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05 September 2010

Eat this, Sarrazin!



Drei etwa 16-jährige Jungs anscheinend türkischer Herkunft steigen in St. Pauli in die U3, ordnungsgemäß dokumentiert von der abgebildeten Überwachungskamera.

Einer hat eine Zeitung dabei und zitiert aufgeregt die Titelschlagzeile: „Boah, Sex an der Uni, Digger!“ Die Drei setzen sich hastig nebeneinander, blättern in der Zeitung und stecken erregt die Köpfe zusammen.

Offensichtlich gefällt ihnen, was sie sehen. „Wow!“, entfährt es jedenfalls einem. Doch erst sein Kumpel bringt alles auf den Punkt:

„Ich geh auch Uni, Digger!“

Dieser zufällig mitgehörte, am Ende nicht unbedingt vor Grammatik, aber vor Emphase platzende Dialog zeigt beispielhaft, mit welch einfachen Mitteln man junge Menschen mit Migrationshintergrund dazu motivieren kann, eine akademische Karriere anzustreben – und somit das vermeintliche Schicksal ererbter Minderintelligenz zu kompensieren.

Also: Eat this, Sarrazin!



24 August 2010

„Nehmt Geld dafür!“



Trotz des Katastrophensommers mit ausgefallenen ICE-Klimaanlagen, missglückten Abschleppversuchen und allgemeiner Unzufriedenheit fühlt die Bahn sich bereits wieder stark, selbstbewusst und öffentlich-rechtlich genug, um ihre Kunden zu düpieren – Durchsage am Wochenende auf der Fahrt von Kiel nach Hamburg:

„Wir bedanken uns bei den Fahrgästen, die sich im Türbereich aufgehalten haben; dadurch haben wir jetzt eine Verspätung von sechs Minuten.“

Auch auf der Reeperbahn (Foto) geht es natürlich manchmal sarkastisch zu, aber noch häufiger pragmatisch:

„Lasst euch nicht ansprechen“, hörte ich unlängst einen verdienten Kiezianer einem Passantenpaar hinterherrufen, „und wenn doch, dann nehmt Geld dafür!“

Hach, schon schön, wieder zu Hause zu sein.

25 Mai 2010

Schäuble kann beruhigt in Rente gehen

Bahnsteig Reeperbahn. Ein massiger, mit Tüten beladener Grauschopf von ungefähr 60 (wohl nicht immer leichten) Jahren lässt sich ächzend rechts neben mir auf die Drahtbank fallen, so dass seine Massigkeit leicht über die Lehne lappt.

Beim Hinsetzen hat er sich hüftsteif nach vorn gebeugt und großflächig eine fleckig gerötete Region direkt nördlich seines Podex entblößt. Dabei konnte ich sehen, dass seine Hose von einem einzelnen mittigen Träger vorm Absturz gerettet wird.


Alles in allem kein Anblick, der das Pfingstwochenende ästhetisch retten könnte.

Als er sitzt, beugt er sich sofort zu mir rüber und erzählt von den Staatsschulden, die schon jetzt 1,7 Billionen betrügen („Haben Sie das auch gelesen?“) und im Zuge der diversen „Rettungsmaßnahmen“ (er spricht das Wort aus, als wäre es mit einem grüngelben Schmier bedeckt) in einigen Jahren geradezu zwangsläufig auf 8 Billionen anwüchsen („Verfolgen Sie das Ganze?“).

Der Mann ignoriert fröhlich, dass ich Kopfhörer trage, und die Versuchung ist groß, ihn barsch abzukanzeln, entweder mit einem „Lassen Sie mich in Ruhe, bitte“ oder dem oft erprobten vielsagenden Schweigen inklusive stierem Blick ins Nichts.

Doch ich entscheide mich heute für die dritte Variante, für Ahas und Sosos, für Jas und Hmms und andere einsilbige Knappheiten, die, wie ich hoffe, in ihrer Frequenz und Ausschließlichkeit höflich, doch hinreichend deutlich Desinteresse vermitteln, ohne auch nur einen Zeh aufs gefährliche Feld der Ermunterung zu setzen.

Diese Taktik aber hält ihn keineswegs von weiteren wirtschaftspolitischen Einlassungen ab – und plötzlich sehe ich entsetzt meine rechte Hand den rechten Ohrhörer rausnehmen. Eine Geste, die weit mehr als nur einen Zeh aufs gefährliche Feld der Ermunterung setzt; es ist geradezu ein Sprung mit beiden Beinen mitten hinein in die Botschaft „Erzählen Sie ruhig weiter, ich habe selten so interessante Informationen über die Eurokrise gehört, wissen Sie eigentlich, dass unser Finanzminister siech ist und Merkel wahrscheinlich schon dringend nach Ersatz sucht? Wissen Sie das eigentlich?“.

Und genauso versteht der massige Mann auch meine Geste. Unmöglich kann ich sie jetzt wieder rückgängig machen und den Ohrhörer rechts wieder einstöpseln, denn das liefe umso deutlicher auf ein barsches Düpieren hinaus, was ich ja nun gerade in einem Anfall von Pfingstfriedfertigkeit vermeiden wollte.

Ich hänge also selbstverschuldet in der Falle, ausweglos – doch da kommt zum Glück die Bahn, und er verabschiedet sich wortreich („8 Billionen, denken Sie dran!“), wuchtet sich hoch, zeigt mir zum Abschied noch einmal seinen entblößten unteren Rücken und steigt ein.
Andernfalls, das muss ich zugeben, wäre ich in diese Bahn eingestiegen, obwohl erst die nächste meine war.

Mit meiner rechten Hand muss ich jetzt dringend mal ein ernstes Wörtchen reden.


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01 Mai 2010

Unter Vollprolls gen Köln



Als das knappe Dutzend Jungs lautstark unser Zugabteil entert, weiß ich sofort, dass die Fahrt gelaufen ist.

Schon beim Einsteigen balancieren sie ihr Gepäck aus – mit Bierflaschen. Alles was sie sagen, tun sie so, als müssten sie sich gegen eine Armada Presslufthämmer durchsetzen.

Wenn sie singen (was sie oft tun), handelt es sich um Lyrik à la „Whiskey und Kümmer-/ling-e-ling-e-ling“, und wenn sie nicht singen, dann grölen sie, und zwar „Olic! Olic! Olic!“.

In Osnabrück registrieren die Jungs durchs Fenster vergnügt eine Gruppe Mädchen mit Instrumenten auf dem Bahnsteig. „Boah“, staunt einer, als müsste er einen Presslufthammer übertönen, „die können Geige spielen!“ „Besser wäre Flöte“, ruft einer seiner Kumpel. So viel schlüpfrige Schlagfertigkeit hätte ich ihm gar nicht zugetraut, ehrlich gesagt.

Nach etwa der Hälfte der Strecke hat der Säugling auf dem Sitz vor uns genug vom Vollprollterror – und hält mit Schreien dagegen. Alles kein Ambiente, um unterm Kopfhörer ein Album von Owen Pallett zu hören oder einen Roman von Michel Houllebecq zu lesen (oder wie immer der geschrieben wird).

Unsere gemeinsame Fahrt mit den Jungs und dem Säugling dauert drei Stunden. Danach wanken wir aus dem Zug wie nach dem Ironman oder zwei schlaflosen Nächten oder beidem. Jetzt muss Köln uns retten, wo wir auf Einladung der Maritim-Kette das Wochenende verbringen.

Das Hotel liegt praktisch am Rhein und in Fußweite zum Dom. Verurteilte man mich zufällig zu lebenslänglich und dürfte ich mir aussuchen, wo ich die Strafe absitzen wollte, so wäre diese Mischung aus lichtdurchflutetem Atrium mit Mall (Foto) und Hotel drumherum gewiss nicht die letzte Wahl.

Da wir beide bisher noch nicht zu lebenslänglich verurteilt wurden, gehen wir nach dem Einchecken gleich mal die Gegend erkunden – und landen in einer Eisdiele, wo eine Frau zu einer anderen sagt: „Ich geh kurz bei Schlecker!“.

„Kölsch“, wird ein paar Stunden später der Maritim-Marketingdirektor Thomas Schüpstuhl uns mit einem Glas in der Hand erläutern, „ist die einzige Sprache, die man trinken kann.“ Und was soll ich sagen: Der Mann hat Recht.

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09 Februar 2010

Dräns west

Wenn wir uns in der U3 der Haltestelle Sternschanze nähern, ertönt stets die Bandansage einer sonoren Herrenstimme, die sich liebevoll um englischsprachige Passagiere kümmert.

Natürlich: Das hier ist ja auch Hamburg, das Tor zur Welt. Die sonore Herrenstimme sagt:

„Plies tschäinsch hier for echsebischen holl änd dräns west.“

Sehr lange Zeit habe ich mich gefragt, was die Stimme wohl mit „Trance West“ meinen könnte. Klar, ich kenne Trance als einen modernen Tanzstil, aber was hat das mit der Messe um die Ecke zu tun? Und warum muss es ausgerechnet die westliche Variante des Trance sein? Seine kulturellen Ursprünge scheinen mir doch eher im Osten zu liegen oder in Afrika.

Nein, das ergab alles keinen Sinn. Oder meinte der sonore Herr vielleicht so etwas wie einen „Transvest“iten? Immerhin liegt die Sternschanze in unmittelbarer Kieznähe; so abwegig wäre letztere Variante also nicht. Doch um mich semantisch restlos zu überzeugen, hätte der Satz irgendwie anders gestrickt sein müssen.

Monate-, möglicherweise jahrelang blieb der Sternschanzensatz für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Ich fühlte mich ein wenig wie jener Mensch, der aus dem Refrain von Bob Dylans größtem Hit immer ein rührendes Freundschaftsbekenntnis für Ameisen herausgehört hatte („… the ants are my friends …“)

Jedenfalls hörte ich immer nur „änd dräns west“, mein Hirn ließ sich davon nicht mehr abbringen. Und Ms. Columbo ging es beruhigenderweise ganz genauso.

Doch dann eines Tages (der noch gar nicht fern ist) legte jemand einen Synapsenschalter um, und plötzlich war die Sache glasklar. Die sonore Herrenstimme sprach von „entrance west“ – Westeingang! Alles fügte sich, der Satz ergab einen Sinn, die Welt fiel zurück in ihre Angeln, Naturgesetze galten wieder.

Seither fahre ich viel unneurotischer U-Bahn – was sich aber bald wieder ändern könnte, denn ich stelle gerade fest, dass sich die Mopo bereits des Dräns-west-Problems angenommen hatte.

Diesen Eintrag lösche ich trotzdem nicht mehr, so.


25 Dezember 2009

Bousdoukos hat auch eine ruhige Seite

Die automatische Damenstimme in der U3 betont unsere Haltestelle irgendwie komisch.

„Nächste Station: Sankt P…AU…li“, flötet sie. Beim Diphtong hebt sie die Stimme, und zwar anzüglich. „Als wenn sie sagen wollte: ,Sie wissen schon …'“, analysiert Ms. Columbo. Ganz genau. Ein vokales Augenzwinkern. Die Hochbahn weiß eben, was sie dem Kiez schuldig ist.

Rund um die Reeperbahn herrschte heute überwiegend Feiertagsruhe. Allerdings haben wir die Herbertstraße dahingehend nicht überprüft. Allweihnachtlich sollen sich dort ja die Entrechteten und Geknechteten besonders ballen, um sich für – sagen wir – 150 Euro temporär die Einsamkeit abkaufen zu lassen.

Wir hingegen taperten quer durch die Stadt, um im Mundsburgkino Fatih Akins „Soul Kitchen“ zu gucken. Ein Film, der wirkt, als hätte er sich an einem Aufputschmittel verschluckt, so penetrant ballert er uns mit bedeutsam gemeinter Musik zu, so überdreht ramentert das Ensemble durch die Kulissen; vor allem Adam Bousdoukos
als bandscheibenvorfallgeschädigter Gastronom.

Übrigens war Bousdoukos am Dienstag, als ich mit dem Franken und Kramer beim Mercadoitaliener speiste, ebenfalls aufgetaucht und goutierte mit ein paar Freunden die hervorragenden (weil selbstgemachten) Nudeln. Allerdings machte er privat weit weniger Krach als im Film, und wäre mir „Soul Kitchen“ am Dienstag bereits bekannt gewesen, so hätte ich Bousdoukos dafür sicher ausdrücklich belobigt.

Denn kaum etwas ist mir unangenehmer, als wenn man mich beim Lasagneessen mit Deppenleerzeichen (Foto) oder Lärm behelligt, der über das eh schon dezibelintensive Geplapper und Gelaber Kramers und des Franken hinausgeht.

Zusätzlich erträglich wäre höchstens eine Damenstimme, die „Sankt P…AU…li“ flötet, doch in der U-Bahn esse ich so gut wie nie Lasagene, vor allem keine selbstgemachte.


29 November 2009

Nichts wie raus

Die beiden jungen Blondinen, die kurz nach Mitternacht in Altona unseren S-Bahnwagen betraten, lachten und scherzten. Zwei fröhliche Teenager auf dem Weg in die Nacht.

Es war keineswesgs abzusehen, dass eine der beiden sich unmittelbar vor Erreichen der Station Reeperbahn exorbitant erbrechen würde, und zwar in mehreren kräftigen Schüben, die gelbrot und lautstark auf den Boden pladderten.

Noch während dies in unserer unmittelbaren Nähe geschah, hielt die Bahn, und selten zuvor in unserer HVV-Geschichte war das Aussteigen von einem derartigen Gefühl der Erleichterung geprägt wie diesmal.

Mein Mitgefühl galt den uns entgegenbrandenden Massen, die nun nichtsahnend hineindrängten. Ihr Schicksal war besiegelt, daran war nichts mehr zu ändern.

Die beiden Kreuztaler Anwälte haben mit dieser ganzen Geschichte übrigens nicht das Geringste zu tun.

08 Oktober 2009

Ein Killerclaim



In der S-Bahn wirbt der Familienfachdienst PFIFF dafür, „ältere Kinder und Jugendliche“ in Pflege zu nehmen.

Ob der Spruch „Mit denen können Sie was erleben“ allerdings ein Killerclaim ist, der die Bevölkerung dazu bringt, PFIFF die Racker nur so aus den Händen zu reißen, wage ich zu bezweifeln.


In meinen Ohren klingt er eher nach einer Drohung.

Insofern ist die Platzierung dieser Reklame von geradezu bezirzender Hintersinnigkeit: Sie klebt direkt neben dem Notruf.

09 August 2009

Bruce geht ran

Nach dem Sport frischgeduscht scheue ich den nächsten Schweißausbruch und entscheide mich wegen der drückenden Hitze gegen die Fahrradfahrt bergauf nach Hause.

Vorm Fitnessclub am Rödingsmarkt ist zum Glück eine U3-Haltestelle. Doch schon beim Einsteigen wird unmittelbar klar: Es war ein Fehler.

Der Waggon hat nämlich eine eineiige Zwillingsschwester, und die heißt finnische Sauna. Verschärfend hinzu kommt die heillose Überfüllung der Bahn. Ich finde kaum einen Platz für mich und mein Rad.

Hinter mir zudem steht ein Mann, der aussieht, als wäre er gern Bruce Willis zu „Die hard“-Zeiten. Sein Schweiß riecht nach verfaultem Heu, doch das wäre nicht mal so schlimm, wenn er nicht auch noch unauffällig Körperkontakt suchte. Er kommt wohl von der Christopher-Street-Day-Parade, die mit Wummertechno durch die Stadt zieht.

Zwischen Baumwall und St. Pauli versuche ich irgendwie zurückzuweichen, doch angesichts der beengten Situation – hinter mir der drängende Bruce, vor mir mein beharrlich immobiles Rad – bin ich chancenlos.

Manchmal muss man sich in sein Schicksal fügen. Und manchmal ist es überall besser, wo man grad nicht ist.


21 April 2009

Neulich im Zug von Berlin nach Hamburg

Kontrolleur: „Noch jemand zugestiechen?“
Mein Nachbar, ein fülliger Mann, der bereits an der vorletzten Station zugestiegen war, nämlich in Wittenberge: „Ich bin schon in Wittenberge zugestiegen.“
Kontrolleur (patzig): „Schullijung, dass ich nich gleich doa woahr. Mir höm nämlich möhrere Woachen.“
Ein schönes Beispiel für präventives Angepisstsein, das mir dennoch etwas überempfindlich vorkam. Beispielsweise wäre auch eine deutlich deeskalierendere Gesprächsfortführung wie diese denkbar gewesen: „Widdenberche? E scheenes Gaff. Gänsefleisch drozzdem de Fohrgorrde zeiche?“

Doch so kam es nicht, sondern anders. Gleichwohl gibt es entlastende Fakten, die man zugunsten des Kontrolleurs anführen muss.

So war der Arme zum Zeitpunkt seiner nur scheinbar grundlos schroff geführten Kommunikation noch Gefangener im fremden und seltsamen Mehdornland. Und dieser Zustand muss zuletzt auf Bahnangestellte gewirkt haben wie Leipzig 1988.

Der füllige Wittenberger jedenfalls sank nach diesem Anpfiff muffelnd in sich zusammen wie ein beleidigter Mollusk und sagte gar nichts mehr.


Am Freitag fahren wir übrigens wieder nach Berlin. Wir freuen uns schon.

Foto: Hauptbahnhof Hamburg, U-Bahnstation



23 Februar 2009

Pleiten, Pech und (doch nicht) Annen

Neulich, als der Hamburger SPD-Mann Niels Annen von seiner Partei nicht wiedergewählt wurde, plante ich eigentlich einen Blogeintrag mit dem Titel „Pleiten, Pech und Annen“. Hab ich verpasst – und darf zur Strafe jetzt über eigene Pannen bloggen.

Starten wir mit einer Frage: Wieso muss man bloß wegen einer popeligen LP, die man in den USA für lausige 10 Dollar ersteigert hat, zum Zollamt? Sinnlosigkeit, ick hör dir trapsen.

Vor der Arbeit breche ich also missmutig auf via Hauptbahnhof (Foto) gen Hamburger Osten. Fünf vor 9 schiebe ich mein Fahrrad in die U-Bahn, nicht ohne vorher eine Fahrkarte gelöst zu haben. Denn mein Abo gilt erst ab 9, und sicher ist sicher.

Mit mir steigen drei Herren in Zivil ein, die sich auffällig unauffällig über den ganzen Waggon verteilen. Kontrolleure, natürlich. Ich zeige gelassen mein Kurzstreckenticket.

Der Kontrolleur nickt und sagt: „Jetzt haben wir ein Problem. Ihr Fahrrad.“

Man darf nämlich sein Rad nicht vor 9 in der U-Bahn transportieren. Dass der Waggon halbleer ist, dass die Kontrolleure mich kaltlächelnd haben einsteigen lassen, statt mich auf dieses Verbot hinzuweisen, dass es inzwischen nur noch 60 Sekunden bis 9 sind: Alles egal. 10 Euro sind fällig.

„Ich habe sogar ein Abo!“, versuche ich einen Gnadenakt für Stammkunden zu erwirken, doch was ich ernte, ist nur ungerührtes Schweigen. Das fällt beim HVV wohl unter Kundenpflege.

Entsprechend blendend gelaunt schlage ich im Zollamt auf. Der Beamte legt mir das abzuholende Päckchen auf den Tresen und fragt: „Was ist da drin?“ „Nur eine olle Langspielplatte“, sage ich. „Eine Brandsatzplatte?“, scherzt er, ein Verhören heuchelnd. Haha.

Wortlos zerhacke ich mit dem Paketmesser die Verpackung. Das macht mehr Spaß, als es machen dürfte. Ich hole die LP heraus und reiche sie dem Beamten. „Mir ist völig schleierhaft“, eröffne ich ihm, „warum inzwischen schon 10-Dollar-LPs erkennungsdienstlich behandelt werden müssen.“

Er mustert mich mit dem Blick des erfahrenen Funktionärs. „Erkennungsdienstlich? So weit sind wir noch nicht.“ Schwingt Bedauern mit in seiner Stimme? Oh ja. Er nimmt die Platte und meine Ebayrechnung und verzieht sich in die rückwärtigen Gemächer.

Nach zehn Minuten kehrt er zurück. „Der Warenwert liegt unter 20 Euro“, präsentiert er mir eine Binsenweisheit sondergleichen, „Sie können die Platte mitnehmen.“ Das hätte ich ihm auch schon vor drei Wochen sagen können, als ich die LP ersteigert hatte – und bevor ich eine Minute vor 9 Uhr 10 Euro Strafe für die Fahrradmitnahme zahlen musste.

Tagsüber geht alles halbwegs gut, doch abends treffe ich mich mit einer Freundin auf einen Wein und schütte mir rund hundert Milliliter Chardonnay über Hemd und Hose.

Manche Tage dürften nie zu Ende gehen, doch dieser gehört definitiv zur gegenteiligen Kategorie.

05 Februar 2009

Galgenhumor bei der Bahn

Wie man weiß, hat die Deutsche Bahn mindestens 173 000 Mitarbeiter samt Angehörige überwachen lassen. Wahrscheinlich waren es sogar alle, also ungefähr eine Viertelmillion.

Somit auch die Zugbegleiterin, die heute auf der Fahrt nach Berlin meine Fahrkarte kontrollierte. Die gute Frau war darob bester Stimmung, und es entspann sich folgender Dialog.

Zugbegleiterin: „So, Herr … (mustert meine Bahncard) … Wagner, dann wollen wir das mal alles überprüfen.“
Matt: „Tja, muss wohl sein.“
Zugbegleiterin (süffisant): „Sie werden jetzt komplett durchleuchtet.“
Matt
(schlagfertig): „Und dann gehen die Daten direkt an Schäuble, nicht wahr?“
Zugbegleiterin: „Genau. Und alles wird zehn Jahre lang gespeichert.“
Matt: „Angemessen.“
Zugbegleiterin: „Ja, dann wissen wir immer, wo Sie hingefahren sind.“

Wie man sieht, hat sich Bahnboss Mehdorns Stasimaßnahme enorm motivierend auf seine Schäfchen ausgewirkt.

Und ich muss sagen: Sarkasmus passt perfekt zu blauen Uniformen.



30 Mai 2008

Die falsch investierten 2 Euro

Am hie und da von Vandalen heimgesuchten Gleis 13 ist heute ein friedlicher Bettler unterwegs. Zwei südländisch aussehende Nonnen – vielleicht aus Griechenland oder Portugal – stehen am Bahnsteig; die visiert der Bettler jetzt an.

Nonnen sind eine todsichere Sache, wegen Franz von Assisi, Nächstenliebe, linker Wange, rechter Wange und all dem Kram. Er schlurft also hin und bettelt um ein paar Cent.

Doch zu unser aller Überraschung wenden die Nonnen sich ab, täuschen ein inniges Gespräch vor – sind somit auch nicht besser als ich. Ein befriedigendes Gefühl, das mich beinah zu einer nachträglichen Spende an den Bettler animiert hätte, und zwar aus einem Gefühl heraus, das entfernt mit Boshaftigkeit verwandt ist.

Doch am Hauptbahnhof Bettlern etwas zuzustecken ist risikobehaftet. Ich gab mal einem mutmaßlichen Junkie, der mir zunächst auf ein-, dann zudringliche Weise die alte Geschichte von 2 fehlenden Euro für Heimfahrt/Mittagessen/Übernachtung erzählte, 2 Euro, und zwar vor allem, um ihn loszuwerden.

Allerdings war genau das der Fehler. Meine Spende nämlich weckte in ihm eine ungeheure Gier nach Aufstockung derselben. Hier glaubte er seine Melkkuh schlechthin gefunden zu haben, und das konnte ich ihm nicht mal verdenken – wer gibt schon 2 Euro?!

Der mutmaßliche Junkie erwies sich in der Folge jedenfalls als unablässig plappernder Klammeraffe, der mir hunderte Meter weit nicht von der Seite wich und mich mit Wortkaskaden überschüttete, die alle darauf hinausliefen, dass gleichsam sein Leben von weiteren 2/5/10 Euro abhinge.

Es war nicht leicht, dem Mann verständlich zu erläutern, wie generös ich mich bereits jetzt fühlte und wie wenig eine weitere Steigerung dieses Gefühls meiner mentalen Verfassung zuträglich sei. Im Grunde waren nur mein guter Trainingszustand und der pure Stoizismus des Weitergehens für mein erfolgreiches Entkommen verantwortlich.

Ein lehrreicher Tag. Selbst Bettler, die vorher bei griechischen oder portugiesischen Nonnen abgeblitzt sind, haben es seither höllenschwer bei mir.


29 April 2008

Am Ende Wohlweh

Wir treiben ein wenig Sport an der Nordseeküste. Der Sport muss sein, denn die Krankenkasse sponsert die Reise beträchtlich, und wenn wir schwänzten, ginge der Zuschuss flöten.

Die Reise begann im Intercity. Wir fanden vor: einen leeren Wagen ohne reservierte Plätze – der feuchte Traum eines jeden Bahnkunden. Wir sicherten uns den Tisch mit Stromanschluss für den Laptop. Besser konnte es nicht laufen.

So blieb es auch selige zehn Minuten lang – bis die Schulklasse einfiel. Es handelte sich um ungefähr 30 Drittklässler, die von ihren Betreuerinnen längst aufgegeben worden waren. Zumindest fiel keine der drei hilflosen Lehrkräfte den hinfort über Sitze, Lehnen und meine Beine marodierenden Horden in die Arme.

An Lesen war nicht zu denken, und die Kopfhörerlautstärke, die nötig war, um die infernalischen Kreischkids zu übertönen, werden wir wahrscheinlich mit Tinnitus nicht unter drei Jahren bezahlen.

Leider wollte die minderjährige Terrortruppe dorthin, wo auch wir hin wollten. Das wurde drei schwere Stunden später klar. Selbst mein Besuch auf der Toilette, wohin es mich u. a. wegen der Hoffnung auf Kontemplation verschlagen hatte, wurde beeinträchtigt: Als ich die Tür öffnete, fielen mir mehrere Steppkes entgegen, und was taten sie dabei? KREISCHEN.

Wir erreichten die Nordsee urlaubsreif. Doch seit der ersten Nordic-Walking-Einheit durch die Dünen sind wir wieder fit. Dann deklarierte unsere Kursleiterin Linde (wie Eiche, Buche etc.) den leichten Schmerz beim Dehnen auch noch als „Wohlweh“, und seit diesem entzückenden Neologismus ist alles wieder bestens, auch mental.

01 April 2008

Schlange in Gefahr

Kaum stehen die ersten Frühlingstulpen auf unserem Balkon, erblüht jene Weichherzigkeit, die mir bisher oftmals Probleme, aber nur selten neue Freunde einbrachte.

Eine Frau im S-Bahnhof Altona nutzte das aus. „Entschuldigen Sie“, sprach sie mich an und zeigte auf die Gleise, wo eine buntes Etwas lag, das an eine Wollschlange erinnerte. „Meinen Sie, ich könnte da mal runter steigen? Das kommt von den Zulu aus Südafrika und ist mir wichtig.“

Still lauerte dort unten das Starkstromkabel, welches die S-Bahn antreibt. Ich hörte es förmlich brutzeln. Seine Gegenwart bewog mich, der Dame von ihrem Vorhaben abzuraten. Wie gesagt: frühlingshafte Weichherzigkeit.

Sie solle sich doch, empfahl ich ihr, besser an einen Bahnmitarbeiter wenden. Woraufhin sie eilends die Treppe erklomm und erst einmal verschwunden blieb. Dabei war hier doch auch ein Wärterhäuschen. Ich fand dort zwei dösende Uniformierte vor, die mein Klopfen aus dem Dämmer riss.

Meine Schilderung eines zwischen den Gleisen ruhenden wollschlangenähnlichen Etwas’ aus Südafrika stieß auf mäßiges Interesse, doch sie kamen mit. Inzwischen war mir die zweite Bahn davongefahren. Wir standen am Bahnsteig, unsere Blicke ruhten auf der Schlange, die sich wahrscheinlich auch nicht hätte träumen lassen, nach einer halben Weltreise mal am Bahnhof Altona die Nachbarschaft einer Starkstromleitung genießen zu dürfen.

Die Eigentümerin blieb erst mal weg und ich da. Das Uniformiertenduo stand dösig herum und wartete. Beide hatten Schiss; zu kurz sei die Taktfrequenz der einfahrenden Bahnen, erklärten sie maulfaul, als dass sie sich zur Rettungsaktion ins Gleis trauten. Wieder fuhr mir eine Bahn davon. Was tat ich hier, verdammt?

Ich beschloss, die Frau zu suchen, vergatterte die Bahnleute zur Bewachung meines Rades und stieg hoch in die Halle, um Ausschau zu halten. Natürlich fand ich die Frau nicht – dafür bei meiner Rückkehr aber mittlerweile vier Uniformierte am Gleisrand vor. Und da stand auch die Frau.

Einer der neu hinzugekommenen Bahnleute fischte mithilfe eines hakenbewehrten Stocks die Schlange aus dem Gleis und galt der strahlenden Besitzerin hinfort als anbetungswürdig. Dabei war ich doch wohl der Held, nicht wahr.

Die Schlange war rot und blau gemustert. Sie bestand nicht aus Wolle, wie es von oben schien, sondern aus Glasperlen, welche die Zulu kunstvoll zusammengefügt hatten, irgendwo tief in Südafrika, wo es wahrscheinlich nicht mal Starkstrom gab, geschweige denn eine S-Bahn.

05 Februar 2008

Die Katze beißt sich irgendwohin



Wir sehen hier einen der zahlreichen Ausgänge der S-Bahnstation Reeperbahn. Er befindet sich am östlichen Ende, und früher stand rechts um die Ecke immer ein Dealer.

Mich hat er nie angesprochen, was ich insgeheim immer ein wenig beleidigend fand. Warum ignorierte er mich? Wahrscheinlich sehe ich aus, als bräuchte ich alles, nur keine Drogen. Oder als sei ich abgebrannt. Offiziell jedenfalls war ich froh, beim üblichen Sprint zum Bahnsteig nicht in Verkaufsgespräche verwickelt zu werden.

Inzwischen steht hier schon lange kein Dealer mehr. Vielleicht eine anhaltende Spätfolge der Schill-Beust-Episode, die darauf setzte, die drogenaffine Klientel aus dem Blickfeld der Touristen zu drängen, damit Hamburg netter aussieht, als es ist.

Schlaumeier werden mich natürlich jetzt in den Kommentaren fragen wollen, woher ich überhaupt gewusst haben mag, dass es sich bei jenem Mann, der mich nie ansprach, um einen Dealer handelte, wo er mich doch erst einmal beweiskräftig hätte ansprechen müssen, um sich mir als solcher zu enttarnen.

Ihm hing ja schließlich, so werden die Schlaumeier sicherlich vorhaben fortzufahren, kein Schild mit der Aufschrift „Dealer“ um den Hals. Das stimmt. Aber ich wusste es trotzdem. Genauso wie ich intuitiv weiß, ob jemand hetero ist, eine Hure beim Arbeiten oder ein Franke in freier Wildbahn.

Oder ein Schlaumeier, der jetzt denkt, ich hätte den ganzen Beitrag hier nur so dahersalbadert, weil ich unbedingt das Foto unterbringen wollte.

23 Januar 2008

Kärtchen, wechsel dich!

Eine feine Sache, so ein Schleswig-Holstein-Ticket. Für 29 Euro fährst du durchs ganze Bundesland und kannst auch noch vier Leute mitnehmen.

Ms. Columbo und ich sind aber nur zwei. Deshalb stelle ich mich in Flensburg (Foto) an den Automaten, um die Nächstbesten gegen einen kleinen Obolus an unserer Fahrkarte zu beteiligen – eine Win-Win-Situation. Doch niemand kommt.

Dafür spricht mich auf dem Weg zum Bahnsteig ein stämmiger Mittdreißiger an und fragt, ob wir mit dem Schleswig-Holstein-Ticket nach Hamburg führen. Erfreut bestätige ich. „Ich muss bis Schleswig“, sagt er, „aber ich habe kein Geld.“

Na gut, wir nehmen ihn trotzdem an Bord. Schadet nichts, nützt aber auch nichts. Als der Schaffner kommt, reicht er uns einen Kugelschreiber und bittet um den Eintrag der Namen. So verstehe ich ihn jedenfalls und reiche die Karte samt Kuli zunächst unserem fremden Mitfahrer, der kurz verständnislos kuckt, doch dann klaglos JENS WINKLER hinschreibt, in Großbuchstaben.

Die Namen von Ms. Columbo und mir möchte der Bahnmann danach gar nicht mehr, einer reicht ihm. WINKLER ist damit binnen Sekunden vom Schnorrer zum Haupteigentümer der Karte aufgestiegen. Bei einer weiteren Kontrolle wäre er derjenige, an dem unser aller Reiseschicksal hinge, doch fährt er nur bis Schleswig.

Unterwegs greift er die Titelschlagzeile der Frankfurter Rundschau auf, die Ms. Columbo gerade liest, und sinniert darüber, ob man in der jetzigen Lage sein Vermögen nicht lieber in Gold statt in Aktien investieren solle. „Ich dachte, er hätte kein Geld“, muffelt Ms. Columbo später, nachdem WINKLER sich in Schleswig umstandslos verabschiedet hat.

Die restlichen anderthalb Stunden vergehen angespannt, doch ohne weitere Kontrolle, zum Glück. Kurz vorm Hauptbahnhof betritt ein junger Mann unser Abteil und fragt, ob wir ein Schleswig-Holstein-Ticket über hätten. Nein, das benötigten wir noch für die U-Bahn bis St. Pauli.

„Die Fahrten zahle ich Ihnen“, bietet er an, nachdem er sich vergewissert hat, dass mit „JENS WINKLER“ ein Männername auf der Karte steht. „Ich gebe Ihnen die dreizwanzig.“ Das entspricht exakt dem Betrag, den wir jetzt am Automaten zahlen müssen. Doch immerhin sind wir damit die Gefahr, die von JENS WINKLER ausgeht, endgültig los; jeder HVV-Kontrolleur hätte uns aus WINKLERs physischer Abwesenheit einen Strick drehen können.

„Aha, in Schleswig ist der Herr also ausgestiegen, hm? Und warum steht dann nicht IHR Name auf der Karte, Herr Wagner, wo Sie doch die längere Fahrt hatten, hm? Mitkommen. Personalausweise.“


Ja, so hätte es kommen können, doch so kann es jetzt nicht mehr kommen. Denn ein anderer besitzt das JENS-WINKLER-Schleswig-Holstein-Ticket, mit allen Risiken, die das bedeutet.

Statt froh und dankbar für den günstigen Ausgang der Geschichte zu sein, verspüren wir aber am Hauptbahnhof das kriminielle Bedürfnis, wenigstens eine winzige Amortisation der bisher unverändert 29 Euro gekosteten Länderkarte zu erzielen. Wir kaufen also zwei Kurzstreckentickets für 1,30 das Stück – im Wissen, dass ihre Gültigkeit nicht ganz bis nach St. Pauli reicht.

Ein Risiko von zweimal 40 Euro Strafe für einen maximalen Erlös von 60 Cent.
Super Deal. Doch wahren Meistern geht es eben nicht um mathematisch messbare Beute, sondern um Ruhm und Ehre.

Und siehe da: Alles geht gut. Wir haben die Kosten fürs Schleswig-Holstein-Ticket damit von 29 auf 28,40 Euro gedrückt. Nach diesem Coup können wir demnächst auch größere Dinger drehen.

Zum Beispiel so etwas wie Rififi.

12 Januar 2008

Ausweisen, sofort!

Sah heute am Hauptbahnhof (Gleis 13 a/b), wie zwei südländisch (!) aussehende Nonnen einem alten Bettler nichts gaben.

Erster Gedanke: Sofort ausweisen! (Die Nonnen.)

Gut, ich habe dem Graubart auch nichts gegeben. Aber ich bin Deutscher! Zumindest im Sinne Roland Kochs.

Deutsche Straftäter sollten übrigens ebenfalls ausgewiesen werden. Und zwar nach Hessen.

Dass ich heute in ebendieses Bundesland gereist bin, hat mit dieser Forderung gleichwohl nichts zu tun. Und auch nichts damit, dass ich dem Bettler nichts gegeben habe.

Sondern mit was ganz anderem.

05 Januar 2008

Pleiten, Pech und Bürsten

Seit Wochen schon warte ich auf die bei Ebay ersteigerten Aufsteckbürsten für die Elektrische. Der von mir per Mail immer dringlicher zu einer offeneren Informationspolitik aufgeforderte Verkäufer schob das Ausbleiben der Bürsten ein ums andere Mal auf einen imaginierten adventlichen Päckchenstau.

Meine zunehmende Unleidlichkeit dämpfte das allerdings kaum. Es drohte bereits ein ernstes Zerwürfnis, da fand ich heute eine Mitteilung des Zolls im Briefkasten, dessen angetackerter Lieferschein auf China verwies. Noch dämmerte mir nichts; schließlich sitzt der Bürstenverkäufer in Berlin.

Unter den wenigen entzifferbaren englischen Wörtern des Zollzettels fanden sich allerdings auch die beiden hochverdächtigen „tooth“ und „brush“. Ein Hinweis auf meine sehnlichst erwarteten Aufsteckbürsten. Aber warum China?

Um das Rätsel zu lösen, begab ich mich unverzüglich auf eine Expedition gen Zollamt im Hamburger Osten. Als Fortbewegungsart wählte ich die bewährte Mischform aus Fahrrad und S-Bahn.

Als ich am Berliner Tor das Rad enterte, stellte sich jedoch heraus, dass meine Gangschaltung eingefroren war, und zwar in einem sehr kleinen Gang. Den Heidenkampsweg juckelte ich also runter wie ein Duracellhase auf Ecstasy. Die Leute kuckten, als säßen sie in einer Comedyshow.

Im Zollamt legte ich meinen Chinazettel vor. Der Beamte kam zurück mit einem kleinen Paket, reichte mir ein Messer und bat mich, das Paket aufzuschneiden. Das Erste, was ich aufschnitt (wenn auch versehentlich), war allerdings meine Hand, und zwar direkt unter der Zeigefingerwurzel. Irgendwann offenbarte sich aber auch der Inhalt des Pakets. Es waren in der Tat die Aufsteckbürsten.

Der Zollbeamte schaute skeptisch. Er nahm sie an sich und verschwand Richtung Computer. Nach zehn Minuten kam er zurück. Es bestehe, erklärte er, der Verdacht auf Produktfälschung. Die Bürsten müsse er der Herstellerfirma vorlegen. Falls es Nachbauten seien, würden sie vernichtet. Falls nicht, könne ich ja noch mal vorbeikommen, um sie mir abzuholen. So etwa in 14 Tagen.

Ich nickte verständig, während ich an meiner Hand nuckelte. Dann ging ich wieder hinaus in die gangschaltungsfeindliche Januarkälte, mit Wunde und ohne Bürsten.

Insgesamt ziehe ich dennoch ein positives Fazit. Zwar musste ich eine kleine Reise antreten, machte mich dank einer eingefrorenen Gangschaltung auf dem Heidenkampsweg lächerlich, tätowierte mich an der Zeigefingerwurzel, machte mich auf dem Heidenkampsweg dank der noch immer eingefrorenen Gangschaltung ein zweites Mal lächerlich – doch ich habe sie gesehen, meine Bürsten. Mit eigenen Augen. Sie existieren.

Gar keine sooo schlechte Bilanz für eine Ebayauktion, die erst am 7. Dezember zu Ende gegangen ist.

26 Dezember 2007

Bumm, bumm, bumm



Wenn Herr Mehdorn den Lokführern schon nicht mehr bezahlen will, so sollte er ihnen zumindest Englischkurse finanzieren. Auf der ICE-Fahrt nach Hessen wurde uns diese Notwendigkeit mal wieder schmerzlich bewusst.

Als Lautsprecherdurchsage erlebten wir zum Beispiel ein „Ereiwel on dreck nammber twölf“. Lustiger war aber noch der ältere Herr, der plötzlich mit wichtiger Miene und Fahrkarte in der Hand vor meinem Sitz stand und fragte: „Sitzen Sie auf Nummer 26?“

Ich bejahte das. „Wie weit fahren Sie denn?“, schob er interessiert nach. „Bis Kassel.“ „Ah gut“, atmete er auf, „ich habe ab Kassel reserviert. Aber bleiben Sie ruhig sitzen.“

„Natürlich“, sagte ich. „Ich habe bis Kassel reserviert.“
„Wie gesagt, gar kein Problem“, sagte er, „bleiben Sie sitzen.“

Nun, das blieb ich auch. Trotz des Kindes schräg hinter mir. Zwischen Harburg und Göttingen sang es mit bedingungsloser Konsequenz, die man sich eigentlich nur als Überlebenstechnik in pakistanischer Einzelhaft aneignen kann, unablässig eine einzige Liedzeile.

Sie lautete: „Und die Trommel und die Trommel, sie macht bumm, bumm, bumm.“

Ich war nicht wenig erleichtert, als die Fahrt vorbei war und ich endlich einen einsamen Baum fotografieren konnte, der bedingungslos konsequent das Maul hielt.