen. Innerlich natürlich, nicht öffentlich.

Nehmen wir als Beispiel das nur scheinbar spröde, unergiebige Wort „Postbank“. Zurzeit deliriert es noch unschuldig auf einem dieser Schilder vor sich hin, doch schon in wenigen Sekunden wird es sachgerecht entbeint. Postbank, da stecken drin: natürlich „Post“ und „Bank“ (letztere gleich zweimal, einmal zum Sitzen, einmal zum Überfallen), „an“, „ost“, „Po“ und „post!“ (als – ähem – Befehlsform an Poser); auch die „Ostbank“ lässt sich bilden, und zusammen mit dem Ausgangswort, was natürlich mitgezählt wird (ich spiele nach meinen Regeln!), kommen wir auf recht formidable neun Wörter.

Nicht schlecht für einen Begriff, der aus lediglich acht Buchstaben besteht, wovon nur zwei sich des Vorzugs erfreuen dürfen, ein klangvolles Leben als Vokale führen zu dürfen.

Ja, und schon fahre ich in St. Pauli ein und habe mich nur mäßig gelangweilt. Dafür nehme ich es auch gern in Kauf, als Beherberger von Macken zu gelten. Im Gegensatz zu gewissen anderen Leuten, deren charmanteste es ist zu glauben, sie hätten keine. Pah.

10 April 2007

Ein Stofftier, aber nicht Knut

Ja, irgendein Wahnsinniger ist hinabgestiegen ins Gleisbett am S-Bahnhof Reeperbahn. Er hat die Gleise überquert, den Hammer ausgepackt und einen Nagel in die Fahrplanwand geschlagen. Um ein kleines schwarzes Stofftier mit gelben Füßchen daran aufzuhängen.

Dann ist er wieder über die Gleise zurückgestiegen. Er ist hochgeklettert auf den Bahnsteig, hat auf den nächsten Zug gewartet und ist davongefahren.

Wer immer das war, er muss die ganze Aktion lebend überstanden haben. Auf dem Hinweg hatte er die Starkstromleitung ja evidenterweise nicht berührt, sonst hinge jetzt kein Stofftier da. Und wäre ihm der Rückweg letal misslungen und hätte die Polizei seine verkohlten Überreste von den Gleisen schaben müssen, dann wäre einem der Beamten sicher das kleine schwarze Stofftier mit den gelben Füßchen am Fahrplanplakat aufgefallen, und er hätte es abgenommen.

Nein, der Wahnsinnige muss das alles wirklich lebend überstanden haben. Um welches Stofftier es sich handelt, konnte ich nicht genau erkennen, und zur Beweissicherung hinabsteigen wollte ich nicht.

Eins jedenfalls ist sicher: Es ist nicht Knut.

09 April 2007

Im Totenpark

„Komm, wir probieren’s einfach!“, schlägt Ms. Columbo fröhlich Schwarzfahren vor, nachdem wir planen, den größten Parkfriedhof der Welt in Ohlsdorf zu besuchen und ich auf die mangelnde Reichweite unserer Monatskarte verwiesen habe.

„Früher“, tadle ich sie streng, „warst du eine anständige junge Frau, und jetzt planst du Gesetzesbrüche! Was ist bloß aus dir geworden?“ Sie bestreitet meine Analyse keineswegs, führt aber vor allem meinen schlechten Einfluss ins Feld. Mist, sie hat Recht.

Daher schlage ich verschärfend vor, wir könnten heute nachmittag ja Blumen von den Ohlsdorfer Gräbern klauen, das sei bestimmt noch verwegener als schwarzfahren. „Nein“, erwidert Ms. Columbo entschieden, „meine Gegner müssen sich wehren können.“

Also bleibt es beim abschnittsweisen Schwarzfahren, was durchaus zur aufregenden Episode gerät, denn am Jungfernstieg steigt ein Uniformierter der Hochbahn zu, platziert sich nur wenige Sitze entfernt gegenüber und bleibt bis Ohlsdorf (zum Glück tatenlos) sitzen, das sind gefühlte 34 Stationen.

Vorm Haupteingang des Friedhofs stoßen wir auf ein Bestattungsinstitut, welches die populäre Philosophie des „Geiz ist geil“ behutsam in seinen Tätigkeitsbereich überführt hat. Dennoch scheinen mir die beiden Wörter „Sarg“ und „Discount“ noch ein wenig zu fremdeln, aber das war ja bis vor kurzem auch noch mit „Billig“ und „Flug“ so.

Man sollte niemals Avantgardisten in ihrem Tun behindern.

13 Februar 2007

Das Rolltreppentabu

Als ich in St. Pauli aus der U-Bahn steige und gen Ausgang strebe, bietet sich mir ein seltsam asymmetrisches Bild: Auf der fünf Meter breiten festen Treppe zähfließender Verkehr kurz vorm Vollstau, dagegen null Menschen rechts auf der defekten Rolltreppe. Die ich verwundert natürlich benutze.

Und während ich fröhlich und unbehindert hochfedere wie eine verspielte Bergziege, huscht mein Blick links hinüber zur dichtgedrängten Phalanx verärgerter Treppenschnecken, die meine gänzlich freie Bahn wie auf ein Kommando rechts liegengelassen haben.

Warum bloß wirkt eine nicht mehr rollende Rolltreppe auf einen Schlag nur noch so anziehend wie eine doppelt brustamputierte Pamela Anderson?

Ich meine: Die Stufen sind doch weiterhin da, auch wenn sie sich nicht mehr bewegen. Man kann sie benutzen, eine nach der anderen, ich bin der lebende Beweis. Aber nein, die Masse meidet sie mit instinktiver Scheu.

Vielleicht – und das ist ein beunruhigender Gedanke – stimmt ja auch mit mir etwas nicht.

19 Januar 2007

Total therminiert

Warum man sich nach knapp vier Stunden im hiesigen Thermalbad fühlt, als hätte man gerade den Ironman auf Hawaii absolviert, kann uns auch eine eigens befragte Einheimische nicht schlüssig beantworten, aber immerhin bestätigen.

Sie ergänzt die merkwürdige Zerschlagenheit, die uns postthermal befallen hat, allerdings noch um eine Beobachtung an sich selber. Nach dem Thermenbesuch, erzählt sie, ereile sie stets ein seltsamer Entspannungskopfschmerz – ein Wort, das ich sogleich begeistert zum Wort des Tages küre: Entspannungskopfschmerz!

Stets wandelnd auf dem schmalen Grat zwischen halbwach und wegdämmernd versuchen wir nachmittags telefonisch die Chance zu ermitteln, morgen fahrplangemäß von der Bahn nach Hamburg transportiert zu werden. Dafür wurde eigens eine Hotline eingerichtet. Doch wie immer in solchen Sonderfällen hätte man sich diese Mühe gleich sparen können.

Bei einer Katastrophenhotline durchzukommen ist nämlich etwa so wahrscheinlich, wie den Ironman auf Hawaii zu gewinnen oder nach einem Besuch des hiesigen Thermalbads nicht von bleierner Müdigkeit niedergestreckt zu werden.

Der abgebildete Kran unterm Baldachin der postkyrillischen Wolken steht übrigens direkt neben der Therme; auch er gab sich träumerisch bewegungslos. Mal hoffen, dass sich ihm die Bahn morgen nicht anschließt.

Denn in Baden-Baden festzuhängen wäre nur von sehr beschränktem Reiz, auch wenn man sich mithilfe diverser aquatischer Attraktionen nach Belieben sedieren könnte – und so das Hierhängengebliebensein eventuell wieder vergäße.

04 Januar 2007

Zu spät im Büro

Immer, wenn die S- oder U-Bahn auf freier Strecke langsamer wird und schließlich stehenbleibt, weiß der geübte HVV-Benutzer Bescheid.

Erst einmal wird gar nichts passieren. Still und stumm sitzen wir herum und denken uns unseren Teil. Irgendwann knackt es im Lautsprecher, und eine sachliche Stimme erzählt etwas von einer „technischen Störung“.

Manchmal, wie heute morgen, sagt sie auch etwas, was der Wahrheit näher kommt. Wir stehen also hier auf freier Strecke zwischen Königstraße und Altona wegen eines „Rettungswageneinsatzes“.

Nach zehn Minuten ruckt die Bahn wieder an. Wir fahren im Bahnhof ein. Wir steigen aus, wir wuseln durcheinander. Auf der Rolltreppe – „Entschuldigung, darf ich mal durch?“ – drängeln wir uns aneinander vorbei, gehen zum Kiosk, durch die Halle.

Alles ist wie immer, die Wände, der Boden, die Luft. Der Crobag-Mann reicht seine Croissants über den Tresen, jemand holt sich eine Abokarte am Automaten, er flucht über die Münze, die ihm aus der Hand rutscht und hell keckernd über die Kacheln tanzt.

Wir gehen hoch ins Freie, träge treibt der Westwind atlantische Wolken über die Stadt – und nichts, überhaupt nichts erinnert mehr an diese sekundenlange Explosion der Verzweiflung, die vor wenigen Minuten einen Menschen dazu trieb, sich vor einen Zug zu werfen.


28 November 2006

Eisberg, wo bist du?

Sollte die Firma Titanic-Reisen sich wundern, wieso ihr Absatz von Reisen nach New York nicht richtig in die Puschen kommt: Ich hätte da eine These.

Der Fairness halber muss allerdings erwähnt werden: Beim Unternehmen titanic.de kann man wider Erwarten keine Schiffsreisen, sondern nur Flüge und Bahnfahrten buchen.

Die Aufforderung „Versuchen Sie Ihr Glück!“ hat dennoch ein – nun ja – G’schmäckle.

27 November 2006

Wie ein Dieb in der Nacht

Als ich heute den Saturn-Laden an der Mönckebergstraße verließ, wo ich meine Füße samt Aufzugsschacht fotografiert hatte und um die riesigen Plasmafernseher herumgeschlichen war wie ein ausgehungerter Pitbull um rohes Lammhack, fand ich mein Fahrrad blockiert vor.

Irgendein Witzbold hatte das Speichenschloss am Hinterrad, dessen Existenz mir bis dahin nicht einmal bewusst gewesen war, mit brutalstmöglicher Gewalt zusammengedrückt, so dass es jetzt seiner ureigenen Aufgabe mit Entschlossenheit nachkam, nämlich das Hinterrad störrisch am Drehen zu hindern.

Infolgedessen war mein Rad vollends lahmgelegt. Zwar konnte ich es vom Pfosten abschnallen, doch das war es dann auch. Einen Schlüssel fürs Speichenschloss hatte ich natürlich nicht – wie auch, wenn ich von dessen Existenz erst auf solch düpierende Weise erfahren musste?

Wie sich wenig später herausstellte, gibt es kaum eine blödere Situation, als mit einem blockierten Fahrrad durch die halbe Stadt zu müssen. Das Hinterrad musste ich unter Aufbietung meiner fitnessclubgestählten Muskelkraft zuverlässig von jeglichem Bodenkontakt fernhalten, was mich einem bösen Verdacht aussetzte.


Die Blicke der Passanten und S-Bahnfahrer beschuldigten mich nämlich wortlos, aber beredt des schäbigen Fahrraddiebstahls. Immerhin schritt keiner von diesen Feiglingen ein, was mir allerdings wenig Hoffnung macht für den Fall, dass mein Rad wirklich mal geklaut und von einem Dieb durch die halbe Stadt gehievt werden sollte.

Im Fahrradladen in der Talstraße, wohin ich mich mit letzter Kraft und taubem Arm schleppte, musste man den Bolzenschneider bemühen, um diesem elenden Speichenschloss den Garaus zu machen. Wenigstens schaute mich der leicht dickliche Teenager, der das Werkzeug sachkundig ansetzte, nur dumpf und teilnahmslos an.

Das rettete halbwegs meinen Abend.

26 Oktober 2006

Passfotos abzugeben

Lieber abgebildeter Unbekannter,

am Bahnhof Termini in Rom hast du deine Passbilder im Automaten liegen gelassen, und ich habe sie gefunden.

Auch wenn deine ansonsten grandiose Bewerbung wahrscheinlich an diesem Mangel scheiterte: Vielleicht hast du ja trotzdem noch Verwendung fuer die Bilder. Es sind ingesamt acht. Und immerhin haben sie Geld gekostet.

Jetzt weisst du, wer sie hat. Im Menue links gibt es einen E-Mail-Button.

Ciao, bello

Matt

18 Oktober 2006

„Are we in Rome yet?“

Ein Mann aus Philadelphia, klischeehaftes Opfer der Fastfoodära, fragt mich im Zug, wie er in Rom von einem großen Bahnhof zum andern kommen könne. Ich, selbst noch nie in Rom gewesen, sage ihm, es führe gewiss eine Metro oder eine Tram.

Sofort strahlt sein massiges Gesicht auf vor Glück. Er klagt mir zur Belohnung sein Leid unter Beigabe unangenehmer Ausdünstungen. Neben seinem schlechten Atem emittiert er auch Stressschweiß, der, wie man weiß, schlechter riecht als der durch Bewegung verursachte.

Dafür gibt es in diesem Fall auch einen gewichtigen Grund, denn er und seine Gruppe sitzen im falschen Zug. In Siena oder so hatten sie nur vier Minuten zum Umsteigen, sie ächzten sich hoch in den nächstbesten Waggon; es war der nach Neapel, also dieser hier.

Nach Neapel aber wollten die Philadelphier gar nicht, sondern ganz woanders hin. Jetzt müssen sie in Rom den Bahnhof wechseln. Wie wenig gerüstet die Gruppe für eine solche Reise ist, beweist sie auf einer gottverlassenen Station namens Orte. Alle steigen aus, weil sie sich bereits in Rom wähnen, was laut Fahrplan auch der Fall wäre. Doch was heißt schon Fahrplan in Italien?

Wer jedenfalls das Kaff Orte mit einem römischen Bahnhof verwechselt, der hält bestimmt auch die Schöpfungsgeschichte für plausibler als die Evolutionstheorie.

Die Gruppe steht ratlos auf dem Bahnsteig herum. „Are we in Rome yet?“, ruft der dicke Mann mir zu. Ich verneine, und die ganze Gruppe ächzt hastig wieder hoch in den Zug, umdünstet von Stressschweiß und dem Duft lebenslanger falscher Ernährung.

Gute Reise, Guys.

17 Oktober 2006

Alive and well in Rome

Kaum sind wir in Rom, krachen U-Bahnen ineinander. Uns geht es aber gut. Wir haben bisher nicht mal die Linie A benutzt, sondern nur die B.

Keine weiteren Witze an dieser Stelle, dazu ist die Sache zu ernst.

Aber mir ist es ein Raetsel, wie man ueberhaupt unbeschadet durch den roemischen Verkehr kommen kann, ob unter- oder ueberirdisch. Durch einfaches Hupen zum Beispiel kann man hier das Vorfahrtsrecht erwerben. Vor allem Vespafahrer machen davon haeufig Gebrauch.

Dass das nicht immer gutgehen kann, signalisieren die unablaessig durch die Stadt jaulenden Sirenen der Einsatzfahrzeuge. Sie brauchen dafuer nicht mal ein U-Bahn-Unglueck. Ihr Sirenenton ist uebrigens original bei Johnny Weissmueller abgekupfert, der in den 30er Jahren den ersten Tarzan der Filmgeschichte gab.

Der Podcastbeweis folgt nach unserer Rueckkehr.

08 Oktober 2006

Notration

Das Tolle am Bloggen ist ja: Man kann tun und lassen, was immer man will. Ob es einer liest oder nicht, ist letztlich nicht so wichtig (Anm. d. Red.: Gelogen!).

Nein: Allein die Freiheit des Tunundlassenkönnens zählt, und sie wird nur eingeschränkt durch den allgemeinen Rahmen der Gesetze und natürlich selbstgesteckte Grenzen.

Heute ist mal das Lassenkönnen dran. Ein Foto muss reichen.

Hauptbahnhof, Bahnsteig der U3.

15 September 2006

Telefonprotokolle (1)

Matt: Hallo, mw von kn. Ihre Kollegin Frau P. hat mich vorhin versucht zu erreichen. Ist sie zu sprechen?
Promofraukollegin
: Nein, sie ist heute nicht mehr da und morgen auch nicht, erst am Montag wieder. Kann ich etwas ausrichten oder schon mal was aufschreiben?
Matt
: Wie gesagt, sie wollte mich erreichen. Ich rufe lediglich zurück.

Promofraukollegin
: Ach so, ja, klar. Dann geben Sie mir doch mal Ihre Nummer, dann notiere ich Frau P., dass Sie angerufen haben.
Matt
: Frau P. hat meine Nummer – sie hat ja eben versucht, mich anzurufen.
Promofraukollegin
: Stimmt … hm … Gut, dann sage ich Ihr Bescheid, sie ruft dann am Montag zurück.
Matt
: Vielen Dank. Schönes Wochenende.
Promofraukollegin
: Danke, Ihnen auch.


So gehen die Bürotage dahin. Und irgendwann wird man sich fragen, ob das alles gewesen ist.

PS: Immer wenn hier Dinge passieren, die nicht zu bebildern sind, nutze ich herzlich gern die Chance auf sachfremde, aber ansprechende Bebilderung. Heute: der U-Bahnhof Messehallen.

02 September 2006

Hartmut Mehdorn oder Die Arroganz der Macht

Im neuen Berliner Hauptbahnhof, hinter dessen Gitterkonstruktion die Zentrale der Deutschen Bahn himmelhoch aufragt wie einst der Turm von Babylon, versteht man komischerweise alle Ansagen. Sogar wenn sie die Situation fünf Gleise weiter betreffen.

Aber warum sagt die Ansagerin bloß „siebzehnuhrDREIundfünfzig“ statt „siebzehnuhrdreiundFÜNFZIG“? Das klingt ja, als korrigiere sie eine Abfahrzeit. Tut sie aber gar nicht; es ist einfach ihre ganz normale Falschbetonung, die zu Verwirrung an den Bahnsteigen führt – sogar fünf Gleise weit.

Das bringt mich auf einen Disput, den ich zurzeit mit dem Bahnchef Harmut Mehdorn ausfechte. Besser gesagt: Ich disputiere, und Mehdorn schweigt dazu.

Vorgeschichte: Ms. Columbo und ich wollten nach Berlin, kauften online zwei Tickets, eine Erkrankung kam dazwischen, ich ging zwei Tage vor der Fahrt zum Schalter im Bahnhof Altona, wo man mir sagte, ich solle die Karten an den DB Service nach Frankfurt schicken und bekäme sie abzüglich Stornogebühr erstattet. Ich tat wie geheißen, erfuhr dann aber per Brief, aus „tarifrechtlichen Gründen“ sei eine Erstattung nicht möglich. Ich hätte nämlich – was ich nicht wusste – online stornieren müssen.

Natürlich widersprach ich, schilderte in bewegenden Worten die Begebenheit am Schalter, doch aus Frankfurt hörte ich nichts mehr. Auch nicht auf den nächsten Brief. Das ärgerte mich, und ich dachte: Na gut, dann auf zur nächsten Instanz. Oder zur höchsten: Hartmut Mehdorn, so meine Idee, sollte erfahren, wie seine Leute die Kunden behandeln. Wo er doch nächstes Jahr an die Börse will und jede Unterstützung braucht, selbst meine und die von Ms. Columbo!

Also schrieb ich ihn an, schilderte noch einmal höflich den ganzen Verlauf und lehnte mich in Erwartung einer Mehdornschen Intervention im Namen der Gerechtigkeit oder wenigstens der Kulanz wohlig zurück. Doch Mehdorn schwieg. Und schweigt noch immer. Die verweigerte Rückzahlung unverschuldet verfallener Tickets scheint offenbar auch ihm völlig rechtens. Zumindest muss ich sein Schweigen so deuten.

Wie die Chargen in Frankfurt möchte auch Herr Mehdorn, an den ich mich doch erst aus Verzweiflung wandte, mein Anliegen einfach wegschweigen – die Arroganz der Macht des Turmherrn von Babylon.

Mehdorn, der Bill Gates des deutschen Transportwesens, braucht mich eben nicht, trotz Börsengang. Er hat Millionen andere Fahrgäste, die lemminggleich hinströmen zu ihm und seinen Zügen und wahrscheinlich auch zu seinen Aktien. Warum also sollte er antworten auf den Brief eines kleinen frustrierten Bahnkunden – oder ihm gar das Ticket rückerstatten? Nein, Mehdorn sagt nix. Wahrscheinlich feixt er zwischendurch höchstens mal, wenn es denn sein Terminplan zulässt.

Da mir dummerweise ein Kohlhaas'scher Wesenszug eigen ist, wenn ich übers Ohr gehauen werde und sei es von der Deutschen Bahn, habe ich den Fall jetzt auf Anraten des Verbraucherschutzes der sogenannten Schlichtungsstelle Mobilität übergeben, deren Vorschlag zur Güte ich schon mal akzeptiert habe. Mal sehen, ob sich auch Turmherr Mehdorn oder ein Vasall nun endlich zu einer Äußerung herablässt. Ein Wort würde reichen, Mehdorn, eine kleine Geste! Es ist ja nur dieses hochmütige Angeschwiegenwerden, welches schmerzt! Und es schmerzt sehr.

Also, Mehdorn: Sag was! Dann geb ich auch Ruhe. Und dann kannst du dir die 90 Euro gerne dahin stecken, wo ein Triebwagen die Puffer hat.

Nachtrag vom 13. 9. 2006:
Über die Schlichtungsstelle hat die Bahn mir heute 50 Euro Rückerstattung angeboten, aus „Kulanz“. Ich habe angenommen.

Ex cathedra: Die Top 10 der Songs über Züge
1. „Orange Blossom Special“ von Johnny Cash
2. „Last train to mercy“ von Terry Lee Hale
3. „Last train to Memphis“ von The Band
4. „Silver city train“ von The Shivers
5. „Trolley in the train“ von Ai Phoenix
6. „The City of New Orleans“ von Steve Goodman
7. „Train serenade“ von 16 Horsepower
8. „Night train“ von Bruce Cockburn
9. „Post train to Bayreuth“ von Spyra
10. „Train to Jackson“ von Jeffrey Foucault