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22 Juli 2023

Einmal Nordsee und zurück (Teil 2)

Eine just zu Ende gegangene Schiffsreise von 3917 Kilometern Länge nach England, Schottland und Norwegen brachte uns einige Orte und Städte näher, die hier in Kurzrezensionen gewürdigt werden sollen. Ultrakurz, um genau zu sein, und bestürzend lückenhaft. Aber damit müssen Sie leben. Den ersten Teil gibt es hier.


6. Skjolden, Norwegen



An der Gegend um Skjolden – gelegen am Ende des Lustrafjords, eines Seitenarms des gewaltigen Sognefjords – ist alles, wirklich alles zauberhaft: die sattrote flatterhafte Skulptur vorm allumfassenden Grün der Umgebung, die 900 Jahre alte und weiterhin im sakralen Einsatz befindliche Holzkirche in Urnes, deren Originalbalken die gelungene Photosynthese fleißiger Bäume ab dem Jahr 1000 repräsentieren – und die Tatsache, dass man sich bei der Aussprache des Wortes Skjolden nicht die Zunge brechen muss, sondern einfach „Scholden“ sagen darf. Wermutstropfen, der einen Umzug dorthin weniger attraktiv macht: Der Notarzt muss per Helikopter einfliegen. 


7. Bergen, Norwegen

Kommt man in die regenreichste Stadt Norwegens, wenn nicht ganz Europas, so ist man vor jedweder Enttäuschung gefeit. Denn folgt die Stadt buchstäblich dem Gießkannenprinzip, dann macht sie halt einfach ihren Job. Und ist es sonnig, dann ist man hocherfreut. Als wir dort waren, machte Bergen halt einfach seinen Job. Im Viertelstundenrhythmus platschten geradezu aggressive Regentropfenverbände hernieder, sodass wir ein ums andere Mal von Hoteleingang zu Fischmarktbude sprangen, denn Menschen sind – wenn man es bis zum Ende fortdenkt – wasserlöslich. Also ging’s irgendwann entmutigt zurück aufs Schiff, von wo aus sich die Bergen-typische Schleusenöffnungstaktung weitaus kommoder verfolgen ließ.


8. Stavanger, Norwegen

Bunter als Stavanger ist höchstens die lgbtqia2s+-Bewegung. Dort – also in Stavanger, nicht bei der lgbtqia2s+-Bewegung – gibt es zudem den bestsortierten Nuss- und Trockenfruchtladen aller Zeiten sowie denen, die noch kommen, nämlich Nøtteblanderen in der Kirkegata 21. Sollte ich jemals einen Hausarrest mit Fußfessel antreten müssen, dann bitte ebenda, danke vorab. In Stavanger parkt unser Schiff übrigens in der Altstadt, aber das darf der Nabu nie erfahren, weshalb das strikt unter uns bleiben muss. 












9. Kristiansand, Norwegen


Die Stadt in Südnorwegen ist das Gegenteil von Bergen, nämlich die sonnenreichste Stadt des Landes. Sie brüstet sich gar mit dem Titel „Riviera des Nordens“, was ein wenig an die Beschönigungsskills von Aberdeen erinnert. Doch in der Tat: Ja, es schien die Sonne. Nur dies bewahrte uns angesichts der in Kristiansand aufgerufenen Preise vorm Stimmungstief. Beispiel: In einem Café wollte man für einen winzigen Brownie umgerechnet acht Euro fünfzig. Da sagt der Hamburger von Herzen nein danke. Aber von Herzen ja bitte zu den Wohnungspreisen. Hier bekommt man für rund 200.000 Euro ein solides Haus, während man sich dafür an der Elbe mit anderthalb Zimmern bescheiden müsste. Ohne Balkon.

Ansonsten war viel, viel Nordsee. Hier ein paar Belege.









 

10 Oktober 2017

Die gemütlichsten Ecken von Hamburg (124)


Ein goldener Oktober im Alten Land, nach einer Fährfahrt unterwegs per pedes aufm Deich zu einem Hoffest in Jork, wo Kürbissuppe, elstarsatte Bäume und Kartoffelpuffer mit Apfelmus auf die glücklich erschöpften Wanderer warten – was kann es Schönres geben?

Nun, das kann ich Ihnen sagen: nüscht!


01 Juli 2011

Pareidolie (7) oder Am Hang des Ahnungslosen



Die heutige Pareidolie steuert Ms. Columbos uralter Radiorekorder bei. Er scheint zu schielen, während er aufgeregt wirres Zahlenzeug daherplappert.

Diese Einleitung taugt zwar als Fortsetzung der zuletzt etwas vernachlässigten Pareidolieserie, ist aber gleichwohl nur ein billiger Trick, um zu kaschieren, dass ich keine adäquate Bebilderung für die Geschichte parat habe, die jetzt folgt.

Sie handelt von meinem Freund C. Er lebt in der Schwalm. Das Haus, in dem er das Erdgeschoss bewohnt, liegt an einem Hang. Darauf wachsen Bäume, und je mehr Blätter sie bekommen, desto schlechter wird sein Fernsehempfang.

Das ist ein schleichender Prozess. Jetzt, mitten im Sommer, hat C. überhaupt kein Bild mehr. Nur ein Flimmern wie im Film „Poltergeist“.

Irgendwann werden sich die Bätter am Hang vor seinem Haus wieder anfangen zu verfärben und schließlich abfallen. Nach und nach wird sich aus dem weißen Rauschen seines Bildschirms wieder etwas Erkennbares herauskristallisieren. Und dann, im Winter, kann er wieder Fernsehen gucken. Vielleicht sogar schon im Spätherbst. Aber das Programm soll ja in den kalten Jahreszeiten eh besser sein.

Mein Freund C. hat übrigens auch keinen Computer, kein Smartphone, kein Internet. Er wird dadurch niemals mit kryptischen Fehlermeldungen konfrontiert. Oder mit dunkel drohenden Sätzen wie diesen (sic), mit denen mich heute Amazon vor eine Entscheidung zu stellen versuchte:

„Sind Sie sicher? Wenn Sie fortfahren, werden alle Änderungen, die Sie vornehmen, nicht übernommen. Bitte drücken Sie 'OK' um Ihre Änderungen nicht zu übernehmen. Bitte klicken Sie auf 'Abbrechen" um Ihre Änderungen abzuspeichern.“
Ich stierte auf diesen Satz und las ihn mir viermal durch, ohne zu verstehen, was ich jetzt warum nicht oder doch tun sollte. Zumal ich nicht mal irgendeine Änderung vorgenommen hatte. Manchmal beneide ich Leute ohne Fernsehen und Internet.

Vielleicht ziehen wir irgendwann in die Schwalm. Und Ms. Columbos uralten Radiorekorder nehmen wir natürlich wieder mit. Wie immer.

24 Juni 2010

Fundstücke (86): Frivole Flora



Kieztypische Freizügigkeit hin oder her:
Manche Bäume sollten Hosen tragen, echt.

Entdeckt am Elbpark.

21 Januar 2010

Ihr habt es nicht anders gewollt



All ihr Haustür-, Autoreifen-, Zäune-, Bäume- und Büschebepinkler hier auf dem Kiez habt anscheinend noch immer nicht mitgekriegt, dass ihr euch die 40 Euro Bußgeld fürs öffentliche Ingangsetzen eurer eingebauten Sprinkleranlage auch ersparen könntet.

Nämlich durch – tataaaa! – das Benutzen einer öffentlichen Toilette.

Ja, so was gibt es, da staunt ihr. Zum Beispiel an der Reeperbahn gegenüber der Davidwache, an der Rückseite der Bratwurstinstitution Lukullus. Vorne auffüllen, hinten ablassen: ist doch eigentlich ganz simpel.

Durch schriftliche und – Analphabetismus ist unter euch ja gewiss weit verbreitet – auch grafisch-visuelle Hinweise versucht die Fassade euch diese simple Handlungsabfolge nahezubringen. Der heutige Blogeintrag soll die Botschaft nun weiter vertiefen und verankern. In eurem Interesse.

Denn ab sofort führe ich standardmäßig eine Heckenschere mit. Wenn ihr wisst, was ich meine.


01 April 2009

Der direkte Weg



Jährlich sterben 2,7 Millionen Bäume nur für den Werbemüll, der uns unverlangt in die Briefkästen gestopft wird. Das musste ich heute der Zeitschrift „Natur + Kosmos“ entnehmen.

Darob ausgesprochen nachdenklich ging ich zu den Containern an der Budapester Straße, wo ich leere Flaschen abgeben wollte. Zu meinem Entsetzen waren allerdings die Altglasbehälter verschwunden. Nur die für Papier standen noch da.

Zwei Männer holten gerade verschnürte Papierstapel aus einem Transporter und quetschten sie unter roher Gewalt in die bereits überquellenden Container. Ich schaute mir verstohlen die Stapel im Transporter näher an. Es waren Abertausende originalverpackter Werbeprospekte.

Die des umständlichen peu-à-peu-Ausfahrens wohl müden Männer waren allem Anschein nach auf den pfiffigen Gedanken gekommen, den Plunder der Einfachheit halber direkt ab Druckerei dem Recycling zuzuführen.

Eine rundum nachvollziehbare Verhaltensweise: Zwar sterben die 2,7 Millionen Bäume trotzdem, doch sowohl die mit dem Verteilen vergeblich betrauten Fahrer als auch wir, die täglich still fluchenden Briefkastenentmüller, sparen so in beträchtlichem Maße Arbeits- und Lebenszeit.

Am Ende dieses beifälligen Gedankens kehrte allerdings meine Verzweiflung über die fehlenden Glascontainer zurück. Es standen schon Hunderte von Flaschen herum, die ratlose Menschen mit ähnlicher Gemütsverfassung dort zurückgelassen hatten.

Was tun? Nach kurzem Überlegen stellte ich mit ordnungsgemäß roten Ohren meine Tasche dazu. Einer der Prospektentsorger schaute mich an. Ich wich seinem Blick aus und fuhr mittelschnell davon.

Dabei hätte ich allen Grund gehabt, vorwurfsvoll zurückzuschauen. Doch so etwas gelingt mir nur schwer. Ich fühle mich sogar automatisch schuldig, wenn mich ein Polizist ansieht. Vor allem, wenn ich weiß, dass er auf der Davidwache stationiert ist.


(Symbolfoto)


23 September 2006

Der Bucklige

Auf Dienstreise in Berlin, Popkomm. Einer, den man mit Fug und Recht als Männchen bezeichnen kann, streunt am Busbahnhof Zoo herum. Er hat einen unfassbar horizontalen Buckel, auf dem man mühelos ein Tablett abstellen könnte. Und er ist alt. Seine Haare sind grau, er trägt schlammfarbene Hosen samt Träger, die in den 40ern mal en vogue gewesen sein müssen. Und jetzt stellt er sich frontal vor mich. Abstand: halber Meter.

Er mustert mich aufmerksam, sein trauriger dunkelbrauner Blick wandert von meinen Augen hinunter Richtung Nabel, wo mein Popkomm-Ausweis im Spätsommerwind baumelt. Ich nehme die Situation als Bewährungsprobe. Einfach so tun, als sei er nicht da. Einfach mal sehen, wie cool ich sein kann, ob ich diese Verletzung der sozialen Distanz aushalte und wie lange. Mal testen, wer zuerst zuckt.

Mir fällt das allerdings schwer, ehrlich gesagt. Mein wie zufällig über Busse und Bäume wandernder Blick wirkt sicherlich auf bemühte Weise unbeteiligt; manchmal schaue ich ihn auch direkt an, um Lockerheit auszustrahlen, die ich gleichwohl nur spiele. Denn das Männchen steht unmittelbar vor mir, und das macht man nicht, zumindest dann nicht, wenn man nichts zu sagen, sondern nur zu gucken hat.

Und zu gucken hat es offenbar viel. Inzwischen ruht sein Blick starr auf meinem Bauch, ganz kurz nur zuckt er manchmal musternd hoch und sucht meine Augen. Was will der Mann? Was fasziniert ihn so?

Natürlich sind das Fragen, die früher oder später aus mir herausbrechen werden; lange halte ich die Situation nämlich nicht mehr durch, die ich mir vorschnell als Selbsttest auferlegt habe. Aber jetzt, jetzt sagt er was. Es ist eine Frage, und sie lautet: „Ist das dein Gestapo-Ausweis?“

Ich sage: „Wie bitte?“, und er sagt es noch mal: „Ist das dein Gestapo-Ausweis?“

Dieser Frage wohnt ein solches Überraschungsmoment inne, dass ich nichts erwidern, sondern nur mit einem mimischen Mix darauf reagieren kann. Würde ich mich in dieser Sekunde im Spiegel sehen oder durch die Augen des Männchens, dann müsste ich diesen Mix als Komposition aus Verblüffung, Ärger und Empörung beschreiben.

Und das ist wohl auch seine Interpretation. Es dreht sich weg und huscht behende davon, ein buckliges graues Etwas mit jahrzehntealten Hosenträgern, das keine Antwort erwartet auf eine solche Frage, aber froh ist, sie gestellt zu haben.

Ich ahne schlagartig den Schleier einer ganzen Lebensgeschichte. Sie muss irgendwann in den 20ern oder 30ern begonnen haben; und das, was damals mit ihm und seiner Familie geschah, muss über Dekaden hinweg weitergeschwärt haben wie ein Fluch, der sich heute, am Berliner Bahnhof Zoo, als absurde Frage an einen Wildfremden wieder einmal kurz materialisiert.

Meinen Popkomm-Ausweis habe ich heute Abend übrigens weggeworfen.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs mit geschichtlichem Bezug
1. „The history of rain" von Paul K. & The Weathermen
2. „In Germany before the war“ von Randy Newman
3. „Ohio“ von Neil Young

Foto: Bahnhof Messe Nord, Berlin (Am Zoo war ich zu konsterniert zum Knipsen.)

PS: Heute steht in der taz ein Artikel über Blogger aus Altona und St. Pauli, in dem auch „Die Rückseite der Reeperbahn“ freundliche Erwähnung findet. Allerdings zitiert mich Frau Bigalke falsch. Ich würde nur unterm Einfluss von Drogen „der“ Blog sagen. In Wahrheit sagte ich „das“ Blog. Obwohl natürlich inzwischen beides geht, laut Duden.

17 September 2006

Unheimliche Begegnung der fetten Art

Heute mittag warte ich, wie immer mal wieder sonntags, im Penny-Markt Reeperbahn in der Kassenschlange. Ganz gegen meine sonstigen Gewohnheiten stehe ich vor statt hinter meinem Einkaufswagen, ich weiß auch nicht warum.

Plötzlich sehe ich, wie ein Wagen herrenlos links an mir vorbeirollt; es ist offenbar meiner. Noch ehe ich ihn zu fassen bekomme, touchiert er sanft das Gesäß meines Vordermanns, der ordnungsgemäß hinter statt vor seinem Einkaufswagen steht. Der dreht sich rechtschaffen erstaunt um, doch ich schaue rechtschaffen erstaunt zurück, denn ich weiß ja selber nicht, was los ist.

Also drehe ich mich ebenfalls um – und erblicke das Gesicht eines bulligen Menschen mutmaßlich türkischer Provenienz, dessen Stirn von einem düsteren Ingrimm umwölkt ist. Offenbar hat es den Herrn über Gebühr gestört, mich vor statt hinter meinem eigenen Einkaufswagen vorzufinden. Doch statt dieses Ungemach mündlich zu thematisieren, entschied er sich ohne Umschweife für die nonverbale Variante: Wagen wegschieben, ins Gesäß meines Vordermanns.

Ein Affront für mich, ganz klar. Eine Reaktion ist vonnöten. Die äußerlichen Merkmale des Wagenwegschiebers – grauschwarzer Stoppelbart, verwachsene Augenbrauen von werwolfhafter Buschigkeit, 100 Kilo Lebendgewicht – lassen in mir jedoch schlagartig die Überzeugung reifen, es könne von erheblichem Vorteil sein, mich möglichst widerspruchslos in die neue Sachlage zu fügen.

Also drehe ich mich offensiv wortlos wieder um, umfasse den Bügel meines Einkaufswagens und genieße mit sorgsam kaschierter Schnippischkeit die Vorzüge einer kleinmütig, aber weise vermiedenen Eskalation. Sie hätte was weiß ich für Folgen haben können, und von denen liest man gemeinhin am nächsten Tag in Mopo und BILD, Rubrik: Polizeimeldungen. Das muss ja nicht sein.

Außerdem wartet zu Hause Ms. Columbo auf Klopapier und Brötchen. Und nicht auf einen Blogger mit Nasenbluten.

PS: Das heutige Foto zeigt keinen Ersatzplaneten für Pluto, sondern die neue Illumination des Reeperbahnmittelstreifens: eine ins Gras eingelassene Lampe, die von unten die Bäume anstrahlt.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs übers Einkaufen
1. „Down in the mall“ von Warren Zevon
2. „Shopping cart“ von Schneider TM
3. „Hush little baby“ von The Weavers

28 Juni 2006

Zwischen den Spielen

Ein bewölkter Tag bedeckt die Stadt wie ein altes schlaffes Haarnetz. Auf dem Mittelstreifen der Reeperbahn sterben die ersten frischgepflanzten Bäume schon wieder ab.

Ich starre ins Halbdunkel der Zimmerecke, zu keinem Gedanken fähig. Was tun? Keine Ahnung.

Dort steht er, dieser große Kasten. Es ist der Fernseher, ein graues, graues Nichts. Er ist aus. Klar. Denn es läuft … kein Fußball.

Die Weltmeisterschaft macht Pause.
Und das Schrecklichste: Auch morgen noch.

15 Oktober 2005

Die mediterranen Hanseaten

Die Bäume in Hamburg fragen sich zunehmend verständnisloser, wann denn endlich der Befehl zum Blättervergilben und -abwerfen kommt. Wahrscheinlich auch das abgebildete Exemplar an der Schulterblatt-Piazza, wo heute das Leben tobt wie zu besten Sommerzeiten.

Vor der portugiesischen Pastelaria Transmontana stehe ich wohlig 20 Minuten draußen in der Schlange, von oben die wärmste Oktobersonnendusche seit der letzten Eiszeit, von vorn ein Duftmix aus Natas, Galão und Toast und aus allen anderen Richtungen das gedämpfte Glücksgemurmel der sommerlich gekleideten Schanzenviertelmenschen, die heute nicht an gestern und morgen denken, sondern nur ans selige Hier und Jetzt.

Hamburger verwandeln sich augenblicklich von eingemummelten Raupen in juchzende Schmetterlinge, sobald die Sonne sagt: Hier bin ich! Wenn im Februar die ersten zagen Frühlingsahnungen aufkommen, stürmt der Hamburger dick verpackt ins Freie und wirft sich empört den Merinoschal über die Schulter, wenn seine Stammkneipe noch keine Tische rausgestellt hat. Die Chance ist aber klein, denn die Kneipiers sind ja selber Hamburger.

Und wer ein Cabrio hat, schlüpft beim ersten bleichen Spätwintersonnenstrählchen in Lammwollmantel und Thermohandschuhe und erkärt die Saison feierlich für eröffnet, natürlich mit versenktem Dach.

Jeder Hanseat ist tief im Herzen glühend mediterran, und er lebt das - der geografischen Lage zum Trotz - so oft und so lange aus wie irgend möglich. Heute ist es komplett ausgeschlossen, da nicht mitzutun. Ich reaktiviere also die Sonnenbrille und lese auf dem Balkon Zeitung, umwogt vom Soundtrack St. Paulis: von schräg gegenüber das Dauergebrumm der Klimaanlage des Spielsalons, aus südlicher Ferne das vereinzelte gutturale Sehnsuchtströten eines Kreuzfahrtschiffs, von der Reeperbahn her das urbane Grundrauschen des Individualverkehrs, vom Himmel das Wasserflugzeug und von irgendwoher die Hibbeligkeit einer Polizeisirene.

Und jetzt: der verdammte Mopedterrorist von gegenüber, der immer minutenlang öttelnd vorm automatischen Garagentor steht, bis es endlichendlich aufgegangen ist. Eine Kakophonie, klar. Doch sie klingt nach zu Hause.

Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Lately“ von Vashti Bunyan, „Hope there's someone“ von Antony & The Johnsons und „Lelah Mae“ von Jeb Loy Nichols.