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24 November 2023

Die gemütlichsten Ecken St. Paulis (201)

Als ich heute auf dem Weg nach Hause die schwarze Novemberwolkenwand hinterm Riesenrad aufragen sah, während von vorne die Sonne eine Gondel links zum Erstrahlen brachte, trat ich justament auf die Bremse, stieg ab und fotografierte dieses stimmungsprachtvolle Bild.

Allerdings führten genau die dreißig Sekunden, die mich die Fotosession kostete, dazu, dass mich die schwarze Wand noch erwischte, bevor ich die Haustür erreichte. 

Egal: Es war nur Wasser. Und das hier ist für die Ewigkeit.


24 Juni 2021

Als wären sie nie da gewesen

Unten im Treppenhaus, direkt hinter der Eingangstür, hat es sich ein Paar gemütlich gemacht, das hier definitiv keinen Mietvertrag besitzt. Es versperrt mir, der ich das Haus verlassen will, den Weg. Nach der Größe der herumliegenden Rucksäcke zu schließen, haben die beiden ihren halben Hausrat dabei; eher ist es sogar ihr ganzer. Auch zwei Fahrräder gehören dazu.

Eins davon ist ein Herrenrad. Es wirkt selbst auf einen Laien wie mich recht hochwertig. Ich bezweifle ehrlich gesagt, dass sein Besitzer schlüssig und rechtskonform herleiten könnte, wie er dessen habhaft wurde. Die Frau verbirgt sich halb unter einer Hoodiekapuze, tut geschäftig und brabbelt wirr vor sich hin, während er ansprechbar wirkt.

„Bitte gehen Sie“, sage ich zu den beiden, die nach meinem Auftauchen – wohl aus langjähriger Vertreibungserfahrung klug geworden – bereits eigeninitiativ damit begonnen haben, ihr Lager abzubrechen. „Wie sind Sie überhaupt hereingekommen?“

Der Mann trägt Radlerhosen und Haar- und Bartfrisuren, die schon lange nicht mehr von einem Profi in Augenschein genommen wurden – und Letzterer würde sich bei einem entsprechend vorgetragenen Anliegen wahrscheinlich auch weigern, ohne Gefahrenzulage tätig zu werden.

„Die Tür stand auf“, antwortet der Mann, ohne mich anzuschauen.
„Ich warte, bis Sie weg sind“, sage ich.

Es dauert lange Minuten, ehe alles weitgehend still und stumm verstaut ist. Auch ein Ladegerät will aus der frei zugänglichen Steckdose, die dummerweise über dem Stromkasten angebracht ist, entfernt werden. (Notiz an mich selbst: Hausverwaltung um ein Steckdosenschloss bitten.)

Ich bin den beiden nicht böse, auch sie wollen schließlich über die Runden kommen. Aber einfach über ihr Treppenhauslager hinwegsteigen und sie in Ruhe lassen, das kommt mir auch nicht richtig vor. Nach einer Weile ist das Lager geräumt. Ich verlasse hinter ihnen das Haus und überprüfe von außen, ob die Haustür sich aufdrücken lässt. Tut sie nicht.

Später sehe ich vom Balkon aus, wie die Hoodiefrau gegenüber unter einem Gerüst sitzt und sich anscheinend Substanzen zuführt, ich vermute intravenös. Er geht ab und zu rüber, lässt sich anbrabbeln, und irgenwann, als ich mal wieder vom Balkon aus die Lage checke, sind die beiden verschwunden.

Den Hausflur hinterließen sie übrigens rückstandlos sauber. Als wären sie nie da gewesen.

PS: Das irgendwie passende Foto zeigt den Bauzaun an der Taubenstraße.




13 Juni 2021

Unter Corona (14): Die Rückkehr des Bösen

Seit Monaten pinkelte, kotzte und kackte uns niemand mehr in den Hauseingang, und samstagsmorgens, wenn ich zum Brötchenholen aufbrach, musste ich von dort auch keine Junkies mehr verscheuchen. Ehrlich gesagt: Nicht alles war schlecht am Lockdown. So sorgte er zum Beispiel auch für einen spürbaren Krakeelerschwund.

Natürlich, diese jeglicher Außenwirkungskontrolle abholden Herumbrüller waren auch vor Corona auf St. Pauli nicht endemisch, doch sie empfanden unser Viertel als natürliches Habitat und prägten durchaus das hiesige Biotop. Vor allem durch die kiezspezifisch beständige Zufuhr von Alkoholika vermochten die Krakeeler St. Pauli akustisch mit großem Erfolg in Beschlag zu nehmen. Demzufolge war ihr Besatz im Viertel vor Corona enorm.

Doch nachdem hier alles schließen musste, sank der Krakeeleranteil signifikant. Dem verbliebenen Restbestand erwuchs allerdings ein Killerfeature, welches den zahlenmäßigen Schwund mehr als auszugleichen in der Lage war. War die von ihnen ausgehende Belästigung bisher ausschließlich sonischer Natur, so wurden diese Leute im Zuge der Krise nun auch zu hoch effizienten Aerosolemittenten. Zwar war das auch vorher schon der Fall, aber auch ziemlich egal, da ihre eruptiven Speichelwölkchen coronafrei waren. Nun hatte dieses Phänomen seine Unschuld verloren. Wir hielten in den Monaten der Einschränkungen also noch mehr Abstand zu den Restvorkommen dieser Spezies als eh schon.

Jetzt, seit den Lockerungen, ist im Grunde alles wie vorher: Enthemmte Teilnehmerinnen von Junggesellinnenabschieden torkeln wieder Lieder kreischend durch die Straßen, ohne sich im Geringsten um Ton- und Textsicherheit zu scheren, Horden junger Betrunkener versuchen sich selbst auf Kurzdistanz so zu verständigen, als wären ihren Saufkumpanen die Hörgeräte abgestürzt, und die Rückkehr der Harleyhirnis führt uns vor Ohren, welch erstaunlich unterstützende Wirkung 120 Dezibel auf unsere Mordlust haben.

Doch nicht nur der Lärmpegel nähert sich hier wieder seiner Vor-Corona-Infernalität. Vor unserer Haustür liegt auch sonntagsmorgens wieder das übliche Junkiebesteck (Foto), und beim Kiezbäcker hörte man wieder Dialoge wie folgenden (absolut authentisch, ich schwör): „Digger, machst du mir ’n Brötchen mit Pute klar? Und ’ne Capri-Sonne? Und 'n Eistee, Digger!"

Lockdown, wo bist du, wenn man dich mal braucht?




13 März 2018

Der belagerte Hauseingang

Immer mal wieder machen es sich Menschen vor unserer Haustür bequem, die nicht zu den Bewohnern dieses Hauses gehören. Nicht nur das: Sie versperren uns auch den Aus- und Zugang. Am Sonntagmorgen war es erneut so weit. 

Schon aus dem Hausflur sah ich die außen an die Glastür gelehnte Tasche. Als ich die Tür öffnete, fiel sie mir halb entgegen, und zwei Männer in ihren Zwanzigern versperrten mir den Weg. Sie saßen auf den beiden Stufen vor der Haustür und waren gerade dabei, Utensilien auszupacken. „Danke“, sagte ich, als sie aufstanden, um mich durchzulassen. 

Für eine tiefergehende Ansprache oder gar eine Ermahnung sah ich keinen Anlass, wahrscheinlich war dieser Ruheplatz nur ein temporärer, und wenn ich vom Brötchenholen zurückkäme, sähe man bestimmt nur noch ihre Hinterlassenschaften (bei deren Provenienz allerdings einige unschöne Möglichkeiten abgedeckt werden konnten; ich möchte jetzt nicht ins Detail meines Erfahrungsschatzes gehen). 

Zehn Minuten später, als ich vom Kiezbäcker zurückkam, saßen die beiden allerdings immer noch da. Sie hatten es sich sogar gemütlich gemacht. Ich sah unter anderem ein kleines Klappmesser auf der obersten der beiden Stufen liegen; zu welchem Behufe auch immer. „Sie können hier nicht bleiben“, sagte ich, „das ist ein Hauseingang, hier wollen immer wieder Leute rein und raus.“

Der eine, ein braunhaariger Zausel mit gebeugtem Kopf, entschuldigte sich sofort. „Sie haben Recht, das stimmt, wir gehen, alles klar.“ Er räumte mit rundem Rücken seine Tasche beiseite, alles an ihm signalisierte Deeskalation. „Wir wollen keinen Ärger, alles klar“, schob er nach. 

Ich stand da und sah ihm beim Zusammenräumen zu, als ich bemerkte, wie der andere mich von der Seite anstarrte. Er war blond, sein Gesicht hager und hart, er hielt den Kopf oben. „Gehen Sie durch“, sagte er. 

„Wir wollen keinen Ärger, wirklich nicht“, sagte der andere. „Gehen Sie durch“, sagte der Blonde noch einmal. 

Während sein Kumpel Unterwürfigkeit simulierte, entströmte dem Blonden die Aura unterschwelliger Aggressivität. Wahrscheinlich waren die beiden Junkies. Mit Junkies ist bisweilen nicht zu spaßen. Manchmal müssen sie auf Teufel komm raus Handlungsprioritäten setzen, die einem verständnisvollen gesellschaftlichen Miteinander abträglich sind. 

Ich sah das Klappmesser auf der obersten der beiden Stufen. Es war aufgeklappt. „Wir wollen wirklich keinen Ärger“, sagte der Unterwürfige. Der Blonde starrte mich an, gerade und aufrecht. Er trug eine hellblaue enge Daunenjacke. 

Und dann ging ich durch, hoch in den zweiten Stock, in eine ganz andere Welt.


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07 September 2017

Die tückische Treppe

Als wir heute vom Einkaufen nach Hause kamen, saß auf der Treppe vor unserer Haustür eine Frau und telefonierte. 

Nur die Tatsache, dass sie dergestalt beschäftigt war, hielt mich davon ab, sie im Interesse ihrer Hose darauf aufmerksam zu machen, wofür diese Treppe sonst so benutzt wird: nämlich zum Kacken, Pinkeln, Kotzen, Fixen und Bluten (Beispielfoto). 

Aber sie telefonierte ja. Vielleicht besser so.

09 Dezember 2016

Warten auf Kerry

Nein, Modernismus oder gar Ranschmeißerei an den Zeitgeist kann man unserer Hausverwaltung keineswegs vorwerfen. 

Der erstmalige (!) Neuanstrich unseres Treppenhauses seit mindestens drei, wenn nicht acht Jahrzehnten – unser Haus wurde um 1906 errichtet – orientiert sich koloral eher an dem, was wir draußen vor der Haustür gewöhnlich an menschlichen Körperflüssigkeiten und -feststoffen vorfinden, vor allem an Wochenenden.*

Insofern eine adäquate Farbwahl, zu der man die Entscheidungsträger nur beglückwünschen kann. Ja, ich würde so weit gehen, diese Wahl als mutiges Statement gegen die Gentrifizierung des Viertels zu deuten, als ein Manifest des widerständigen Traditionalismus – umgesetzt konsequenterweise exakt in der Farbe, die bisher schon unsere Treppenhauswände zierte. Wir müssen uns also nicht mal umgewöhnen. 

Nur das charmant Abgeranzte, die Rußspuren an den Türrahmenritzen, die abgeplatzten Flächen: All das ist halt jetzt nicht mehr da. Aber das kriegen wir wieder hin in den nächsten drei, wenn nicht acht Jahrzehnten. Schließlich sind wir St. Paulianer.

Aber wir haben auch unser Päckchen zu tragen, vor allem, wenn gerade OSZE-Konferenz ist. Gestern an der Fußgängerampel am Casino stieß ich auf eine Menschenmenge, deren mentaler Zustand sich bereits bei meiner Ankunft am Siedepunkt bewegte. Denn sie wurde grundlos am Überqueren der Straße gehindert. Wie der leicht verschüchterte Polizist, der uns in Schach zu halten versuchte, erläuterte, müssten wir warten, bis die Kolonne des US-amerikanischen Außenministers vom Stephansplatz aus kommend die Kreuzung überquert habe.

Allerdings war von Kerrys Kolonne weit und breit nichts zu sehen. Und die Mitglieder der von der Straße geteilten Menge trennten nur je sechs Meter von der anderen Seite, dem Ziel aller Träume. Doch der Cop – Typ graumelierter Studienrat, unbewaffnet – ließ uns nicht.

Eine Radfahrerin war die erste, die den Aufstand wagte. Sie fuhr einfach los und rief: „Ich muss zur Arbeit!“ Eine Frau in Joggingkleidung ergänzte schrill: „Ich hab’s eilig!“ Der Polizist bekam allmählich einen runden Rücken und eine Gesichtsfarbe, die mich an unser Treppenhaus erinnerte. „Das haben wir doch alle“, lächelte er lahm und schaute bang runter Richtung Stephansplatz.

Doch von dort kein Kerry, nirgends. Hier aber eine zweigeteilte Menschenmenge, die wütend mit den Hufen scharrte, mittlerweile schon halb auf der Straße stand und immer lauter murrte. Anweisungen der Ordnungskräfte brauchen halt immer auch eine sich sinnlich erschließende Plausibilität, und die hätte in dieser Situation nur der heranbretternde Herr Kerry herstellen können. Oder wenigstens ein anschwellender Sirenenton.

Das sah nun auch der Polizist ein: Er beugte sich dem Druck des Volkes. „Okay“, sagte er seufzend, und alle strömten herüber und hinüber, von links nach rechts und rechts nach links. Und dann eilten sie davon, um auch heute endlich wieder unbehindert von Phantomen wie Kerry und Konsorten dem Sinn ihres Lebens nachgehen zu können: einer abhängigen Beschäftigung. 

Abends sah ich Kerry im Fernsehen, er war also doch noch gekommen. Im Wohnzimmer roch es ein wenig nach Farbe.


*Das gilt übrigens auch für die Ästhetik dieses Blogs, wie mir gerade dämmert.

13 Juli 2015

Fundstücke (205)


Kein Wunder, dass man uns hier auf dem Kiez keine Ruhe lässt. 
 
Entdeckt an einer Haustür auf St. Pauli.

28 Februar 2014

Vorzüge unserer Wohnlage


Zurzeit haben wir einige ungebetene Gäste im Haus. Zum einen Silberfischchen. 

Seit ich neulich versehentlich einen Artikel darüber las, wie putzig, harmlos, ja geradezu nützlich diese „lebenden Fossilien“ seien in ihrer Gier nach allem, was uns tagtäglich so vom Körper rieselt, fühle ich mich zunehmend unwohl in meiner tradierten Rolle als Silberfischchenterminator. 

Beschämendes Ergebnis: Ich expediere die Tierchen neuerdings mit Hilfe einer Postkarte, die mir Dr. K. in den 90ern geschickt hat, vorsichtig in ein Schnapsglas (Foto) und kippe sie mit einem gemurmelten Lebwohl über die Balkonbrüstung. 

Ähnliches wäre mit der anderen Spezies ungebetener Gäste im Haus weniger gut zu machen, nicht nur, weil sie sich bevorzugt im Erdgeschoss aufhalten: Junkies.

Irgendwie schaffen sie es immer wieder, das Haus zu entern. Eine wirksame Methode ist wahlloses Betätigen der Klingeltafel; irgendein Bewohner wird im Tran schon auf den Summer drücken. Ein Kalkül, das immer noch derart oft aufgeht, dass die mahnenden hausinteren Rundmails inzwischen bevorzugt in Versalien verfasst werden. 

Die andere Methode ihres Eindringens scheint von noch weniger Raffinesse geprägt und stattdessen eine brachiale zu sein, wie am Zustand des Schließblechs an der Haustür leicht abzulesen ist.

Sobald diese armen Gestalten drin sind, verkriechen sie sich in unseren heimelig verwinkelten Mülleimerabstellraum und tun, was Junkies gemeinhin tun. Manchmal bleiben sie zu diesem Zweck auch einfach dumpf auf der erstbesten Stufe im Treppenhaus sitzen und lassen sich widerspruchslos rauswerfen.

Jedenfalls scheint unser Heim zum Geheimtipp der Drogen- und Berberszene geworden zu sein, nachdem es bisher nur in der Rangliste Vorshauskotzen/-pinkeln/-kacken sowie in der Disziplin Haustürscheibeeinschlagen ganz weit oben rangierte.

Na ja, irgendwas muss man für die gestiegene Miete ja auch geboten bekommen, was Castrop-Rauxel nicht zu bieten hat.

Silberfischchen haben sie da schließlich auch.

02 Januar 2013

Das lässt tief blicken

Am Neujahrsmorgen standen unten vorm Tunnel – einer Diskothek, deren Eingangsbereich wir von unserem Balkon aus sehen können – junge Menschen im Winterregen, darunter eine Frau im kleinen Schwarzen und wadenfrei.

Im Winter sieht man so was erstaunlich oft in Hamburg und vor allem auf dem Kiez, wo das Bedürfnis, sich zu präsentieren, anscheinend stärker ist als jede Lungenentzündungsbefürchtung.

Man sieht sogar bei Minusgraden schalfreie Hälse und Dekolletees von einer derartigen Tiefe, dass sich in ihren Spalten jeder dahergelaufene russische Eiswind formidabel aufwärmen kann. (Und ich spreche nicht von den Huren in der Davidstraße; die tragen nämlich Skianzüge.)

Ich und Ms. Columbo laufen derweil vollvermummt an diesen merkwürdigen Menschen vorbei und fragen uns, ob wir wirklich zur gleichen Spezies gehören. Wenn hier eine dieser Winterhalbnackedeis mitliest: Frieren Sie denn nicht? Und wenn ja: warum bloß nicht?

Ich frage für eine genetisch benachteiligte Halbsardin, die sich schon ins Lammfell mummelt, wenn sie nur Langnese-Werbung im Fernsehen sieht.

Übrigens ließ auch unsere Haustür am Neujahrsmorgen tiefer blicken als noch am Abend zuvor, doch das ist ja durchaus nicht unüblich – und damit für dieses Jahr hoffentlich erledigt.

14 Mai 2012

Eine kiezspezifische Gefahr



Unten auf der Straße wieder mal großes Geschrei. Vom Balkon aus sehe ich einen Jungen flüchten vor zwei anderen, von denen der eine sich benimmt wie ein Pavian.

Er springt mit gereckter Brust auf der Stelle und brüllt irgendetwas auf Türkdeutsch, während er dabei die Arme ausbreitet. Möglicherweise handelt es sich dabei um Dominanzgesten, ich weiß es nicht.

Sein kleinerer Kumpel trägt eine Basecap und markiert derweil sein Revier: Er stellt sich vor eine hölzerne Haustür, um dagegen zu pinkeln.

Ja, er strullt nicht etwa gegen die steinerne Wand dieses bedauernswerten Wohnhauses, was kiezweit durch unzählige Wiederholungen längst den Rang eines Gewohnheitsrechtes gewonnen hat, sondern gegen die Haustür.


Versuchte also ausgerechnet jetzt ein Bewohner das Haus zu verlassen, sähe er sich unversehens konfrontiert mit dem hereinpladdernden lauwarmen Strahl eines Basecapträgers und einem hinter ihm herumhüpfenden Brüllpavian.

Deswegen fiele er zwar bestimmt nicht aus allen Wolken. Doch sich umziehen zu müssen, nur weil man die Straße betreten wollte: Das wäre schon unschön, sogar auf St. Pauli.

01 September 2011

Wahrscheinlich war es nur der Wind



Ein blechernes Scheppern von draußen, hörbar sogar durch die winterbedingt (sic!) geschlossenen Fenster.

Vom Balkon aus sehe ich nicht nur zwei männliche Passanten, die sich in verdächtiger Hast entfernen, sondern auch eine schöne Bescherung: die stomleitungsführende Stangenkonstruktion auf dem Gehweg gegenüber, mit der die nachbarliche Großbaustelle versorgt wird, ist auf ganzer, also etwa 20 Meter messender Länge umgekippt (worden?) und auf sämtliche parkenden Autos gekracht.

Falls hier Vandalen am Werk waren, so muss man ihre hocheffiziente Vorgehensweise widerwillig bewundern; mit diesen Skills könnten sie binnen kurzem auch einen Daxkonzern verschlanken bis zur Wettbewerbsfähigkeit.

Jedenfalls gelang es ihnen (oder dem Wind – ich will hier nicht vorverurteilen), mit extrem wenig Aufwand ein halbes Dutzend Autos gleichzeitig werkstattreif zu beschädigen.

Eigentlich müsste also jetzt mal wieder irgendjemand die Schmier rufen, im Zweifelsfall also ich, doch das scheint bereits jemand anderes zu tun, nämlich ein aufgeregt vor der Postfiliale herumtrippelnder telefonierender Anzugträger, deshalb bescheide ich mich diesmal mit der Rolle des Beobachters.

Als die Polizei eintrifft, haben sich bereits die ersten ratlosen Autobesitzer eingefunden. Sie stehen da, fröstelnd, stumm, finster, als versuchten sie die Gefühle ihrer Autos zu spiegeln. Sie sehen ihre Wagen eingekeilt zwischen und unter Metallstangen, hier ist kein Fortkommen mehr.

Unsere Haustür hat übrigens auch schon wieder mal irgendwer eingeschlagen, bereits gestern. Wer sind diese Leute, und warum tun sie all das? Liegt es an irreparabel verrenkten Synapsen im Hirn, oder gibt es für dieses Verhalten Gründe, die nicht nur im Zerebralen oder einer schweren Kindheit wurzeln?

Ja, das würde mich wirklich mal interessieren. Und dafür gibt es ja zum Glück die Kommentarfunktion.

20 Juni 2011

Die Neigung zur Axt



Immer, wenn ich in St. Pauli auf die Folgen einer der zahlreichen Straftaten stoße und in gedankenlosem, beiläufigen Automatismus einen Geschlechtsgenossen der Täterschaft verdächtige, ernte ich Kritik. Es könnte doch auch eine Frau gewesen sein, wird mir dann vorgehalten. Ja, ja. Ist es aber meistens nicht.


Bei dem hier dokumentierten Straftatenindiz
habe ich erneut den starken Verdacht, jemand habe der Menschheit als solcher, aber vor allem speziell meinem Geschlecht wenig Ehre gemacht. Denn das Tatwerkzeug wurde augenscheinlich mit großer Wucht geführt, was Frauen traditionell schwerer fällt, aus objektiven Gründen.

Wenn man das Loch in unserer Haustür, welches seit gestern Nacht klafft, genauer betrachtet, könnte der Täter mit einer Axt hantiert haben; eine Kugel war es jedenfalls nicht, denn das Loch hat die Form eines schmalen Schlitzes. Ausgehend von dieser erstaunlich zentral platzierten Lücke im Glas strahlen Risse in alle Richtungen durch die Scheibe. Wie erstarrte Blitze.

Rund um das Zentrum des maskulinen Hiebs ist die Haustür nach innen gewölbt, man könnte sie wahrscheinlich jetzt mit der Hand eindrücken und ihr so den Rest geben. Es muss einen gewaltigen Wumms gegeben haben, als der Irre zuschlug, doch wir haben nullkommanichts gehört. Das ist beunruhigend.

Unsere Hausfront bewirbt sich immer mal wieder erfolgreich um vandalistische Attacken, doch so geht es vielen in den Straßen rund um die Reeperbahn. Und das, ihr Lieben, die ihr erwägt, hier auf dem Kiez ein 740.000-Euro-Neubauloft zu erwerben, um einem sogenannten „neuen Wohnkult“ zu huldigen, senkt den Lebenswert auf St. Pauli erheblich. In einer verqueren Reaktion auf diese Entwicklung steigen komischerweise unablässig die Mieten, auch unsere, und zwar turnusmäßig bis zum gesetzlich möglichen Anschlag.

Wer sich darüber beklagt, bekommt von Hausverwaltungen und Eigentümern auch gerne mal gesagt: Dann ziehen Sie doch weg. Sozusagen das „Geh doch rüber“ des 21. Jahrhunderts.

Eine Entwicklung, bei der man übrigens fast die Neigung verspürt, sich an der Axt ausbilden zu lassen.

(Denkfalle, schon klar.)

03 Mai 2011

Fundstücke (131)



Ein Gehweg ist also kein Hundeklo – aber die eigene Haustür anscheinend das geeignete Medium für ernste Ermahnungen. Manche Menschen verstehe ich einfach nicht.

(Was natürlich nur dann gilt, wenn Herr oder Frau Koch selbst für den Spruch auf ihrer Haustür verantwortlich sind. Sonst nehme ich alles zurück und bestätige, dass ich manche Menschen doch verstehe.)


Entdeckt in der Kastanienallee.



07 Februar 2011

Das große dunkle Loch im Nachmittag



Wenn so ein Derby ausfällt wie gerade das in der Wie-auch-immer-Arena an der Müllverbrennungsanlage, dann fühlt man sich um wesentliche Gefühle betrogen. Um die Vorfreude, das Entgegenfiebern, das Kribbeln. Um die Angstlust in der Magengegend.

Zwischen 15:30 und 17:15 Uhr klaffte jedenfalls ein großes dunkles Loch im Nachmittag, derweil draußen Hamburg weiterhin im Regen ertrank, wie seit Tagen schon.

Nur kurz war ich daher morgens draußen gewesen zum Brötchen- und Zeitungsholen und fand dabei Gelegenheit, die Überreste des gestern von HSV-Hools zerlegten Streifenwagens zu fotografieren.

Auch unsere gläserne Haustür hatte trotz ihrer generellen Passivität den Zorn dieser Menschen erregt und wies nun strahlenkranzförmige Splitterspuren von beeindruckender Länge auf.

Eine gläserne Haustür auf St. Pauli: Das ist aber auch wirklich eine tolle Idee.



19 Januar 2011

Der verschwundene Parmesan



Zu Hause, beim Auspacken der Einkaufstasche, stellte ich fest, dass der Parmesan im Wert von 3,82 Euro fehlte. Ich musste ihn im Wagen liegengelassen haben.

Nur fünf Minuten nach der Heimkehr hatte ich bereits wieder die Reeperbahn überquert und kniete im Supermarkt vor der Phalanx der Einkaufswagen und linste durch die Gitterwaben.

Nichts, kein Parmesan.

Ich lief zu den Kassen und nervte das Personal mit der Frage nach einem abgegebenen Stück Käse, doch niemand wollte eins entgegengenommen haben. Ein Blick in den Laden selbst ergab grob überschlagen mindestens 20 Kunden mit Einkaufswagen im Einsatz, und das war mir dann doch etwas zu kleinkariert: Jedem davon in den Wagen zu starren und ggflls. sogar die Herausgabe eines dort herumliegenden Stücks Parmesan zu fordern.

Also frustriert wieder heim. Kurz vor der Haustür begegnete ich einem Handytelefonierer, der die ganze Straße beschallte. „Weißt du, was du gemacht hast?“, schrie er erregt in sein unschuldiges Telefon, „du hast Leute bespuckt und bepöbelt, in aller Öffentlichkeit!“

Betont langsam schloss ich mein Fahrrad an, um dem interessanten Monolog noch etwas folgen zu können. „Das hast du gemacht!“, brüllte der Mann, „und weißt du was? Das machst du nicht nur in der Kneipe, wenn du getrunken hast, das machst du auch PRIVAT!“

Und plötzlich schrumpfte der Parmesan in meiner Erinnerung derart zusammen, als hätte es ihn nie gegeben.

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10 Januar 2011

Ups!



Ein Laden in der Talstraße offeriert „INTERNETcoffee“. Wahrscheinlich bestellen sie ihn online bei Tchibo, und dann tröpfelt er direkt durch die Ethernetleitung in die schnell bereitgestellte Tasse.

Warum geht das eigentlich mit Bier noch nicht? Dann wäre mir das im letzten Blogbeitrag bereits angedeutete UPS-Desaster erspart geblieben. Am 20. Dezember nämlich, das ist jetzt fast drei Wochen her, bestellte ich über einen Onlineversand einige Kisten eines raren oberbayerischen Gerstensaftes, doch ich habe sie immer noch nicht. Weil die Brauerei fatalerweise UPS mit der Lieferung betraute.

Zunächst passierte das Übliche: UPS kam vorbei, als bei uns niemand zu Hause war. Der hinterlassene Zettel verhieß einen erneuten Zustellversuch am nächsten Tag zwischen 12 und 14 Uhr. Ich rief dort an und erklärte, es sei erst ab 14 Uhr jemand zu Hause, ob man sich darauf einstellen könne.

„Eine Zustellung zu einer bestimmten Uhrzeit können wir leider nicht garantieren, Herr Wagner“, bedauerte die UPS-Dame aus dem Callcenter, doch sie könne dem Fahrer mitteilen, er möge doch versuchen, seine Tour entsprechend zu planen. „Wenn er nicht ab 14 Uhr kommen kann“, sagte ich, „dann braucht er gar nicht erst zu kommen.“

Am nächsten Tag fanden wir einen Zettel von 12:37 Uhr vor, auf dem UPS bedauerte, uns nicht angetroffen zu haben. Ich rief an und beklagte mich bitterlich über diese Verschwendung von Arbeitszeit.

„Eine Zustellung zu einer bestimmten Uhrzeit können wir leider nicht garantieren, Herr Wagner“, sagte mir eine andere UPS-Dame. Sie bot an, das Bier bei Nachbarn abzustellen. Tagsüber sei selten jemand im Haus, gab ich zu bedenken. „Können wir es denn vor die Haustür stellen?“, fragte diese fraugewordene Naivität.

„Wie bitte?“, prustete es augenblicklich aus mir heraus, „ich wohne auf St. Pauli!“ Für das Schicksal eines herrenlos auf dem Gehweg herumstehenden Kartons gibt es hier keine zwei Optionen, vor allem nicht, wenn sich erst einmal herausgestellt hat, dass sich Bierflaschen darin befinden, und zwar volle.

Meine inständige Bitte, es irgendwie zu ermöglichen, die oberbayerische Rarität erst ab 14 Uhr nachmittags zu liefern, stieß auf ingesamt kühle Ablehnung. „Nur zwischen 9 und 18 Uhr, Herr Wagner. Eine Zustellung zu einer bestimmten Uhrzeit können wir leider nicht garantieren, Herr Wagner.“

„Na gut“, gab ich schließlich nach – und bot UPS an, den kommenden Freitag (der inzwischen der vergangene ist) ganz und gar dem Warten auf Godot zu widmen, und zwar exakt zwischen 9 und 18 Uhr.

Am fraglichen Freitag traute ich mich nicht einmal zu duschen, aus Angst, ich könnte das Klingeln des UPS-Manns verpassen. Es wurde Mittag, es wurde 15, 16, 17 und schließlich 18 Uhr – kein Bier aus Oberbayern.

Mein Anruf bei UPS war von mühsam unterdrückter vulkanischer Aktivität geprägt. Wo mein Bier bliebe, fragte ich. Bis 19 Uhr würde ausgeliefert, sagte eine neue UPS-Dame. „Jetzt also bis 19 Uhr? Sie hatten mir gesagt, zwischen 9 und 18 Uhr!“

„Eine Zustellung zu einer bestimmten Uhrzeit können wir leider …“ „… nicht garantieren, ich weiß“, fiel ich ihr ins Wort, aber genau aus diesem Grund mache man doch einen ZEITRAUM aus, der in diesem Fall von den Uhrzeiten 9 und 18 begrenzt worden sei. „BEGRENZT, verstehen Sie!“

Sie könne im System leider die Hamburger Touren nicht sehen, sei aber gerne bereit, dort meine Bitte um Rückruf vorzutragen; wie denn meine Nummer sei. Ich verlangte meinerseits die Nummer der Hamburger Filiale, um selbst dort telefonisch vorstellig zu werden; das stellte ich mir lustig vor in meiner derzeitigen Gemütsverfassung, die inzwischen auf einem Sky-esken Level angekommen war.

Die dürfe sie nicht rausgeben, sagte sie. Plötzlich fühlte ich mich müde, zerbröselt und zerschreddert von UPS, versuchte sie aber dennoch darauf festzunageln, wenigstens eine heutige Lieferung zuzusagen, egal wie spät. „Das können wir leider nicht garantieren, Herr Wagner.“

Waaaaaaah!

Eine Stunde später klingelte das Telefon, die Rufnummer war unterdrückt. Es war die Hamburger UPS-Filiale, und sie hatte schlechte Nachrichten, ganz schlechte. Leider sei das Paket unauffindbar, ob ich Größe, Form und Inhalt beschreiben könne.


Unauffindbar.


Inzwischen war ich längst soweit, das Kürzel UPS als „Unfassbar Planloser Saftladen“ zu dechiffrieren und das auch jederzeit zu beeiden. „Das kann ich verstehen, Herr Wagner“, sagte der UPS-Mann, „aus Kundensicht.“ Doch leider könne er nichts machen und schon gar nichts zusagen, so lange das Paket verschwunden sei.

Gegen 21 Uhr rief ein Kollege von ihm an und bestätigte den anhaltenden Status quo. UPS hatte es also geschafft, ein fast 30 Kilo schweres Paket mit mehreren Kisten Bier darin spurlos zu verbaseln. Wahrscheinlich gab es dafür zum Ausgleich einen lallenden, sehr gut gelaunten UPS-Fahrer mehr.

Somit, fuhr der Mann fort, sei auch eine Lieferung am Samstag ausgeschlossen. Erst Montag wieder. Mein Ärger steckte inzwischen in einem dicken wollenen Kokon aus Gleichmut, und so bat ich höflich darum, den Zeitpunkt eines weiteren Zustellversuchs unbedingt vorher mit mir abzustimmen. Der Mann beruhigte mich: Klar, kein Problem.

Samstagmittag hatte sich noch niemand bei mir gemeldet. Ich rief die Hotline an. „Die Sendung“, sagte eine muntere UPS-Dame namens Reuter, „wird am Montag zwischen 9 und 18 Uhr zugestellt, Herr Wagner.“

Waaaaah!, schrie ich auf. Nur ab 14 Uhr! Nicht früher! Es wird niemand zu Hause sein vor 14 Uhr! Niemand! Das war schon zweimal so, bevor Sie beim dritten Mal das Paket verbaselt haben!

Die Frau schien beeindruckt von meinem Ausbruch. „Ich sehe mir den bisherigen Verlauf einmal an“, flüsterte sie, „aha … ach so … hmm … ah, ich sehe … ojeoje … ts … uiuiui …“

Und dann sagte sie die schönsten Worte, die ich je von einer UPS-Stimme gehört habe: „Natürlich machen wir das, Herr Wagner. Ich trage das sofort ein: erst ab 14 Uhr.“

Der heutige Montag wird also der spannendste seit dem 2. November 2004, als sich Bush und Kerry ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die US-amerikanische Präsidentschaft lieferten.

Und das war nicht mal ein Montag.

22 November 2010

15 und blind



Vor unserer Haustür umbrandet mich unversehens eine Gruppe wohlgemuter Schüler. Ein etwa 15-jähriger Pickelbube mit Mod-Gedächtnisfrisur löst sich und spricht mich an.

„Entschuldigung“, sagt er mit einem Grinsen, das ebenso nassforsch ist wie verlegen, „wissen Sie, wo hier das Sexkino ist?“

Das Sexkino? Es ist verdammt schwer, Bursche, es im Verlauf der Seilerstraße bis hierher geschafft zu haben, ohne über diverse Etablissementes dieser Provenienz zu stolpern, aber nun gut. Von 15-Jährigen darf man wohl vieles verlangen, aber nicht, dass sie nicht blind sind.

„Davon gibt es hier viele“, erläutere ich daher nachsichtig, „sucht euch eins aus.“ Was ich in diesem Moment nicht bedacht habe: dass die Jungs – sofern die Türsteher ihren Job richtig verstehen (wollen) – gar nicht reingelassen werden.

Aber das müssen die doppeldeutig grinsenden Pickelbuben schon selber lernen. Bin ja schließlich nicht das Frl. Krise.

19 Oktober 2010

Hain, ich weiß, wo du wohnst!

Eigentlich bin ich überhaupt kein Vereinstyp, bin nirgends drin, nur in der Gewerkschaft – und seit einigen Jahren in der Fußballabteilung des FC St. Pauli 1910.

Die Gründe dafür, damals Mitglied zu werden, lagen nicht nur in der stillen Hoffnung, so mein Karma beim Ergattern einer Dauerkarte zu verbessern (wenn nicht in diesem, dann wenigstens im nächsten Leben – und darauf wird es wohl hinauslaufen), sondern auch in der festen Verwurzelung des Vereins in meinem Viertel.

Das Stadion des FC liegt unweit unserer Wohnung mitten auf St. Pauli, es ist umgeben von Miet- und Bürohäusern, von Schwimmbad, Schule, Kneipen und dem Heiligengeistfeld, wo dreimal im Jahr ein Rummel namens Dom stattfindet, was bei Heimspielen zu einem wunderbaren Durch- und Miteinander der verschiedensten Besucherströme führt.

Doch nicht nur das Stadion fühlt sich sauwohl im Viertel und denkt nicht mal im Traum daran, wegzuziehen, auch die Spieler des FC St. Pauli wohnen in der Regel nicht in einer Alstervilla, sondern durchaus auch mal hier, in unserer Nachbarschaft.

Neulich zum Beispiel fuhr ich mit dem Fahrrad durch die *****straße in Stadionnähe, als ein Mann gerade die Haustür eines unscheinbaren Mehrfamilienhauses aufschloss, im Arm eine Einkaufstüte und an der Seite einen kleinen Jungen, der ihm ungefähr bis an die Hüfte reichte.

Den Mann kennst du doch, dachte ich, das ist doch … der Torwart des FC St. Pauli. Mathias Hain heißt er, er hat also ein t weniger als ich und ist zurzeit verletzt. Sein Bewegungsablauf hier an der Haustür in der *****straße gab in seiner Eleganz und Geschmeidigkeit jedoch zu den schönsten Rekonvaleszenzhoffnungen Anlass.

Zwecks Verifikatiion meiner Beobachtung drehte ich um, stieg vom Rad und schaute nach einer gewissen Karenzzeit rückversichernd aufs Klingelschild. Und in der Tat: Da stand: „Hain“.

Keine große Sache, natürlich nicht. Sondern nur weiteres Detail eines schillerndbunten Mosaiks, das sich – trotz aller zwangsläufigen Kommerzialisierung, ohne die kein Verein in der Bundesliga bestehen könnte – verdichtet zur großen Sympathieträgerschaft eines kleinen Stadtteilclubs. Da kann man schon mal mit Mitglied werden, verdammt. Auch als Vereinsmuffel.

Vielleicht hätte ich die Gelegenheit nutzen, bei Hain klingeln und ihm klagen sollen von der Vergeblichkeit meines jahrelangen strebenden Bemühens um eine Dauerkarte. Doch zweifellos wäre es unfein gewesen, ihn beim Auspacken seiner Einkaufstüte zu stören.

Na ja, immerhin weiß ich jetzt, wo er wohnt, der Hain.


30 Mai 2010

Lenamanie vor der Haustür



Noch immer schwappen große Wellen Kakophonie ins Wohnzimmer.

Einzelne Elemente sind herausdestillierbar: brüstungerschütternde Bässe, Choräle euphorisierter Betrunkener („Lena, we love you!“ im Wechsel mit „St. Pauli, o-ho-ho!“), indifferentes Gegröle ohne genau bestimmbare Semantik, wildes Wut- und Empörungshupen sowie die Hysterie multipler Notarztsirenen.

Mehrfach im Jahr ist es von besonderem … äh … Reiz, neben dem Spielbudenplatz zu wohnen, doch wenn „wir“ gerade den Eurovision Song Contest gewonnen haben, dann halten auch doppeltverglaste Isolierfenster nur den gröbsten Krach draußen.

Wir sind also jetzt Papst, wir sind 1. Liga, und wir sind Lena. Auf die ein oder andere Weise manifestiert sich so ein Wirgefühl immer besonders heftig auf dem Kiez (außer beim Papst, natürlich). Eigentlich sollte ich jetzt rübergehen, mitten hinein ins Herz der Kakophonie. Einfach damit ich meinen Enkeln später mal erzählen kann, ich sei dabeigewesen.

Moment mal: Ich hab ja nicht mal Kinder.


Trotzdem.

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26 April 2010