17 Dezember 2014

Arm, aber warm


Früher stand dort mal der an ein Bierglas erinnernde Büroturm der Astra-Brauerei, deswegen hat man das Neubauviertel mitten auf dem Kiez „Brauquartier“ getauft. Allerdings sagt jeder Hamburger „Hä?“, dem man mit diesem einer Werbeagentur entsprungenen Bezeichnung kommt.

Das Zentrum des sogenannten Brauquartiers bildet jedenfalls ein großer Platz nur wenige Dutzend Meter südlich der Reeperbahn. Er wird umsäumt von Aldi, Bäckereien, einer Tierarztpraxis, Büro- und Wohnhäusern und sähe sicher sehr winderzerzaust aus, gäbe es dort irgendetwas außer Glas, Stahl und Steinen.

Gegenüber von Aldi war im Erdgeschoss mal eine Einmannfiliale der Haspa untergebracht. Davon übriggeblieben ist nur noch ein kleiner Raum mit Geldautomat und Kontoauszugsdrucker. Dorthin gehe ich zur Erledigung der entsprechenden Geschäfte weitaus lieber als zu den ungeschützten Außenautomaten auf der Reeperbahn, wo die Huren ihre Freier hinschleppen, wenn die nicht flüssig sind.

Manchmal trifft man in diesem übriggebliebenen Räumchen andere Haspa-Kunden, die ebenfalls Geld oder Auszüge ziehen wollen. Man ignoriert sich still und stumm; schließlich plant man ja etwas sehr Privates, muss es aber leider an einem öffentlichen Ort tun. Das macht die Sache auf sanfte Weise unangenehm, und diese Gefühlslage bewältigt man gewöhnlich mit schweigender Verrichtung.

Als ich heute diesen kleinen Raum im Brauquartier ansteuerte, waren wieder mal Menschen dort drin. Aber keine, die Bankgeschäfte im Sinn hatten. Allem Anschein nach handelte es sich um zwei Obdachlose, denen die Eigenschaften eines beheizten Raums im Winter überzeugende Aufenthaltsargumente geliefert hatten.

Jetzt lagen sie behaglich auf dem Boden herum, der eine neben dem Geldautomaten, der andere neben dem Kontoauszugsdrucker. Wie sie dort hineingelangt waren ohne EC-Karte – deren Besitzwahrscheinlichkeit ich ihnen natürlich nicht gänzlich absprechen möchte, die mir aber recht klein vorkommt –, entzieht sich meiner Kenntnis.

Wahrscheinlich hatten sie eine über Jahre verfeinerte Durchschlüpftechnik angewandt, welche jenem Haspa-Kunden, der unfreiwillig als Türöffner tätig geworden war, durchaus Unbehagen bereitet haben dürfte. Doch das ist Spekulation. Tatsache hingegen: Zwei Männer mit zweifelhafter Körperhygiene lagen zwischen Automaten herum, deren sehr private Nutzung durch mich dadurch augenblicklich verunmöglicht wurde.

Was nun tun? Ich konnte sie wohl kaum hinausexpedieren. Das Hausrecht dort liegt ja bei der Haspa, aber seit sie die Einmannfiliale dichtgemacht und so den Automatenraum jedweder Observation enthoben hat, kriegt die Fehlnutzung durch Obdachlose kein Haspa-Bänker mehr mit.

Aber zur nächsten Filiale gehen und petzen? Auch nicht mein Stil. Zumal es durchaus schäbig gewesen wäre, den beiden Herumliegern das warme Obdach nur deshalb zu entziehen, weil unsereins sich schlecht fühlt beim Ziehen jener Scheinchen, die ihnen für die Anmietung eines privaten warmen Raumes offenkundig fehlen.

Also trollte ich mich geld- und auszugslos – und fotografierte auf dem Weg nach Hause als Übersprungshandlung die ikonografische Kiezkippe. Sie lag in einer Öllache neben der Essohäuserbaustelle. 
 
Vorm Eindringen ins Bankkundenallerheiligste hat sie bestimmt einer der beiden geraucht.

6 Kommentare:

  1. Herr Matt, solche Beiträge haben mir in letzter Zeit gefehlt. Umso schöner, dass es sie wieder gibt!
    Aber warum haben Sie es sich bloß verkniffen, die Doppeldeutigkeit des Wortes "Bank" als Schlafstatt für Obdachlose zu kalauern?

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  2. Gute Güte. Was für ein trauriges Männchen man doch sein kann.

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  3. Ganz schön Kiezgida, hier olfaktorisch zu werden, nur weil die müden Kiezbesucher möglicherweise ihre Platingeldkarte vergessen hatten und die Haspa versäumte, in der Herberge eine Dusche einzubauen... Und werden wir mal weihnachtlich: Ein Stall ist auch keine Wellnessoase.

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    1. Inzwischen hat die Haspa die Oase ganz dichtgemacht.

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