12 Oktober 2005

Die Transen

Seit drei Tagen sehe ich in der Schmuckstraße keine Transen mehr (Abbildung ähnlich). Ich bin besorgt. Normalerweise stehen sie schon morgens um kurz nach 9 da, wenn ich durchradle. Ich dachte aus irgendeinem Grund immer, es handele es sich dabei um Brasilianer. Doch unlängst erfuhr ich aus einem anderen Blog, dass die hiesige Transen-Genese eher im mexikanischen Raum zu suchen ist, ergänzt durch den asiatischen. 

Wie auch immer: Die üblichen Damenherrn sind plötzlich nicht mehr da, und ich bin besorgt. Das rührt her von einer Tragödie, die vor einiger Zeit geschah. Eines Tages machte die Mopo, eine Hamburger Boulevardzeitung, mit der Story ganz groß auf: Ein Transvestit aus der Schmuckstraße, Brasilianer, sei Opfer eines Mordanschlags geworden, Täter flüchtig. Als ich am folgenden Morgen durchfuhr, fehlte in der Tat eine aus der üblichen Besetzung. Und zwar jene, die ich für mich „Condoleezza“ genannt hatte, denn sie ähnelte der heutigen US-Außenministerin auf verblüffende Weise.  

Täglich hielt ich Ausschau, wochenlang, doch sie war nie zu sehen, und ich war mir sicher: Unzweifelhaft musste sie, Condoleezza, dem Mörder zum Opfer gefallen sein. Ein trauriger Gedanke. Doch dann eines Morgens, wie aus dem Nichts, wie auferstanden von den Toten: Condoleezza! Sie stand an üblicher Stelle, am Seiteneingang der Großen Freiheit 36, als wäre nichts gewesen - und es war großartig! Beinah wäre ich abgestiegen und hätte ihr meine Freude offenbart. Aber das hätte sie vielleicht falsch verstanden.  

Also radelte ich an ihr vorbei und hatte einen äußerst beschwingten Arbeitstag. Seither bedeutet der Anblick Condoleezzas stets ein kleines Stück Glück. Seit drei Tagen allerdings sehe ich gar keine Transen mehr in der Schmuckstraße. Auch Condoleezza nicht. Ich bin besorgt.

 

11 Oktober 2005

Die Jukebox

Ja, es war ein Jugendtraum: eine eigene Jukebox, zu Hause, ganz für mich allein, mit meinen Lieblingssingles.

Dazu braucht man aber nicht nur einen Batzen übriges Geld und eine verständnislos-tolerante Lebensgefährtin, sondern auch die entsprechende Wohnung.


Die in St. Pauli hatte das richtige Format, endlich. Und schon kurz nach unserem Einzug ging ich Kleinanzeigen durch, telefonierte mit Inserenten, zockelte nach Wandsbek und Winterhude, nach Barmbek und Eimsbüttel – und schließlich nach Stillhorn, wo sie stand: meine Musikbox. Eine echte Wurlitzer.

Keine aus den Fünfzigern, die sind unbezahlbar, aber die späten Siebziger sind ein guter Kompromiss – vor allem, wenn die Lichtspiele der Box so hübsch kitschigbunt psychedelisch verspiegelt sind, dass es kaum stört, dem Plattenteller nicht beim Rotieren zusehen zu können.

Der Privatverkäufer, Cheffe einer vielköpfigen Sintifamilie, erbot sich, mit Hilfe diverser kräftiger Söhne den vier Zentner schweren Apparat nach Hamburg zu fahren, was ich gerne annahm
.

So geschah es. In St. Pauli luden sie den Trumm vom Transporter, stellten ihn ächzend auf dem Bürgersteig ab – und fuhren zu meiner Überraschung davon, wenngleich nicht grußlos. Da stand ich also nun, 80 plus 220 Kilo, ratlos. Ein paar herbeitelefonierte Freunde versuchten, mit mir das Ding in den zweiten Stock zu hieven, doch wir schafften nur eine einzige Treppenstufe. Und es drohte die Dunkelheit St. Paulis, wenn ihr wisst, was ich meine.


Mir blieb nichts anderes übrig, als – quasi über ein Notdiensttelefon – eine Spedition herbeizuflehen. Zwei Gorillas, ausgerüstet mit Tragegurten und einer an tausend Klavieren geschulten Grundgrimmigkeit, wuchteten die Wurlitzer hoch in den Flur.


Hat schon mal jemand einen Schlüsseldienst gerufen, weil er sich ausgesperrt hatte? Nun, die Kosten sind vergleichbar. Am Ende zahlte ich für sieben Meter Luftlinie rund ein Siebtel des Preises der Box.
Immerhin weiß ich jetzt ziemlich genau, was ein Jugendtraum wert ist.

Details auf Anfrage.


10 Oktober 2005

Der Obdachlose

Vor einiger Zeit ging ich an einem Verkäufer des Obdachlosenmagazins Hinz & Kunzt vorbei, es war vor der unteren Rolltreppe in der S-Bahnstation Reeperbahn. Plötzlich rief er mir vorbereitungslos zu mit geweiteten Augen: „Es hat geklappt mit der Wohnung!“

Ich wusste trocken und spontan mit einem „Herzlichen Glückwunsch!“ zu parieren. Und während ich lächelnd weiter mein Fahrrad Richtung Ausgang schob, rief er mir nach: „Und am 24. Dezember habe ich eine Frau!“


In diesem Augenblick schien jener sagenhafte Herzog'sche Ruck durchs Land zu gehen, die Rezession wurde schlagartig egal, alle Gläser waren dreiviertelvoll. Dieser Mann stand da und war glücklich. Der Optimismus hatte menschliche Gestalt angenommen.
Aber verdammt: Warum bin ich nicht umgekehrt, habe ihm die Hand geschüttelt und fünfzehn Hinz & Kunzt abgekauft? Verdammt!

Nun, es war eh nicht wahr, das alles. Er stand beim nächsten Mal wieder da und beim übernächsten Mal immer noch, und drei Wochen später auch. Keine Wohnung, keine Frau, nicht mal mehr ein Hinz & Kunzt.


Heute, als ich mit dem Schwaben, Kramer, C. und dem Franken nach der Arbeit vorm Aurel in Ottensen saß (im Oktober! In Südschweden! Es lebe der Treibhauseffekt!) und ein Feierabendbier trank, da kam eine schneidezahnlose Obdachlose vorbei, und ich kaufte ihr ein Hinz & Kunzt ab.


Die Entscheidung hatte irgendetwas mit dem Typen in der S-Bahnstation Reeperbahn zu tun. Ich weiß nur nicht genau was.

09 Oktober 2005

Die armen alten Meister

Vivaldi wirkt offenbar auf Junkies wie Merz auf Merkel: abschreckend. Das zumindest soll der Grund sein, weshalb der Betreiber der Hamburger U-Bahn jedes Wochenende die Station St. Pauli mit lieblichen Klängen beschallt. Heute empfing uns „Für Elise“, letztens waren es die „Vier Jahreszeiten“. Davor die „Vier Jahreszeiten“ und auch mal „Für Elise“. Gern auch umgekehrt.

Und in der Tat, es scheint zu wirken: Auch heute waren weder Junkies noch Bettler zu sehen. Nur Touristen und phlegmatische Einheimische. Ich habe natürlich nichts gegen Beethoven oder Vivaldi, aber jeden Sonntag mit den abgedroschensten Gassenhauern des Klassikkanons geplagt zu werden, schreckt auch mich ein wenig ab – und ich bin kein Junkie. Warum also, lieber HVV, nicht auch mal Schostakowitsch oder Stockhausen? Meinetwegen auch Orff. Oder Satie?

Die entscheidende Frage bleibt aber auch mit dieser Auswahl unbeantwortet: Warum überhaupt scheuen Junkies klassische Klänge wie ein Wal die Wüste? Und wer hat das überhaupt herausgefunden? Wurden die Junkies etwa aufgefordert („Liebe Junkies, …“), auf einer Auswahlliste anzukreuzen, was sie schlimmer fänden, Motörhead oder Mozart?

Jedenfalls hätten es sich die Klassiker der Klassik wohl niemals träumen lassen, dass ihre größten und erfolgreichsten Stücke dereinst mal auf die Funktion einer Vogelscheuche reduziert werden würden. Hamburg hat das hingekriegt – Glückwunsch.

08 Oktober 2005

Das Alte Land

Ein Ausflug zu dritt ins Alte Land, ein gigantisches Obstanbaugebiet südlich von Hamburg. Mit dem Katamaran braust man in einer kurzen Stunde flussabwärts hin, das Wasser der Elbe ist überhaucht von gleißendem Gekräusel. Wir suchen in der Nähe von Jork einen bestimmten Obsthof, wagen mitten in höchst ländlichem Ambiente eine „Abkürzung“ und verirren uns lustvoll ein wenig in den Apfelplantagen - was uns einen guten Grund liefert, rechts und links klitzekleine (genauer gesagt: apfelgroße) Mundraube zu begehen.

So gestärkt erreichen wir den Hof, wo man uns gleich mit Tüten ausstattet und erneut - diesmal ganz legal - in die Äpfel schickt. Mit entsprechenden Folgen, wie das Foto zeigt (links der Autor, rechts der Franke).

Auf der Rückfahrt per S-Bahn kommen wir durch den Bahnhof Harburg, und ich sehe plötzlich vor mir einen Sommertag im Jahr 2001, ich sehe, wie Mohammed Atta hier einsteigt, wie er sich einen Platz sucht in irgendeiner Ecke, vielleicht auf einem unserer Sitze, wie er Wilhelmsburg und Hammerbrook an sich vorüberziehen sieht, zum letzten Mal, dann den Hauptbahnhof, und dann weiter nach Norden, wie er irgendwann umsteigt in den Bus oder ein Taxi, in Fuhlsbüttel abfliegt nach Amerika, zum letzten Mal, wie er später in Washington durch die Schleuse geht, wie er nach New York fliegt, zum letzten Mal …

Wir sind zurück, kämpfen uns durch den entgegenkommenden Strom der Reeperbahn-Touristen
mit kiloschweren Apfeltüten, und das sieht bestimmt skurril aus. Doch keiner schert sich drum, der Kiez ist eh eine einzige Freakshow.

Und heute gehören wir eben auch mal dazu, ein bisschen wenigstens.

07 Oktober 2005

Die Kiezpolizisten

Vorm Bahnhof Altona fuhr heute ein Streifenwagen beinah einen Fahrradfahrer um - in einer Fußgängerzone! Die rechtlichen Probleme möchte ich mir gar nicht ausmalen. Aber es ist ja nichts passiert.

Genauso wie damals, als ich zwischen Schmuckstraße und Simon-von-Utrecht-Straße entlang radle und in einiger Entfernung vor mir zwei Polizisten sehe, die derart breit nebeneinander herschlendern, dass an ein Vorbeifahren nicht zu denken ist. Also klingle ich vorsorglich. Keine Reaktion. Fünf Meter hinter ihnen klingle ich erneut, diesmal deutlich schärfer im Ton. Und siehe da: eine Reaktion! Ohne den Weg freizumachen, dreht sich einer der beiden um und sagt: „Das hier ist kein Radweg.“

Autsch ... Stimmt. Jetzt wo er's sagt. Ein Fußweg. Und ich versuche, Kiezpolizisten da runterzuklingeln, die härtesten der harten! Mein fieberhaftes Grübeln um Schadensbegrenzung mündet in der beschämend lahmen Frage: „Aber wo denn dann?“ Die beiden stehen da, cool, lässig, mit leicht zurückgelehnten Köpfen und der ganzen Präsenz nicht nur des Gesetzes, sondern auch des moralischen Rechts, was ja beileibe nicht immer das Gleiche ist. „Hier gibt's keinen“, sagt der eine. „Da ist die Straße.“

Ich habe dann das Rad bis zur Ampel an der Großen Freiheit geschoben. Seither peile ich aufmerksamst die Lage vor mir, wenn ich zwischen Schmuckstraße und Simon-von-Utrecht-Straße entlang radle. Man weiß ja, was sie mit Wiederholungstätern machen.

06 Oktober 2005

Der Moskito

Hunderttausende Autos, Lkws und Busse sorgen in unermüdlichem Einsatz rund um die Uhr dafür, dass die Luft in Hamburg und speziell in St. Pauli für Insekten möglichst unangenehm ist. Das ist ein sehr positiver Aspekt: Man wird selten gestochen. Damals, nach der Oderflut, waren aber auch die Kfz-Armeen machtlos. Es war der Herbst, in dem wir uns geschlagen und entnervt ein Moskitonetz kauften.

Ein Moskitonetz. Mitten auf St. Pauli. Knapp südlich des Polarkreises. Seither ahnen wir, wie schlimm die Oderflut wirklich gewesen sein muss. Das Netz war die einzige Rettung. Doch wir haben es praktisch nur eine Saison gebraucht. Danach übernahm die Firewall des Individualverkehrs wieder das Kommando.

Bis gestern Nacht. Ein Sirren am Ohr. Und plötzlich ist es wieder wie damals, nach der Oderflut
: Ich checke die schwarzen Flecke an Wänden und Decken. Ich suche nach jener Schwärze, die einen Schatten wirft. Denn was Schatten wirft, ist ein Moskito, der lebt. Und er muß sterben. Er will das nicht und hat Strategien entwickelt, um meinen Nachstellungen zu entgehen. Er meidet zum Beispiel weiße Flächen. Stattdessen bevorzugt er Klecksmustertapeten und kackbraune Schrankwände.

Nach Darwins Evolutionslehre müssten also irgendwann jene Moskitos aussterben, die sich auf weißen Flächen in Kopfhöhe niederlassen. Dort erwische ich sie nämlich babyleicht, und sie können ihre Gene nicht weitergeben – und somit auch nicht ihre Vorliebe, sich auf weißen Flächen in Kopfhöhe niederzulassen.
Nachteil: Übrig blieben Mega-Moskitos, die dunkle Ecken direkt unter der Decke bevorzugen, welche nach unten von meterbreiten Schränken abgesichert sind. Soll ich also die Weißflächen-Moskitos nicht erschlagen, damit sie ihre Dummheit brav weitervererben und ich ihre Nachkommen leichter erwische? Auch keine Lösung.

Gestern Nacht jedenfalls war wieder mal einer da, Produkt des feuchten Sommers und goldenen Herbstes in der Stadt. Ich suchte nach bewährter Manier, bewaffnet mit der in vielen Schlachten erprobten gefalteten Zeitschrift (eine Ausgabe von September 1998). Nichts. Erst als das Licht aus war, kam es wieder, dieses Sirren. Es handelte sich offenbar um einen Mega-Moskito: unentdeckbar im Hellen, blutrünstig in der Schwärze der Nacht. Doch gestern half mir der Zufall: Bei einigen panischen Ohrfeigen, die ich mir selber im Dunkeln verpasste, muss ich ihn erwischt haben. Obwohl die Leiche nie gefunden wurde.

Jetzt bin ich alarmiert. Zum Glück weiß ich noch, wo das Moskitonetz liegt.

05 Oktober 2005

Die Kühlschrankstemmer

In der Seilerstraße gibt es haufenweise sogenannte Import/Export-Läden. Draußen stehen meist ein paar Kisten mit traurigen LPs herum (James Last: „Jetzt geht die Party richtig los!"), drinnen sind diese Geschäfte stets voll bis unters Dach mit Unterhaltungselektronik knapp diesseits des Schrottzustands – plus einem bis zwei meist schnauzbärtiger Herren, die in dem Sekundenbruchteil, wenn du die Tür öffnest, tiefer in dein Innerstes schauen als jeder freudianisch ausgebildete Psychoanalytiker.

Sie wissen genau, wie sehr du dir wünschst, den mitgebrachten Videorekorder wirklich loszuwerden, auch wenn du so tust, als blute dir das Herz vor Trennungsschmerz. Mich hat mal einer bei einem durchaus passablen Gerät (ich glaube von Philips, Neupreis einst rund 1000 Mark) auf 5 Euro runtergehandelt. Eine Niederlage, die ich noch immer nicht verdaut habe.


Frappierend sind die kontrastreichen Nachbarschaften. Da gibt es diese Videothek für Schwule (Foto), deren Hauptattraktion die allmonatliche „FKK-Party – Das Original!“
ist, was immer sie darunter verstehen. Und direkt daneben ein Import/Export-Laden, der sich auf Haushaltsgeräte spezialisiert hat und tagein-, tagaus seilerstraßenverengend von Transportern und Klein-Lkws umlagert wird, die unablässig Kühlschränke, Trockner und Waschmaschinen aufnehmen und ausspucken. Eine ganze Armada hemdsärmeliger, schnauzbärtiger Herren mit Kippen in den Mundwinkeln ächzt und wuchtet sie Stund' um Stund' rein und raus und raus und rein.

Das alles erinnert beim täglich zweifachen Vorbeiradeln an den ätzenden (und dazu untertariflich bezahlten) Job von Sisyphos. Und was denken die fatalistischen Kühlschrankstemmer wohl über die allmonatlichen Besucher der „FKK-Party – Das Original!"? Kennt man sich, grüßt man sich? Oder bleiben das unversöhnliche Parallelwelten? Ich werde das mal recherchieren.

Wenn ich mich traue.

04 Oktober 2005

Das Hotel

In der Clemens-Schulz-Straße, gar nicht weit weg von Renates Käse-und Weinladen, steht das schmuddeligste Haus weit und breit. Obgleich in seinem faden, funktionalen Grau deutlich sichtbar ein Nachkriegsbau, war es offenbar nie ein Heim, das sich liebevoller Hege und Pflege erfreuen durfte.

Längst haben Grafitti-Sprayer mit St.-Pauli-typischer Gesinnung („Nazis raus!“) das Kommando übernommen, was irgendwem – wer immer sich auch Eigentümer nennen darf – offenbar so was von wurst ist.


Doch das alles wäre kaum der Rede wert in Hamburgs ärmstem Stadtteil, wenn nicht eine armselige, als Türdach stoisch aus der Wand sprießende Außenwerbung diesen Trauerkloß von Haus als Hotel ausweisen würde. Als HOTEL!

Samt „Einzel & Doppelzimmer" mit „fließend warm & kalt Wasser“, worüber zwei gleichfalls von Grafitti und allgemeiner Lieblosigkeit schwer ramponierte Schilder hoffnungslos informieren.


Aber der dickste Klopfer ist der Name der Absteige: „Hotel HOHENZOLLERN“. Kann es einen schonungsloseren Kommentar zum Zustand des deutschen Adels geben?

Allenfalls die Frisur von Ernst-August von Hannover.

03 Oktober 2005

Der Schuh

Wenn ein verlängertes Wochenende ansteht, macht das Tollhaus Kiez Überstunden. Wie heute früh, am blutjungen Tag der Deutschen Einheit. Auf der Straße lange nach Mitternacht plötzlich Geschrei, von einer sehr hellen, sehr besoffenen Stimme. Wieder mal Straßenkino, denke ich, und betrete gemessenen Schritts den Balkon. Eine sehr blonde Frau brüllt auf der anderen Straßenseite einen sehr stummen Mann an; er wirkt wie ein melancholischer Türsteher.

Sie zetert, zieht ihren rechten Schuh aus, pfeffert ihn weg, ihm vor die Füße. Man versteht kein Wort. Sie verstummt kurz, um sich zwecks oraler Erleichterung ganz anderer Art über die Baustellenabsperrung zu beugen, nimmt den Faden aber gleich danach wieder auf - und den Schuh natürlich, den sie erneut wirft, diesmal nach ihm. Er will den Rückzug antreten, sie humpelt hinterher, obgleich ihre Standfestigkeit an die eines Kreisels erinnert, der stark an Schwung verloren hat.

Sie kriegt ihn zu fassen, krallt nach seiner Jacke, zieht sie ihm dabei schreiend halb aus. Er immer noch stumm, nicht aber die beiden Hilfspolizisten, die eigentlich die Falschparker-Armada abzetteln wollten und jetzt alarmiert herbeieilen. Ihr schwant Unheil, ihr vernebeltes Ich trifft im Prinzip die richtige Entscheidung: Flucht. Allerdings gerät die ihr taumelnd, schier kreisförmig. Ihr Erzürner dackelt nebenher, die Polizisten holen sie ein, ein paar Ermahnungen, dann lassen sie die beiden wieder allein.

Und sofort geht's weiter. Sie schreit, wirft schon wieder den Schuh, verschwindet im Eingang der Spielhalle gegenüber. Die Polizisten kommen zurück, verhandeln mit dem ratlosen Tropf - und entscheiden, einen Streifenwagen herzufunken. Fünf Minuten später ist der da, zwei Beamte holen die Frau aus der Spielhalle und verfrachten sie ins Auto. Das letzte, was ich höre, ist die sehr laute Stimme eines Polizisten aus dem Streifenwagen: „Ziehen Sie endlich ihren Schuh wieder an!"

Ihr Begleiter trollt sich. Wie das Paar sich wieder zusammenraufen will, ist mir schleierhaft. Er hat sie ja quasi der Polizei ausgeliefert. Eigentlich ein Grund, mit mehr zu werfen als nur einem Schuh.

02 Oktober 2005

Die Warnung

Wenn ich sonntagsmorgens zum Brötchenholen durchs Viertel radle, schaue ich nicht in die Ferne, auf die nächste Kreuzung oder den entgegenkommenden Verkehr. Nein, mein Blick klebt am Asphalt.

Nach dem ortsüblichen Fieber der Samstagnacht nämlich sind die Straßen erschöpft und wie erschlagen, und obwohl die Besenwagen schon seit Sonnenaufgang durch St. Pauli kriechen, sind noch überall die Spuren der Ekstase und Ernüchterung zu sehen.


Vor allem die kunterbunte Vielfalt der Scherben zwingt Radfahrer zum starren Blick aufs Terrain unmittelbar vorm Vorderrad. Ich fahre Slalom die Seilerstraße hinunter, biege rechts ab in die Hein-Hoyer-Straße, überquere die Simon-von-Utrecht- und Clemens-Schulz-Straße, hole mir dank akrobatischer Fahrkünste KEINEN Platten und parke vor der Konditorei Rönnfeld.

Der kleine Familienladen trotzt wacker den Attacken von Ketten wie Kamps & Co. und ist sonntags erste Wahl. Dann nämlich steht die alte Frau Rönnfeld höchstselbst im Laden; sie geht auf die 80 zu, ist auf ansteckende Weise kreuzfidel, begrüßt einen mit Namen und hat die üblichen vier Sesambrötchen schon griffbereit zurückgelegt.

Heute lobt sie völlig zurecht das Wetter, das uns nachmittags in den Park Planten & Blomen treibt. Mit seinen Wasserspielen, Waldpfaden und vergnügten Enten macht er fast vergessen, dass wir mitten in einer Millionenstadt leben. Und seine Schilder warnen saisonal unabhängig vor Gefahren – zum Beispiel vor gefährlich dünnen Eisdecken (Foto).

Heute, an diesem glorios sonnigen Oktobertag, wollen wir von so was aber rein gar nichts wissen.

Der Leierkasten

Auf N3 lief gestern eine Doku über St. Pauli, und es ist immer wieder schön, den Kiez im Fernsehen thematisiert zu sehen - vor allem deshalb, weil ja alle Klischees, die so kursieren, auch wirklich mehr oder weniger wahr sind. Sogar, dass hinterm Amüsement die Tragödie hockt, im Halbdunkel.

Über einen fidel aussehenden Typen Marke Althippie, der mir manchmal beim Einkaufen über den Wegt rollt (er sitzt im Rollstuhl und nennt sich Murmel), erzählt mir N3, dass er im Sterbehospiz in der Nachbarstraße lebt und sich sehr darauf freut, bald im Himmel putzen zu können. Er hätte es da oben nämlich gern blitzeblank, wenn Chuck Berry eintrudelt; der Rock'n'Roller ist sein großer Held. Und auch für B. B. King würde er gern die Wolken wienern.

In diesem Film kommt auch die 87-jährige Friede vor, die jahrzehntelang im „Lockenpuff" gearbeitet hat. „Lockenpuff"? Damit meint sie ihren Frisiersalon. In St. Pauli hat eben fast alles mit Sex zu tun. Und der hat - bei aller Schmuddeligkeit - auch seine Ästhetik. Ein Bordell in der Nacht, dessen Leuchtreklame sich in den Dächern der Autos heimelig spiegelt: Das hat was.

Gilt auch für die Lasterhöhle Leierkasten in der Kastanienallee.


01 Oktober 2005

Die Frau auf dem Bürgersteig

Auf dem Weg ins Konzert. Vorm East-Hotel liegt eine junge Frau auf dem Trottoir, umringt von zwei Männern und einer weiteren Frau. Ich steige vom Rad und frage, ob ich helfen kann.

„Nein, alles klar“, sagt einer der Männer, „sie hat sich nur übergeben und ist dann umgefallen. Sie raucht schon wieder.“ Und in der Tat: Das tut sie. Sie liegt langgestreckt und bewegungslos auf den herbstkalten Platten des Bürgersteigs, sie trägt nabelfrei eine goldfarbene Discolackweste – und zieht an der Zigarette, die ihr fürsorglich in den Mund gesteckt wird.

Ob ich nicht lieber einen Arzt rufen soll? Nein, nein, alles klar, alles im Griff.

So radle ich weiter, umfahre ein paar Meter weiter mit letzter Not den strahlenförmig ausgebreiteten Inhalt ihres Magens und erreiche wenig später das Knust, einen zum Kuscheln netten Club im Schanzenviertel, der den großen Vorteil hat, zur Hälfte aus Konzertsaal und zur anderen Hälfte aus Tresen zu bestehen. So lässt es sich leben.

Es spielt Ex-Pulp-Gitarrist Richard Hawley (Foto, mit Heiligenschein) vor lachhaft wenigen Zuschauern (wovon rund ein Drittel der gleichen Spezies wie ich angehören, nämlich jener der Musikjournalisten), doch er schwelgt selbstvergessen im eigenen Oeuvre; es ist, als windsurften wir auf einem Meer aus Paradiescreme. Auf dem Rückweg komme ich wieder am East-Hotel vorbei. Das Quartett ist längst weitergezogen, sogar die Kotze ist schon trocken.

Das Wochenende auf dem Kiez: Es kann losgehen.


30 September 2005

Das Fitnessstudio

Nur drei U-Bahn-Stationen von St. Pauli entfernt: unser Fitnessstudio. Zwei- bis dreimal die Woche wird hier geschwitzt, unter Dauerbeschallung.

Mittags gibt es schon mal Indierock, aber abends wird's oft gruselig. Eurodisco, Blümchentechno, abgedroschenster R’n’B - und zwar so laut, dass du dir die iPod-Ohrstöpsel derart tief in die Muscheln drücken musst, dass sie sich in der Mitte treffen.

Trotzdem herrscht in deinem Kopf die blanke Kakophonie aus Britney Spears und Tim Buckley. Immerhin fördert das die Aggression, was an manchen Geräten von Nutzen ist
.

Am schönsten ist es in der Umkleidekabine. Sie ist groß, die Bänke und Schränke sind aus Holz, es dominieren Erd- und Rottöne. Und es herrscht weitgehend Stille. Ein Refugium. An der Wand neben der Tür zu den Duschen steht eine altertümliche Waage, die man manuell ausbalancieren muss.

Wie sie so träumt vor der weinrot getünchten Wand, strahlt sie etwas Unvergängliches aus. Ein Relikt aus einer anderen Zeit, ein Solitär. Und sie verkörpert in ihrem ewigen duldsamen Dastehen für mich die Stille mitten in der Stadt.

Die Koberer

Das Völkchen der Koberer auf der Reeperbahn ist ein ganz besonderes. Wenn das Stichwort „Altherrenwitz“ fällt, denkt man an diese Typen.

Es handelt sich meist um deutlich aus den Fugen gegangene Männer jenseits der 55, die aussehen, als wären sie in einem früheren Leben Heizungsmonteur oder Kneipenwirt gewesen. Jetzt, nach Insolvenz, Scheidung o. ä. fristen sie ihr Leben damit, Passanten mit derben Sprüchen in die Amüsierbars zu locken, wo die Opfer mindestens 12 Euro bezahlen müssen für einen Kurzen plus Bier – vor allem aber für die Verheißung nackten Fleisches.


Auch bei den Koberern gibt es Genies und Dilettanten. Einer in der Davidstraße kam uns mal mit der grandios überzeugenden Lockprognose: „Hier könnt ihr gar nicht so schnell wichsen, wie die sich ausziehen!“ Gestern Abend aber, als ich auf dem Heimweg von der Verlagsparty vorüberschlurfe (übrigens exakt auf der Reeperbahn nachts um halb eins ...), sind die Koberer wie ausgelaugt.

Einer versucht es mit einem müden „Kommste mit, hastes hinter dir“, und gleich zwei sind bereits jeder verbalen Artikulationsfähigkeit beraubt. Sie stellen sich mir plump in den Weg, diese schmerbäuchigen schnurrbärtigen Vierschröter, und zeigen schlicht rhythmisch per Daumen auf den Eingang ihrer Stripteasebar.

So nicht, meine Herren! Ergo schlurfe ich vorüber.

29 September 2005

Das Fahrrad

Hier steht es noch friedlich am Laternenmast vorm Haus, mein Fahrrad. Eben fotografiert, vor einer Viertelstunde.

Ich habe dieses Rad schon seit über einem Jahr, und das ist eine gute Zeitspanne in Hamburg. Die letzten zwei Räder wurden mir nämlich früher geklaut. Nicht, dass ich keine Sicherungsvorkehrungen treffen würde. Bügelschloss oder plastikummantelte Kette sind Pflicht. Zumindest in den Augen der Versicherung, Diebe schütteln wahrscheinlich beleidigt den Kopf, wenn sie die Dinger sehen.

Was eine Fahrradversicherung angeht, so habe ich aber eh keine: zu teuer. Seit zwei Rädern verfolge ich dafür die Flohmarkttaktik. Auf irgendeinem der wöchentlich rund 20 Märkte kriegt man immer eins, das noch halbwegs was hermacht und unter 100 Euro kostet. Wenn man’s schafft, es sich zwei Jahre lang nicht klauen zu lasssen, hat man auf jeden Fall die Versicherung gespart. Mir fehlen nur noch ein paar Monate.

Neulich hatte ich übrigens die Schnapsidee, mir eine batteriebetriebene Vorderlampe zu montieren. Sie war genau zwei Tage am Rad, dann fand sie jemand zum Abmontieren süß.

Aber sie ist ja nicht weg, sie hat nur ein anderer.

Die Weltbühne

Schalke spielt gegen Mailand, Krasniqi will Schmelings Nachfolger werden, und was mache ich? Gehe ins Konzert. Ort: die Weltbühne, ein trotz des Namens winziger Club an der Reeperbahn Ecke Holstenstraße.

Er ist untergebracht in einem alten Kaufhaus, das bald abgerissen werden soll. Jeder Besuch dort hat deshalb etwas Morbides. Um in den ersten Stock zu kommen, muss man eine stillgelegte Rolltreppe hochgehen (Foto), was komischerweise anstrengender zu sein scheint als bei einer normalen Treppe.

Es spielt Laura Veirs aus Seattle, wo Kurt Cobain und Jimi Hendrix begraben liegen und es noch mehr regnen soll als in Hamburg; wegen ihr verzichte ich auf Schalke und Krasniqi, und das liegt an ihren wunderbaren Songs, die mit einer Schicht karamelisierter Melancholie überzogen sind. Im Konzert ist alles flotter, optimistischer, sie hat eine Rose direkt auf dem linken Bizeps tätowiert, und wenn sie auf der Akustikgitarre länger soliert, stellt sie ihre rechte Fußspitze auf den linken Spann, und das mit Birkenstocksandalen.

Das weiß ich alles, weil ich in der ersten Reihe stehe, was ich meistens nicht anstrebe, aber bei manchen Künstlern schon. Das Bier in der Weltbühne kostet übrigens nur zwei Euro; ein Ausverkaufspreis - das Ende des Clubs ist nah, vielleicht liegt es daran.

27 September 2005

Die Liebe

Mein Freund Andreas ist nicht nur ebenfalls zugezogener St. Paulianer, sondern auch FC-St.Pauli-Dauerkartenbesitzer und der profundeste Beatles-Fachmann, den ich kenne.

Wenn man mit ihm durchs Viertel läuft, wird er irgendwann auf ein Hotel zeigen und erzählen, dass John, Paul, George und Ringo bei ihrem dritten Hamburg-Engagement dort untergekommen waren (beim ersten hatte es nicht für ein Hotel gereicht; sie pennten in der Garderobe des Kaiserkellers oder bei Astrid Kirchherr, die mit ihren Beatles-Fotos weltberühmt wurde).

Überhaupt ist Andreas ein außergewöhnlich glühender Verehrer guter Musik, und seine Plattensammlung ist dazu geeignet, einem Tränen der Begeisterung in die Augen zu treiben. Alles Vinyl natürlich.

Ausgerechnet für Andreas ging letztes Jahr ein Traum in Erfüllung, den viele glühende Verehrer guter Musik träumen, darunter auch mein Kollege Karsten, wie der mir unlängst gestand. Nach einem Konzert der amerikanischen Singer/Songwriterin
Tish Hinojosa nämlich kam er mit der Künstlerin ins Gespräch, ins Trinken, ins Fachsimpeln - und heute sind die beiden ein Paar. So etwas gibt es wirklich!

Jetzt pendelt Tish (hier zu sehen, wie sie auf Andreas' Geburtstagsparty ein Ständchen für uns alle spielt) zwischen Austin und St. Pauli hin und her - und ihre Kiezaufenthalte werden immer länger ...

Ihre Platten kann man übrigens bei Amazon kaufen. Und das solltet ihr auch tun, damit Tish sich die Hin- und Rückflüge leichter leisten kann, okay ...?

Die Huren

Eine Gegend wie diese erfordert besondere soziale Strategien. Wenn man abends nach 20 Uhr ohne Frauenbegleitung die Reeperbahn am Hamburger Berg in südliche Richtung überquert, begegnet man einer beeindruckenden Phalanx Prostituierter, die alle bestens in Schuss sind. Nicht so wie die elenden Junkies vom Steindamm.

Hier an der Davidstraße, nur eine Straßenbreite entfernt von den Kiezpolizisten der Davidwache (Foto), stehen lauter Million Dollar Babies.

Es ist nicht leicht, ihnen zu entkommen. Höfliche Kiezdebütanten, die keinerlei Interesse haben, lassen sich meist unvorsichtigerweise auf Diskussionen ein, suchen Begründungen, wehren die Avancen verbal ab. Sie wissen halt nicht, dass eine hartgesottene Kiezhure jede Ausflucht schon mal gehört hat - und sie hat immer das letzte Wort.

Ein typischer Dialog, leicht komprimiert. Frau: „Kommste mal mit?“ Mann: „Geht nicht, ich bin verheiratet!“. Frau: „Das kriegt die doch nicht mit.“ Mann: „Ich habe außerdem gar kein Geld dabei.“ Frau: „Na und? Ich begleite dich zum Geldautomaten, da drüben an der Ecke.“ Mann: „Ehrlich gesagt, ich bin gar nicht verheiratet, ich bin schwul.“ Antwort: „Macht nichts, ich dreh dich um!“ Und so weiter. Auf jedes Argumenttöpfchen haben diese Profis ein Deckelchen, geschmiedet in tausend harten Nächten auf der Straße.

Deshalb hier ein Tipp für Novizen, die von Bordsteinschwalben attackiert werden: einfach elegant und unbeirrbar ausweichen (sie stellen sich dir nämlich in den Weg, halten dich fest, kommen dir sehr nah; deshalb brauchst du einen klaren Kurs), respektvoll stumm und schmerzlich lächeln (denn sie tun tapfer einen grässlichen Job und haben einst ganz andere Ziele gehabt im Leben, aber es hätte noch übler kommen können – siehe Steindamm); und weitergehen, immer weitergehen.

Die einfachste Lösung ist allerdings die: Sorg für eine Begleiterin am Arm. Damit bist du für die Huren schlicht nicht mehr existent. Ein Freund dagegen verdoppelt das Problem nicht er vervierfacht es.



Update: Hier eine Fortsetzung – inklusive der finalen Lösung für das Problem!



26 September 2005

Das Auto (1)

Wenn man in der Stadt lebt und arbeitet, ist ein Auto Quatsch. Verschärft gilt das für St. Pauli. Es gibt wenig Parkplätze. Und wenn einer frei ist, gibt es bestimmt eine Einschränkung, die man garantiert übersieht, was einem ein Knöllchen einbringt. In der Seilerstraße existieren sogenannte Anwohnerparkplätze, auf denen wir - legitimiert durch einen speziellen Ausweis - zwischen 18 Uhr abends und 6 Uhr morgens stehen dürften.

Zumindest in der Theorie. Denn diese Plätze sind in der Regel von Touristen- und Besucherautos illegal belegt. Wer es aus Buxtehude oder Pinneberg ins Amüsierviertel geschafft hat, dem ist es nicht sooo wichtig, ob ein St. Paulianer noch irgendwo parken kann. Außerdem findet auch ein Pinneberger in der Regel keinen Anwohnerparkplatz mehr frei vor, weil ein Buxtehuder ihn schon Stunden vorher okkupiert hat. Also parkt er im Halteverbot oder gleich auf dem Gehweg und wartet gottergeben aufs unvermeidliche Knöllchen.

Kurz: Für uns war der Betrieb eines Autos schlicht Nervkram. Der Wagen (ein Fiat Uno) hatte keinen besonderen Nutzen, aber Nachteile ohne Ende. Irgendwie waren wir fast erleichtert, als er uns eines Tages geklaut wurde. Er hatte direkt unter unserem Balkon gestanden, natürlich vollgetankt. Drei Wochen später tauchte er in Norderstedt wieder auf. Die Typen, die ihn geknackt hatten, schienen ihn nicht gerade geliebt zu haben, denn er taugte nur noch zum Verschrotten.

Schon in den Jahren zuvor hatte er einiges erdulden müssen: plattgestochene Reifen, zertrümmerte Seitenscheiben, zerkratzter Lack. Einmal schlug irgendwer das Fenster ein und packte den Inhalt des Handschuhfachs auf den Beifahrersitz, ohne was zu klauen. Schien so eine Art Warnung zu sein. Offenbar waren die Gäste der „Bar“ im Erdgeschoss (vgl. den gleichnamigen Eintrag) der Meinung, wir würden zu oft auf Parkplätzen stehen, die sie viel sinnvoller nutzen könnten. Doch wir blieben begriffsstutzig, auch noch viele kaputte Scheiben, Reifen und Lacksegmente später. Die liebevolle Behandlung unseres armen Uno hörte erst auf, als die „Bar“ der Großrazzia zum Opfer fiel.

Doch wenig später wurde der Wagen dann geklaut. Heute gehen wir mit dem Hackenporsche einkaufen und verfolgen die Entwicklung der Benzinpreise mit herzlichem Desinteresse.