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06 April 2011

Zwischenfall mit Handschellen



Ein Schrei unter unserem Balkon. Mitten auf der Seilerstraße liegt ein dunkelhäutiger Mensch, zwei hellhäutige Jeans- und Sweatshirttypen knien über ihm.

Ein Auto muss bremsen und beleuchtet die bizarre Szenerie. Ich gehe routiniert in den Flur, hole das Telefon, gehe wieder zurück. Inzwischen steht das Trio am Straßenrand, und gerade, als ich die Davidwache anrufen und Rassismus, Übergriff, Raub etc.pp. anzeigen will, zückt einer der Männer Handschellen und legt sie dem Dunkelhäutigen an.

Zivilfahnder? Zivilfahnder.

Ich lasse das Telefon sinken und verlege mich aufs abwartende Beobachten. Jetzt wird der Gefesselte durchwühlt. Passanten gehen vorüber, keiner fragt, was los sei. Sie drehen sich nicht mal um. Eine irgendwie besinnliche Ruhe liegt über der Szenerie.

Der Pass des Verhafteten wird ausgiebig studiert, man blättert in Papieren, keiner spricht. Und irgendwann nehmen sie den Gefangenen in die Mitte und schlendern gemütlich davon, Richtung Davidwache.

Na ja, wieder einen Anruf gespart.



19 März 2011

Keinesfalls ein Biber



Normalerweise jagt die Polizei auf St. Pauli Schläger und Messerstecher, manchmal auch Diebe, Mörder oder Hurenlohnpreller. Heute aber mal nicht, sondern einen kapitalen Nager.

Das Tier flitzte in der Seilerstraße über den Bürgersteig, entwischte zwischen Bänkenbeinen, brachte Frauen zum Kreischen und beschäftigte so summa summarum ein Dutzend Menschen.

Gleich mehrere Polizisten waren darunter, auch Passanten halfen. Irgendwann war das Tier im Käfig, und die Beamten wurden belobigend abgeklatscht – eine auf dem obrigkeitsskeptischen Kiez eher seltene Szene.

Doch um was für einen Faunavertreter handelte es sich bloß? „Ein Biber“, vermutete Ms. Columbo, die Stadtpflanze. Allerdings fehlte der charakteristische abgeplattete Schuppenschwanz.

Irgendeiner der Schaulustigen warf ein inkompetentes „Iltis!“ in die Runde, doch auch das war grundfalsch, denn ein Iltis endet (laut Google-Bildersuche) enorm buschig. Dieses praktisch hühnergroße pelzige Etwas, welches das ganze Tohuwabohu mit geradezu Dalai-Lama-esker Gelassenheit ertrug, begnügte sich indes mit einem langen dünnen Schwanz.

War es vielleicht eine Beutelratte? Eine Rüsselmaus? Ein dank Brokdorf mutierter Hamster gar? Die Sache blieb letztlich ungeklärt. Und die Polizisten zogen zufrieden und käfigschwenkend ab, um sich hinfort wieder den angestammten Tätigkeiten zu widmen – nämlich der Jagd auf Schläger und Messerstecher, Diebe, Mörder oder Hurenlohnpreller.

12 Februar 2011

Endlich mal nicht grundlos verdächtig



An der Max-Brauer-Allee husche ich im letzten Moment mit dem Fahrrad über die Fußgängerampel, obwohl sie, wie ich zugeben muss, bereits die Farbe von Draculas Lieblingsgetränk angenommen hatte.

Auf der Verkehrsinsel in der Mitte der Straße stoppe ich daher; die zweite Hälfte will ich angesichts des bereits losgerollten Verkehrs lieber bei Grün absolvieren. Als ich so dastehe, bemerke ich, wie hinter mir ein Wagen auf die Insel fährt und anhält.

Ein Streifenwagen, um genau zu sein.

Anscheinend stand er in der ersten Reihe, als ich illegal die Straße querte. Er hatte also einen Logenplatz. Gleich drei Uniformierte steigen aus, eine Frau und zwei Männer.

Der Fahrer, ein muskulöser Typ mit Aknenarben und ohne Zweifel Anführer der Besatzung, stützt sich auf die Wagentür, beugt sich aus der lichten Höhe von knapp zwei Metern zu mir herab und sagt: „Steigen Sie bitte mal vom Rad.“

Ich zittere ja sowieso schon, wenn ich der Polizei begegne, und signalisiere so stets ein grundlos schlechtes Gewissen, was mich, wie ich befürchte, generell verdächtig wirken lässt. (Übrigens die einzige Eigenschaft, die ich mit Alfred Hitchcock teile.) Nun auch noch wirklich und wahrhaftig etwas verbrochen zu haben, macht mich keineswegs ruhiger.

Kurz: Ich bin ein Nervenbündel.

„Warum haben Sie das gerade gemacht?“, fragt der Anführer. „Das war … spontan und … unbedacht“, stammle ich. „Sie haben sicher schon öfter Ärger mit der Polizei gehabt deswegen“, sagt der Riese. „Äh, nein … warum?“, frage ich, nun vollends in der Defensive, und das mitten im Nieselregen auf einer Verkehrsinsel in Altona, unter den Augen der interessierten Öffentlichkeit.

„Weil Sie sagen: ,spontan und unbedacht’“, analysiert er. „Nein, wirklich nicht, noch nie“, flüstere ich und schaue hilfesuchend die Polizistin an. Sie lächelt mir aufmunternd zu. Wahrscheinlich ein automatisiert aufflammender Mutterinstinkt. Dabei ist sie mindestens 20 Jahre jünger als ich.

Jetzt verlang schon endlich meinen Personalausweis, barme ich innerlich, verpass mir den Bußgeldbescheid, und dann lass mich laufen. Tut Mr. Akne aber nicht.

„Machen Sie das nie wieder“, sagt er, „ich möchte Sie nämlich nicht unter meinem Wagen hervorkratzen müssen.“ Verständiges Nicken scheint mir die Situation weiter zu kalmieren, deshalb nicke ich verständig. „Und ich“, ergänze ich mit brüchiger Stimme, „möchte erst recht nicht unter Ihrem Wagen hervorgekratzt werden.“

Die Polizistin nickt erneut lächelnd und nun sogar mit geschlossenen Augen; ich habe also zweifellos den richtigen Ton getroffen. Ich schaue wieder den Riesen an. „Noch einen schönen Abend“, sagt er und steigt in den Wagen. Die anderen folgen ihm, und dann fahren sie davon.

Ich auch, mit zittrigen Knien – um 62,50 Euro reicher und einen Punkt in Flensburg ärmer.

Danke. (Auch wenn ich nicht weiß warum.)

Foto: Matthias Wiechmann, Polizei Hamburg


07 Februar 2011

Das große dunkle Loch im Nachmittag



Wenn so ein Derby ausfällt wie gerade das in der Wie-auch-immer-Arena an der Müllverbrennungsanlage, dann fühlt man sich um wesentliche Gefühle betrogen. Um die Vorfreude, das Entgegenfiebern, das Kribbeln. Um die Angstlust in der Magengegend.

Zwischen 15:30 und 17:15 Uhr klaffte jedenfalls ein großes dunkles Loch im Nachmittag, derweil draußen Hamburg weiterhin im Regen ertrank, wie seit Tagen schon.

Nur kurz war ich daher morgens draußen gewesen zum Brötchen- und Zeitungsholen und fand dabei Gelegenheit, die Überreste des gestern von HSV-Hools zerlegten Streifenwagens zu fotografieren.

Auch unsere gläserne Haustür hatte trotz ihrer generellen Passivität den Zorn dieser Menschen erregt und wies nun strahlenkranzförmige Splitterspuren von beeindruckender Länge auf.

Eine gläserne Haustür auf St. Pauli: Das ist aber auch wirklich eine tolle Idee.



06 Februar 2011

Neuigkeiten aus dem Szeneviertel


00:40 Uhr. Unten an der Postfiliale hat eine große Gruppe „Hooligans!“-brüllender Hooligans einen geparkten Streifenwagen entdeckt. Das bekommt dem Ärmsten nicht gut.

Sie ziehen ihm alles mögliche über, darunter jene Sperrgitter, die erst vorgestern vom schwarzen Block als Barrikaden missbraucht wurden.

Dann zünden sie Feuerwerkskörper. Immerhin illuminieren sie so mein bis dahin arg dusteres Video. Vielleicht tun sie das aber auch, weil das eigentlich für heute Nachmittag angesetzte Derby zwischen HSV und dem FC St. Pauli kurzfristig abgesagt wurde und sie enttäuscht darüber sind, die Feuerwerkskörper nicht im Stadion hochjagen zu können.

Die Seilerstraße füllt sich jedenfalls rasend schnell mit Rauch. Dann kommt die Kavallerie mit Blaulicht und Getöse, die Hools verflüchtigen sich wie böse Geister in die Detlev-Bremer-Straße, die Streife jagt hinterher.

Übrigens begründet unsere Hausverwaltung die neuesten Mieterhöhungen damit, St. Pauli sei ja inzwischen ein Szeneviertel geworden.

Arschlecken.


03 Februar 2011

Die Kiezpolizei räumt auf



Draußen herrscht ungewöhnlicher Krach. Ein Schaben und Klirren, ein Rutschen und Reißen, ein Donnern und (metallisches) Kreischen.

Alles dabei, nur keine Stimmen. Alles passiert stumm. Also heißt es mal wieder nachschauen.

Vom Balkon aus sieht man, wie etwa ein Dutzend schwarzvermummter Gestalten in höchster Eile die dank eines Gentrifizierungsneubaus überall herumstehenden Baustellenabsperrungen mitten auf die Straße zerrt und sich dann im Laufschritt Richtung Osten dünn macht.

En passant nimmt einer der Herren die von mir gerade erst am Straßenrand drapierten beiden gelben Säcke und wirft sie auf die Fahrbahn. Im Hintergrund dazu der Sound der Stadt: Polizeisirenen.

Die Seilerstraße ist also jetzt vollgesperrt, augenblicklich kehrt paradiesische Ruhe ein (wenn man vom Hintergrundsound absieht, aber der ist ja quasi immer da, nur gerade ein bisschen intensiver, aufgeregter, vielstimmiger).

Nach ein paar genussvoll ausgekosteten Minuten der kompletten Autolosigkeit keimt gleichwohl das Bedürfnis, etwas gegen diesen Zustand dort unten tun zu müssen. Es scheint mir allmählich sehr opportun, kräftige junge Männer in der Blüte ihrer Jahre herbeizurufen, welche die Hindernisse wieder wegräumen.

Denn Straßensperren widersprechen einfach meiner Auffassung von Bewegungsfreiheit. Ausnahmen brauchen meines Erachtens schon sehr gute Argumente; die Ägypter haben zum Beispiel gerade welche. Wie auch immer: ein Anruf bei der Davidwache bringt einen Herrn Friese an den Apparat, der atemlos wirkt, obwohl er doch nur Telefondienst hat.

Ich schildere ihm die Fakten. Seilerstraße, schwarzvermummte Gestalten, eigenmächtige Vollsperrung. Herr Friese bedankt sich seufzend, und nur wenige Minuten später tauchen sie auf, die kräftigen jungen Männer in der Blüte ihrer Jahre.

In meinem kleinen Film sehen wir, wie sie dem Aufräumen der Seilerstraße mit jener stillen Verachtung nachgehen, die man nur Tätigkeiten entgegenbringt, für die man sich überqualifiziert fühlt.

Das tun sie unter ähnlicher Krachentwicklung wie ihre Pendants, die Schwarzvermummten, und auch ähnlich wortlos. Wenn man es genau nimmt, gäbe es von hier oben kaum Unterscheidungskriterien, nur die Helme, die im Licht der Straßenlampen gelblich glänzen.

Meine Sympathien jedenfalls sind klar verteilt. Sie können einfach keinen Menschen gehören, die meine gelben Säcke auf die Straße werfen.

29 Oktober 2010

„Lass mich rein!“



Schön zu wissen, dass drei Gläser Weißwein (2 x Riesling, 1 x Chardonnay) und bisweilen ebenso hitzige wie von halbgesundem Achtelwissen befeuerte Diskussionen über a) James Bond, b) Gott, c) Quantenphysik und d) Hartz IV mühelos ein komplettes Abendessen ersetzen können.

Letzteres vergaß ich nämlich glatt unter dem verderblichen segensreichen Einfluss der Bloggerkamarilla Cinema Noir, ramses101 und German Psycho an neutralem Ort, nämlich der Red Lounge in Ottensen.

Kurz nachdem ich heimgekommen war, nestelte plötzlich jemand am Knauf der Wohnungstür und lallte „Lass mich rein! Lass mich rein! Mach auf! Mach auf!“, was ich natürlich nicht tat, schließlich ist das hier der Kiez, da ist eine gewisse Vorsicht nicht die abwegigste aller Maßnahmen.

Der Mensch war gleichwohl nicht abzuschütteln und weder in der Lage, sein Anliegen artikuliert vorzutragen noch seinen Namen oder den Zeitpunkt seines ordnungsgemäßen Abdampfens zu nennen, so dass ich schon wieder gezwungen war, die Freunde und Helfer von der Davidwache um die Erfüllung ihrer ureigenen Pflichten zu ersuchen.

Der verhinderte Eindringling entpuppte sich schließlich als volltrunkener Nachbar aus der feierfreudigen Juristen-WG über uns – eine Enthüllung, die mir adäquat peinlich war, aber was hätte ich sonst tun sollen: aufmachen, und plötzlich marodiert der Reeperbahnaxtmörder durch die Wohnung? Ignorieren, und am nächsten Morgen versperrt eine ausgekühlte Leiche die Wohnungsür?

Nein, die Hilfe der netten Herren von der Davidwache war erneut opportun, das sehe ich auch im Nachhinein noch so. Ohne mich wüssten die wahrscheinlich gar nichts Rechtes mehr anzufangen mit ihren Tagen und Nächten.

Von daher schon ein gutes Gefühl: nützlich zu sein.



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28 Oktober 2010

Bitte noch ein bisschen Krawall!

Immer wenn ich vom Balkon aus den Notruf wähle (und das ist inzwischen schon circa ein Dutzend Mal vorgekommen), hoffe ich so paradoxerweise wie inständig, der Wahnsinn da unten hielte wenigstens so lange an, bis die Kavallerie da ist.

Schließlich muss es einen bei ihrer Ankunft sichtbaren Grund dafür geben, diese Maschinerie in Bewegung gesetzt zu haben, allein schon zu meiner Entlastung. Wären die Täter schon weg, erschiene mir mein eigener 110-Aktionismus irgendwie gesetzeswidrig.

Deshalb war ich auch neulich während einer Massenschlägerei vorm Haus durchaus betrübt darüber, dass sich noch während meines Gesprächs mit der 110 die Beteiligten zu zerstreuen begannen. „Sind die Täter noch vor Ort?“, fragte mich der (wie immer) betont kontrolliert-sachliche Mann vom Notruf, während ich in der Ferne, am anderen Ende der Seilerstraße, bereits die Blaulichter hektisch heranflackern sah.

Tja, schwer zu sagen, denn wer hier Täter war und wer Opfer, war kaum zu beurteilen. Schließlich kann auch ein Täter eins auf die Nuss kriegen und liegenbleiben, wie es unter der Leuchtreklame des Spielsalons gegenüber der Fall war. Schließlich können auch Opfer wild schreiend durch die Gegend rennen, wie es sich etwas weiter östlich gerade abspielte.

Und vielleicht ist die traditionelle Trennung zwischen Tätern und Opfern sowieso längst so gestrig wie die Illusion, man könnte die politische Landschaft im 21. Jahrhundert noch immer wohlgemut in links und rechts aufteilen.

Jedenfalls vermochte ich dem Notrufmann keine befriedigende Antwort zu geben – war aber heilfroh, dass die Kavallerie beim Eintreffen noch ein Vierergrüppchen vorfand, festhielt und scharf verhörte.

Alle vier waren Opfer, logisch, und alle vier erhoben lautstark Vorwürfe gegen Abwesende. Zum Glück: Denn damit verifizierten sie immerhin glorreich die Legitimation meines Notrufs, und allein das reichte aus, um mir anschließend einen seligen Schlummer zu bescheren.

110 – besser als Schäfchen zählen, vallah!


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19 September 2010

FC St. Pauli–HSV: Selbsthass in St. Ellingen



Das Wochenende (vor allem natürlich der Sonntag) war geprägt vom diesjährigen Finale um die Hamburger Stadtmeisterschaft im Fußball. St. Pauli gegen St. Ellingen gewissermaßen, oder, um es allgemeinverständlicher zu formulieren, FC St. Pauli gegen den HSV.

Jeder Polizist im Viertel – es waren angeblich tausend im Einsatz – hatte die Verantwortung für durchschnittlich 23 Fans. Eine gute Quote, wenn man bedenkt, dass an anderen Tagen jeder Cop 184 Hamburger umsorgen muss.

Die Reeperbahn war sicherheitshalber vollgesperrt, und als ich gegen 14 Uhr zum Natasholen in die Davidstraße aufbrach, wurde gerade ein halbes Tausend HSV-Fans von Bullen und Pferden gen Stadion geleitet. Die Fans brüllten „Scheiß St. Pauli!“ und „Das hier ist unser Revier!“, und ich fragte mich mal wieder, warum die HSV-Anhänger sich bloß so abarbeiten müssen am FC St. Pauli.

Ich meine: Die Braun-Weißen sind eine Fahrstuhlmannschaft und der HSV ein Weltverein, der 1983 sogar schon mal den Vorgängerwettbewerb der Champions League gewonnen hat. In ihren Augen müsste der FC doch nichts weiter als Fliegenschiss sein.

Und trotzdem stellen sich manche HSV-Nasen nachts den Wecker, um St.-Pauli-Fans und -Spieler zu verprügeln, die am Bahnhof Altona den Zug verlassen. Trotzdem bemalen sie das FC-Emblem vorm Stadion mit blauer Farbe. Trotzdem schreien sie „Scheiß St. Pauli!“, dass ihr Geifer den Mittelstreifen der Reeperbahn düngt.

Warum tun die das? Warum folgen sie nicht dem weisen Rat „Nicht mal ignorieren!“, den Karl Valentin ihnen doch schon Anfang des 20. Jahrhunderts auf dem Silbertablett serviert hatte?


Ich glaube, ich weiß warum: Weil sie neidisch sind. Auf den FC St. Pauli.

Dieser kleine Scheißverein hat es geschafft, weltweit als saucool zu gelten. Er kommt aus dem berühmtesten deutschen Stadtteil der Welt und hat ein Corporate Design, mit dem du auch außerhalb der Kickersphäre positiv auffällst. Mit den Totenkopftrikots des FCSTP punktest du in London genauso wie in New York, in Tokio wie in Brisbane. Der Verein hat eine klare politische Linie (links-alternativ, antirassistisch), ein Faible für Punk und verdammt viele Frauen als Fans – kurz: ein Image, das überall dort ankommt, wo Leute sich als unangepasst und kritisch empfinden, selbst wenn sie gar keine Fußballfans sind.

Und was hat der HSV? Seit 1983 einen Pokal des Vorgängerwettbewerbs der Champions League in der Vitrine, eine Legende namens Uwe Seeler und ein Stadion, dessen Namen er alle paar Jahre meistbietend verhökert.

Auch wenn sie einem Weltverein anhängen: Der Neid auf Nimbus und Image des FC St. Pauli, auf diesen charmanten Mix aus Rotlicht, Rock’n’Roll, Toleranz und Laissez-faire nagt so sehr an den HSV-Fans, dass sie ihren Hass auf das Leid, welches ihnen dieser kleine Stadtteilverein durch seine bloße Existenz unablässig zufügt, immer wieder herausschreien müssen.

Irgendjemand müsste ihnen vielleicht mal erzählen, dass es in Wahrheit Selbsthass ist. Sie kompensieren damit etwas – in Anbetracht der Rahmenbedingungen – ganz Erstaunliches: einen kapitalen Minderwertigkeitskomplex.

Ach ja, das Spiel: Es endete 1:1, weil der Weltverein zwei Minuten vor Schluss durch einen Glücksschuss noch den Ausgleich schaffte. Und auf der vollgesperrten Reeperbahn trockneten derweil die Pferdeäpfel.



03 Juni 2010

Bullenwillkür!



Wir sitzen unter den Palmen überm Hafen und trinken das erste Frühlingsbier im Freien, während die Aida Luna lautlos vorüberzieht mit ihrem doofen infantilen Kussmund und die junge Punkerin vor uns einen weißen Kuli durch die Finger wandern lässt und routiniert Rosé aus der Flasche trinkt.

Eine Szenerie von bezirzender Friedlichkeit. Doch plötzlich tauchen drei Polizisten in bedrohlichem Schill-Gedächtnis-Schwarz auf und umstellen die Frau. „Personenkontrolle“, sagt einer, „bitte kommen Sie mal mit.“

Die Punkerin trägt rosagrüne Haare und mehr als ein halbes Dutzend Piercings im Gesicht, vier davon in Unter- und Oberlippe. Sie steht grinsend auf, packt ihre Sachen und geht mit.

Am Rand der Rasenfläche bleiben alle stehen. Die Polizisten wühlen in ihrer Tasche, durchsuchen die Jacke und lassen sich den Ausweis geben. Unter den Palmen regt sich ein erstes vernehmbares Murren. Was hat sie denn getan? Nüscht. Bullenwillkür!

Die Frau kommt zurück, setzt sich wieder und nippt behaglich am Rosé. Sie ist die Ruhe in Person. „Was war denn los?“, frage ich sie.

„Ach“, lächelt sie durch alle vier Piercings hindurch, „die suchten nach Drogen. Und mein Kuli sah halt aus wie ein Joint.“

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10 Mai 2010

Die Aufstiegsparty

Hunderttausend Fans sollen heute auf dem Kiez den Aufstieg des FC St. Pauli gefeiert haben. Viele davon zeigten sich vom gestrigen Blogeintrag erleichtert und starteten den Tag mit dem Düngen der Botanik.

Am Ende aber läuft so ein Tag, so wunderschön wie heute, natürlich immer auf Tomatensoße hinaus. Doch der Reihe nach …












31 Dezember 2009

Falsche Signale

Sie sieht aus wie 90 plus, und wahrscheinlich ist sie das auch. Hutzelig, krumm und ohne Gebiss sitzt sie im Rollstuhl vor der Postfiliale an der Ecke, vor der die Fenster der parkenden Autos hübsch mit Schnee gepudert sind.

Gerade war sie am Geldautomaten, jetzt kommt sie zentimeterweise auf mich zugeruckelt. In der linken Hand, die auf ihrem Bauch liegt, hält sie die komplette Januarrente, und zwar in Form einer unbestimmten Anzahl von 50-Euro-Scheinen.

Das Geld leuchtet rot im weißen Licht des Kiezwinters. Ich weiß nicht genau, ob die Gefahr, an der Reeperbahn ausgeraubt zu werden, statistisch signifikant größer ist als in Altenmark an der Alz. Aber ich weiß, dass eine circa 90-Jährige im Rollstuhl mit einem Bündel rötlich leuchtender 50-Euro-Scheine vorm Bauch nicht gerade entmutigende Signale an potenzielle Diebe sendet.

„Sie sollten Ihr Geld lieber wegstecken“, empfehle ich. Ihr Rollstuhl ist inzwischen zum Stillstand gekommen. „Ich weiß“, sagt sie mit zahnarmem Lächeln und brüchiger Uromastimme, „das ist gefährlich.“

Sie beginnt mit zittrigen Fingern die Scheine in die Börse zu friemeln. Es klappt nicht, man müsste ihr tatkräftig helfen. Man müsste ihr die Börse und die Scheine abnehmen und …

Ich bin aber dann doch lieber Brötchenholen gefahren. Schließlich will ich Silvester auf German Psychos Party verbringen – und nicht auf der Davidwache.

20 November 2009

Das Kreuz mit dem X



„Nein, tut mir Leid“, sagt der Polizist auf der Davidwache zu dem streng riechenden Mann, der vor ihm am Tresen steht, „gegen Sie liegt kein Haftbefehl vor. Ich habe im Computer nachgeschaut.“

Kein ganz uncleverer Versuch. Gleichwohl kann sich der Duftbolzen die geplante Nacht in der warmen Zelle nun abschminken. Scheißcomputer.

Ersatzweise durfte er sich die Novembersonne auf den Pelz brennen lassen – und ein kapitales Kondensstreifenkreuz am Hamburger Himmel bewundern, das uns alle schon mal einzustimmen versuchte auf den Advent, ob wir nun ein Dach über dem Kopf haben oder nicht.

Vielleicht war es aber auch nur ein X
.

Foto: Ms. Columbo

26 August 2009

Gesetz ist Gesetz, aber nur hier

Auf St. Pauli gelten Sondergesetze, die es sonst nirgendwo in Deutschland gibt. Der Stadtteilkern um die Reeperbahn, wo wir wohnen, heißt „Gefahrenbereich St. Pauli“; hier herrscht juristischer Ausnahmezustand, und zwar dauerhaft.

Wenn ich zum Beispiel samstagsabends eine Tüte Altglas wegbringe, mache ich mich augenblicklich bußgeldfähig. Denn Flaschen sind am Wochenende zwischen 22 und 6 Uhr laut Glasgetränkebehältnisverbotsgesetz rund um die Reeperbahn verboten. Dass ich sie nur in den Container statt jemanden an den Kopf zu werfen gedenke, ist aus Polizeisicht nur partiell interessant.

Selbst das nicht zustellbare Marmeladenglas von Muttern, welches ich am Schalter der Postfiliale ausgehändigt bekomme, darf ich legal nicht mit nach Hause nehmen, wenn es versehentlich bis 22 Uhr in der Tasche verblieben ist, denn damit wäre ein Betreten der Straße verbunden, und das ist in Begleitung von Mutterns Marmelade wochenends nun mal verboten.

Frauen mit Parfümflakon nachts auf dem Kiez? Haha, träumt weiter!

Ähnliche kiezexklusive Regeln gelten für alles, was als Waffe missbrauchbar ist, zum Beispiel Panzerfäuste, Anthrax oder Napalm, aber auch Baseballschläger. Ein braver Handwerker, der mit Schweizermesser hurtig gen Kunden eilt, ist sofort dran, wenn er der Polizei in die aufnahmebereiten Arme läuft. Denn was ist ein Schweizermesser? Korrekt.

Wie laut Waffenverbotsgesetz Gegenstände aus der Grauzone à la Schraubenzieher, Hämmer, Bohrer, Zangen oder Zahnbürsten zu behandeln sind, vermag ich nicht genau zu sagen, doch wenn man mich fragte, riete ich vorsichtshalber von ihrer Mitführung ab.

Ebenso hat man sich nur auf St. Pauli verdachtsunabhängigen Taschenkontrollen zu stellen, wie Ms. Columbo zu wissen glaubt. Überall anderswo musst du dich lediglich ausweisen, hier aber auch den polizeilichen Blick auf deinen Kondombestand im Seitenfach gestatten.

Ein weiteres Sondergesetz gilt unter Missachtung der grundgesetzlich garantierten Gleichberechtigung ausschließlich für – oder besser gesagt: gegen – Frauen. Sie dürfen nämlich die Herbertstraße nicht betreten.

Allerdings scheint es sich dabei eher um privates Hausrecht zu handeln; ich habe jedenfalls noch nie einen Polizisten gesehen, der die Huren in der Herbertstraße vor weiblichem Besuch zu bewahren versucht. Das regeln die schon selber.

Doch ich will nicht schwarzmalen; es gibt nicht nur Sondergesetze, die St. Pauli Guantanamo Bay näherbringen. Zum Beispiel kennen wir so etwas wie eine Sperrstunde nur vom Hörensagen oder von Besuchen in München.

Wer auf dem Kiez Wirt wird, wird als Wirt wirken bis zum Abwinken oder er vom Barhocker fällt – und selbst dann muss er seine Bar noch lange nicht zumachen. Auch der Einzelhandel ist hier erfreulich dereguliert, zum ständigen Verdruss der Sauertöpfe in Kirchen und Gewerkschaften.

Das Schlimmste, was man hier also tun kann, ist Samstagnacht mit einem Rucksack voller Flaschen, Waffen und Marmeladengläser durch die Herbertstraße zu stapfen – als Frau.

Wahrscheinlich explodiert dann die Welt oder so was.


17 August 2009

Ein Eintrag mit sprunghaften Ort- und Themenwechseln



Am Sonntag sah ich auf dem Dockville-Festival eine Frau, die sich hinter der endlosen Reihe der Dixieklos in die Büsche schlug und lieber dort den Rock lüftete. Ich beschloss, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen und die Dixieklos zu meiden.

Vor der Zeltbühne fanden drei Fans (w, w, m) ein paar Münzen und gingen danach nur noch mit gesenkten Köpfen übers Gelände. Oben am Deich hätte jemand meinetwegen gerne den Namen der Straße allzu wörtlich nehmen dürfen („Reiherdamm“), doch dafür fand ich keinerlei Beweise, deswegen bleibt die Pointe rein fiktiv. Nur wenige Meter weiter aber führte wenigstens der Notausgang direkt in einen Erdwall.


So, Dockville-Modus aus, Kiezmodus an.

Hier herrschte heute höchste Hygiene – zumindest im Copper House, wo man dank eines kulinarischen Schwerpunkts (nämlich Sushi) auch peinlich genau darauf achten muss. Dorthin entführte ich heute Abend unter generöser Deckung aller Kosten den Kollegen Mr. Starkey, weil er mir damals den entscheidenden Hinweis aufs ungenehmigte Senden meines Poizeieinsatzfilmchens durch Spiegel TV gegeben hatte.

Diese Sache ist inzwischen zu meiner vollständigen Zufriedenheit erledigt; mehrere Nachträge im Beitrag informieren über die Dramatik und Dramaturgie des Verlaufs.

Das Honorar, das Spiegel TV nachträglich äußerst klaglos entrichtete, nachdem RA Udo Vetter höflich darum ersucht hatte, ist übrigens höher als die Kosten, die dieses Blog im Lauf von knapp vier Jahren verursacht hat. Daher erschien es mir opportun, einen Teil dieses Honorars umstandslos in die Ankurbelung der kiezianischen Speisewirtschaft zu stecken.

„Aber warum ins Copper House?“, höre ich nun vorm inneren Ohr einige Gentrifizierungsgegner waidwund aufjaulen, schließlich hätte etwa der dänische Hotdoghöker an der Reeperbahn eine entsprechende Förderung gewiss nötiger gehabt. Doch Mr. Starkey hat – als Studiosus und notorischer Zwangsnebenjobber – einfach etwas Besseres verdient als Pölser.

Wer übrigens gerade ein kieznahes WG-Zimmer frei hat: Er sucht eins.


26 Juli 2009

„Hinlegen! Oder ich schieße!“

Die drei liebreizenden Repräsentanten der Berliner Jeunesse dorée üben keineswegs aus purem Übermut Liegestütze unter unserem Balkon, nein: Sie erfüllen lediglich folgsam eine inständige Bitte der Hamburger Polizei („HINLEGEN! ODER ICH SCHIESSE!“).

Als dieser gebrüllte Befehl von draußen in unsere Wohnung dringt, begebe ich mich mit Ms. Columbo plus Kamera auf den Balkon, was sich als kluger Schachzug erweist.

Denn nicht die üblichen Dreharbeiten für „Großstadtrevier“ o. ä. sind der Grund, sondern ein waschechter Polizeieinsatz mit Knarren, Handschellen und literweise echtem Adrenalin, auf beiden Seiten.

Zweifellos St. Paulianer Balkonkino at its best – ein Klick aufs Bild und Film ab. Zwei der drei Hertha-Fans führten, wie sich herausstellt, Schreckschusswaffen mit sich. Warum eigentlich? Das hat keiner von ihnen der Polizei erklärt, auch nicht im weiteren Verlauf der Ereignisse (der Film ging etwas ereignisärmer noch ein paar Minuten weiter).

Die Hopsgenommenen in der oberen Bildhälfte versauten sich ihre schicken Oberhemden auf dem nassen Asphalt. Und irgendwie gönnte ich’s ihnen – ohne genau zu wissen warum.

Das Spiel St. Pauli gegen Hertha BSC endete später übrigens 2:2. Für die extra aus Berlin angereisten Liegestützakrobaten dürfte dieses Remis allerdings weniger erinnerungswürdig bleiben als ihr inniger Kontakt mit der regennassen Seilerstraße. Jede Wette.

 


(Edit 30.06.2021, 13:50 Uhr)
Da die Sache inzwischen zwölf Jahre her ist und alle Beteiligten längst Bärte tragen oder Glatzen und sowieso (auch damals) nicht erkenntlich sind, verlinke ich den Film wieder. Dieses Zeitdokument sollte man der Welt nicht länger vorenthalten.

(Edit 27.07.2009, 21:41 Uhr)
Als mich ein Kommentator darauf aufmerksam machte, mein oben gezeigter Film (inzwischen aus rechtlichen Gründen gelöscht, mw) sei am 26. 7. auf RTL in der Sendung „Spiegel TV Magazin“ gelaufen, konnte ich es kaum glauben. Eine bisher als hochseriös eingeschätzte Redaktion klaut Filme aus dem Internet, um ohne Quellenangabe damit die Sendezeit zu füllen? Das schien mir doch zu absurd (zumal ich Spiegel-Abonnent bin …).

Doch siehe da: Es stimmt. Heute (27.07., 21.10 Uhr) lief die Wiederholung auf n-tv, und als Intro ist mein Film zu sehen.

Noch mal zur Verdeutlichung: Spiegel TV sucht sich im Internet fremde Inhalte, um u. a. damit Sendungen zu gestalten, mit denen Werbeeinnahmen generiert werden. Die Urheber der fremden Inhalte werden vorher nicht gefragt, und man bietet ihnen auch kein Honorar an.

Es ist überhaupt kein Problem für mich, wenn andere Blogs meine Texte, Fotos oder Filme verlinken und zitieren. Solange sie unkommerziell sind, ist das völlig in Ordnung; das gehört zu den Gepflogenheiten der Blogosphäre. Doch wenn ein kommerzieller Fernsehsender das tut, dann muss er a) fragen und b) zahlen.

Und das wird er auch noch tun – Fortsetzung folgt.
 

(Edit 28.07.2009, 20:22 Uhr)
Nach drei vergeblichen Mails an Spiegel TV, in denen ich um eine Stellungnahme bat, engagierte ich schließlich den bloggenden Rechtsanwalt Udo Vetter, der heute Mittag in meinem Namen Spiegel TV um eine Nachhonorierung ersuchte. Eine Mitarbeiterin von Spiegel TV hat sich inzwischen per Mail entschuldigt und unsere Forderung an die Rechtsabteilung weitergeleitet. Die Frist läuft bis zum 3. August; hier wird über den Fortgang der Ereignisse natürlich weiter informiert.


(Edit 29.07.2009, 18:02 Uhr)
Ich habe das Video inzwischen entfernt, weil sich einer der Beteiligten wiedererkannt zu haben glaubt und mich darum bat.

Spiegel TV möchte derweil klargestellt wissen, dass man sehr wohl versucht habe, mich zeitnah zu kontaktieren; allerdings scheint Herrn Vetters Fax nach meinen drei vergeblichen Mailversuchen etwa parallel mit dem ersten Antwortversuch von Spiegel TV eingetroffen zu sein. Tja, wer zu spät kommt, und sei es nur eine Minute … – es ist immer die alte Geschichte.

(Edit 29.07.2009, 23:52 Uhr)
Einer der im Video zu sehenden Männer hat mir inzwischen geschildert, wie es zu der Situation kam. Ein Freund von ihm hatte angeblich vorm Hotel seine Waffe aus der Reisetasche genommen und in den Kofferraum gelegt. Das hat ein Portier gesehen und die Polizei alarmiert, wobei er von drei Jugendlichen mit Waffen sprach – Voraussetzungen, die das Vorgehen der Polizei rechtfertigen, findet sogar der Betroffene. Allerdings endete nach seinen Angaben alles glimpflich, es gab keine Verhaftung und wird auch keine strafrechtlichen Folgen haben. Der durchaus dramatische Videoausschnitt (nur noch in der Spiegel-TV-Kurzfassung bei Stefan Niggemeier zu sehen) erweckt natürlich einen anderen Eindruck und legt einen für die Betroffenen fataleren Ausgang nahe.

(Edit 14.08.2009,15 Uhr)
Spiegel TV hat inzwischen anstandslos und ohne zu verhandeln bezahlt – und zwar exakt die (dreistellige) Summe, die ich gefordert hatte.


19 Juli 2009

Glasklar

Auf diesem miesen Foto, entstanden heute Nacht mitten auf dem Kiez, ist etwas sehr Ungewöhnliches zu sehen: keine Scherben.

Seit diesem Wochenende nämlich ist hier – nach Waffen (und Gewalt!) – abends ab zehn auch Glas verboten, vor allem in Flaschenform.

Vor den Kneipen wachen daher gestresste Sonderbeauftragte, die den Transfer drinnen ausgegebener Flaschen nach draußen verhindern sollen. Das ist wichtig fürs Budget der Betreiber, denn überall lauern bußgeldverteilungsbereite Polizisten, die rigoros für einen glaslosen Kiez sorgen sollen.

Vorm Roschinsky’s am Hamburger Berg verfolgen wir das Geschehen – und gestalten es aktiv mit. Denn mir gelingt es unfallfrei, drei Flaschen Astra nach draußen zu bugsieren, was der gestresste Roschinsky’s-Beauftragte nach nur 34 Sekunden bemerkt – und panisch unterbindet. Zitternd und flackernden Blicks füllt der arme Mann uns den Flascheninhalt in Plastikbecher.

Plastikbecher sind der neue Hit auf dem Kiez. Es wird immens schwierig, damit noch einen anständigen Schädelbruch zu verursachen; Prügeleien werden deutlich an Relevanz verlieren.

GP schlägt als schädelbrechende Alternative Aschenbecher vor. Grundsätzlich ein probates Mittel, solange es sich beim Grundmaterial um Metall oder Porzellan handelt. Ich untersuche den Aschenbecher des Roschinsky’s – nur Leichtplastik.

Das Gefährlichste, was der Reeperbahn somit verblieben ist, sind die Stilettos der Prostituierten. Gnade uns Gott, wenn damit einem Freier mal ein Auge ausgestochen werden sollte – dann drohen uns Huren in Badelatschen.

Und im Grunde – seien wir doch mal ehrlich – sind ihre Strapse, Strings und Fußkettchen auch nichts anderes als: Waffen.


11 Juli 2009

Zwischenfall vorm Freudenhaus



Heute hätten wir mühelos in den Besitz eines neuwertigen silbergrauen Polizeiwagens gelangen können, sofern uns eine Verwendung dafür eingefallen wäre.

Doch zum einen missfielen uns seine schillblauen Streifen, zum anderen bevorzugen wir aus grundsätzlichen Erwägungen Fahrräder und ÖPNV.

Dass der Wagen uns überhaupt so diebstahlfertig dargereicht wurde, lag wohl an einem Handtaschenräuber. Just als wir die Kreuzung am Freudenhaus erreicht hatten, kreischten Bremsen. Wir schauten rüber und sahen den Streifenwagen uns entgegenrutschen, und noch ehe er stand, sprang der Fahrer bereits mützenlos heraus und rannte die Hein-Hoyer-Straße, die er gerade noch entlanggefahren war, wieder zurück.

Seine Beifahrerin, etwas gedrungener als ihr Buddy, dackelte wackelnd hinter ihm her, sie gab ihr Bestes. Alles übrigens in Sichtweite der Davidwache; die Pisageneration ist offenbar erfolgreich im Diebesalter angekommen.

An der Reeperbahn raste der Flüchtende rechts um die Ecke, die Cops hinterher juchhe. Und ihr Wagen stand völlig verdattert da, freund- und helferlos, mit offener Fahrertür die gesamte Kreuzung höchst effizient versperrend, und ich wette, der Schlüssel steckte.

Doch wie gesagt: kein Interesse. Wir gingen weiter. Am Hamburger Berg schauten wir rüber Richtung Reeperbahn, und dort, direkt an der Ecke, war alles zuende gegangen.

Ein Mann in Jeans und hellem Hemd lag niedergerungen auf dem Boden, umringt von Polizisten und Passanten. Schon bald wird es einen Gerichtstermin geben, ein Urteil, eine Strafe, sein Leben wird eine sehr unschöne Wendung nehmen, und dabei hat er nur eins.

Der Einkauf bei Edeka verlief dann ohne weitere Zwischenfälle. Wenn man davon absieht, dass der Biobrokkoli ein bisschen zu klein war für sein Geld.


20 Oktober 2008

Aufstieg und Fall des Pennerbären

Das obdachlose Pärchen an der Simon-von-Utrecht-Straße hatte Zuwachs bekommen: einen riesenhaften Plüschbären. Genauer gesagt den größten Plüschbären, den der Kiez je gesehen hat.

Insgesamt kam der Trumm circa auf einen Kubikmeter Volumen. Im gleichen Maße förderte er auch die Heimeligkeit dieser traditionell tristen Stelle an der Simon-von-Utrecht-Straße, die geprägt ist von einer großen Werbefläche in der Vertikalen und einem wärmespendenden Abluftgitter in der Horizontalen, wobei Letzteres für die Obdachlosen gewiss die Killerapplikation dieses Standortes liefert.

Der Riesenbär jedenfalls gab der Szenerie schlagartig eine rührende Pseudoidylle. Finanzkrise hin oder her: Hier unten, auf dem Abluftgitter an der Simon-von-Utrecht-Straße, konnte es eh nicht mehr schlimmer kommen, sondern nur besser, und dafür sorgte nun dieser Plüschbär unbekannter Herkunft.

Das musste fotografiert werden, so viel war mir schnell klar, schon aus Gründen der Sozialromantik. Also radelte ich hin, um das Trio um Erlaubnis zu bitten – und fand mich prompt in einer Warteschlange wieder.

Denn wer stand fotografierend vor dem Trio? Zwei Streifenpolizisten in gedecktem Schillblau. Er mit Handy, sie mit einem Lächeln und das Pärchen samt Bärchen entspannt posierend – ähnlich wie einst John Lennon und Yoko Ono beim Bed-in in New York City, nur ohne deren Bankkonto.

Ein Gefühl sagte mir gleich: So was gibt es nur auf dem Kiez. Woanders – sagen wir in Rostock-Lichtenhagen oder Castrop-Rauxel – hätten die Polizisten wohl eher auf sofortige Entsorgung des Plüschbärmonsters gedrungen, statt grinsend das Handy zu zücken.

Wie auch immer: Ich kam, sah und stellte mich hinten an. Als ich dran war, erhielt ich umstandslos die zweckgebundene Fotoerlaubnis. Mein Obolus in den hingestellten Porzellanteller war keineswegs Bedingung, doch hellte er die eh gelöste Stimmung zusätzlich auf.

Das ist erst ein paar Tage her. Danach sah ich den Bären noch einmal allein im Regen sitzen, mit Plastikplane überm Quadratschädel und aufgestecktem Regenschirm. Ein surreales Bild. Und jetzt ist er plötzlich ganz verschwunden, der Pennerbär von der Utrecht.

Alles ist wieder so, wie es dort immer war und immer sein muss, Finanzkrise hin oder her: sozial ziemlich unromantisch.



07 Februar 2008

Der knarrenlose Kiez

Seit Dezember herrscht Waffenverbot auf St. Pauli. Bei den anfänglichen Kontrollen zog die Polizei trotzdem noch allerhand Quatsch aus dem Verkehr, vor allem Messer und Pfeffersprays.

Seit kurzem aber lässt die Fundfrequenz dramatisch nach. Und bei den letzten beiden Wochenendaktionen war das Ergebnis nach Zeitungsmeldungen besonders bestürzend: Man fand überhaupt keine Waffen mehr. Nichts. Keine einzige.

Die ganzen Muskeltürken, Irokesenalbaner, Glatzenfaschos, Lederjackenrussen, Ludenleibwächter und Kampflesben gehen also wirklich und wahrhaftig ohne Knarren und Klingen
auf Kiezbummel. Bei Kontrollen klimpern sie handzahm mit den Wimpern, lassen sich so triumphierend wie ergebnislos abtasten und ziehen dann friedlich weiter über Reeperbahn und Seitenstraßen.

Vielleicht beantworten sie sogar das
in den Kneipen unablässig vorgebrachte „Wolle Rose kaufe?“ nicht mehr mit Kieferbruch, sondern dem Kauf einer Rose. Alles ist möglich. Es scheint, als wären Löwen zu Lämmern geworden, einfach nur wegen eines gelben Schildes.

Oder hat man uns in ein Paralleluniversum gebeamt, und wir haben es bloß noch nicht gemerkt? Das finde ich noch heraus – und wenn ich mich zurückbeamen muss.