21 März 2012

Manchmal lieber ehrlich



„Hat es geschmeckt?“, fragt die wasserstoffblondierte Kellnerin im Alten Senator.

Das Restaurant in der historischen Peterstraße wirkt von außen wie die Verkörperung bürgerlicher Fachwerkgemütlichkeit, sieht innen aber eher aus wie der Frühstücksraum eines Garni-Hotels in Sulzdorf an der Lederhecke.

Immer wenn es mir nicht sonderlich geschmeckt hat und ich im Restaurant diese Frage gestellt bekomme, gibt es jene Sekunde, in der die Entscheidung fallen muss zwischen Ehrlich- und Höflichkeit. Prägt eine gewisse Saumseligkeit den Abend, die ein wenig Zeit lässt für die unweigerlich folgende Diskussion, neige ich zur Ehrlichkeit. Heute allerdings auch, obwohl die Liveübertragung des DFB-Pokalspiels schon seit ungefähr einer Viertelstunde läuft.

„Nun, begeistert bin ich nicht“, antworte ich der Kellnerin also wahrheitsgemäß. „Oh, warum?“, fragt sie. „Das Fleisch war zu trocken, die Panade zu pappig, und unter den Bratkartoffeln waren zu viele verbrannte Stücke.“ Sie schaut auf den Teller. „Aber Sie haben alles gegessen“, stellt sie korrekt fest und scheint damit einen Wirkungstreffer zu landen. „Der Hunger“, gebe ich mich allerdings ungewohnt schlagfertig, „trieb’s rein.“ Sie sichert eine Rückmeldung an den Koch zu und geht.

Später serviert sie den Nachtisch (köstliche Rote Grütze), und wir ordern schließlich die Rechnung. Doch sie kehrt stattdessen mit Besteck und einem Teller zurück. Darauf: ein weiteres Wiener Schnitzel. „Probieren Sie mal, ob Ihnen das auch zu trocken ist.“

Eine überraschende Wendung der Geschichte, welche zudem nach bereits verzehrten vier Gängen – darunter eine bis an die Breigrenze sämige Kartoffelsuppe von protzender Kalorienhaftigkeit, ganz zu schweigen vom großzügigst mit Käsestreifen couvrierten Rindercarpaccio – den unbedingten Willen zur Grenzüberschreitung erfordert.

Doch es gibt natürlich kein Entkommen. Der Alte Senator gibt schließlich alles, um den Nimbus seines Wiener Schnitzels zu erhalten; da muss ich also jetzt durch.

Ich probiere einen Bissen. Das Schnitzel ist identisch mit dem ersten: Die pappige Panade hält das weiterhin trockene Kalbfleisch in einem korsettartigen Klammergriff. „Was müsste denn besser sein?“, fragt die Kellnerin, nachdem ich mein Missfallen bekräftigt habe.

Nun, das Fleisch müsste saftiger sein und die Panade sich bergend drumherum wölben, sie müsste gleichsam Blasen schlagen, um den Schnitzel Luft zum Atmen zu lassen, und … „Ich weiß, was Sie meinen“, unterbricht sie mich seufzend, „ich war gerade in Wien.“

Und das rechtfertigt dann doch noch die üblichen zehn Prozent Trinkgeld.

PS: Dieser gane Blogeintrag ist übrigens vor allem ein hochverklausulierter Warnhinweis an den Wiener-Schnitzel-Afiçionado German „Kalbsoberschale“ Psycho.


PPS: Die Waschbecken im Alten Senator sind übrigens ganz superb.




12 Kommentare:

  1. Was gäbe ich jetzt für ein Schnitzel. Selbst um diese Zeit noch.

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  2. Herrlich, die entwaffnenden Ehrlichkeit der Kellnerin, gepaart mit einem gewissen Pessimismus

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  3. Ja, nicht wahr? Das musste honoriert werden.

    Zaphod, ich empfehle für solche Gelüste Erikas Eck in der Sternstraße. Gerade um diese Zeit serviert sie Ihnen am liebsten Schnitzel. Aber erwarten Sie bitte keine Kalbsoberschale.

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  4. Die besten Wiener Schnitzel in HH gab's übrigens im Café Wien an der Kreuzung Ecke Borgweg. Doch wenn mich nicht alles täuscht, ist der Laden inzw. dicht. Ansonsten auch empfehlenswert: die Wiener Schnitzel im Hate Harry's in der Schanze.

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  5. Ah. Das ist ja hier um die Ecke.
    Muss ich die Tage auch zum Testen hin.

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  6. Die Warnung habe ich vernommen - und da auch der 2. Versuch so fulminant scheiterte, werde ich dem Laden wohl keine erste Chance geben. Vielen Dank für ie Warnung! Schade!

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  7. Wiener Schnitzel muss man halt in Wien essen. Da führt kein Weg dran vorbei. Melden Sie sich, wenn Sie da sind - ich zeige Ihnen dann, wo man den perfekten Bröselteppich serviert bekommt.

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  8. Dat Uffsatzbegge sieht aus, als wenn´s vum Philippe Starck wär´. Klar is sowas süperb. Awwa hann Se mol in ehnem vunn seine deseinte Bäder geschtann, die rundrum mit Glasbauschtään midde ins Hodellzimmer gebaut sinn?
    Nit? Dann gehnse mol ins Möwepick am Trämperbohnhof in Bärlin. Die nenne das do Anhalterbahnhof. Is awwer Beschiss. Do sinn nit mohl Schiene.

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  9. Äh, ja, mach ich.

    Frau blogg-hittn-wirtin, darauf können Sie aber so was von zählen, dass ich Ihnen auf die Pelle rücke – aber erst nachdem ich die verehrte Frau Niedetzky beehrt habe. Sie hat ältere Rechte.

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  10. Warum haben Sie nicht das Schnitzel fotografiert...?
    Thema verfehlt!
    Note: 5 21.03.12 Kr

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  11. Ei dann mache se mol. Unn domit menn ich net die Verpetzerei vunn dem Frollein. Unn was is überhaupt ein Elternrat? Do könne se mol frohe wie e Schnitzel auszusiehn hat.

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