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20 Juni 2011
Die Neigung zur Axt
Immer, wenn ich in St. Pauli auf die Folgen einer der zahlreichen Straftaten stoße und in gedankenlosem, beiläufigen Automatismus einen Geschlechtsgenossen der Täterschaft verdächtige, ernte ich Kritik. Es könnte doch auch eine Frau gewesen sein, wird mir dann vorgehalten. Ja, ja. Ist es aber meistens nicht.
Bei dem hier dokumentierten Straftatenindiz habe ich erneut den starken Verdacht, jemand habe der Menschheit als solcher, aber vor allem speziell meinem Geschlecht wenig Ehre gemacht. Denn das Tatwerkzeug wurde augenscheinlich mit großer Wucht geführt, was Frauen traditionell schwerer fällt, aus objektiven Gründen.
Wenn man das Loch in unserer Haustür, welches seit gestern Nacht klafft, genauer betrachtet, könnte der Täter mit einer Axt hantiert haben; eine Kugel war es jedenfalls nicht, denn das Loch hat die Form eines schmalen Schlitzes. Ausgehend von dieser erstaunlich zentral platzierten Lücke im Glas strahlen Risse in alle Richtungen durch die Scheibe. Wie erstarrte Blitze.
Rund um das Zentrum des maskulinen Hiebs ist die Haustür nach innen gewölbt, man könnte sie wahrscheinlich jetzt mit der Hand eindrücken und ihr so den Rest geben. Es muss einen gewaltigen Wumms gegeben haben, als der Irre zuschlug, doch wir haben nullkommanichts gehört. Das ist beunruhigend.
Unsere Hausfront bewirbt sich immer mal wieder erfolgreich um vandalistische Attacken, doch so geht es vielen in den Straßen rund um die Reeperbahn. Und das, ihr Lieben, die ihr erwägt, hier auf dem Kiez ein 740.000-Euro-Neubauloft zu erwerben, um einem sogenannten „neuen Wohnkult“ zu huldigen, senkt den Lebenswert auf St. Pauli erheblich. In einer verqueren Reaktion auf diese Entwicklung steigen komischerweise unablässig die Mieten, auch unsere, und zwar turnusmäßig bis zum gesetzlich möglichen Anschlag.
Wer sich darüber beklagt, bekommt von Hausverwaltungen und Eigentümern auch gerne mal gesagt: Dann ziehen Sie doch weg. Sozusagen das „Geh doch rüber“ des 21. Jahrhunderts.
Eine Entwicklung, bei der man übrigens fast die Neigung verspürt, sich an der Axt ausbilden zu lassen.
(Denkfalle, schon klar.)
14 Mai 2012
Eine kiezspezifische Gefahr
Unten auf der Straße wieder mal großes Geschrei. Vom Balkon aus sehe ich einen Jungen flüchten vor zwei anderen, von denen der eine sich benimmt wie ein Pavian.
Er springt mit gereckter Brust auf der Stelle und brüllt irgendetwas auf Türkdeutsch, während er dabei die Arme ausbreitet. Möglicherweise handelt es sich dabei um Dominanzgesten, ich weiß es nicht.
Sein kleinerer Kumpel trägt eine Basecap und markiert derweil sein Revier: Er stellt sich vor eine hölzerne Haustür, um dagegen zu pinkeln.
Ja, er strullt nicht etwa gegen die steinerne Wand dieses bedauernswerten Wohnhauses, was kiezweit durch unzählige Wiederholungen längst den Rang eines Gewohnheitsrechtes gewonnen hat, sondern gegen die Haustür.
Versuchte also ausgerechnet jetzt ein Bewohner das Haus zu verlassen, sähe er sich unversehens konfrontiert mit dem hereinpladdernden lauwarmen Strahl eines Basecapträgers und einem hinter ihm herumhüpfenden Brüllpavian.
Deswegen fiele er zwar bestimmt nicht aus allen Wolken. Doch sich umziehen zu müssen, nur weil man die Straße betreten wollte: Das wäre schon unschön, sogar auf St. Pauli.
07 März 2008
„Womma ficken?“
Seit St. Pauli immer mehr zum In-Viertel wird, werden die Vermieter spürbar gieriger. Immer mehr wird es zur entscheidenden Frage, ob unser Wohnviertel als „normal“ oder „gut“ gilt. Im Mietenspiegel kann das ein paar hundert Euro ausmachen, monatlich.
Eine Nachbarin aus dem dritten Stock erhielt jetzt wieder eine Mieterhöhung, die zweite seit 2006. Dabei, beklagt sie sich, werde vorm Haus noch immer gedealt, und liederliche Frauen sprächen fremde Männer an.
Mag sein, aber wir haben so etwas schon länger nicht mehr erlebt. Wenn das systematisch der Fall wäre, könnte man die Wohnlage in der Tat kaum als „gut“ bezeichnen – und die Mieterhöhung auch nicht als gerechtfertigt. Doch wie gesagt: Uns ist so etwas schon lange nicht mehr untergekommen, wenn überhaupt.
Als ich heute aus der Stadt kam, sprach mich vor der Haustür eine alte Frau an. Ihr Haar war als Bubikopf geschnitten und so weiß wie das von Rudi Völler. Ich schätzte sie auf über 70. Sie war hager, ihre Augen schwarz, kugelrund und groß, und sie trug einen beigen Trenchcoat mit Gürtel.
Sie sprach mich an, als ich gerade das Fahrrad an den Mast anschloss. Sie sagte: „Womma ficken?“
In solchen Situationen reagiere ich stets bedrückend konventionell, worüber ich mich im Nachhinein maßlos ärgere. Statt diesen grotesken Antrag recherchierend zu hinterfragen, statt im insistierenden Gespräch herauszufinden, weshalb eine wahrscheinlich aus dem Altenheim ausgebüxte Rentnerin durch die Straßen St. Paulis streunt und (vergleichsweise) junge Männer um Geschlechtsverkehr ersucht, antwortete ich mit verlegenem Lächeln: „Nein, danke.“
Wie langweilig. Wie öde. Wie absehbar.
Sie schaute mich mit erschütternder Traurigkeit an, in ihren Kulleraugen lag tödlicher Ernst. „Ich möch’ gern ma“, sagte sie mit verwaschener Stimme. Und ich wieder, im Weggehen: „Danke, nein, wirklich nicht.“
Als ich die Haustür aufschloss, drehte ich mich noch einmal um. Sie stand vor der verwaisten Kita, die Hände im Trenchcoat, und glotzte stumpf ins Fenster, eine traurige, weißgraue Verkörperung von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.
Und als ich die Treppen hochstieg zur Wohnung, da dachte ich: Die Nachbarin hat recht. Unsere Wohnlage ist nicht „gut“, sie ist höchstens „normal“.
Das gilt wohl auch für diesen Hauseingang am Hamburger Berg.
Eine Nachbarin aus dem dritten Stock erhielt jetzt wieder eine Mieterhöhung, die zweite seit 2006. Dabei, beklagt sie sich, werde vorm Haus noch immer gedealt, und liederliche Frauen sprächen fremde Männer an.
Mag sein, aber wir haben so etwas schon länger nicht mehr erlebt. Wenn das systematisch der Fall wäre, könnte man die Wohnlage in der Tat kaum als „gut“ bezeichnen – und die Mieterhöhung auch nicht als gerechtfertigt. Doch wie gesagt: Uns ist so etwas schon lange nicht mehr untergekommen, wenn überhaupt.
Als ich heute aus der Stadt kam, sprach mich vor der Haustür eine alte Frau an. Ihr Haar war als Bubikopf geschnitten und so weiß wie das von Rudi Völler. Ich schätzte sie auf über 70. Sie war hager, ihre Augen schwarz, kugelrund und groß, und sie trug einen beigen Trenchcoat mit Gürtel.
Sie sprach mich an, als ich gerade das Fahrrad an den Mast anschloss. Sie sagte: „Womma ficken?“
In solchen Situationen reagiere ich stets bedrückend konventionell, worüber ich mich im Nachhinein maßlos ärgere. Statt diesen grotesken Antrag recherchierend zu hinterfragen, statt im insistierenden Gespräch herauszufinden, weshalb eine wahrscheinlich aus dem Altenheim ausgebüxte Rentnerin durch die Straßen St. Paulis streunt und (vergleichsweise) junge Männer um Geschlechtsverkehr ersucht, antwortete ich mit verlegenem Lächeln: „Nein, danke.“
Wie langweilig. Wie öde. Wie absehbar.
Sie schaute mich mit erschütternder Traurigkeit an, in ihren Kulleraugen lag tödlicher Ernst. „Ich möch’ gern ma“, sagte sie mit verwaschener Stimme. Und ich wieder, im Weggehen: „Danke, nein, wirklich nicht.“
Als ich die Haustür aufschloss, drehte ich mich noch einmal um. Sie stand vor der verwaisten Kita, die Hände im Trenchcoat, und glotzte stumpf ins Fenster, eine traurige, weißgraue Verkörperung von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.
Und als ich die Treppen hochstieg zur Wohnung, da dachte ich: Die Nachbarin hat recht. Unsere Wohnlage ist nicht „gut“, sie ist höchstens „normal“.
Das gilt wohl auch für diesen Hauseingang am Hamburger Berg.
04 Februar 2008
Der stumme Besucher
Als ich heute morgen durchs Treppenhaus federe, um Brötchen zu holen, sehe ich es schon vom letzten Absatz aus. Wieder einmal sitzt ein Gestrandeter der Kieznacht von außen an der Glastür.
Ich weiß wirklich nicht, worin die heimelige Strahlkraft ausgerechnet unserer Haustür genau besteht, doch sie ist zweifellos da. Andere Häuser scheinen mir nämlich viel seltener heimgesucht zu werden.
Vorsichtig öffne ich die Haustür, es soll sich ja niemand verletzen. Mit Bata-Illic-hafter Geschwindigkeit strafft sich der Rücken, der mir zunächst halb entgegensackte. Er gehört zu einem derangierten Mann mit tiefen Gesichtsfalten. Ich schätze ihn auf etwa 50, vielleicht ein Russe. Seine rotschwarz karierte Jacke gibt ihm etwas Holzfällerhaftes.
„Würden Sie bitte den Eingang freimachen?“, sage ich. Er schaut wortlos und ohne sichtbare Regung hoch. Dann versucht er seinen widerständigen Körper ein paar Zentimeter nach rechts zu wuchten, damit ich vorbeikomme.
Er kann es natürlich nicht wissen, aber das reicht mir nicht. Nicht nach all dem, was da kumuliert schon vor unserer Tür saß im Lauf von zwölf Jahren; nicht nach all dem, was dort schon rauchte und soff, kiffte und kackte, schiffte und spritzte.
„Nein, ganz frei bitte“, präzisiere ich und bleibe halb hinter ihm stehen. Ächzend müht er sich hoch, und als er auf die Beine kommt, taumelt er zwei, drei Meter nach vorne, bis er den Aufstehschwung schadlos abgefangen hat. Er bleibt noch immer stumm.
„Danke“, sage ich und gehe an der nächsten Ecke die Zeitung holen. Als ich zurückkomme, schlurft er mir entgegen. Er schaut mich an mit halb gesenktem Kopf, sein Blick ist fast ausdruckslos. Doch um seinen Mund hat sich so viel Zerknirschung und Melancholie eingenistet, dass er mir plötzlich leid tut.
Und das ist das Einzige, was ich im Vorübergehen für ihn tun kann.
Ich weiß wirklich nicht, worin die heimelige Strahlkraft ausgerechnet unserer Haustür genau besteht, doch sie ist zweifellos da. Andere Häuser scheinen mir nämlich viel seltener heimgesucht zu werden.
Vorsichtig öffne ich die Haustür, es soll sich ja niemand verletzen. Mit Bata-Illic-hafter Geschwindigkeit strafft sich der Rücken, der mir zunächst halb entgegensackte. Er gehört zu einem derangierten Mann mit tiefen Gesichtsfalten. Ich schätze ihn auf etwa 50, vielleicht ein Russe. Seine rotschwarz karierte Jacke gibt ihm etwas Holzfällerhaftes.
„Würden Sie bitte den Eingang freimachen?“, sage ich. Er schaut wortlos und ohne sichtbare Regung hoch. Dann versucht er seinen widerständigen Körper ein paar Zentimeter nach rechts zu wuchten, damit ich vorbeikomme.
Er kann es natürlich nicht wissen, aber das reicht mir nicht. Nicht nach all dem, was da kumuliert schon vor unserer Tür saß im Lauf von zwölf Jahren; nicht nach all dem, was dort schon rauchte und soff, kiffte und kackte, schiffte und spritzte.
„Nein, ganz frei bitte“, präzisiere ich und bleibe halb hinter ihm stehen. Ächzend müht er sich hoch, und als er auf die Beine kommt, taumelt er zwei, drei Meter nach vorne, bis er den Aufstehschwung schadlos abgefangen hat. Er bleibt noch immer stumm.
„Danke“, sage ich und gehe an der nächsten Ecke die Zeitung holen. Als ich zurückkomme, schlurft er mir entgegen. Er schaut mich an mit halb gesenktem Kopf, sein Blick ist fast ausdruckslos. Doch um seinen Mund hat sich so viel Zerknirschung und Melancholie eingenistet, dass er mir plötzlich leid tut.
Und das ist das Einzige, was ich im Vorübergehen für ihn tun kann.
18 August 2007
Die Pissnelke
In Winterklamotten gehen wir in dieser kalten Augustnacht rüber ins Millerntorstadion, angezogen von den cineastischen Verheißungen des 60er-Jahre-Trashfilms „Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn“.
Wir sehen Erstaunliches. Nämlich den jungen Fritz Wepper, wie er sich mit einer nackten Frau in den Laken wälzt. Wir sehen Leute, die LSD konsumieren, wir sehen bloße Brüste, und das in einem deutschen Film von 1967!
Gegen halb 11 geht drüben auf dem Dom das Feuerwerk los. Der Verständlichkeit der Filmdialoge nützt das natürlich wenig, doch das macht nichts – denn dafür fällt ein atmosphärischer Clip dabei ab, den man nirgendwo sonst auf der Welt drehen könnte.
Als ich mich auf dem Heimweg unserem Haus nähere, höre ich plötzlich eine Frau „Nicht schauen!“ kreischen. Der Imperativ dringt mir nur halb ins Bewusstsein; er wird auf die übliche Weise automatisch herausgefiltert.
Denn unter unserem Balkon geschieht allwochenendlich sowieso viel zu viel Seltsames und letztlich Harmloses, als dass man sich über Gebühr darum kümmern sollte.
Als ich fast an der Haustür bin, kreischt es indes wieder und sehr viel lauter „Nicht schauen!“. Ebenso hätte mich irgendjemand auffordern können: „Denk bitte jetzt gerade mal nicht an die Kleine Hufeisennase“, und an was hätte ich zwanghaft gedacht? Genau.
Natürlich schaue ich also jetzt hin und sehe eine ungefähr 19-Jährige, wie sie aufgebrezelt, großäugig und breit grinsend dahockt mit heruntergelassenen Hosen und auf den Gehweg pisst. Daneben steht ihre Freundin und überwacht die Situation.
„NICHT schauen!“, schreit die Pissnelke, und ihre Riesenohrringe wackeln im Wind. Ich schaue weg, schließe wortlos die Haustür auf und betrete die Wohnung.
Natürlich hätte ich sie aufs öffentliche Klo drüben auf der Reeperbahn hinweisen können, doch wozu? Es gibt schließlich Ziele, die viel eher zu erreichen sind, als Wildpinkler auf dem Kiez zur Rückkehr in die menschliche Zivilisation zu bewegen – zum Beispiel Weltfrieden.
07 Februar 2011
Das große dunkle Loch im Nachmittag
Wenn so ein Derby ausfällt wie gerade das in der Wie-auch-immer-Arena an der Müllverbrennungsanlage, dann fühlt man sich um wesentliche Gefühle betrogen. Um die Vorfreude, das Entgegenfiebern, das Kribbeln. Um die Angstlust in der Magengegend.
Zwischen 15:30 und 17:15 Uhr klaffte jedenfalls ein großes dunkles Loch im Nachmittag, derweil draußen Hamburg weiterhin im Regen ertrank, wie seit Tagen schon.
Nur kurz war ich daher morgens draußen gewesen zum Brötchen- und Zeitungsholen und fand dabei Gelegenheit, die Überreste des gestern von HSV-Hools zerlegten Streifenwagens zu fotografieren.
Auch unsere gläserne Haustür hatte trotz ihrer generellen Passivität den Zorn dieser Menschen erregt und wies nun strahlenkranzförmige Splitterspuren von beeindruckender Länge auf.
Eine gläserne Haustür auf St. Pauli: Das ist aber auch wirklich eine tolle Idee.
19 Oktober 2010
Hain, ich weiß, wo du wohnst!
Eigentlich bin ich überhaupt kein Vereinstyp, bin nirgends drin, nur in der Gewerkschaft – und seit einigen Jahren in der Fußballabteilung des FC St. Pauli 1910.
Die Gründe dafür, damals Mitglied zu werden, lagen nicht nur in der stillen Hoffnung, so mein Karma beim Ergattern einer Dauerkarte zu verbessern (wenn nicht in diesem, dann wenigstens im nächsten Leben – und darauf wird es wohl hinauslaufen), sondern auch in der festen Verwurzelung des Vereins in meinem Viertel.
Das Stadion des FC liegt unweit unserer Wohnung mitten auf St. Pauli, es ist umgeben von Miet- und Bürohäusern, von Schwimmbad, Schule, Kneipen und dem Heiligengeistfeld, wo dreimal im Jahr ein Rummel namens Dom stattfindet, was bei Heimspielen zu einem wunderbaren Durch- und Miteinander der verschiedensten Besucherströme führt.
Doch nicht nur das Stadion fühlt sich sauwohl im Viertel und denkt nicht mal im Traum daran, wegzuziehen, auch die Spieler des FC St. Pauli wohnen in der Regel nicht in einer Alstervilla, sondern durchaus auch mal hier, in unserer Nachbarschaft.
Neulich zum Beispiel fuhr ich mit dem Fahrrad durch die *****straße in Stadionnähe, als ein Mann gerade die Haustür eines unscheinbaren Mehrfamilienhauses aufschloss, im Arm eine Einkaufstüte und an der Seite einen kleinen Jungen, der ihm ungefähr bis an die Hüfte reichte.
Den Mann kennst du doch, dachte ich, das ist doch … der Torwart des FC St. Pauli. Mathias Hain heißt er, er hat also ein t weniger als ich und ist zurzeit verletzt. Sein Bewegungsablauf hier an der Haustür in der *****straße gab in seiner Eleganz und Geschmeidigkeit jedoch zu den schönsten Rekonvaleszenzhoffnungen Anlass.
Zwecks Verifikatiion meiner Beobachtung drehte ich um, stieg vom Rad und schaute nach einer gewissen Karenzzeit rückversichernd aufs Klingelschild. Und in der Tat: Da stand: „Hain“.
Keine große Sache, natürlich nicht. Sondern nur weiteres Detail eines schillerndbunten Mosaiks, das sich – trotz aller zwangsläufigen Kommerzialisierung, ohne die kein Verein in der Bundesliga bestehen könnte – verdichtet zur großen Sympathieträgerschaft eines kleinen Stadtteilclubs. Da kann man schon mal mit Mitglied werden, verdammt. Auch als Vereinsmuffel.
Vielleicht hätte ich die Gelegenheit nutzen, bei Hain klingeln und ihm klagen sollen von der Vergeblichkeit meines jahrelangen strebenden Bemühens um eine Dauerkarte. Doch zweifellos wäre es unfein gewesen, ihn beim Auspacken seiner Einkaufstüte zu stören.
Na ja, immerhin weiß ich jetzt, wo er wohnt, der Hain.
Die Gründe dafür, damals Mitglied zu werden, lagen nicht nur in der stillen Hoffnung, so mein Karma beim Ergattern einer Dauerkarte zu verbessern (wenn nicht in diesem, dann wenigstens im nächsten Leben – und darauf wird es wohl hinauslaufen), sondern auch in der festen Verwurzelung des Vereins in meinem Viertel.
Das Stadion des FC liegt unweit unserer Wohnung mitten auf St. Pauli, es ist umgeben von Miet- und Bürohäusern, von Schwimmbad, Schule, Kneipen und dem Heiligengeistfeld, wo dreimal im Jahr ein Rummel namens Dom stattfindet, was bei Heimspielen zu einem wunderbaren Durch- und Miteinander der verschiedensten Besucherströme führt.
Doch nicht nur das Stadion fühlt sich sauwohl im Viertel und denkt nicht mal im Traum daran, wegzuziehen, auch die Spieler des FC St. Pauli wohnen in der Regel nicht in einer Alstervilla, sondern durchaus auch mal hier, in unserer Nachbarschaft.
Neulich zum Beispiel fuhr ich mit dem Fahrrad durch die *****straße in Stadionnähe, als ein Mann gerade die Haustür eines unscheinbaren Mehrfamilienhauses aufschloss, im Arm eine Einkaufstüte und an der Seite einen kleinen Jungen, der ihm ungefähr bis an die Hüfte reichte.
Den Mann kennst du doch, dachte ich, das ist doch … der Torwart des FC St. Pauli. Mathias Hain heißt er, er hat also ein t weniger als ich und ist zurzeit verletzt. Sein Bewegungsablauf hier an der Haustür in der *****straße gab in seiner Eleganz und Geschmeidigkeit jedoch zu den schönsten Rekonvaleszenzhoffnungen Anlass.
Zwecks Verifikatiion meiner Beobachtung drehte ich um, stieg vom Rad und schaute nach einer gewissen Karenzzeit rückversichernd aufs Klingelschild. Und in der Tat: Da stand: „Hain“.
Keine große Sache, natürlich nicht. Sondern nur weiteres Detail eines schillerndbunten Mosaiks, das sich – trotz aller zwangsläufigen Kommerzialisierung, ohne die kein Verein in der Bundesliga bestehen könnte – verdichtet zur großen Sympathieträgerschaft eines kleinen Stadtteilclubs. Da kann man schon mal mit Mitglied werden, verdammt. Auch als Vereinsmuffel.
Vielleicht hätte ich die Gelegenheit nutzen, bei Hain klingeln und ihm klagen sollen von der Vergeblichkeit meines jahrelangen strebenden Bemühens um eine Dauerkarte. Doch zweifellos wäre es unfein gewesen, ihn beim Auspacken seiner Einkaufstüte zu stören.
Na ja, immerhin weiß ich jetzt, wo er wohnt, der Hain.
03 Mai 2011
Fundstücke (131)
Ein Gehweg ist also kein Hundeklo – aber die eigene Haustür anscheinend das geeignete Medium für ernste Ermahnungen. Manche Menschen verstehe ich einfach nicht.
(Was natürlich nur dann gilt, wenn Herr oder Frau Koch selbst für den Spruch auf ihrer Haustür verantwortlich sind. Sonst nehme ich alles zurück und bestätige, dass ich manche Menschen doch verstehe.)
Entdeckt in der Kastanienallee.
13 März 2018
Der belagerte Hauseingang
Schon aus dem Hausflur sah ich die außen an die Glastür gelehnte Tasche. Als ich die Tür öffnete, fiel sie mir halb entgegen, und zwei Männer in ihren Zwanzigern versperrten mir den Weg. Sie saßen auf den beiden Stufen vor der Haustür und waren gerade dabei, Utensilien auszupacken. „Danke“, sagte ich, als sie aufstanden, um mich durchzulassen.
Für eine tiefergehende Ansprache oder gar eine Ermahnung sah ich keinen Anlass, wahrscheinlich war dieser Ruheplatz nur ein temporärer, und wenn ich vom Brötchenholen zurückkäme, sähe man bestimmt nur noch ihre Hinterlassenschaften (bei deren Provenienz allerdings einige unschöne Möglichkeiten abgedeckt werden konnten; ich möchte jetzt nicht ins Detail meines Erfahrungsschatzes gehen).
Zehn Minuten später, als ich vom Kiezbäcker zurückkam, saßen die beiden allerdings immer noch da. Sie hatten es sich sogar gemütlich gemacht. Ich sah unter anderem ein kleines Klappmesser auf der obersten der beiden Stufen liegen; zu welchem Behufe auch immer. „Sie können hier nicht bleiben“, sagte ich, „das ist ein Hauseingang, hier wollen immer wieder Leute rein und raus.“
Der eine, ein braunhaariger Zausel mit gebeugtem Kopf, entschuldigte sich sofort. „Sie haben Recht, das stimmt, wir gehen, alles klar.“ Er räumte mit rundem Rücken seine Tasche beiseite, alles an ihm signalisierte Deeskalation. „Wir wollen keinen Ärger, alles klar“, schob er nach.
Ich stand da und sah ihm beim Zusammenräumen zu, als ich bemerkte, wie der andere mich von der Seite anstarrte. Er war blond, sein Gesicht hager und hart, er hielt den Kopf oben. „Gehen Sie durch“, sagte er.
„Wir wollen keinen Ärger, wirklich nicht“, sagte der andere. „Gehen Sie durch“, sagte der Blonde noch einmal.
„Wir wollen keinen Ärger, wirklich nicht“, sagte der andere. „Gehen Sie durch“, sagte der Blonde noch einmal.
Während sein Kumpel Unterwürfigkeit simulierte, entströmte dem Blonden die Aura unterschwelliger Aggressivität. Wahrscheinlich waren die beiden Junkies. Mit Junkies ist bisweilen nicht zu spaßen. Manchmal müssen sie auf Teufel komm raus Handlungsprioritäten setzen, die einem verständnisvollen gesellschaftlichen Miteinander abträglich sind.
Ich sah das Klappmesser auf der obersten der beiden Stufen. Es war aufgeklappt. „Wir wollen wirklich keinen Ärger“, sagte der Unterwürfige. Der Blonde starrte mich an, gerade und aufrecht. Er trug eine hellblaue enge Daunenjacke.
Und dann ging ich durch, hoch in den zweiten Stock, in eine ganz andere Welt.
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02 Januar 2013
Das lässt tief blicken
Am Neujahrsmorgen standen unten vorm Tunnel – einer Diskothek, deren Eingangsbereich wir von unserem Balkon aus sehen können – junge Menschen im Winterregen, darunter eine Frau im kleinen Schwarzen und wadenfrei.
Im Winter sieht man so was erstaunlich oft in Hamburg und vor allem auf dem Kiez, wo das Bedürfnis, sich zu präsentieren, anscheinend stärker ist als jede Lungenentzündungsbefürchtung.
Man sieht sogar bei Minusgraden schalfreie Hälse und Dekolletees von einer derartigen Tiefe, dass sich in ihren Spalten jeder dahergelaufene russische Eiswind formidabel aufwärmen kann. (Und ich spreche nicht von den Huren in der Davidstraße; die tragen nämlich Skianzüge.)
Ich und Ms. Columbo laufen derweil vollvermummt an diesen merkwürdigen Menschen vorbei und fragen uns, ob wir wirklich zur gleichen Spezies gehören. Wenn hier eine dieser Winterhalbnackedeis mitliest: Frieren Sie denn nicht? Und wenn ja: warum bloß nicht?
Ich frage für eine genetisch benachteiligte Halbsardin, die sich schon ins Lammfell mummelt, wenn sie nur Langnese-Werbung im Fernsehen sieht.
Übrigens ließ auch unsere Haustür am Neujahrsmorgen tiefer blicken als noch am Abend zuvor, doch das ist ja durchaus nicht unüblich – und damit für dieses Jahr hoffentlich erledigt.
Im Winter sieht man so was erstaunlich oft in Hamburg und vor allem auf dem Kiez, wo das Bedürfnis, sich zu präsentieren, anscheinend stärker ist als jede Lungenentzündungsbefürchtung.
Man sieht sogar bei Minusgraden schalfreie Hälse und Dekolletees von einer derartigen Tiefe, dass sich in ihren Spalten jeder dahergelaufene russische Eiswind formidabel aufwärmen kann. (Und ich spreche nicht von den Huren in der Davidstraße; die tragen nämlich Skianzüge.)
Ich und Ms. Columbo laufen derweil vollvermummt an diesen merkwürdigen Menschen vorbei und fragen uns, ob wir wirklich zur gleichen Spezies gehören. Wenn hier eine dieser Winterhalbnackedeis mitliest: Frieren Sie denn nicht? Und wenn ja: warum bloß nicht?
Ich frage für eine genetisch benachteiligte Halbsardin, die sich schon ins Lammfell mummelt, wenn sie nur Langnese-Werbung im Fernsehen sieht.
Übrigens ließ auch unsere Haustür am Neujahrsmorgen tiefer blicken als noch am Abend zuvor, doch das ist ja durchaus nicht unüblich – und damit für dieses Jahr hoffentlich erledigt.
24 November 2023
Die gemütlichsten Ecken St. Paulis (201)
Als ich heute auf dem Weg nach Hause die schwarze Novemberwolkenwand hinterm Riesenrad aufragen sah, während von vorne die Sonne eine Gondel links zum Erstrahlen brachte, trat ich justament auf die Bremse, stieg ab und fotografierte dieses stimmungsprachtvolle Bild.
Allerdings führten genau die dreißig Sekunden, die mich die Fotosession kostete, dazu, dass mich die schwarze Wand noch erwischte, bevor ich die Haustür erreichte.
Egal: Es war nur Wasser. Und das hier ist für die Ewigkeit.
07 September 2017
Die tückische Treppe
Als wir heute vom Einkaufen nach Hause kamen, saß auf der Treppe vor unserer Haustür eine Frau und telefonierte.
Nur die Tatsache, dass sie dergestalt beschäftigt war, hielt mich davon ab, sie im Interesse ihrer Hose darauf aufmerksam zu machen, wofür diese Treppe sonst so benutzt wird: nämlich zum Kacken, Pinkeln, Kotzen, Fixen und Bluten (Beispielfoto).
Aber sie telefonierte ja. Vielleicht besser so.
04 Oktober 2007
Das pralle, längliche Ding in meiner Hand
Manchmal habe ich keine Lust, auf dem Nachhauseweg um den Block zu tapern, der die Reeperbahn von der Seilerstraße trennt. Dann nutze ich eine Abkürzung, nämlich quer durch einen der Glitzerläden. Die meisten haben einen Hinterausgang, und dann stehe ich praktisch vor unserer Haustür.
Gestern entschied ich mich für die Passage durch einen Sexshop. Beim Durchqueren verharrte ich wohl einen Moment zu lange vorm erstaunlich breitgefächerten Sortiment an Vibratoren. Jedenfalls eilte ein Verkäufer herbei und erbot sich zu helfen.
„Ich möchte Ihnen etwas empfehlen“, sagte er und ging vor. Ich folgte ihm. „Schauen Sie mal hier.“ Er blieb vor der vielschwänzigen Kollektion eines deutschen Herstellers stehen. „Man sollte ja nicht allzu patriotisch sein“, bemerkte er entschuldigend, „aber das hier ist wirklich Spitzenqualität.“
Alles reines Silikon, erläuterte er, beste Verarbeitung. Ob Batterie- oder Akkubetrieb – alles ginge. „Manchmal kommen die Kunden nach kurzer Zeit mit den Chinadingern an und sagen: Die gehen nicht mehr – tja …“ Er zuckte lächelnd mit den Achseln, doch nicht anzüglich, sondern auf jene Art und Weise, die sich aus überlegenem Fachwissen speist.
„Warten Sie mal kurz“, bat er und eilte davon. Ich wartete. Er kam wieder mit einem der patriotischen Wackeldinger, ausgepackt und betriebsbereit. „Hier“, sagte er und streckte es mir entgegen, „fassen Sie mal an.“
Ich packte die Spitze, er hielt das andere Ende. Dann drückte er einen Knopf, der mit einem Pluszeichen gekennzeichnet war. Darunter befand sich einer mit einem Minus. Der Silikonphallus begann tieffrequent in meiner Hand zu vibrieren. Er drückte noch mal, jetzt vibrierte er stärker.
„Erstaunlich leise“, lobte ich. „Tja-ha“, freute sich der Verkäufer. „Aber jetzt … passen Sie auf …“ Er drückte erneut auf den Plusknopf. „Wow“, rief ich aus, „Intervallschaltung!“ Der Mann lächelte glücklich. Dann schaltete er noch mal hoch. Wahnsinn.
Plötzlich wurde mir klar, was hier gerade passierte. Ich stand mitten in einem Erotikshop, hielt einen lustvoll brummenden künstlichen Schwanz in der Hand, und vor mir stand ein Mann, der daran herumdrückte. Von draußen musste das … nun ja: merkwürdig aussehen.
Trotzdem ließ ich nicht los; ich wollte ihn nicht enttäuschen. Und dann sagte er jenen Satz, den jeder Verkäufer im Schlaf herbeten können muss, und zwar branchenübergreifend: „Das gleiche Modell“, sagte er ernst und blickte mich an dabei, „benutze ich auch zu Hause.“
Zum ersten Mal schaute ich ihn mir näher an. Ein Mittdreißiger, leicht massig, doch nicht adipös. Rundes Gesicht, volles Braunhaar, unauffällig seitengescheitelt. Ein Durchschnittstyp in Strickpulli und Jeans. Der zu Hause patriotische Vibratoren benutzt.
Auf dem Heimweg versuchte ich mir vergeblich seine Freundin vorzustellen.
Gestern entschied ich mich für die Passage durch einen Sexshop. Beim Durchqueren verharrte ich wohl einen Moment zu lange vorm erstaunlich breitgefächerten Sortiment an Vibratoren. Jedenfalls eilte ein Verkäufer herbei und erbot sich zu helfen.
„Ich möchte Ihnen etwas empfehlen“, sagte er und ging vor. Ich folgte ihm. „Schauen Sie mal hier.“ Er blieb vor der vielschwänzigen Kollektion eines deutschen Herstellers stehen. „Man sollte ja nicht allzu patriotisch sein“, bemerkte er entschuldigend, „aber das hier ist wirklich Spitzenqualität.“
Alles reines Silikon, erläuterte er, beste Verarbeitung. Ob Batterie- oder Akkubetrieb – alles ginge. „Manchmal kommen die Kunden nach kurzer Zeit mit den Chinadingern an und sagen: Die gehen nicht mehr – tja …“ Er zuckte lächelnd mit den Achseln, doch nicht anzüglich, sondern auf jene Art und Weise, die sich aus überlegenem Fachwissen speist.
„Warten Sie mal kurz“, bat er und eilte davon. Ich wartete. Er kam wieder mit einem der patriotischen Wackeldinger, ausgepackt und betriebsbereit. „Hier“, sagte er und streckte es mir entgegen, „fassen Sie mal an.“
Ich packte die Spitze, er hielt das andere Ende. Dann drückte er einen Knopf, der mit einem Pluszeichen gekennzeichnet war. Darunter befand sich einer mit einem Minus. Der Silikonphallus begann tieffrequent in meiner Hand zu vibrieren. Er drückte noch mal, jetzt vibrierte er stärker.
„Erstaunlich leise“, lobte ich. „Tja-ha“, freute sich der Verkäufer. „Aber jetzt … passen Sie auf …“ Er drückte erneut auf den Plusknopf. „Wow“, rief ich aus, „Intervallschaltung!“ Der Mann lächelte glücklich. Dann schaltete er noch mal hoch. Wahnsinn.
Plötzlich wurde mir klar, was hier gerade passierte. Ich stand mitten in einem Erotikshop, hielt einen lustvoll brummenden künstlichen Schwanz in der Hand, und vor mir stand ein Mann, der daran herumdrückte. Von draußen musste das … nun ja: merkwürdig aussehen.
Trotzdem ließ ich nicht los; ich wollte ihn nicht enttäuschen. Und dann sagte er jenen Satz, den jeder Verkäufer im Schlaf herbeten können muss, und zwar branchenübergreifend: „Das gleiche Modell“, sagte er ernst und blickte mich an dabei, „benutze ich auch zu Hause.“
Zum ersten Mal schaute ich ihn mir näher an. Ein Mittdreißiger, leicht massig, doch nicht adipös. Rundes Gesicht, volles Braunhaar, unauffällig seitengescheitelt. Ein Durchschnittstyp in Strickpulli und Jeans. Der zu Hause patriotische Vibratoren benutzt.
Auf dem Heimweg versuchte ich mir vergeblich seine Freundin vorzustellen.
22 Dezember 2007
Ich verstehe den Kapitalismus nicht mehr
Unablässig rieseln Informationen auf uns nieder. Wir ziehen daraus ständig unsere Schlüsse, ob bewusst oder unbewusst.
Neulich zum Beispiel erfuhr ich, die Post sei zurzeit bis zum Zusammenklapp überlastet, sie kumuliere daher vor lauter Erschöpfung die Sendungen und stelle sie nur noch alle zwei Tage gesammelt zu.
Unter anderem diese Meldung war es, die mich heute bewog, meine beiden Päckchen lieber bei Hermes abzugeben. Wenn die Post am Ende ist, so meine eigentlich logische Überlegung, muss das ja nicht automatisch auch für die Konkurrenz gelten; vielleicht schafft wenigstens die das übliche Tempo.
Doch just als ich durch die schneeüberzuckerte Seilerstraße (Foto) zum Hermesshop wollte, kam der Postbote und überreichte mir vor der Haustür ein Päckchen, worauf erstaunlicherweise ein … Hermeszettel pappte.
„Warum“, fragte ich baff den Postler, „überreichen Sie mir denn ein Hermespäckchen, wo Sie doch von der Post sind?“ „Ach“, sagte er, während er mir sein elektronisches Dingens zum Unterschreiben reichte (dessen blöder sarkastischer Stift mich zum viermaligen Autogrammgeben zwang), „wir helfen aus.“
Aha …? Die Post, obzwar bis zum Kumulierungszwang überlastet, hilft also bei Hermes aus, dem größten postunabhängigen Logistikdienstleister.
Sollte sie, die Post, diese abgezweigte Manpower nicht besser in den Abbau der eigenen Überlastung stecken? Wahrscheinlich muss sie doch nur deshalb ihre eigenen Sendungen tagelang kumulieren, weil sie auch noch die ganzen Hermespäckchen am Hals hat.
Ich informationsberieselter Rückschlusszieher dachte übrigens wirklich, die beiden seien Konkurrenten. Versteh einer den Kapitalismus.
Neulich zum Beispiel erfuhr ich, die Post sei zurzeit bis zum Zusammenklapp überlastet, sie kumuliere daher vor lauter Erschöpfung die Sendungen und stelle sie nur noch alle zwei Tage gesammelt zu.
Unter anderem diese Meldung war es, die mich heute bewog, meine beiden Päckchen lieber bei Hermes abzugeben. Wenn die Post am Ende ist, so meine eigentlich logische Überlegung, muss das ja nicht automatisch auch für die Konkurrenz gelten; vielleicht schafft wenigstens die das übliche Tempo.
Doch just als ich durch die schneeüberzuckerte Seilerstraße (Foto) zum Hermesshop wollte, kam der Postbote und überreichte mir vor der Haustür ein Päckchen, worauf erstaunlicherweise ein … Hermeszettel pappte.
„Warum“, fragte ich baff den Postler, „überreichen Sie mir denn ein Hermespäckchen, wo Sie doch von der Post sind?“ „Ach“, sagte er, während er mir sein elektronisches Dingens zum Unterschreiben reichte (dessen blöder sarkastischer Stift mich zum viermaligen Autogrammgeben zwang), „wir helfen aus.“
Aha …? Die Post, obzwar bis zum Kumulierungszwang überlastet, hilft also bei Hermes aus, dem größten postunabhängigen Logistikdienstleister.
Sollte sie, die Post, diese abgezweigte Manpower nicht besser in den Abbau der eigenen Überlastung stecken? Wahrscheinlich muss sie doch nur deshalb ihre eigenen Sendungen tagelang kumulieren, weil sie auch noch die ganzen Hermespäckchen am Hals hat.
Ich informationsberieselter Rückschlusszieher dachte übrigens wirklich, die beiden seien Konkurrenten. Versteh einer den Kapitalismus.
22 November 2010
15 und blind
Vor unserer Haustür umbrandet mich unversehens eine Gruppe wohlgemuter Schüler. Ein etwa 15-jähriger Pickelbube mit Mod-Gedächtnisfrisur löst sich und spricht mich an.
„Entschuldigung“, sagt er mit einem Grinsen, das ebenso nassforsch ist wie verlegen, „wissen Sie, wo hier das Sexkino ist?“
Das Sexkino? Es ist verdammt schwer, Bursche, es im Verlauf der Seilerstraße bis hierher geschafft zu haben, ohne über diverse Etablissementes dieser Provenienz zu stolpern, aber nun gut. Von 15-Jährigen darf man wohl vieles verlangen, aber nicht, dass sie nicht blind sind.
„Davon gibt es hier viele“, erläutere ich daher nachsichtig, „sucht euch eins aus.“ Was ich in diesem Moment nicht bedacht habe: dass die Jungs – sofern die Türsteher ihren Job richtig verstehen (wollen) – gar nicht reingelassen werden.
Aber das müssen die doppeldeutig grinsenden Pickelbuben schon selber lernen. Bin ja schließlich nicht das Frl. Krise.
28 Februar 2014
Vorzüge unserer Wohnlage
Zurzeit haben wir einige ungebetene Gäste im Haus. Zum einen Silberfischchen.
Seit ich neulich versehentlich einen Artikel darüber las, wie putzig, harmlos, ja geradezu nützlich diese „lebenden Fossilien“ seien in ihrer Gier nach allem, was uns tagtäglich so vom Körper rieselt, fühle ich mich zunehmend unwohl in meiner tradierten Rolle als Silberfischchenterminator.
Beschämendes Ergebnis: Ich expediere die Tierchen neuerdings mit Hilfe einer Postkarte, die mir Dr. K. in den 90ern geschickt hat, vorsichtig in ein Schnapsglas (Foto) und kippe sie mit einem gemurmelten Lebwohl über die Balkonbrüstung.
Ähnliches wäre mit der anderen Spezies ungebetener Gäste im Haus weniger gut zu machen, nicht nur, weil sie sich bevorzugt im Erdgeschoss aufhalten: Junkies.
Irgendwie schaffen sie es immer wieder, das Haus zu entern. Eine wirksame Methode ist wahlloses Betätigen der Klingeltafel; irgendein Bewohner wird im Tran schon auf den Summer drücken. Ein Kalkül, das immer noch derart oft aufgeht, dass die mahnenden hausinteren Rundmails inzwischen bevorzugt in Versalien verfasst werden.
Die andere Methode ihres Eindringens scheint von noch weniger Raffinesse geprägt und stattdessen eine brachiale zu sein, wie am Zustand des Schließblechs an der Haustür leicht abzulesen ist.
Sobald diese armen Gestalten drin sind, verkriechen sie sich in unseren heimelig verwinkelten Mülleimerabstellraum und tun, was Junkies gemeinhin tun. Manchmal bleiben sie zu diesem Zweck auch einfach dumpf auf der erstbesten Stufe im Treppenhaus sitzen und lassen sich widerspruchslos rauswerfen.
Jedenfalls scheint unser Heim zum Geheimtipp der Drogen- und Berberszene geworden zu sein, nachdem es bisher nur in der Rangliste Vorshauskotzen/-pinkeln/-kacken sowie in der Disziplin Haustürscheibeeinschlagen ganz weit oben rangierte.
Na ja, irgendwas muss man für die gestiegene Miete ja auch geboten bekommen, was Castrop-Rauxel nicht zu bieten hat.
Silberfischchen haben sie da schließlich auch.
06 April 2009
Höflichkeit auf Hessisch
Beim Besuch im Ex-Heimatdorf stieß ich an einer Haustür auf den abgebildeten Beweis hessischer Gastfreundschaft.
Wie ich eingestehen muss, bin ich mit diesen Leuten sogar verwandt. Aber dafür können wir ja beide nichts.
Wie ich eingestehen muss, bin ich mit diesen Leuten sogar verwandt. Aber dafür können wir ja beide nichts.
21 Januar 2010
Ihr habt es nicht anders gewollt
All ihr Haustür-, Autoreifen-, Zäune-, Bäume- und Büschebepinkler hier auf dem Kiez habt anscheinend noch immer nicht mitgekriegt, dass ihr euch die 40 Euro Bußgeld fürs öffentliche Ingangsetzen eurer eingebauten Sprinkleranlage auch ersparen könntet.
Nämlich durch – tataaaa! – das Benutzen einer öffentlichen Toilette.
Ja, so was gibt es, da staunt ihr. Zum Beispiel an der Reeperbahn gegenüber der Davidwache, an der Rückseite der Bratwurstinstitution Lukullus. Vorne auffüllen, hinten ablassen: ist doch eigentlich ganz simpel.
Durch schriftliche und – Analphabetismus ist unter euch ja gewiss weit verbreitet – auch grafisch-visuelle Hinweise versucht die Fassade euch diese simple Handlungsabfolge nahezubringen. Der heutige Blogeintrag soll die Botschaft nun weiter vertiefen und verankern. In eurem Interesse.
Denn ab sofort führe ich standardmäßig eine Heckenschere mit. Wenn ihr wisst, was ich meine.
13 Juli 2015
Fundstücke (205)
Kein Wunder, dass man uns hier auf dem Kiez keine Ruhe lässt.
Entdeckt an einer Haustür auf St. Pauli.
13 August 2008
Ruhe sanft, Citystar
Es ist immer das Gleiche, verdammt. Alle zwei bis vier Jahre schlurfe ich – enttäuscht von der Menschheit im Allgemeinen und den Kiezgestalten im Besonderen – zur Davidwache und melde dort den Diebstahl meines Fahrrads.
Mein guter, alter Citystar-Drahtesel: Jetzt hat es auch dich erwischt, direkt vor der Haustür. Obwohl ich stets ein altes billiges Fahrrad auf dem Flohmarkt schieße, um die Klaugefahr zu minimieren, trage ich es in den ersten Wochen abends stets hoch in die Wohnung und am nächsten Morgen wieder runter.
Nach einer gewissen Karenzzeit folgt dann eine Phase, in der die Hochtragdisziplin zu bröckeln beginnt. Zunächst noch selten, bald immer öfter schließe ich es vorm Haus an Geländerstangen an, meist, wenn ich eine gute Ausrede habe, zum Beispiel eine Saftkiste unterm Arm. Irgendwann aber wird das Nichthochschleppen zur Gewohnheit, auch ohne Saftkiste. Bei Wind und Wetter steht hinfort das treue Gefährt duldsam im Freien und wartet auf Herrchens nächsten Ausritt.
So geht das zwei bis drei Jahre lang, und dann ist es wieder soweit: Ich schlurfe – enttäuscht von der Menschheit im Allgemeinen und den Kiezgestalten im Besonderen – zur Davidwache und melde dort den Diebstahl.
Diesmal traf es also das Citystarrad. Nie werde ich seine robusten sieben Gänge vergessen. Oder seine regelmäßig versagenden Lampen, vorne wie hinten. Der Lenker schien immer ein klein wenig schief zu stehen, dennoch fuhr das sympathische Rad zuverlässig geradeaus – ein kleines Kunststück, welches ich bis zuletzt an ihm bewundert habe. Na gut, das mit dem kaputten Tretlager (40 Euro) hätte nicht sein müssen, zumal es geruhte, erst kurz vor dem gewaltsamen Verlust um Austausch zu betteln. Doch jetzt ist es über alle Berge, das komplette Rad. Samt futschneuem Tretlager, schiefem Lenker und kaputter Lampe hinten.
Selbst der eigentlich immer wirksame Trostspruch „Du bist ja nicht weg, dich hat nur ein anderer“ will auf dem Weg zur Davidwache nicht recht zünden. Der mich am Tresen verständnisvoll empfangende Polizist fragt, ob ich alles dabei hätte. „Personalausweis? Klar, habe ich dabei“, antworte ich und nestle an der Brieftasche. „Auch die Rahmennummer?“, fragt der Polizist. „Äh, nein“, sage ich. Er legt schon mal den bereits gezückten Stift wieder hin und sagt: „Kaufvertrag?“ Hüstel …
Dann, sagt der Davidwachenmann, könnten wir's auch gleich sein lassen mit der Anzeige, schließlich könnte ich meinen Besitzanspruch selbst dann nicht beweisen, wenn er das Rad wiederfände – was ungefähr so wahrscheinlich sei wie ein segensreicher Meteoriteneinschlag aufs Haus von Albaner-Willi, dem Kiezpaten.
Das sagte der Polizist nicht wörtlich, schließlich ist mit Albaner-Willi nicht zu spaßen; es ist eher so, dass mir seine Ausführungen vorkommen, als könne man sie mithilfe dieser Allegorie treffsicher wiedergeben.
Jedenfalls schlurfe ich noch am gleichen Tag – enttäuscht von der Menschheit im Allgemeinen und den Kiezgestalten im Besonderen – zu jenem Fahrradladen, wo der Irokesenassistent, der den Franken gefragt hatte, ob er Rechts- oder Linksträger sei, inzwischen nicht mehr arbeitet, und erstehe ein neues altes Rad. Der Flohmarkt hatte sich zuvor als unergiebig erwiesen.
Warum ich mir allerdings erst vier Fahrräder klauen lassen muss, um endlich auf die Idee zu kommen, all ihre Details fotografisch festzuhalten und die Rahmennummer zu notieren, kann mir selbst Ms. Columbo nicht verklickern.
Mal sehen, ob ich in zwei bis drei Jahren die entsprechenden Unterlagen wiederfinde. Das scheint mir die nächste unüberwindliche Hürde zu sein.
Mein guter, alter Citystar-Drahtesel: Jetzt hat es auch dich erwischt, direkt vor der Haustür. Obwohl ich stets ein altes billiges Fahrrad auf dem Flohmarkt schieße, um die Klaugefahr zu minimieren, trage ich es in den ersten Wochen abends stets hoch in die Wohnung und am nächsten Morgen wieder runter.
Nach einer gewissen Karenzzeit folgt dann eine Phase, in der die Hochtragdisziplin zu bröckeln beginnt. Zunächst noch selten, bald immer öfter schließe ich es vorm Haus an Geländerstangen an, meist, wenn ich eine gute Ausrede habe, zum Beispiel eine Saftkiste unterm Arm. Irgendwann aber wird das Nichthochschleppen zur Gewohnheit, auch ohne Saftkiste. Bei Wind und Wetter steht hinfort das treue Gefährt duldsam im Freien und wartet auf Herrchens nächsten Ausritt.
So geht das zwei bis drei Jahre lang, und dann ist es wieder soweit: Ich schlurfe – enttäuscht von der Menschheit im Allgemeinen und den Kiezgestalten im Besonderen – zur Davidwache und melde dort den Diebstahl.
Diesmal traf es also das Citystarrad. Nie werde ich seine robusten sieben Gänge vergessen. Oder seine regelmäßig versagenden Lampen, vorne wie hinten. Der Lenker schien immer ein klein wenig schief zu stehen, dennoch fuhr das sympathische Rad zuverlässig geradeaus – ein kleines Kunststück, welches ich bis zuletzt an ihm bewundert habe. Na gut, das mit dem kaputten Tretlager (40 Euro) hätte nicht sein müssen, zumal es geruhte, erst kurz vor dem gewaltsamen Verlust um Austausch zu betteln. Doch jetzt ist es über alle Berge, das komplette Rad. Samt futschneuem Tretlager, schiefem Lenker und kaputter Lampe hinten.
Selbst der eigentlich immer wirksame Trostspruch „Du bist ja nicht weg, dich hat nur ein anderer“ will auf dem Weg zur Davidwache nicht recht zünden. Der mich am Tresen verständnisvoll empfangende Polizist fragt, ob ich alles dabei hätte. „Personalausweis? Klar, habe ich dabei“, antworte ich und nestle an der Brieftasche. „Auch die Rahmennummer?“, fragt der Polizist. „Äh, nein“, sage ich. Er legt schon mal den bereits gezückten Stift wieder hin und sagt: „Kaufvertrag?“ Hüstel …
Dann, sagt der Davidwachenmann, könnten wir's auch gleich sein lassen mit der Anzeige, schließlich könnte ich meinen Besitzanspruch selbst dann nicht beweisen, wenn er das Rad wiederfände – was ungefähr so wahrscheinlich sei wie ein segensreicher Meteoriteneinschlag aufs Haus von Albaner-Willi, dem Kiezpaten.
Das sagte der Polizist nicht wörtlich, schließlich ist mit Albaner-Willi nicht zu spaßen; es ist eher so, dass mir seine Ausführungen vorkommen, als könne man sie mithilfe dieser Allegorie treffsicher wiedergeben.
Jedenfalls schlurfe ich noch am gleichen Tag – enttäuscht von der Menschheit im Allgemeinen und den Kiezgestalten im Besonderen – zu jenem Fahrradladen, wo der Irokesenassistent, der den Franken gefragt hatte, ob er Rechts- oder Linksträger sei, inzwischen nicht mehr arbeitet, und erstehe ein neues altes Rad. Der Flohmarkt hatte sich zuvor als unergiebig erwiesen.
Warum ich mir allerdings erst vier Fahrräder klauen lassen muss, um endlich auf die Idee zu kommen, all ihre Details fotografisch festzuhalten und die Rahmennummer zu notieren, kann mir selbst Ms. Columbo nicht verklickern.
Mal sehen, ob ich in zwei bis drei Jahren die entsprechenden Unterlagen wiederfinde. Das scheint mir die nächste unüberwindliche Hürde zu sein.
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