Auch bei mir wurden schon einige Leute vorstellig, die mich empört, verärgert oder verängstigt um Korrektur, Löschung oder unzulässige Hintergrundinformationen ersuchten. Diese Woche war es wieder mal so weit. Aber der Reihe nach.
Erstmals hatte ich im Juni 2009 jemand wegen eines Blogeintrags auf der Matte stehen. Damals war ich zufällig Zeuge geworden, wie ein notgeiles Paar öffentlich rammelte, und zwar auf einem Autodach, das gegen diese ungewohnte Belastung mit einer Delle protestierte.
Das Beweisfoto des Vorgangs hatte ich aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes natürlich mit Augenbalken versehen. Der Wagenbesitzer hegte allerdings einen Verdacht, wer seinem Wagen aufs Dach gestiegen sein könnte, und erbat die Herausgabe des unverfälschten Fotos. War natürlich nicht drin, aber er war am Ende auch ohne meine Hilfe erfolgreich.
Der nächste Vorfall ereignete sich nur einen Monat später. Unter unserem Balkon fand ein Polizeieinsatz mit gezückten Waffen, Gebrüll, Geschrei und überhaupt hohem Erregungspotenzial statt. Matt, der Kiezdokumentarist, zückte furchtlos die Kamera, filmte mit und bloggte darüber.
Zwar waren alle Beteiligten dank der 90-Grad-Aufsicht nur von oben oder hinten zu sehen, doch einer derjenigen, die sich auf Anweisung der Polizei in den Dreck der Seilerstraße zu werfen hatten, befürchtete erkannt zu werden und mailte mich an. Vor allem sein Arbeitgeber, glaubte er, könnte irritiert auf diese Aufnahmen reagieren. Nun, seinem Antrag wurde ex cathedra stattgegeben. Eine Steigerung der Arbeitslosigkeit in Deutschland liegt nicht im Interesse dieses Blogs.
Ein weiterer Fall trat im Oktober 2010 in mein Leben und war entschieden kurioser. Ich hatte im Eingang einer Kiezkneipe einen netten Hund mit St.-Pauli-Halstuch abgelichtet – und plötzlich sein Frauchen am Hals, welches ultimativ die Löschung dieses Fotos verlangte.
Ich erläuterte ihr die Rechtslage – Hunde haben, im Gegensatz zu Menschen, kein Recht am eigenen Bild – und verweigerte die Offlinestellung des Blogeintrags. Allerdings sicherte ich ihr zu, den Text sofort zu löschen, sofern der Hund persönlich mich darum bäte. Dies geschah bisher nicht, und deshalb ist das Foto immer noch online.
Danach war sieben Jahre lang Ruhe, bis letzte Woche. Ein Eintrag vom April 2006 (!), der sich auf ein Erlebnis von 1995 (!!!) bezog, stieß jemand sauer auf. Dieser Jemand sieht durch die Überschrift „Leblos in der Lincolnstraße“ seinen Geschäftserfolg gefährdet – und würde sich „wirklich sehr freuen, wenn du zumindest den Titel ändern könntest“, wäre aber noch glücklicher, wenn ich „den Artikel gänzlich entfernen“ würde, zumal er „wirklich krass und auch nicht mehr zeitgemäß“ sei. Wichtigstes Argument: ein angeblicher Panikanfall der Mutter bei Lektüre meines Textes.
Ich lehnte ab. Nicht mehr zeitgemäß, führte ich aus, sei ja praktisch alles, was in der Vergangenheit gesagt, getan oder geschrieben wurde. Sollte man all das deswegen nachträglich löschen? So wie den Negerkönig aus Pippi Langstrumpf?
Um ihr die Seltsamkeit ihres Anliegens zu verdeutlichen, machte ich die Person auf zugängliche Zeitungsarchive aufmerksam, in denen sich Artikel über die Bandenkriege auf dem Kiez, über die Pinzner-Morde etc. befänden, alle höchstwahrscheinlich geschäftsschädigend und schlecht für ein mütterliches Herz. Aber so war die Welt nun mal, schrieb ich, und so wird sie immer gewesen sein. Das gelte auch für die Lincolnstraße.
Daraufhin änderte sie ihre Argumentation. Die Überschrift gäbe einem „ein schlechtes und mulmiges Gefühl“ und sei zudem gar nicht wahr, schließlich sei die Frau, die als leblos in der Lincolnstraße beschrieben werde, ja gar nicht tot gewesen.
Ich lehnte erneut ab. Daraufhin wechselte die Person erneut die Argumentationsstrategie – und behauptete, eine Bank habe ihr unter Bezugnahme auf meinen Blogtext einen Geschäftskredit verweigert.
Wow, welch eine Ehre für einen Kiezblogger – die Hamburger Bankenwelt entscheidet auf Basis meiner Blogtexte über Gedeih und Verderb des hiesigen Einzelhandels!
Ich fühlte mich enorm geschmeichelt von der Erkenntnis meiner bisher ungeahnten Wichtigkeit, wies den Antrag aber nichtsdestrotz letztinstanzlich zurück. „Dann bleibt dieser superwichtige Artikel“, kam es hochverschnupft zurück, „eben da, wo er ist, kann man nichts machen.“
Und das entspricht voll und ganz der Wahrheit.