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17 April 2011

Da hilft nur Stadionverbot



Noch niemals in meiner dekadenlangen Fankarriere habe ich den 1. FC Köln öfter in einer Saison live gesehen als in dieser, nämlich bereits dreimal.

Im Januar spielte er in Eiseskälte beim FC St. Pauli. Ich bibberte auf der Gegengerade und sah die Kölner mit 0:3 untergehen. Wenigstens gingen die Punkte an St. Pauli, das milderte den Schmerz.

Im März fuhr ich ins HSV-Stadion, wo ein lustloser 1. FC mit 2:6 abgefackelt wurde. Ich redete mir den Nachmittag mit der Torquote schön. Na ja, ich versuchte es wenigstens. Ein bisschen. Okay, eigentlich gar nicht.

Ganz klar, um mein Team siegen zu sehen, musste ich mir ein Heimspiel anschauen, in Köln. Das würde den Fluch brechen, zumal das Team sieben Spiele in Folge zu Hause gewonnen hatte. Das war Vereinsrekord, der durch einen achten Triumph noch ausgebaut werden würde.

Heute Nachmittag war ich also erwartungsfroh im Rhein-Energie-Stadion und schaute mir die Partie gegen den VfB Stuttgart an. Effekt: Köln ergab sich vollkommen widerstandslos einer 1:3-Klatsche. Wenigstens erwischte ich einen ziemlich inoffiziellen, aber passgenau hybriden Schal, der mein Herz erwärmte.

Meine Livebilanz in dieser Saison lautet also: 0 Punkte und 3:12 Tore.

Beim 1. FC Köln rätseln sie nach diesen Niederlagen immer, wie die unerklärliche Kraftlosigkeit zustande kommt, dieses Fehlpassfestival, die Unfähigkeit zu kämpfen, diese bleierne Demotivation.

Nun, ich kenne den Grund: Weil ich im Stadion bin. Auf mein Team wirke ich wie Kryptonit auf Superman.

Es gibt daher nur eine Lösung: Ich beantrage hiermit für mich ein bundesweites Stadionverbot. Sie soll für alle Partien gelten, an denen der 1. FC Köln beteiligt ist. Wo immer sie auch stattfinden.

Am liebsten wäre es mir übrigens, wenn Wolfang Overath diese Anweisung unterzeichnete. Um der alten Zeiten willen.

13 April 2011

Was Fußball und Fahrräder gemeinsam haben







Abstiegsplatz, Geisterspiel und jetzt auch noch Stanislawski auf dem Absprung: Als Fan des FC St. Pauli fühlt man sich zurzeit zerfleddert, ruiniert und doch weiterhin festgekettet.

Also ungefähr so wie diese Fahrradleichen, über die ich ständig stolpere.

02 April 2011

To do or not to do



Diese schöne Abhakliste pappt an einem Hauseingang in der Clemens-Schultz-Straße (ja, ihr Investoren: So sehen Hauseingänge in St. Pauli aus. Lohnt sich also nicht. Alles vergammelt.).

Besonders schön finde ich ein paar der noch offenen Punkte – zum Beispiel „einen Tag nicht kiffen“ oder das mit Verzweiflung kontaminierte „klarkommen“.

Für das ebenfalls noch zu erledigende „alles braun-weiß anmalen“ hingegen ist nach einem Abend wie diesem (gegen Schalke verloren, zwei Platzverweise, Spiel abgebrochen) die Motivation sicher erst mal im Keller.


Aus mentalen Gründen sollte daher die Steuerabrechnung vorgezogen werden.

26 März 2011

Keine Karten, nirgends



Schon wieder ging eine Saison dahin, die von dauerhaftem Misserfolg geprägt war. Obzwar seit Jahren Mitglied des FC St. Pauli, gelang es mir erneut kein einziges Mal, eine Karte für ein Heimspiel zu ergattern. Heute auch wieder nicht.

Für die letzten beiden Partien gegen Bremen und Bayern lief ab 10 Uhr morgens der sogenannte „Vorverkauf“, wie der FC St. Pauli dieses Procedere bezeichnet. Der „Vorverkauf“ besteht im Wesentlichen aus einer besetzten Telefonleitung und einer nicht funktionierenden Onlinepräsenz.

Auch die Webseite „Mitgliederverkauf“ half mir nicht weiter: Ich hätte mich zwar schon liebend gerne verkauft, aber dort gab es nur keine Karten. Dabei hatte zu Saisonbeginn alles recht hoffnungsvoll angefangen. Letzten Sommer erzählte mir nämlich ein Fitnesskollege, er kenne da einen, der einen kennte, der Dauerkarten besorgen könne. Ich war elektrisiert.

Als ich Wochen später noch mal aufgeregt nachfragte, klang das allerdings schon erheblich vager. Irgendwann schien es ihm sogar unangenehm zu sein, mit seiner Aussage vom Sommer behelligt zu werden. Auch er selbst vermochte es anscheinend nie, sich Einlass ins Millerntorstadion zu verschaffen.

Vielversprechender erschien mir da schon die Mail eines treuen Bloglesers. Er deutete Kontakte zur Führungsetage von Hertha BSC an, dort können man möglicherweise was für mich tun. „Hertha BSC?“, fragte ich zurück. „Was um alles in der Welt haben die mit dem FC St. Pauli zu tun? Wie kann mir ein Zweitligist eine St.-Pauli-Dauerkarte beschaffen?“

Nun, von Chefetage zu Chefetage, raunte der Informant, rede man eben ganz anders miteinander, vertrauter, ja geradezu ermöglichender. Ich signalisierte höchstes Interesse, ja präventive Begeisterung. Doch der Kontakt riss ab, und das lag keineswegs an mir. Das Verstummen dieses Menschen signalisierte jedenfalls eine gewisse Beschämung.

Der Effekt wieder mal: keine Dauerkarte. Als größten Erfolg der Saison muss ich daher nun verbuchen, dass mir die Mitgliederzeitschrift des FC St. Pauli zum Geburtstag gratuliert hat. Außerdem erwarb ich frustriert – das nennt man wohl Sublimation oder so – mehrere Karten für HSV-Heimspiele. Einfach so – eingeloggt, ausgewählt, bezahlt, und gut war.

Aber das muss unbedingt unter uns bleiben.

21 März 2011

Fundstücke (127)



1. Es ist beruhigend, dass die Öffentlich-Rechtlichen bei der Besetzung von Talkshowjobs weiterhin auf Sachkompetenz setzen und auf nichts anderes.



2. Nach den oben genannten Kriterien wäre natürlich auch gegen den Popstar Iz („What a wonderful world“) als Talkmaster nichts zu sagen, aber leider ist er schon tot.



3. Mensch, 3. Liga, jetzt reiß dich aber mal zusammen. Fünfmal Nullnull an einem Spieltag: Das sind genau die italienischen Verhältnisse, die wir hier nicht haben wollen. Dann lieber Bunga-Bunga.



4. Viel zu negativ ginge es hier zu, immer würde gemäkelt, moniert, in offenen Wunden gebohrt, bessergewusst und herumkritikastert: Das sind so Vorwürfe an dieses Blog, die mir zum Glück noch niemand gemacht hat. Dennoch folgt hier und jetzt nun präventiv ein Lobpreis. Und zwar an den Fußbodenschleifmaschinenverleih in der Grindelallee für die multiple Vermeidung von Deppenbindestrichen.

20 März 2011

Moraltest mit Sitzkissen



Wenn man bei überschaubaren neun Grad Außentemperatur die Bundesligapartie Hamburger Sportverein gegen den 1. FC Köln besuchen will, sollte man unbedingt ein Sitzkissen mitnehmen. Die Plastikschalen im Stadion sind nämlich kälter als Eisbärschnauzen, sogar im Sommer.

Zum Glück stehen mir standardmäßig zwei entsprechende Polsterunterlagen zur Verfügung: eine mit dem Emblem des FC St. Pauli drauf (= taktisch womöglich unklug) und eine von der WM 2006 (= perfekt).

In der S-Bahn stelle ich allerdings fest, keine der beiden eingesteckt zu haben.

Eine Erkenntnis, die mir liebend gern den Nachmittag vergällen möchte; allerdings weiß ich da noch nicht, dass mich droben in Stellingen noch erheblich Vergällenderes erwarten wird. Doch dazu später.

Als ich im Stadion sitzkissenlos und missmutig Richtung Block 21B unterwegs bin, fällt plötzlich einer eislutschenden Frau vor mir etwas runter, ohne dass sie es bemerkt.

Es ist – ungelogen, vallah! – ein Sitzkissen.

Das Prachtexemplar seiner Art ist zwar mit allen Insignien des HSV versehen, doch andererseits auch verführerische fünf Zentimeter dick und anscheinend aufs Funktionalste gepolstert und gedämmt – von so etwas, sagen wir es rundheraus, träumt bei neun Grad Außentemperatur jeder Arsch.

Und es liegt vor meinen Füßen. Ich brauche es nur aufzuheben.

Das Spiel entwickelt sich sehr schnell sehr unschön. Die Kölner Spieler scheinen alle spontan an Narkolepsie erkrankt zu sein. Sie wachen erst auf, als sie 0:4 hinten liegen. Immerhin geht das zerschmetternde 2:6 als torreichstes Livespiel meiner Bundesligakarriere in die Geschichte ein. Na super.

Das verlorene Sitzkissen hatte ich übrigens dann doch der Frau hinterhergetragen. Zwei Stunden lang ein kalter Hintern: Das muss einem das Karma schon wert sein.

(Verdammt.)


16 März 2011

Ha(a)r, ha(a)r



Wir sehen hier einen zerschmetterten Mann. Doch er hat bei aller Traurigkeit – und das lobe ich ausdrücklich – die Haare schön.

Im Gegensatz zu diesem zu Unrecht geliketen Flokati, der mir am Wochenende auf dem Flohmarkt am Schlachthof begegnete.


07 März 2011

HSV gegen Mainz = 5:1 für uns



Am Bahnhof Stelliingen finden wir einen mit HSV-Flaggen dekorierten Bierstand vor. Das freilich wäre noch nichts Erstaunliches, doch hinterm Tresen stehen zwei circa zwölfjährige Pimpfe und verticken Holsten in Dosen. Zwölfjährige!

Vielleicht ist so was sogar irgendwie legal, denn immerhin trinken die Jungs nichts davon. Als ich zur Dokumentation dieses segensreichen kindlichen Wirkens am Bruttosozialprodukt die Kamera zücke, fällt mir der Franke in den Arm. Ich solle das lassen, argumentiert er, um keine behördliche Aufmerksamkeit auf den Schwarzmarkt zu lenken.

Dieser bauernschlaue Mitallenwasserngewaschene – auf so eine Idee wäre ich gar nicht gekommen! Als bekanntermaßen gut Belehrbarer gebe ich seinem Einwand aber sofort statt. Ersatzweise muss er sich allerdings dazu verdingen, mir höchstpersönlich eine der erstandenen Bierdosen ins Bild zu halten (Foto).

Ein Beweis für einen Bierstand mit zwei circa zwölfjährigen Pimpfen, die Holsten in Dosen verkaufen, ist das allerdings nicht, Herr Staatsanwalt!

Vorm Spiel hatte ich getwittert „Auf dem Weg nach Stellingen, dem HSV Pech bringen“, und was soll ich sagen … Wir sitzen zufällig auch noch hinterm jenem Tor, das fünf der insgesamt sechs Treffer des Nachmittags für sich verbuchen darf. Dafür bedanke ich mich ganz herzlich, und zwar ausdrücklich bei beiden Teams.

Außer bei Mladen Petric; der traf gegenüber.


16 Februar 2011

Derbysieg



Nach dem so glücklichen wie gloriosen Derbysieg des FC St. Pauli – welcher der Gegend rund um die Reeperbahn den größten Fußballtag seit 34 Jahren verschafft – ist es hier um kurz vor Mitternacht erstaunlich ruhig. Die mittwochsüblichen versprengten Sirenen aus der Ferne, das ist alles.

Vielleicht kloppen sie sich auch nur woanders (was man aus Anwohnersicht nur begrüßen kann). Die St. Paulianer, das zurzeit glücklichste Volk der Welt, wenn nicht ganz Hamburgs, feiern anscheinend alle drinnen, und die HSVler sind mental wohl viel zu zerbröselt, um noch die Energie für einen Kiezbesuch aufzubringen, wo sie im besten Fall verhöhnt, im schlimmsten getröstet würden.

„Wenn ich sehe, wie die Paulianer hier in unserem Stadion feiern, könnte ich kotzen", sagte vorhin Bastian Reinhardt, der Sportdirektor des HSV, im Fernsehinterview. Und mal ehrlich: Das sind die schönsten Worte, seit ich mir damals
zitternd vor Ergriffenheit Rainer Maria Rilkes „Duineser Elegien“ laut vorgelesen habe.

Man sollte sie sich auf ein T-Shirt drucken lassen und es dann nie mehr waschen. Reinhardt, nicht Rilke.


Obwohl: den auch.

Foto: Spiegel online


Mit links



Wenn man bereits ein krankes Knie sein eigen nennt und legt sich dann auch noch blitzeisbedingt mit dem Fahrrad lang hin:

Ist es dann eigentlich besser, aufs lädierte Knie zu donnern oder doch lieber aufs andere, bisher gesunde – mit der Konsequenz, somit überhaupt kein voll funktionsfähiges Gelenk mehr verfügbar zu haben?

Das sind Fragen, mit denen ich mir zurzeit das Hirn martere. Jedenfalls knallte ich aufs rechte, das jetzt noch malader ist als vorher. Mein linkes hingegen funktioniert astrein, dafür könnte ich es knutschen.

Das ebenfalls in Mitleidenschaft gezogene Handgelenk hätte hingegen besser nicht ausgerechnet das rechte sein sollen. Es ist nämlich, wie sich herausgestellt hat, von erstaunlicher Diffizilität, sich mit links ein Brot zu schmieren. Das sollte man in guten Zeiten öfter üben – nur so als Tipp.

Doch das ist eh alles pillepalle, es gibt zurzeit Wichtigeres in der Stadt: Das vorletzte Woche dem Wetter zum Opfer gefallene Derby zwischen dem HSV und dem FC St. Pauli steht endlich an. Prompt schneit es sei heute wieder aus allen Löchern, als fände Frau Holle den Termin erneut nicht dolle.

Die Stadt aber ist nicht nur wetterbedingt im Ausnahmezustand: Wie es heißt, soll die Polizei vorsorglich schon mal den größten verfügbaren Wasserwerfer betankt haben.

Wohnten wir im Erdgeschoss, ich würde alle Fenster verrammeln – mit der gleichen Anmut und Eleganz übrigens, wie ich mir zurzeit ein Butterbrot schmiere.


07 Februar 2011

Das große dunkle Loch im Nachmittag



Wenn so ein Derby ausfällt wie gerade das in der Wie-auch-immer-Arena an der Müllverbrennungsanlage, dann fühlt man sich um wesentliche Gefühle betrogen. Um die Vorfreude, das Entgegenfiebern, das Kribbeln. Um die Angstlust in der Magengegend.

Zwischen 15:30 und 17:15 Uhr klaffte jedenfalls ein großes dunkles Loch im Nachmittag, derweil draußen Hamburg weiterhin im Regen ertrank, wie seit Tagen schon.

Nur kurz war ich daher morgens draußen gewesen zum Brötchen- und Zeitungsholen und fand dabei Gelegenheit, die Überreste des gestern von HSV-Hools zerlegten Streifenwagens zu fotografieren.

Auch unsere gläserne Haustür hatte trotz ihrer generellen Passivität den Zorn dieser Menschen erregt und wies nun strahlenkranzförmige Splitterspuren von beeindruckender Länge auf.

Eine gläserne Haustür auf St. Pauli: Das ist aber auch wirklich eine tolle Idee.



30 Januar 2011

Liebe auf den ersten Kick



Meine Eltern vergötterten die Berge und alles, was damit zusammenhing, also Trenker, Trachten, Sissi, Edelweiß, Urlaub am Königssee, Maria Hellwig und die Oberkrainer.

All das trieb mich später zuverlässig in die Arme der Sex Pistols, aber das ist eine andere Geschichte. In der hier geht es um Fußball.

Da meine Eltern die Berge vergötterten und damit logischerweie auch das alpenreichste Bundesland, war mein Vater von jeher ein Fan des FC Bayern München. Und als ich 9 war, beschloss er, ich müsse nun auch einer Mannschaft anhängen, am besten natürlich (das dachte er jedenfalls insgeheim) dem FC Bayern.

Statt das einfach ex cathedra zu verkünden, was in seiner väterlichen Macht gelegen hätte, stellte er eine todsichere Falle auf, in die der naive kleine Junge tappen sollte. Ein Samstag sollte die Entscheidung bringen.

Der FC Bayern München spielte damals zu Hause gegen den 1. FC Köln, und mein Vater verkündete sardonisch, wer dieses Spiel gewänne, solle meine Mannschaft werden. Ich war 9 und nickte eifrig. Ich konnte natürlich nicht wissen, dass der FC Bayern als haushoher Favorit ins Spiel ging. Ich hätte nicht einmal definieren können, was genau eine Falle ist.

Wir sahen die Zusammenfassung gemeinsam in der Sportschau, in Schwarz-Weiß. In der 14. Minute ging Köln überraschend in Führung, Torschütze war Carl-Heinz Rühl. Kurz nach der Halbzeit gelang zwar Gerd Müller (wem sonst?) der Ausgleich. Doch dann die Sensation: Heinz Simmet köpfte in der 60. den Siegtreffer, und dabei blieb es. Der erste Erfolg der Kölner in München überhaupt.

Mein Vater war danach sehr still. „Köln hat gewonnen, Papa! Köln ist jetzt meine Mannschaft, nicht wahr, Papa?“, rief ich begeistert und zupfte ihm am Ärmel. Er brummelte irgendetwas, das ein Erwachsener als mit Widerwillen kontaminierte Zustimmung gedeutet hätte.

Wie auch immer: Damit war es besiegelt. Der 1. FC Köln war fortan meine Mannschaft. Dieser entscheidende Samstag ist schon Jahrzehnte her, doch so blieb es seither, und so wird es immer bleiben.

Die Erwählung der Lieblingsmannschaft ist schließlich kein Spaß, keine Ehe oder so ein Pipifax, sondern eine Lebensentscheidung – und zwar ganz egal, unter welchen Umständen sie zustande kam, und sei es durchs zufällige Nichttappen in eine sorgfältig aufgestellte Falle.

Seit ich auf dem Kiez lebe, liebe ich außerdem den FC St. Pauli, und immer, wenn er gegen den 1. FC Köln spielt, stürzt mich diese Partie in eine widersprüchliche Gefühlslage.

Als heute Mittag Andreas anrief und mich fragte, ob ich die Dauerkarte einer erkrankten Freundin übernehmen und zur Partie gegen den 1. FC Köln ins Millerntorstadion gehen könne, wechselten die eigentlich konkurrierenden Drüsen für Dopamin und Adrenalin parallel in den Akkordmodus. Kurz vor 3 holte ich die Karte bei Andreas ab. „Für wen bist du heute eigentlich?“, fragte er.

Und dann sagte ich es ihm.

24 Januar 2011

Das Herz von St. Pauli



Unter den Fans des FC St. Pauli gibt es eine Fraktion, die sich „Sozialromantiker“ nennt. Sie wendet sich gegen die Kommerzialisierung des Vereins, gegen dauerblinkende LED-Werbebanden, gegen Stripshows in den VIP-Logen und markenkernfremdes Marketing.

Ihr selbstironischer Name soll sie präventiv schützen vorm unweigerlichen Vorwurf, von gestern zu sein, die Mechanismen des modernen Fußballs nicht zu verstehen. Ihr Name reißt diese Tür einfach sperrangelweit auf, so dass sie erst gar niemand mehr einzutreten braucht.

Doch es kann sein, dass die selbstironischen Sozialromantiker des FC St. Pauli einer Zeit nachtrauern, die leider nicht so war, wie sie glauben.

Denn 2008, zu Zweitligazeiten, sollen nach Aussage des Hauptangeklagten im Fußballwettskandal bei mehreren Partien insgesamt fünf Spieler des FC St. Pauli bestochen gewesen sein.

Bisher wusste man von einem, und so etwas kann vorkommen, auch in der besten Familie. Ein schwarzes Schaf kann es immer geben, dagegen ist kein Verein, kein Unternehmen, keine noch so verschworene Gemeinschaft gefeit.

Aber fünf? Das wäre fast die halbe Mannschaft. Das wäre ein GAU für meinen kleinen Stadtteilverein, das würde ihn in den Grundfesten erschüttern.

Der FC St. Pauli konnte zwar noch nie mit Meisterschaften wuchern, aber immer mit Glaubwürdigkeit, Integrität und Herzblut. So schaffte es der Club, die Fanszene gleichsam zu verschmelzen mit dem Verein. Bei keinem anderen deutschen Proficlub nehmen die Anhänger so viel Einfluss auf die Vereinspolitik, und nirgendwo werden sie so ernstgenommen von der sportlichen und betriebswirtschaftlichen Führung.

Sie weiß einfach, dass die Fans die Außenwirkung des Clubs mehr prägen, als es ein Vorstand oder gar die Mannschaft selbst je könnte. Ihr Antirassismus, ihr Kampf gegen Neonazis, ihr Engagement gegen die Yuppiefizierung dieses kleinen Stadtteils: Ohne diese politische Homogenität und ihre Rückwirkung auf das Image des FC St. Pauli wäre der Club nur eine kleine graue Fahrstuhlmannschaft unter vielen.

So aber hat er Fans auf der ganzen Welt, und das Stadion ist dauerausverkauft, so dass man selbst als Vereinsmitglied praktisch niemals Karten bekommt. Und die Fußballprofimannschaft ausgerechnet dieses unvergleichlichen Clubs soll 2008 fünf Verräter in ihren Reihen gehabt haben, die auf sämtliche Werte, die der FC St. Pauli verkörpert – Glaubwürdigkeit, Integrität und Herzblut –, geschissen haben …?

Undenkbar. Doch warum sollte Sapina lügen, warum Anschuldigungen frei erfinden?

Noch sind keine Namen bekannt, noch ist alles in der Schwebe. Und dennoch geht man momentan anders durch St. Pauli – so, als veränderte sich nicht nur die Architektur dieses Stadtteils radikal, sondern auch sein wahres Herz.

Und ich meine nicht die Reeperbahn.

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17 Januar 2011

Ausflug ins Hömmaland



Da fährt man schon mal extra nach Gelsenkirchen, um
Raúl spielen und den HSV auf Schalke verlieren zu sehen, und dann gewinnt er dort, der HSV. Tja.

Die Stimmung hinterher in der Stadionkneipe war dennoch von Gerstensaft und Feierwillen geprägt. Ich hätte ja nicht gedacht, die oft karikierten Hömma-hömma-Typen auch mal in Wirklichkeit anzutreffen. Das war aber der Fall – zum Beispiel in Gestalt von Uli, einem grundgutgelaunten Schalkefan mit Schal und Schlagseite.

„Hömma“, sagte er, „wir fahrn zum Spiel Sangpauli-Schallkö am sweiten Abrill, hömma.“ Uli legte mir den Arm auf die Schulter und herzte mich. „Wir sinn im Hotel Namber Wonn, hömma“, fuhr er fort, „das iss in Hamm oder irgendwo, scheißegal.“

Meine Mimik schien Interesse an seinen Schilderungen zu signalisieren, jedenfalls fühlte er sich ermuntert, weitere Detailinformationen nachzuschieben. „Das Hotel Namber Wonn kost 50 oder 80 Euro, scheißegal“, sagte Uli.

„Für 80 Euro hättet ihr auch mitten auf dem Kiez ein Hotel nehmen können“, versuchte ich ihm eine sinnvolle Umbuchung schmackhaft zu machen. Uli kuckte mich so zweifelnd wie glasig an.

„Echt?“, sagte er und wirkte fast nüchtern dabei. „Mit de Bräute?“
„Nein“, bedauerte ich, „die Bräute kosten extra.“
„Scheißegal, hömma!“, rief Uli, „ich find euch spitze!“ Und dabei drückte er seine Stoppelwange derart fest an meine, dass ich befürchtete, als einprägsamstes Schalkesouvenir Kratzspuren mit nach Hause zu bringen.

Später, in der Straßenbahn zurück in die Stadt, sangen HSV-Fans „Wir fahrn nach Hause/ihr müsst hier wohnen“, ohne dass den Schalker Frustkappen eine adäquate Erwiderung einfiel. Aber Uli war ja auch nicht an Bord; der hätte ihnen schon gezeigt, wo der Schalker Kreisel sein Drehmoment hernimmt, hömma.

Selbst als die HSVer Schalke 04 zunächst zu „Scheiße 04“ verballhornten, um daraus übergangsweise „Hartz 04“ und schließlich „HIV“ abzuleiten, gelang ihnen als Entgegnung nichts weiter als der trotzige, aber just nicht sonderlich gut mit Substanz unterfütterte Choral „Schalke ist der geilste Club der Welt, der Welt, der We-he-helt!“

HSV-Fans bevölkerten auf der Rückfahrt nach Hamburg logischerweise auch unseren IC-Großraumwagen, was das konzentrierte Lesen durchaus erschwerte. Dabei waren sie verkatert und vergleichsweise maulfaul. Einer sagte zwischendurch mal „Könnihr euch bidde hinsetzen, ihr betrung’gn’n Schweine“, aber das war’s auch im Wesentlichen schon.

Kurz hinter Harburg rief noch einer: „Sechs halbe Hahn sind drei Broiler!“, und dann war dieser vor allem ethnologisch interessante Wochenendausflug auch schon wieder zu Ende.

14 Januar 2011

Schwarzes nur im Hellen



Weizen???“, blafft der Franke mich entsetzt an, als ich naiverweise fürs Fußballkucken morgen Abend ein entsprechendes Getränk in Aussicht stelle. „Hast du Weizen gesagt? Es ist nicht das Wetter für Weizen!“

Ich glotze dumm aus der Wäsche und dennoch zur Sicherheit prüfend aus dem Fenster. Was dort zu sehen ist, stimmt nicht fröhlich: Es regnet, von den kahlen Ästen der eh gebeutelten Stadtbäume tropft die Soße, Hamburg kombiniert heute Nachmittag auf wenig feinfühlige Weise Grau mit Grau.

Mir dämmert, dass der Mann aus dem Land des Veschperla ein Weizenbier offenbar mit Outdoorlichtverhältnissen konnektiert, welche die Farbe des Getränks möglichst kongenial abbilden. Beim Bier ist der Mann aus dem Land des Zwiebelblootz eben noch eigener als sonst, das hätte man sich denken können.

„Und Schwarzes trinke ich nur, wenn es hell ist!“, ruft er allerdings plötzlich emphatisch aus, ganz berauscht von seiner Methode, deren Entsprechung im modernen Fußball bereits als Philosophie durchginge. „Und Helles wahrscheinlich nur nach Sonnenuntergang?“, mutmaße ich müde. „Richtig!“, schnappt der Mann aus dem Land des Apfelkiechla, „und an regnerischen Tagen nur und ausschließlich Rauchbier!“

Ich weiß nicht mal, was das ist, Rauchbier, doch mir erschließt sich anhand der Vielzahl der Beispiele allmählich sein Prinzip: Es ist das des antizyklischen, sozusagen gekachelmannten Trinkens, auch wenn seine Weizenbiermethodik zunächst in eine andere Richtung zu weisen schien.

Fränkische Bierdialektik. Hegel wäre begeistert.

Zur Sicherheit werde ich für den Mann aus dem Land der Faulenzerklöße morgen Abend also Folgendes bereithalten: Weizen, Schwarzes, Helles und am besten auch Pils (ohne dass mir dazu spontan ein Wetter einfiele).

Damit müsste ich eigentlich sämtliche meteorologischen Bedingungen abgedeckt haben. Nur ein Wintergewitter würde mich auf dem falschen Fuß erwischen. Oder ginge Malzbier?


Ach, es ist alles nicht einfach.


08 November 2010

Womöglich quadrophren



Hm, legt man quantitative Maßstäbe an (also die jeweilige Stofffläche zugrunde), so ist der Ausstatter dieses schwer in die Jahre gekommenen Balkons wohl eher HSV- als St.-Pauli- oder Deutschlandfan. Es sei denn, man wertet den blauweißen Sichtschutz als hingergründiges Bekenntnis zu Griechenland.

Der Balkon liegt zwischen Reeperbahn und Hafen in der Hamburger Hochstraße, und Rückschlüsse auf die dortigen Wohnverhältnisse fallen wirklich nicht leicht. Entweder lebt dort ein Schizo- bzw. Trizo-, ja vielleicht sogar Quadrophrener – oder aber eine uneinige, sich gleichwohl widerwillig zusammenraufende Familie mit Migrationshintergrund.

Jedenfalls ist dieser Balkon ein weiteres herzerwärmendes Beispiel für kieztypische Toleranz und Koexistenz. Auf St. Pauli wird einem eben jede Schrulle nachgesehen – und sei es die schrulligste von allen, nämlich die Raute am Geländer.



20 Oktober 2010

Ein Stapel Illusionen

Auf der Suche nach der Champions-League-Konferenz strande ich im Lehmitz auf der Reeperbahn, wo mich sofort ein etwa 40-jähriger Parkatyp mit lichtem Haar, Bartflaum und sanften Augen in Beschlag nimmt.

„Ich bin Psychotiker“, gibt er zur grundsätzlichen Verbesserung der Gesprächsatmosphäre bekannt, während er abwechselnd an Kippe und Astra nuckelt. „Psyche heißt nämlich Seele, verstehen Sie?“ Nun ja, höchstens halb.

Er will alles von mir wissen, Sternzeichen, chinesisches Sternzeichen, was und wo ich arbeite, Geburtsjahr, ob ich schon mal LSD genommen hätte. Ach nein? Und Pilze? Nein.

Er hat sich blöderweise zwischen mir und der Leinwand platziert, was den Fußballkonsum zusätzlich erschwert. Denn im Lehmitz läuft auch keineswegs der Kommentar über die Boxen, sondern lauthals Wishbone Ash. Natürlich: eine bahnbrechende Band für den Bluesrock, die mehrstimmigen Harmonien, die zwei Leadgitarren, alles neu, alles großartig, völlig klar. Zumindest 1972 – und nicht unbedingt während einer Livekonferenz der Champions League 2010.

Immer wieder luge ich über den Kopf des Psychotikers, um die ganzen Eigentore des CFR Cluj zugunsten des FC Bayern mitzukriegen, doch er erwehrt sich meines halbherzig demonstrierten Desinteresses mit sanfter Beharrlichkeit.

„Kennste den Spruch von George Lukas: ,Möge die Macht mit dir sein’?“, fragt er. Ronaldo versemmelt gerade für Real Madrid einen Freistoß. „Ja, ein Klassiker“, murmle ich und schiele hoch zur Leinwand. „Willst du den dritten Weltkrieg subventionieren?“, fragt er. „Was hat das mit George Lukas zu tun?“, antworte ich. „Mit dieser Frage“, sagt er mit bedeutunsschwangerem Psychotikerblick, „lass ich dich jetzt mal alleine.“

Eine super, super Idee. Leider hält sie nicht lange vor. „Jedem Menschen seine Realität besteht ausm Stapel von Illusionen“
, präsentiert er mir, bewaffnet mit einem neuen Astra, nur wenig später seine Lieblingsweisheit.

Vielleicht ist das gar nicht mal so blöd, aber ich habe keine Lust, ernsthaft darüber nachzudenken, während Mourinho gerade Özil auswechselt. Inzwischen laufen Hendrix-Coverversionen.

„Beschäftige dich mit der Wellentheorie von McCannon!“, rät er mir inzwischen mit der Dringlichkeit eines Missionars und mich längst nassforsch duzend, schließlich kennen wir uns ja bereits sehr gut.

„Ja, google ich mal“, sage ich, und dann schießt Cluj das fünfte Tor, endlich mal wieder auf eigene Rechnung. Bei Google finde ich aber keinen Eintrag zur McCannon’schen Wellentheorie, deshalb werde ich das Thema vorläufig fallen lassen.

Und morgen Abend suche ich mir einen anderen Champions-League-Laden auf der Reeperbahn, das ist mal sicher. Aber so was von.


(ID: c6fe60d6a2c3418383f22d9747e0de6d)

19 Oktober 2010

Hain, ich weiß, wo du wohnst!

Eigentlich bin ich überhaupt kein Vereinstyp, bin nirgends drin, nur in der Gewerkschaft – und seit einigen Jahren in der Fußballabteilung des FC St. Pauli 1910.

Die Gründe dafür, damals Mitglied zu werden, lagen nicht nur in der stillen Hoffnung, so mein Karma beim Ergattern einer Dauerkarte zu verbessern (wenn nicht in diesem, dann wenigstens im nächsten Leben – und darauf wird es wohl hinauslaufen), sondern auch in der festen Verwurzelung des Vereins in meinem Viertel.

Das Stadion des FC liegt unweit unserer Wohnung mitten auf St. Pauli, es ist umgeben von Miet- und Bürohäusern, von Schwimmbad, Schule, Kneipen und dem Heiligengeistfeld, wo dreimal im Jahr ein Rummel namens Dom stattfindet, was bei Heimspielen zu einem wunderbaren Durch- und Miteinander der verschiedensten Besucherströme führt.

Doch nicht nur das Stadion fühlt sich sauwohl im Viertel und denkt nicht mal im Traum daran, wegzuziehen, auch die Spieler des FC St. Pauli wohnen in der Regel nicht in einer Alstervilla, sondern durchaus auch mal hier, in unserer Nachbarschaft.

Neulich zum Beispiel fuhr ich mit dem Fahrrad durch die *****straße in Stadionnähe, als ein Mann gerade die Haustür eines unscheinbaren Mehrfamilienhauses aufschloss, im Arm eine Einkaufstüte und an der Seite einen kleinen Jungen, der ihm ungefähr bis an die Hüfte reichte.

Den Mann kennst du doch, dachte ich, das ist doch … der Torwart des FC St. Pauli. Mathias Hain heißt er, er hat also ein t weniger als ich und ist zurzeit verletzt. Sein Bewegungsablauf hier an der Haustür in der *****straße gab in seiner Eleganz und Geschmeidigkeit jedoch zu den schönsten Rekonvaleszenzhoffnungen Anlass.

Zwecks Verifikatiion meiner Beobachtung drehte ich um, stieg vom Rad und schaute nach einer gewissen Karenzzeit rückversichernd aufs Klingelschild. Und in der Tat: Da stand: „Hain“.

Keine große Sache, natürlich nicht. Sondern nur weiteres Detail eines schillerndbunten Mosaiks, das sich – trotz aller zwangsläufigen Kommerzialisierung, ohne die kein Verein in der Bundesliga bestehen könnte – verdichtet zur großen Sympathieträgerschaft eines kleinen Stadtteilclubs. Da kann man schon mal mit Mitglied werden, verdammt. Auch als Vereinsmuffel.

Vielleicht hätte ich die Gelegenheit nutzen, bei Hain klingeln und ihm klagen sollen von der Vergeblichkeit meines jahrelangen strebenden Bemühens um eine Dauerkarte. Doch zweifellos wäre es unfein gewesen, ihn beim Auspacken seiner Einkaufstüte zu stören.

Na ja, immerhin weiß ich jetzt, wo er wohnt, der Hain.


17 Oktober 2010

Seit pfirsich Jahren Mitglied



Gegen 14 Uhr streunte ich hoffnungsfroh über den Stadionvorplatz, um eventuell noch kurzfristig eine Schwarzmarktkarte für das St.-Pauli-Heimspiel gegen Nürnberg zu ergattern.

Doch ich bekam nicht mal die Chance, mich über Mondpreise aufzuregen, weil niemand, der ein Ticket besaß, auch nur im Traum daran dachte, es mir kurzfristig zu verhökern.

Also schlich ich mich frustriert nach Hause und schaute trübe und verdüstert der Alternative Fitnesstraining bei Chris, dem Schlächter, entgegen, als das Telefon klingelte und Andreas mich fragte, was ich heute Nachmittag vorhätte.

„Habe gerade vergeblich versucht, vorm Stadion eine Schwarzmarktkarte zu kaufen“, maulte ich. „Gut so“, sagte er, „ich schenk dir eine.“

Tja, und dann wachte ich auf und fand mich in der Wirklichkeit wieder, wo so etwas nun mal nicht geschieht, es sei denn, ein GZSZ-Autor schriebe das Drehbuch …

Der letzte Satz ist allerdings erstunken und erlogen, denn die Geschichte stimmt wirklich, sie trug sich genauso zu, und eine Stunde später stand ich mit Andreas und seiner Clique in der Gegengerade unten am Zaun, was ich allerdings nicht lange durchhielt, weil man dort nichts sieht außer Gitterstangen und die Rücken glücklicher Kinder, die in zwei Meter Höhe drankleben, weil ihre Papas sie dort hingehängt haben.

Also stieg ich rempelnd und quetschend ein paar Stufen höher. Hinter mir erzählte ein Fan seinem Kumpel, er sei seit 40 Jahren Vereinsmitglied. „Stell dir das ma vor, Mönsch“, sagte er, „seit vierzich Jahren! Verstehst du? Viiieeeeeerzich! Was ’n das für ’ne Zahl, sach ma?“

Das konnte sein Kumpel auch nicht so genau sagen. Der altgediente Fan wurde daher nicht müde, sich an dieser Wahnsinnszahl zu berauschen. Er knautschte und dehnte sie, kaute darauf herum, beschmeckte sie von allen Seiten, deklinierte all ihre phonetischen Varianten durch, und ganz zum Schluss sagt er die 40 so blitzgeschwind, dass sie klang wie „Ftzch“.

Dann endlich hatte der ganze Block es begriffen, was diese Zahl bedeutete. Und am Ende auch, was ein 3:2 gegen Nürnberg bedeutet: nämlich Jubel, Trubel, Heimsiegseligkeit – plus Bierdusche für alle.


Und ich meine alle.

19 September 2010

FC St. Pauli–HSV: Selbsthass in St. Ellingen



Das Wochenende (vor allem natürlich der Sonntag) war geprägt vom diesjährigen Finale um die Hamburger Stadtmeisterschaft im Fußball. St. Pauli gegen St. Ellingen gewissermaßen, oder, um es allgemeinverständlicher zu formulieren, FC St. Pauli gegen den HSV.

Jeder Polizist im Viertel – es waren angeblich tausend im Einsatz – hatte die Verantwortung für durchschnittlich 23 Fans. Eine gute Quote, wenn man bedenkt, dass an anderen Tagen jeder Cop 184 Hamburger umsorgen muss.

Die Reeperbahn war sicherheitshalber vollgesperrt, und als ich gegen 14 Uhr zum Natasholen in die Davidstraße aufbrach, wurde gerade ein halbes Tausend HSV-Fans von Bullen und Pferden gen Stadion geleitet. Die Fans brüllten „Scheiß St. Pauli!“ und „Das hier ist unser Revier!“, und ich fragte mich mal wieder, warum die HSV-Anhänger sich bloß so abarbeiten müssen am FC St. Pauli.

Ich meine: Die Braun-Weißen sind eine Fahrstuhlmannschaft und der HSV ein Weltverein, der 1983 sogar schon mal den Vorgängerwettbewerb der Champions League gewonnen hat. In ihren Augen müsste der FC doch nichts weiter als Fliegenschiss sein.

Und trotzdem stellen sich manche HSV-Nasen nachts den Wecker, um St.-Pauli-Fans und -Spieler zu verprügeln, die am Bahnhof Altona den Zug verlassen. Trotzdem bemalen sie das FC-Emblem vorm Stadion mit blauer Farbe. Trotzdem schreien sie „Scheiß St. Pauli!“, dass ihr Geifer den Mittelstreifen der Reeperbahn düngt.

Warum tun die das? Warum folgen sie nicht dem weisen Rat „Nicht mal ignorieren!“, den Karl Valentin ihnen doch schon Anfang des 20. Jahrhunderts auf dem Silbertablett serviert hatte?


Ich glaube, ich weiß warum: Weil sie neidisch sind. Auf den FC St. Pauli.

Dieser kleine Scheißverein hat es geschafft, weltweit als saucool zu gelten. Er kommt aus dem berühmtesten deutschen Stadtteil der Welt und hat ein Corporate Design, mit dem du auch außerhalb der Kickersphäre positiv auffällst. Mit den Totenkopftrikots des FCSTP punktest du in London genauso wie in New York, in Tokio wie in Brisbane. Der Verein hat eine klare politische Linie (links-alternativ, antirassistisch), ein Faible für Punk und verdammt viele Frauen als Fans – kurz: ein Image, das überall dort ankommt, wo Leute sich als unangepasst und kritisch empfinden, selbst wenn sie gar keine Fußballfans sind.

Und was hat der HSV? Seit 1983 einen Pokal des Vorgängerwettbewerbs der Champions League in der Vitrine, eine Legende namens Uwe Seeler und ein Stadion, dessen Namen er alle paar Jahre meistbietend verhökert.

Auch wenn sie einem Weltverein anhängen: Der Neid auf Nimbus und Image des FC St. Pauli, auf diesen charmanten Mix aus Rotlicht, Rock’n’Roll, Toleranz und Laissez-faire nagt so sehr an den HSV-Fans, dass sie ihren Hass auf das Leid, welches ihnen dieser kleine Stadtteilverein durch seine bloße Existenz unablässig zufügt, immer wieder herausschreien müssen.

Irgendjemand müsste ihnen vielleicht mal erzählen, dass es in Wahrheit Selbsthass ist. Sie kompensieren damit etwas – in Anbetracht der Rahmenbedingungen – ganz Erstaunliches: einen kapitalen Minderwertigkeitskomplex.

Ach ja, das Spiel: Es endete 1:1, weil der Weltverein zwei Minuten vor Schluss durch einen Glücksschuss noch den Ausgleich schaffte. Und auf der vollgesperrten Reeperbahn trockneten derweil die Pferdeäpfel.