18 Mai 2011

It ain’t him, babe



Ich weiß nicht mehr genau, wann ich damit begann, systematisch Coverversionen von Bob-Dylan-Songs zu sammeln. Ich weiß nur, dass es keineswegs an Vorbehalten gegen Dylans Stimme oder Gesangsstil lag, was viele Leute ja ins Feld führen, wenn sie begründen wollen, weshalb dieses oder jenes Cover angeblich „besser“ sei als das Original.

Nein, Dylan ist ein einmaliger Interpret seiner selbst und seine Stimme ein Wunder der Natur, von Anfang an. Mittlerweile erinnert sie zwar eher an die verkohlten Ruinen einer metallverarbeitenden Fabrik, aber auch das hat seine Reize. Jedenfalls lag es nicht im mindesten an einer Aversion gegen Dylan selbst, dass ich Covers zu sammeln begann, sondern an der puren Brillanz seiner Songs.

Stücke wie „Desolation Row“, „Wedding song“ oder „Don’t think twice“ sind so wunderbar komponiert, ihre Melodieführung so hinreißend, dass mir das Immerwiederhören der Originale irgendwann einfach nicht mehr reichte. Nein, meine Gier nach Varianten wurde im Lauf der Jahre immer größer – zumal man als Musikfan im Lauf seiner Sozialisation sowieso immer wieder mit verblüffenden Neu-, Um- und Ausdeutungen von Dylan-Songs konfrontiert wird. Van Morrisons dramatisch zwischen Verlustangst und Angstlust schwankendes „It’s all over now, Baby Blue“ wird jeder Mensch mit Geschmack irgendwann kennen- und liebenlernen, ob er nun 1940 geboren ist oder 1990.

Ich jedenfalls begann vor einigen Jahren systematisch damit, alle – alle! – Bearbeitungen von Dylan-Kompositionen zu sammeln. Zunächst schlachtete ich die eigene LP- und CD-Sammlung aus, parallel dazu recherchierte ich weitere Veröffentlichungen und schaufelte mir unzählige Coverblogs in den RSS-Reader (ich LIEBE das Internet!), um keine Interpretation zu verpassen, sei sie alt, abgelegen, scheußlich oder brandneu. Ich kaufte, kopierte, lud runter – kurz: Ich warf ein riesiges Dylan-Coversongs-Schleppnetz aus, und zwar mit durchaus passablem Erfolg. Denn das wäre ja das Schlimmste für einen Jäger und Sammler: dereinst den letzten, allerletzten Schatz gehoben zu haben.

Mein entsprechender iTunes-Ordner verzeichnet momentan jedenfalls nur rund fünf Prozent aller bekannten Covers. Das sind 1513 Stück mit einer Laufzeit von vier Tagen, fünf Stunden, 20 Minuten und 33 Sekunden. Darunter befinden sich epische Progrockversionen („All along the Watchtower“, Affinity), ranschmeißerische Anschmachter („He was a friend of mine“, Cat Power), wildestes Cowpunkgeprügel („Blowin' in the wind“, Me First & The Gimme Gimmes), japanischer Girliekitschpop („Mr. Tambourine Man“, Kumisolo) oder unfassbar grottige Poprockfassungen einer galizischen Amateurcombo namens 7 Ivvas.

So, das war die Einleitung. Denn was ich mit all dem sagen will, ist Folgendes: Am 24. Mai mittags um 12 Uhr laufen beim Internetsender Byte.fm eine Stunde lang abgelegene, skurrile, merkwürdige und keineswegs allgemein bekannte Dylan-Covers aus meiner Sammlung.

It ain’t him, babe, sozusagen – und dennoch sehr unterhaltsam. Oder gerade deswegen – zumindest für all jene, die aus mir völlig unverständlichen Gründen Dylans Stimme oder Stil nicht mögen. Mehr zur Sendung gibt es auf der Programmseite von Byte.fm – und natürlich werde ich Sie kommende Woche noch einmal mit einer kleinen Erinnerung an diese Sendung nerven; das haben Sie sich sicher schon gedacht.

Es gibt übrigens Fanatiker, die katalogisieren jedes einzelne gecoverte Stück, was für einen wie mich eine unschätzbar wertvolle Quelle ist, aber auch ein steter Quell der Qual. Denn natürlich sind die bereits über 30.000 verzeichneten Studioeinspielungen von Dylan-Songs niemals alle zu beschaffen, und das frustriert schon ein bisschen. Andererseits gibt diese Tatsache mir auch die beruhigende Gewissheit, dass die Suche immer weitergehen kann und wird.

Es gibt buchstäblich kein Genre, das es nicht gibt im Kosmos der Dylan-Covers, und jede einzelne Adaption beweist nur eins: wie inspirativ und befeuernd die Originalkomposition ist.



17 Mai 2011

Lieblingsorte (7): Kaiserkai, Hafencity



Man kann ja gegen die Legokastenoptik der Hafencity sagen, was man will …

… aber wenn man am Kaiserkai neben der Elbphilharmonie steht und – mit der Legokastenoptik im Rücken – den Blick nach Südwesten schweifen lässt, und wenn dann ein solcher Wolkenbatzen tonnenschwer am Himmel hängt wie vorgestern …

… dann ist das einer der schönsten Orte, an denen man sich in Hamburg aufhalten kann.

16 Mai 2011

Arme Schwarze unerwünscht



Manchmal wird die Bedeutung eines Satzes in ihrer ganzen Tragweite erst dann deutlich, wenn man ihn testweise mal in sein Gegenteil verkehrt.

„Ich möchte nicht zwischen lauter armen Schwarzen wohnen.“

Das und nichts anderes – nur halt umgekehrt – sagt Fernando D’Velez, ein (wahrscheinlich reicher) Boutiquenbesitzer und Promoter aus St. Pauli. Mit diesem ungeheuerlichen und ungeheuer gedankenlosen Satz wehrt er sich gegen die Neubebauung des Bernhard-Nocht-Quartiers.

Das entsprechende Plakat hängt überall im Viertel, zusammen mit anderen, ähnlichen Plakaten – von denen allerdings keins so unverhohlen rassistisch ist wie dieses. An dieser Tatsache ändern weder das charmant verschämt tuende Lachen von Herrn D’Velez noch seine irgendwie um Verzeihung bittenden Hände etwas.

Man kann wirklich viele Argumente finden gegen die Neubebauung des Bernhard-Nocht-Quartiers, gegen die Gentrifizierung unseres Stadtteils, gegen ständig neue leerstehende Büroglaskästen anstatt erschwinglicher Wohnungen.

Aber Menschen wegen ihres sozialen Status in Verbindung mit ihrer Hautfarbe vom Hierwohnen ausschließen zu wollen, ist kein gutes Argument. Ich persönlich möchte, ehrlich gesagt, sehr ungern neben und zwischen Leuten wie Herrn D’Velez wohnen, die mich vielleicht von einem Tag auf den anderen wegen meiner vornehmen Blässe für unerwünscht halten könnten.

Das Geheimnis von St. Pauli ist sein Mix. Hier leben Weiße, Schwarze, Braune, Gelbe, Rote und Olivia Jones. Sie sind reich, arm, obdachlos, Boutiqenbesitzer oder Promoter und manchmal (wie Herr D’Velez) auch beides auf einmal.

Das war immer (gut) so und muss auch so bleiben. Doch Plakate wie dieses kündigen das im Grunde auf, und das auch noch im Namen einer guten Sache.

Denn wer so etwas sagt, will nicht zwischen armen Schwarzen wohnen.
Auch wenn er zur Sicherheit das Gegenteil behauptet.


15 Mai 2011

Pareidolie (2)



Ständig schaut dieses spitzkinn- und -nasige Schild mit der aggressiven Meckifrisur derart grimmig in die Gegend, als müsste es sein Leben an der Hauswand eines Sexshops an der Reeperbahn fristen.

Tja, und genauso ist es ja auch.

Nachtrag 15. 5., 16:41 Uhr: Ms. Columbo hat mich auf das ähnlich aufgebaute pareidolische Logo von Easy Rider auf der Reeperbahn hingewiesen, bei dem die Designer allerdings die Gesichtsassoziation ganz bewusst angelegt haben:

13 Mai 2011

Unser kleiner grauer Weggefährte



Freitags ist Einkaufstag. Dann zockeln Ms. Columbo und ich los mit unserem treuen Trolley, der traditionell meiner Führung überlassen ist.

Ich versuche dabei nach Kräften und starren Blicks gen Gehweg, die Hinterlassenschaften hiesiger Hunde zu umfahren. Denn nach dem Einkauf wird das zweirädrige Wägelchen, welches heutzutage immer öfter zum „Shopper“ gehypt wird, wieder hoch in die Wohnung geschafft, und dazu muss das Gute definitiv stubenrein sein.

Unser aktuelles Modell ist bereits Nummer 3. Die Lebensdauer des ersten war sogar kürzer als die einer Eintagsfliege, weil bei seinem Debüteinsatz nur wenige Minuten, nachdem ich ihn erworben hatte, ein Becher Buttermilch darin zerbrach. Milchreste in irgendwelchen Schlitzen und Falten, Schimmelnahrung à la carte? Nein, unzumutbar. So landete er nach nur halbstündigem Einsatz im Müll; ein schlimmes, aber unvermeidbares Schicksal.

Trolley Nummer 2 verlor irgendwann ein Rad, das ich wieder aufschraubte, doch das Ärgernis geschah immer öfter, und da er billig gewesen war – für zehn Euro geschossen auf einem Flohmarkt in Moorfleet –, entsorgte ich ihn zwischen hier und Edeka in einer fremden Tonne, heimlich, illegal und – aufgrund eines überholten, aber hartnäckigen Moralsystems – mit roten Ohren.

Der dritte nun ist ein immerhin 34 Euro teures Markengefährt, stabil, robust und geräumig, dazu von einem bescheidenem Grau, das sich beinah schüchtern versteckt vor den Graffitis der Mauern des Kiez. Heute war er wieder im Einsatz.

Warum ich das alles erzähle, weiß ich selber nicht, denn wer sollte sich schon für einen Trolley interessieren, der wochein, wochaus durch St. Pauli gezogen wird? Hier sollten Dealer, Luden, Huren vorkommen, verdammte(r) Hacke(nporsche)!

Na ja, demnächst bestimmt mal wieder. Großes Kiezianerehrenwort.


12 Mai 2011

Fundstücke (134)



Es war der Tag der schönen Zahlen.

Als tägliche Durchschnittsklickrate meldete mir mein Statistikprogramm gestern einen glatten Tausender, was mir einen Prosecco wert war.

Am Abend stürzte dann die Airportstation ab und hinterließ als letzten Seufzer die eingefrorene Uhrzeit. Sie zeigte exakt 22 Uhr 22 Minuten und 22 Sekunden.

Das kann man sich doch alles gar nicht ausdenken.



11 Mai 2011

Mein erstes Album



Die erste selbstbezahlte Langspielplatte meines Lebens habe ich mir aus dem Otto-Katalog betellt. Meine Mutter war (und ist bis heute) Sammelbestellerin, die Nutzung dieser Quelle lag also nahe.

Es war ein Doppelalbum und heidenteuer. Bereits auf der Abbildung im Otto-Katalog sah man den riesiger Sticker, der auf dem Cover pappte und mir den Mondpreis („NUR 25,- DM!“) als Schnäppchen verkaufen wollte. Na ja, schließlich konnten weder die Plattenfirma noch Otto wissen, dass 25 Mark damals ungefähr ein Zwanzigstel des Monatseinkommens eines Sparkassenazubis ausmachte, doch diese Stelle trat ich eh erst zwei Jahre später an.

Damals, zum Zeitpunkt dieses Wahnsinnskaufs, erhielt ich meines Wissens ungefähr 5 Mark Taschengeld pro Woche, musste also mehrere Monate lang Teilbeträge davon zurücklegen, um mir irgendwann dieses Doppelalbum leisten zu können.

Es handelte sich um die Liveplatte „Hot August Night“ von Neil Diamond, die mein Interesse geweckt hatte, weil Diamond zu jener Zeit einen auch von mir tatkräftg unterstützten Riesenhit hatte, nämlich „Longfellow Serenade“.

Dass die Liveaufnahmen von „Hot August Night“ bereits mehrere Jahre alt waren und mein aktuelles Lieblingslied somit gar nicht drauf war, konnte ich natürlich nicht ahnen. Und der Otto-Katalog fühlte sich keineswegs in der Pflicht, mich über diesen Umstand aufzuklären.

Heute denke ich ja, dass es gar nicht der Hit war, der mich magisch zu jenem Doppelalbum hinzog, sondern das bemerkenswerte Cover. Neil Diamond sieht darauf nämlich aus, als würde er sich gerade pantomimisch einen von der Palme schütteln. Dazu noch die karpfenhafte Ekstase seines halbgeöffneten Mundes – alles klar, Herr Kommissar.

Für einen pubertierenden Buben, den sie zwei Jahre später in eine Sparkassenausbildung stecken sollten, war so etwas von höchstem Interesse, wenn auch nur unbewusst. Von wegen „Longfellow Serenade“!

Diese hellsichtige Exegese von Diamonds Pose gelang mir übrigens erst in allerjüngster Zeit. Seither ist das Albumcover mit dieser Erkenntnis kontaminiert.

Für Sie jetzt übrigens auch, und dagegen lässt sich hinfort überhaupt nichts mehr machen, so wahr eine Ausbildung bei der Sparkasse die tristeste der Welt ist.


10 Mai 2011

Fundstücke (133)



Dieses in der (wenn ich mich recht erinnere) Taubenstraße entdeckte Klingelschild deutet auf einen durch Eheschließung fahrlässig erworbenen Doppelnamen hin, den beide Partner aber anscheinend ohne viel Federlesens akzeptiert haben.

Irgendetwas Verdammenswertes in mir wünscht sich, der zugehörige Mann hieße zu allem Überfluss auch noch mit Vornamen Wolfgang, obgleich dabei eine nicht nur hochoriginelle, sondern auch im Berufs- und Restleben wenig zweckdienliche Kombination herausgekommen wäre.

„Guten Tag, mein Name ist Wolfgang Wulf-Wolf.“
Einfach wunderbar.

Diese Möglichkeit erinnert mich ein wenig wehmütig an die schöne Zeit, als Wolfgang Wolf noch Trainer in Wolfsburg war und nahe der Wolfsburg wohnte, wahrscheinlich im Wolfssteig.

Ob er damals zufällig mit einer Frau Wulf verheiratet war, weiß ich allerdings nicht.

09 Mai 2011

Pareidolie (1) oder Muster mit Wert



Seit die Pareidolie-Tante hier einen Kommentar hinterlassen hat, sehe ich überall Gesichter. Und ich meine nicht die von Menschen.

In ihrem sehenswerten Blog sammelt die Tante Bilder von Dingen, in die unser Gehirn Physiognomien hineininterpretiert. Diese komische Maschine in unserem Kopf sucht nämlich unablässig und überall nach Mustern, sogar dort, wo gar keine sind oder beabsichtigt waren.

Das Phänomen nennt man Pareidolie, und seit ihrem Kommentar bin ich praktisch zum spontanen Pareidoliker geworden. Plötzlich nämlich schaute mich sogar unser Reiskochtopf irgendwie chinesisch-katzenartig an, obwohl er das vorher nie gemacht hatte. Alles nur wegen der Pareidolie-Tante.

Kurz und gut: Hier beginnt eine neue Serie. Ich mache der Tante einfach mal Konkurrenz, zumindest ein ganz klein bisschen und nur sporadisch.

Viel mehr und auch erheblich frappierendere Bilder gibt es nämlich bei ihr dort drüben, und das wird auch für immer und ewig so bleiben.

08 Mai 2011

Die übliche Ka(c)kofonie



Der Bau des Hafens vor 822 Jahren war ein großer Schritt für Hamburg. Anders verhält es sich mit den alljährlichen Geburtstagsfeierlichkeiten, sofern man das Glück hat, sie vor Ort auf St. Pauli miterleben zu dürfen.

Tagsüber weht nämlich ein Lärmwirrwarr von liebreizender Vielfalt durch die Balkontür, zu dem höchst unterschiedliche Quellen beitragen. Ich möchte mich hier stellvertretend bedanken bei: Propellerflugzeugen mit Werbebannern (also sonisch und optisch eine Zumutung), Hubschraubern, Polizeisirenen, Knatterharleys, verfrüht volltrunkenen Grölern, heute auch Fans des FC Bayern München, die acht (8!) Tore angemessen feiern wollen, sowie Abschleppwagen, die unter lustvollem Klirren und Klappern Falschparker unter unserem Balkon einer ungewissen Zukunft zuführen.

Vor allem aber das ungefähr halbstündige Feuerwerk gegen 23 Uhr hat natürlich jedes Recht, in dieser bei weitem unvollständigen Liste einen Credit zu bekommen.

Übrigens Wahnsinn, aus welchen Lücken die Abschlepper manchmal Wagen rausholen, ohne deren Knautschzonen einem Praxistest zu unterziehen.

Für mich sind das Künstler, echt.

06 Mai 2011

Käse, Metal, Polizei



Wenn Ina Finn (Foto), eine der besten Hamburger Sommelières, erneut die großartigsten Käsesorten Frankreichs für lau sowie passende Spitzenweine für einen angemessenen Preis offeriert, dann sollte man eigentlich meinen, halb Hamburg begehrte entschlossen Einlass an der Tür der Villa Verde, doch es waren nur ungefähr 30 – darunter der Franke, Ms. Columbo, ramses101 und ich.

Während ein wagenradgroßer Brie de Meaux majestätisch zerfloss, fühlten wir uns wie Gott in Frankreich (zumindest im Sinne der aktuellen Lesart, denn einst – in gottesfeindlichen jakobinischen Zeiten –, bedeutete der Spruch ja bekanntlich genau das Gegenteil). Für den Fall, wir müssten für fünf Jahre ins Gefängnis, wäre die Villa Verde zu Käsestammtischzeiten zweifellos ein geeigneter Ort, um die Zeit würdig abzusitzen. „Außer mit Laktoseintoleranz“, ergänzte der Franke lakonisch, ehe er sich wieder mit verheerenden Folgen am Büffet zu schaffen machte.

Nicht vor Ort war natürlich der bekennende Käse-, Wein- und Aquaphobiker German Psycho. Gäbe es bereits olfaktorische Tweets, hätte ich ihm dem Duft des Brie de Meaux getwittert. So aber konnte ich nur twitternd die Nichtexistenz olfaktorischer Tweets bedauern.

Die ältliche Dame neben mir, eine strengfrisierte Erscheinung von hanseatischer Steifheit, nutzte die Aufmerksamkeit meines halben Ohres, um mir von ihren zahlreichen Reisen zu berichten („Schon 35-mal in Italien, aber immer woanders.“). Doch nur ein einziges Mal ergatterte sie meine ganze Aufmerksamkeit, und zwar mit dem frappierenden Satz: „Ich bin von der Klassik zum Heavy Metal gekommen.“

Dann plapperte sie strengfrisiert über ihre Vorliebe für Sepultura und Annihilator und offenbarte, bereist siebenmal Motörhead im Docks gesehen zu haben. Ich nur zweimal. Verdammt.

Auf dem Heimweg fand ich den Personalausweis einer jungen Frau aus der Annenstraße, den ich ihr gern vorbeibringen wollte, doch Ms. Columbo bestand auf Ablieferung bei der Polizeiwache um die Ecke.

Ein Vorschlag mit Folgen, denn die Einreichung eines aufgefundenen Personalausweises setzt einen bürokratischen Prozess ungeahnten Ausmaßes in Gang. „Ein Personalausweis gehört der Bundesrepublik Deutschland“, dozierte Wachtmeister Gohlke, während er meine persönlichen Daten aufnahm, „Sie sind nur der Besitzer.“

Derweil tippte er eine Zeile nach der anderen voll und löcherte mich mit Fragen, unter anderem dieser: „Wünschen Sie einen Finderlohn?“ Ein Danke würde mir reichen, winkte ich generös ab, doch später bereute ich es. „Ich hätte einen Euro verlangen sollen“, sagte ich zu Ms. Columbo. „Dann wäre die Geschichte weitergegangen.“

Und darum geht es doch im Leben, oder nicht: dass die Geschichten weitergehen.

Der nächste Käsestammtisch findet übrigens am 16. Juni statt. Dies als Botschaft an halb Hamburg.

05 Mai 2011

Fundstücke (132)



Fragen Sie mich bitte nicht, warum dieser Schirm …

a) … auf einen Bauzaun in der Seilerstraße geklemmt wurde und
b) … die Aufschrift „Es regnet Kaviar“ trägt.

Schön wär’s ja (sofern Beluga).


04 Mai 2011

Sehr Sade



Vier Gitarren, schleppendes Massive-Attack-Flair, Grooves und Balladen perfekt austariert, poetische Bühnenbilder und Einspielfilme, ein gazehaft transparenter Sound, den sogar meine kleine Digicam einzufangen in der Lage war …:

… Verdammt, es gibt wirklich überhaupt nix zu meckern an Sades Auftritt gestern Abend in der Hamburger o2-World-Arena.

Deshalb ersetzt dieser kleine Mitschnitt jedes weitere Geschwafel, und das ist auch gut so.

03 Mai 2011

Fundstücke (131)



Ein Gehweg ist also kein Hundeklo – aber die eigene Haustür anscheinend das geeignete Medium für ernste Ermahnungen. Manche Menschen verstehe ich einfach nicht.

(Was natürlich nur dann gilt, wenn Herr oder Frau Koch selbst für den Spruch auf ihrer Haustür verantwortlich sind. Sonst nehme ich alles zurück und bestätige, dass ich manche Menschen doch verstehe.)


Entdeckt in der Kastanienallee.



02 Mai 2011

Gut ausgelüftet



Da hat sich wohl jemand gedacht: Den mühseligen Weg zum nächsten Altkleidercontainer spar ich mir. Und dann hat er oder sie die ollsten Klamotten des Bestandes einfach an den Gitterzaun vorm neuen Astraturm gehängt.

Den Zaun hat übrigens der Eigentümer der Immobilie aufgestellt, damit Leute, für die großflächige Büroturmscheiben eine schier unbezwingbare Einschmeißverlockung darstellen, nicht mehr ganz so nah rankommen an den neuen Astraturm.

Allerdings fliegen routiniert geworfene Pflastersteine auch schon mal weiter als die paar Meter, die der Zaun an Distanzierung leistet, doch wem sag ich das.

Zurück zur originellen Altkleiderentsorgung. Um diese Methode ein wenig zu verschleiern und nicht sofort Vermutungen wie Faulheit und Bewegungsscheu aufkommen zu lassen, hat der oder die Verantwortliche wenige Meter weiter das Ganze auf dem Pflaster zum „Umsonstladen“ beschönigt.

Die treffsichere Allegorie „Fiese Hecke“ für den Gitterzaun verdient übrigens Respekt und Anerkennung.

01 Mai 2011

„Ganz Hamburg hasst die Polizei“



Was ist eigentlich dieses „Regen“, von dem man ab und zu im Wetterbericht hört? In Hamburg jedenfalls liegt das Phänomen gefühlt ungefähr so lange zurück wie die letzten 1.-Mai-Krawalle.

Weil das besagte Datum heute wieder dräute, wurde das traditionelle Spielfeld – also Schanze und St. Pauli – behördlicherseits vorsorglich zum „Gefahrengebiet“ erklärt. Bedeutet: Man hatte bei Bedarf der Polizei auch anlasslos Rede und Antwort zu stehen.

Insgesamt sorgte das alles für eine bedrohliche Aura überm sonnentrunkenen Kiez, und aufgrund einer insistierenden Bitte von Ms. Columbo musste ich sogar mein Fahrrad hoch in die Wohnung schleppen, obwohl mich kurz zuvor Chris, der Schlächter, im Fitnesskurs gestriezt hatte bis zur Schnappatmung.

Ms. Columbos Bitte allerdings war wie immer weise, denn wenig später zog bereits die erste Demo durchs Viertel. Darunter waren viele schwarzgekleidete Kapuzenträger mit vollverspiegelten Greta-Garbo-Sonnenbrillen. Sie trugen ein blaues Plakat mit sich herum, auf dem stand: „Ganz Hamburg hasst die Polizei“, was ein recht betrübliches Licht auf ihre Realitätswahrnehmung warf.

Wenn all ihre Analysen so leicht empirisch zu widerlegen sind wie diese, dann gute Nacht, liebe Linke. Irgendwann fing es irgendwo dann an zu krachen, Sirenen juchzten, und wenn sie nicht gestorben sind, dann prügeln sie sich heute
noch.

Es dürfte übrigens gerne mal wieder „regnen“, oder wie das heißt.



30 April 2011

Bekenntnisse eines nearly adopters

Bloggen ist inzwischen so uncool geworden, dass man sofort damit anfangen müsste, wenn man es nicht längst schon täte. Ähniiches gilt allmählich fürs Twittern.

Denn mal ehrlich: Nichts ist schlimmer, als auf fahrende Züge aufzuspringen – wie ich es damals tat, als Bloggen noch halbwegs cool war.

Inzwischen erregt Coolness in mir großes Mitleid. Ebenso die Coolnessträger, also Trendsetter, Auskenner, Herdenführer – und ganz besonders die so innig umschwärmten early adopter. Denn was ist schon ein early adopter? Doch nichts weiter als die arme Wurst, die den Herstellern von unausgegorenem Müll als erste auf den Leim geht.

Derweil wartet der Uncoole ab, bis das Zeugs endlich funktioniert – und trotzdem nur noch halb so viel kostet.

Ich bin allerdings nicht nur kein early adopter, sondern ein für die Unterhaltungsindustrie extrem nerviger Sonderfall, nämlich ein nearly adopter.

Ist zwar nur ein Buchstabe mehr, aber ein himmelweiter Unterschied. Als nearly adopter habe ich nämlich ein gutes, altes Prinzip transformiert, welches sich auch hier auf St. Pauli schon immer als höchst probates Mittel erwiesen hat, keinen Ärger zu bekommen: nur gucken, nicht anfassen.

Das bedeutet, ich bin meist gut informiert über den neusten heißen Scheiß, aber bis ich mir wirklich einen HiTec-Brillen-gestützten 4-D-LED-LCD-USB-DVBT-HDMI-plus-Ultraflachbildfernseher mit Internetzugang, Timeshift, Beamfunktion und WLAN-programmierbarer Mikrowelle kaufe, muss schon die 6-D-Glotze auf dem Markt sein. Mindestens.

Mein sehr verehrter neuster heißer Scheiß, denkt der nearly adopter in mir, während er unbeeindruckt an den Glimmerflimmerwänden im Mediamarkt entlangschlendert, werd du Krücke erst mal deine Kinderkrankheiten los, dann lass uns noch mal reden.

Na ja, lange Rede, ganz kurzer Sinn: Ich gehöre seit kurzem zu den letzten Nachzüglern, die sich nun doch noch das zugelegt haben, was der Rest der Welt schon drei Generationen lang sein eigen nennt: ein iPhone.

Natürlich kein Vierer – viel zu riskant.

28 April 2011

Dr. House praktiziert auf dem Kiez


Da waren sie nun, die ganzen „Dr. House“-Fans. Im aus allen Nähten platzenden Café Keese an der Reeperbahn trat nämlich heute Abend Hugh Laurie auf, der in der TV-Erfolgsserie einen muffeligen Doktor spielt – aber hier, im Keese, den Blues.

Irgendwie passte da was nicht zusammen. Doch die Fans – darunter viele hippe Groupies im Alter potenzieller Laurie-Töchter – mussten da durch, denn hey: Das war er höchstpersönlich! House himself! Auf der Bühne! Live und wahrhaftig! Aber wo war sein Krückstock? Und wieso parlierte dieser Knurrhahn plötzlich so charmant?

Immerhin: Dass er seltsame Uraltsongs von Jelly Roll Morton (1889–1941), Huddie Ledbetter (1889–1949) oder Mahalia Jackson (1911–1972) sang, ließ sich trefflich mit Herumquatschen während des Vortrags sowie euphorischem Juchzen in Einschaltquotenhöhe zwischen den Stücken übertünchen.

„Laurie ist so alt wie wir“, raunte ich dem Franken zwischendurch zu. „Die goldene Generation, Franke!“

Er schaute mich an, als hätte ich eine despektierliche Bemerkung über seine Wampe gemacht, deshalb sparte ich mir die weitere Beweisführung (Madonna, Michael Jackson) und süffelte weiter an meinem Grauburgunder, während Laurie am Klavier eine sehr schöne Version von Louis Armstrongs „St. James Infirmary“ anstimmte.

„Vorm Konzert habe ich gesagt“, sagte Laurie plötzlich, „wenn man uns nach dem dritten Song noch nicht weggesperrt hat, dann gönne ich mir was.“ Euphorisches Juchzen der House-Fans.

Und dann hielt Hugh Laurie plötzlich eine Maß Bier – also einen ganzen Liter – in der Hand. Und nippte. Statt es in kräftigen Zügen mindestens zur Hälfte wegzupumpen und sich einen weißen Bart von der Blume zu holen, nippte dieser Fernsehweichlng nur dran.

Engländer wissen einfach nicht, wie man mit Bier umgeht. Das war die wichtigste Erkenntnis des Abends. Und manche von ihnen lieben den Blues so sehr, dass es ihnen wurschtegal ist, nur über die Stimme eines Privatpartysängers zu verfügen.

Ich glaube, ich muss mir diese Fernsehserie mal anschauen.