12 Januar 2011

Wenn wir alle Langhanse wären

2008 lernte ich beruflich den aktuellen Dschungelcampkandiaten Rainer Langhans kennen. Seither verfolge ich sein Blog, das aus einer (stets interessanten) täglichen Presseschau besteht.

Wenn man sie abarbeitet, bleibt man über alle aktuellen Debatten auf dem Laufenden, von Wikileaks bis zur Vorratsdatenspeicherung. Langhans gilt als notorisch öffentlichkeitsgeil, das schreibt gerade auch der Spiegel wieder, aber in seiner täglichen Presseschau kommt er selbst nicht vor. So eitel kann er also gar nicht sein, der Mann.

Zweifellos ist Langhans ein Spinner, aber ein sympathischer, ein sanfter. Wären wir alle Langhanse – und ich meine wirklich ALLE, ganz global –, dann verteidigten wir unsere Sicherheit gewiss nicht am Hindukusch, weil sie nämlich gar nicht bedroht wäre.

Gut, wären wir alle Langhanse, dann brächen auch unsere Wirtschafts- und Sozialsysteme zusammen, aber das ist ein anderer Aspekt, den lassen wir jetzt mal beiseite.

Ab und zu maile ich mit Langhans – neulich etwa, als ich über Bande mitbekam, dass in der BILD eine Homestory mit ihm abgedruckt war. Das verstand ich nun wirklich nicht. Dass Rainer Langhans nach und trotz alledem, was sein Leben ausmacht, allen Ernstes einen BILD-Mann auf die Matratze gelassen hatte, fand ich sehr befremdlich. Ins Dschungelcamp zu ziehen, wenn man vom Honorar zehn Langhans-Jahre lang über die Runden kommt, ist ja völlig okay, aber
als Altkommunarde ausgerechnet der Springerpresse beim Auflagensteigern helfen …?

Langhans widersprach gewohnt sanft, er sah darin keinen Widerspruch. Seit er überhaupt aktiv sei, antwortete er, habe sich vor allem der Boulevard mit ihm beschäftigt und „nicht die gebildeten Stände“, wie er sich ausdrückte.

Da schien ein latentes Beleidigtsein auf, und es wurde klar: Langhans saß und sitzt seit 1968 im Schmollwinkel. Er tut nur so, als sei es ihm egal, dass man ihn belächelt und für einen Spinner hält. Doch in Wahrheit leidet er schwer darunter.

Am liebsten ließe er sich von Zeit, Spiegel oder Konkret befragen zu den großen Themen unserer Zeit, und er würde ihnen dann in schönen, wohlgesetzten Worten erklären, warum das Private noch immer das Politische sei und wie diese Haltung, diese Analyse, diese Praxis sogar den Hindukusch befrieden könnte.

Doch weil „die gebildeten Stände“ ihn nicht ernstnehmen, fragen sie ihn nicht, und weil der Boulevard ihn zwar auch nicht ernstnimmt, aber wenigstens befragt, lässt er sogar einen BILD-Mann auf seine Matratze. Eine Trotzreaktion, genau wie das Dschungelcamp.

Am Freitag um 22:15 Uhr geht es los, und ich hoffe, dass dieser 70-jährige Sympath gesund zurückkommt. Schließlich wünsche ich jedem aus meiner Blogrolle nur das Allerbeste.

Vor allem den Spinnern.


Foto: Graffito an einer Tunnelwand in Stellingen.
 


11 Januar 2011

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (41)



Entdeckt an der Bernhard-Nocht-Straße, an deren anderem Ende das Ebolavirus zu Hause ist, nämlich im Tropeninstitut.

Aber dafür kann ja dieser urgemütliche Bolzplatz nichts.

10 Januar 2011

Ups!



Ein Laden in der Talstraße offeriert „INTERNETcoffee“. Wahrscheinlich bestellen sie ihn online bei Tchibo, und dann tröpfelt er direkt durch die Ethernetleitung in die schnell bereitgestellte Tasse.

Warum geht das eigentlich mit Bier noch nicht? Dann wäre mir das im letzten Blogbeitrag bereits angedeutete UPS-Desaster erspart geblieben. Am 20. Dezember nämlich, das ist jetzt fast drei Wochen her, bestellte ich über einen Onlineversand einige Kisten eines raren oberbayerischen Gerstensaftes, doch ich habe sie immer noch nicht. Weil die Brauerei fatalerweise UPS mit der Lieferung betraute.

Zunächst passierte das Übliche: UPS kam vorbei, als bei uns niemand zu Hause war. Der hinterlassene Zettel verhieß einen erneuten Zustellversuch am nächsten Tag zwischen 12 und 14 Uhr. Ich rief dort an und erklärte, es sei erst ab 14 Uhr jemand zu Hause, ob man sich darauf einstellen könne.

„Eine Zustellung zu einer bestimmten Uhrzeit können wir leider nicht garantieren, Herr Wagner“, bedauerte die UPS-Dame aus dem Callcenter, doch sie könne dem Fahrer mitteilen, er möge doch versuchen, seine Tour entsprechend zu planen. „Wenn er nicht ab 14 Uhr kommen kann“, sagte ich, „dann braucht er gar nicht erst zu kommen.“

Am nächsten Tag fanden wir einen Zettel von 12:37 Uhr vor, auf dem UPS bedauerte, uns nicht angetroffen zu haben. Ich rief an und beklagte mich bitterlich über diese Verschwendung von Arbeitszeit.

„Eine Zustellung zu einer bestimmten Uhrzeit können wir leider nicht garantieren, Herr Wagner“, sagte mir eine andere UPS-Dame. Sie bot an, das Bier bei Nachbarn abzustellen. Tagsüber sei selten jemand im Haus, gab ich zu bedenken. „Können wir es denn vor die Haustür stellen?“, fragte diese fraugewordene Naivität.

„Wie bitte?“, prustete es augenblicklich aus mir heraus, „ich wohne auf St. Pauli!“ Für das Schicksal eines herrenlos auf dem Gehweg herumstehenden Kartons gibt es hier keine zwei Optionen, vor allem nicht, wenn sich erst einmal herausgestellt hat, dass sich Bierflaschen darin befinden, und zwar volle.

Meine inständige Bitte, es irgendwie zu ermöglichen, die oberbayerische Rarität erst ab 14 Uhr nachmittags zu liefern, stieß auf ingesamt kühle Ablehnung. „Nur zwischen 9 und 18 Uhr, Herr Wagner. Eine Zustellung zu einer bestimmten Uhrzeit können wir leider nicht garantieren, Herr Wagner.“

„Na gut“, gab ich schließlich nach – und bot UPS an, den kommenden Freitag (der inzwischen der vergangene ist) ganz und gar dem Warten auf Godot zu widmen, und zwar exakt zwischen 9 und 18 Uhr.

Am fraglichen Freitag traute ich mich nicht einmal zu duschen, aus Angst, ich könnte das Klingeln des UPS-Manns verpassen. Es wurde Mittag, es wurde 15, 16, 17 und schließlich 18 Uhr – kein Bier aus Oberbayern.

Mein Anruf bei UPS war von mühsam unterdrückter vulkanischer Aktivität geprägt. Wo mein Bier bliebe, fragte ich. Bis 19 Uhr würde ausgeliefert, sagte eine neue UPS-Dame. „Jetzt also bis 19 Uhr? Sie hatten mir gesagt, zwischen 9 und 18 Uhr!“

„Eine Zustellung zu einer bestimmten Uhrzeit können wir leider …“ „… nicht garantieren, ich weiß“, fiel ich ihr ins Wort, aber genau aus diesem Grund mache man doch einen ZEITRAUM aus, der in diesem Fall von den Uhrzeiten 9 und 18 begrenzt worden sei. „BEGRENZT, verstehen Sie!“

Sie könne im System leider die Hamburger Touren nicht sehen, sei aber gerne bereit, dort meine Bitte um Rückruf vorzutragen; wie denn meine Nummer sei. Ich verlangte meinerseits die Nummer der Hamburger Filiale, um selbst dort telefonisch vorstellig zu werden; das stellte ich mir lustig vor in meiner derzeitigen Gemütsverfassung, die inzwischen auf einem Sky-esken Level angekommen war.

Die dürfe sie nicht rausgeben, sagte sie. Plötzlich fühlte ich mich müde, zerbröselt und zerschreddert von UPS, versuchte sie aber dennoch darauf festzunageln, wenigstens eine heutige Lieferung zuzusagen, egal wie spät. „Das können wir leider nicht garantieren, Herr Wagner.“

Waaaaaaah!

Eine Stunde später klingelte das Telefon, die Rufnummer war unterdrückt. Es war die Hamburger UPS-Filiale, und sie hatte schlechte Nachrichten, ganz schlechte. Leider sei das Paket unauffindbar, ob ich Größe, Form und Inhalt beschreiben könne.


Unauffindbar.


Inzwischen war ich längst soweit, das Kürzel UPS als „Unfassbar Planloser Saftladen“ zu dechiffrieren und das auch jederzeit zu beeiden. „Das kann ich verstehen, Herr Wagner“, sagte der UPS-Mann, „aus Kundensicht.“ Doch leider könne er nichts machen und schon gar nichts zusagen, so lange das Paket verschwunden sei.

Gegen 21 Uhr rief ein Kollege von ihm an und bestätigte den anhaltenden Status quo. UPS hatte es also geschafft, ein fast 30 Kilo schweres Paket mit mehreren Kisten Bier darin spurlos zu verbaseln. Wahrscheinlich gab es dafür zum Ausgleich einen lallenden, sehr gut gelaunten UPS-Fahrer mehr.

Somit, fuhr der Mann fort, sei auch eine Lieferung am Samstag ausgeschlossen. Erst Montag wieder. Mein Ärger steckte inzwischen in einem dicken wollenen Kokon aus Gleichmut, und so bat ich höflich darum, den Zeitpunkt eines weiteren Zustellversuchs unbedingt vorher mit mir abzustimmen. Der Mann beruhigte mich: Klar, kein Problem.

Samstagmittag hatte sich noch niemand bei mir gemeldet. Ich rief die Hotline an. „Die Sendung“, sagte eine muntere UPS-Dame namens Reuter, „wird am Montag zwischen 9 und 18 Uhr zugestellt, Herr Wagner.“

Waaaaah!, schrie ich auf. Nur ab 14 Uhr! Nicht früher! Es wird niemand zu Hause sein vor 14 Uhr! Niemand! Das war schon zweimal so, bevor Sie beim dritten Mal das Paket verbaselt haben!

Die Frau schien beeindruckt von meinem Ausbruch. „Ich sehe mir den bisherigen Verlauf einmal an“, flüsterte sie, „aha … ach so … hmm … ah, ich sehe … ojeoje … ts … uiuiui …“

Und dann sagte sie die schönsten Worte, die ich je von einer UPS-Stimme gehört habe: „Natürlich machen wir das, Herr Wagner. Ich trage das sofort ein: erst ab 14 Uhr.“

Der heutige Montag wird also der spannendste seit dem 2. November 2004, als sich Bush und Kerry ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die US-amerikanische Präsidentschaft lieferten.

Und das war nicht mal ein Montag.

08 Januar 2011

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (40)



Ungefähr ein halbes Dutzend mal im Jahr laufe ich im Dunkeln über den nassen Teer des Spielbudenplatzs, in dem sich die LED-Wand aufs Urbanste spiegelt, und denke: Mensch, das sieht ja hübsch aus. Das sollte ich mal fotografieren.

Und dann fotografiere ich das. Das sieht dann meistens ähnlich hübsch aus wie in Wirklichkeit, und ich denke: Mensch, das Bild solltest du verbloggen, zumal dir heute eh nichts Interessanteres passiert ist, als dass du neun Stunden am Stück auf eine UPS-Lieferung gewartet hast, ehe sie dir am Telefon zerknirscht gestehen mussten, das Paket irgendwie, irgendwo verloren zu haben.

Aber das ist eine andere Geschichte, die noch nicht (ganz) zu Ende ist, und deshalb gewinnt das Spielbudenplatzbild mit der im nassen Asphalt aufs Urbanste sich spiegelnden LED-Wand die nötige Blogrelevanz. Selbst wenn ich fast identische Fotos schon mehrfach verbloggt habe.

Rechts von der Leuchtwand die Reeperbahn, links Schmidt-Theater und Davidwache, dahinter die Huren. Wenn die wirklich zu sehen wären, gäbe es übrigens dieses Foto gar nicht.

Und die Kamera natürlich auch nicht mehr.


07 Januar 2011

David Bowies Gespür für Wurst



In einem mehrtägigen nächtlichen Gewaltakt habe ich es nun endlich geschafft, das Gesamtwerk von David Bowie nach den mir genehmsten Songs zu durchforsten und diese auf den iPod zu laden.


Den so destillierten zufällig exakt 100 Stücken entwrang ich in einem zweiten, noch härteren Durchgang die nach meinem Gusto allerallerbesten. Der entsprechende iPod-Ordner umfasst nun diese 29 Tracks (in chronologischer Reihenfolge):

Space Oddity 1969
Memory Of A Free Festival Part 2 1969
The Man Who Sold The World 1970
Life On Mars? 1971
Starman 1972
The Jean Genie 1972
Ziggy Stardust 1972
Rock & Roll Suicide 1972
See Emily Play 1973
Sorrow 1973
Rebel Rebel 1974
Young Americans 1975
Wild Is The Wind 1976
Heroes (english/deutsch) 1977
Sound And Vision 1977
Ashes To Ashes 1980
China Girl 1983
Blue Jean 1984
This Is Not America 1985
Absolute Beginners 1986
Velvet Goldmine 1990
Jump They Say 1993
Thursday's Child 1999
Seven 1999
Conversation Piece 2002
Days 2003
Waterloo Sunset 2003
Nite Flights 2005
The Wedding 2005

Ein Rausch, dieser Ordner. Heute bin ich vom Büro im Regen nach Hause gelaufen, nur um ihn länger am Stück durchhören zu können. Was mir während des Ausschlachtens der Bowie-Alben wieder einfiel (und das ist auch der Anlass für diesen Blogeintrag), war eine Geschichte, die mir der Countrysänger Gunter Gabriel während eines
Interviews erzählte.

Der damals noch schwer erfolgreiche Gunter teilte sich 1976/77 das Berliner Hansastudio mit Bowie, der am inzwischen legendären Album „Heroes“ arbeitete. Gabriel saß oben, Bowie im Keller. Täglich brachte Gunters damalige Freundin ihrem Liebsten herzhafte Verpflegung ins Studio, und irgendwann bürgerte es sich ein, dass sie auch für Bowie Brote schmierte.

Und zwar Wurstbrote.


Verstehen Sie? Die damals mit Abstand coolste androgyne Sau der Welt, der mondäne thin white duke, der Glamourjunkie David Bowie ließ sich von Gunter Gabriels Freundin Wurstbrote schmieren.


Seit ich das weiß, klingt „Heroes“ (die – nebenbei bemerkt – beste 45er-Single der Welt) irgendwie anders.

06 Januar 2011

Die abgelaufene Alufolie



Es begann alles mit einem spontanen Scherz in der Küche. Ms. Columbo hatte eine Packung Alufolie aus der Einkaufstasche geholt, und ich fragte sie: „Hast du auch aufs Mindesthaltbarkeitsdatum geachtet?“
Ihr baffer Blick, ehe sie mich pantomimisch mit der Rolle verprügelte: einfach unbezahlbar.

Daraus entwickelte ich die ebenso bescheuerte wie vermeintlich interessante Idee, das Mindesthaltbarkeitsproblem von Alufolie doch einmal vor Ort zu thematisieren, nämlich bei den Einzelhandelsketten.

Also schrieb ich an PENNY, REWE
, EDEKA, toom und Lidl folgende Mail (wobei ich die Verortung der jeweiligen Filiale natürlich an die Realität anpasste):

Sehr geehrte Damen und Herren,

unlängst kaufte ich in Ihrer Filiale an der Reeperbahn in Hamburg eine Packung Alufolie. Als ich sie nach einigen Tagen benutzen wollte, musste ich zu meiner Bestürzung feststellen, dass das Haltbarkeitsdatum schon seit Monaten abgelaufen war.

Jetzt wüsste ich gerne, wie wir die Sache regeln können. Ich bin an einer gütlichen Einigung interessiert. Den Kassenzettel habe ich allerdings inzwischen nicht mehr.

Für konstruktive Vorschläge bin ich dankbar.

Mit besten Grüßen
Matt

Als erstes rührte sich REWE, und zwar noch am selben Tag:

Sehr geehrter Herr Wagner,

in Beantwortung Ihrer E-Mail teilen wir Ihnen mit, dass es bei "Alufolie" kein Mindesthaltbarkeitsdatum gibt - es ist doch kein Lebensmittel.

Die auf der Verpackung aufgedruckte Nummer ist eine Seriennummer.

Mit freundlichen Grüßen
Barbara B.
REWE Kundenservice

Barbara B. legt zwar sehr bürokratenmäßig los („in Beantwortung Ihrer Mail“), doch dann wird sie gestochen präzise. Vor allem zweierlei erfreute mich an dieser Mail: zum einen die Tüdelchen, mit denen sich REWE von seiner Alufolie distanziert, zum anderen die gegenüber einem Rumpeldenker wie mir angemessene Schnippischkeit im Ton: „es ist doch kein Lebensmittel“ … Ein angefügtes Ausrufezeichen hätte indes die pädagogische Attitüde noch deutlicher unterstrichen. Da könnte Barbara B. noch an sich arbeiten.

Nur wenige Stunden später schlug EDEKA im Posteingang auf:

Sehr geehrter Herr Wagner,

danke schön für Ihre Mitteilung zu der Alufolie.

Alufolie hat kein Mindesthaltbarkeitsdatum. Bei dem auf der Verpackung aufgedruckten Datum handelt es sich um das Produktionsdatum. Sie können die Alufolie also ohne Bedenken verwenden.

Bitte wenden Sie sich mit Fragen und Anregungen gerne wieder an uns. Sie erreichen uns von Montag bis Samstag zwischen 8 und 20 Uhr unter 01803 333 520.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr EDEKA Kundenservice

Da ging mir natürlich das Herz auf. Schon das einleitende „danke schön“ ist ein emotionaler Volltreffer, und in der Folge vermeidet es das sensible EDEKA sorgsam, mir und meiner offenkundigen geistigen Armut zu nahe zu treten. Sachlich werden die Fakten genannt, man tätschelt mir beruhigend die Schultern und freut sich auf weiteren Kontakt. Kurz: EDEKAs Schreiben ist – trotz einer gewissen Unpersönlichkeit dank der fehlenden Unterschrift – eine mailgewordene Kuschelecke.

Fünf Tage zogen ins Land, ehe sich an der Alufolienfront wieder etwas tat. Lidl war dran:

Sehr geehrter Herr Wagner,

der Artikel Alufolie besitzt grundsätzlich kein Mindesthaltbarkeitsdatum.

Je nach Lieferant kann die Ware mit einem Produktionsdatum versehen sein, damit im Falle von möglichen Mängeln eine Nachvollziehbarkeit der Produktionslinie gewährleistet ist.

Die derzeit in unserem Markt befindliche Ware ist aber mit keinem Datum versehen. Sollten Ihrerseits noch Fragen bestehen, wenden Sie sich sonst gerne direkt mit der Verpackung an die Filiale.

Wir hoffen Ihnen hiermit geholfen zu haben und Sie weiterhin als Kunden bei uns begrüßen zu dürfen.

Mit freundlichen Grüßen

i.A. Julia K.
Sekretariat Vertrieb

Ein tadelloser Brief, wenngleich mit schlingernder Interpunktion. Meine Sorge wird aufgegriffen, aber zerstreut. Lidls Sorge hingegen, mich trotz meiner Selbstenttarnung als Denkschnecke durch diese leidige Affäre vielleicht als Kunden zu verlieren, wird geschickt verpackt in die ausgangs formulierte Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen. Gut gelöst, Lidl, aber langsam wie eine Wanderdüne. Zum Ausgleich erhielt ich diese Mail zweimal innerhalb von 17 Minuten, und zwar von verschiedenen Absendern.

Auf Rang 4 landete – sechs Tage nach Eingang meiner Mail – der toom-Markt. Er schrieb Folgendes:

Guten Tag Herr Wagner,

vielen Dank für Ihre Mitteilung an unser Haus. Dem Thema Haltbarkeitsdatum von Alufolie haben wir uns gerne angenommen und können Sie beruhigen und Ihnen versichern, dass es kein Mindesthaltbarkeitsdatum bei Alufolien gibt. Die verschiedenen Hersteller drucken zum Teil interne kodierte Produktionsnummern auf ihre Produkte und einige Hersteller versehen ihre Ware mit einem Produktionsdatum. Dieses wird wahrscheinlich bei der von Ihnen gekauften Alufolie der Fall sein. Also, es besteht kein Grund zur Sorge. Sollten Sie noch Fragen haben rufen Sie mich gerne an.

Mit freundlichen Grüßen

Lars R.
Marktmanager
toom Verbrauchermarkt

Bei toom fühle ich mich blendend aufgehoben. Gut, auch hier könnte man an der Kommasetzung noch schrauben, doch inhaltlich gibt es nichts zu mäkeln. toom signalisiert Recherchetiefe, zerstreut behutsam meine Ängste und hält mir, obwohl ich ganz offensichtlich plemplem bin, die Tür offen für Rückfragen; die Telefonnummer des Marktmanagers himself stand wirklich drunter.

PENNY gehört zwar zur REWE-Gruppe, was aber nicht heißt, dass sie sich um ihre Kunden nicht selbst kümmern können. Wenn auch mit Verzögerung, denn ich musste eine knappe Woche auf diese Antwort warten:

Sehr geehrter Herr Wagner,


es tut uns leid, dass Sie Grund zur Beanstandung hatten, umso mehr, da die Zufriedenheit der Kunden im Mittelpunkt unserer unternehmerischen Aktivität steht.

Wie Sie sicher verstehen, liegt es sehr in unserem Interesse, Ihrem Beschwerdegrund nachzugehen.

Da Alufolie kein Mindesthaltbarkeitsdatum haben dürfte, bitten wir Sie, uns die Umverpackung zur näheren Überprüfung zur Verfügung zu stellen und an folgende Adresse zu schicken:

PENNY Markt, Qualitätssicherung (…)

Die Portokosten werden wir Ihnen in Form eines Warengutscheins erstatten.

Sollten Sie die Verpackung bereits verworfen haben, geben Sie uns bitte eine kurze Rückinformation.

Für Ihre Unterstützung im Voraus vielen Dank.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Kundenservice - PENNY Markt
Nadine B.

PENNY geizt nun wirklich nicht mit Entgegenkommen; sie sollten sich in EURO umbenennen, haha … Bereits die defensive Formulierung, Alufolie „dürfte kein Mindesthaltbarkeitsdatum“ haben, kommt einem Volldeppen wie mir allerdings viel zu weit entgegen. Da lobe ich mir die taffe Barbara B.

Doch PENNY scheint wirklich ein wenig verunsichert zu sein. Der übliche Verweis auf das Produktionsdatum, welches ich wohl missgedeutet hätte, fehlt komplett; stattdessen will man dieser Hirnrissigkeit Merkwürdigkeit auf den Grund gehen und bittet ums Corpus delicti.

Damit aber konnte ich leider nicht dienen. Denn ich hatte natürlich in keinem dieser Läden auch nur das kleinste Fitzelchen Alufolie gekauft. Eine geradezu mikroskopische Basis also für den längsten hiesigen Blogtext aller Zeiten – was leider auch für die Länge Ihrer beim Lesen verschwendeten Lebenszeit gilt, in der Sie viel sinnvollere Dinge hätten tun können.


Zum Beispiel die Welt retten.

05 Januar 2011

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (39)



So, Weihnachten und Silvester sind glücklich bewältigt. Vor dem nächsten Großereignis wird es also Zeit, der Welt endlich zu verraten, wo in Wahrheit die Osterhasen herkommen.

Genauso wie Domenica, Hans Albers oder die Beatles nämlich aus: St. Pauli.

Entdeckt am Bahnhof Landungsbrücken.

04 Januar 2011

Ein frohes neues …



Um am ersten Bürotag nicht unzählige Male Neujahrsgrüße austauschen zu müssen, war ich auf die Idee gekommen, mir einen gelben Klebezettel auf die Stirn zu kleben, auf dem stand: „Das wünsch ich dir auch!“

Als Testpersonen für die Effizienz und Wirksamkeit dieser Maßnahme sollten der Franke und Kramer herhalten. Ich betrat also frühmorgens stirnbeklebt ihr Büro und traf Kramer alleine an.

Stumm stellte ich mich vor ihn hin und starrte ihn an. „Was wünschst du mir auch?“, brummte er, „versteh ich nicht.“ Dabei schaute er mich an wie ein lernschwacher Koboldmaki.

„Ein frohes neues Jahr, du lernschwacher Koboldmaki!“, rief ich, ohne die aufflammende Empörung angesichts seiner Begriffstutzigkeit auch nur im Mindesten zu verhehlen.

Unversehens betrat der Franke den Raum, und ich wandte mich ihm vielsagend zu. „Was steht da?“, fragte er, „ich habe meine Brille nicht auf.“

Mein Versuch, dem Jahr 2011 gleich zu Beginn eine entscheidende Redundanzreduzierung aufzuzwingen, war damit bereits an den ersten beiden Klippen final zerschellt. Kramer scheiterte an intellektuellen, der Franke an körperlichen Defiziten.

Ich brach das Experiment sofort ab und wünschte hinfort allem und jedem ein frohes neues Jahr, und zwar durchweg verbal.

Ihnen allen übrigens auch.

03 Januar 2011

Fundstücke (122): Von Klosteinen und anderen Merkwürdigkeiten

Vor einigen Tagen suchte ich (wie alle Jahre wieder) nach einem neuen Stromlieferanten, weil der aktuelle sich nicht entblödete, eine unangemessene Preiserhöhung anzukündigen.

Beim Recherchieren entdeckte ich folgendes extrem aussagekräftiges Werturteil über einen Konkurrenzanbieter: „Könnte Besser sein! Aber sonst O.K.!!!“

Das half weiter.

Ich liebe auch Weinrezensentenlyrik. Zum Beispiel diese: „Schubert, einer der ganz großen an der Ruwer, überzeugt mit seinen alten Reben. Sehr intensives Zitrusaroma, fast Erinnerung an einen Klostein.“

So steht es im empfehlenswerten brandneuen Blog der Weinbar St. Pauli. Der Schubert-Wein interessiert mich übrigens trotzdem. Besser gesagt: gerade deshalb.

Auch die Bahn ist, wie wir alle wissen, stets für Unterhaltung gut. Was zum Beispiel macht sie, wenn sie den Fahrplan geändert hat und irgendwo noch eine alte Übersicht hängt – einfach abhängen und gegen eine neue austauschen? Klänge logisch, zumindest in der Welt diesseits des Paralleluniversums Bahn, ist aber viel zu simpel gedacht. Wie es wirklich geht, zeigt das heutige Foto.

Könnte besser sein, ist aber sonst O.K.

02 Januar 2011

Gefährlich still



Seit Tagen schon steht ein für die abwesende Nachbarin angenommenes DHL-Paket im Flur. Es trägt Schwarz auf Signalrot eine panisch brüllende Aufschrift: „ACHTUNG: LEBENDE FUTTERINSEKTEN!“.

Nachdem ich diese Warnung gelesen hatte, überprüfte ich das Paket zunächst einmal rundum auf seine Dichtigkeit. Der Test verlief sehr zufriedenstellend. Keine Ritzen, keine Löcher, nirgends Spalten. Vor allem Ms. Columbo zeigte sich davon beruhigt.

Nach etwa drei, vier Tagen allerdings begann mich das stumm im Flur herumstehende Paket mit einer neuen Fragestellung zu bedrängen. Nämlich der, ob nicht auch lebende Futterinsekten ihrerseits irgendwann einmal Futter bräuchten.

Immerhin sollen sie nach der (weiterhin in den Sternen stehenden) Aushändigung noch verfütterungsfähig sein. Und verhungerte Futterinsekten könnten möglicherweise die ihnen zugedachte Aufgabe nach Rückkehr der Nachbarin gar nicht mehr erfüllen.

Wer weiß, was damit überhaupt gefüttert werden soll; denkbar sind Fische, Frösche, Molche, Schlangen, Spinnen, im günstigsten Fall Wellensittiche. Doch selbst einem Grottenolm wäre es kaum zu verdenken, wenn er die dargereichten Futterinsekten in postmortalem Zustand vorsorglich verschmähen würde.

Wie auch immer: Ein soeben vorgenommener Hörtest am Paket ergab jedenfalls keinerlei Lebenszeichen. Es müsste darin nach menschlichem Ermessen doch herzhaft summen, sirren oder surren, nicht wahr, oder wenigstens schaben, rascheln, krabbeln, knabbern oder knistern.

Doch nichts dergleichen. Die lebenden Futterinsekten verhalten sich still. Gefährlich still.

Neulich habe ich übrigens mal versehentlich ein ebenso geräuscharmes Paket aus Potsdam angenommen, und zwar für einen Nachbarn, der gar nicht mehr hier wohnt, sondern längst in München.

Wer von St. Pauli dorthin zieht, sollte eigentlich zur Strafe keine Pakete nachgeschickt bekommen, aber was tut man nicht alles, wenn man ein gutes Herz hat.

Hat es vielleicht doch gerade gesummt oder gesurrt im Flur?
Na ja, ich kann mich auch verhört haben.


30 Dezember 2010

Auf Friseusenpirsch (integriert: Offener Brief zu Silvester, 5)



A. wohnt noch nicht ganz so lange auf St. Pauli wie ich, doch er hat dank jahrelanger Besuche von Schmuddelclubs und schmierigen Tabledancebars interessante Tipps parat, die mir völlig neu sind.

Sonntagsabends zum Beispiel, sagt er, sei die ideale Zeit, um auf dem Kiez Friseusen abzuschleppen. Wie das? Weil montags die Salons Ruhetag hätten und Friseusen sich deshalb bevorzugt sonntagsabends von A. oder anderen Interessenten abschleppen ließen bis in die Puppen.

Eine solch hochbrisante Insiderinformation stößt bei einem Bruce-Willis-Typen wie mir natürlich auf frappiertes Staunen. Würde mein Friseurladenbesuchsverhalten (das vergleichbar ist mit meinen Ausflügen ins Weltall) bundesweit Schule machen, gingen nämlich all diese Läden binnen weniger Wochen pleite. Und die Friseusen natürlich mit, was es ihnen aber immerhin erlauben würde, sich auch an allen anderen Wochentagen von A. oder anderen Interessenten abschleppen zu lassen bis in die Puppen.

Doch soweit ist es ja noch nicht, und deshalb bleibt der Sonntagabend der bevorzugte Friseusenabschlepptag. Montags ist dann total tote Hose auf dem Kiez. In den Stripclubs gibt es weniger Gäste als Tänzerinnen, kleine Tröpfchen von Tristesse hüpfen von Tisch zu Tisch und finden trotzdem keinen teuren Billigschampus, den sie kontaminieren könnten.

Auch der Dienstag erinnert an die Ruhe nach der Apokalypse, mittwochs zieht es dann allmählich an, der Donnerstag läuft sich schon mal warm, und freitags und samstags tobt schließlich der Wirbelsturm über St. Pauli, was A. gewöhnlich davon abhält, das Haus zu verlassen (und mich in der Regel auch, es sei denn, German Psycho zwingt mich mit einschlägigen „Argumenten“ in irgendeinen Siffladen auf dem Hamburger Berg).

Am Sonntag schließlich geht es wieder auf Friseusenpirsch – ein ewiger Kreislauf. Zum Glück fällt Silvester diesmal auf einen Freitag; dadurch werden quasi zwei Wirbelstürme zusammengelegt, obwohl der an Silvester natürlich mit erheblich größerer Zerstörungskraft durchs Viertel fegt als jeder andere des Jahres. Das täte er allerdings auch an einem Montag, daher will ich nicht meckern.

Apropos Silvester: Obwohl meine bereits drei Appelle in den vergangenen Jahren jeweils verpufften wie jene Hand, die den Chinaböller partout nicht loslassen wollte, möchte ich es doch erneut nicht versäumen, ihn zu wiederholen, wenngleich nur in Form einer Verlinkung.

Irgendwann muss irgendwer doch mal anfangen, auf mich zu hören. Und wenn es nur die Friseusen sind.


PS: Das heutige Foto eines Graffitos auf St. Pauli hat nur partiell mit dem Beitrag zu tun, doch in der Not frisst der Teufel Fitschen.



27 Dezember 2010

Neuigkeiten vom Rauchen



In der Clemens-Schultz-Straße schwingt eine rauchende Domina in Lederkorsage die Peitsche, um für einen Auftragsmaler zu werben. Diese Idee funktioniert wohl nur auf dem Kiez.



Und vor der Bar Christiansen’s am Pinnasberg ist das Ein- und Ausatmen multipler Giftstoffe anscheinend mit intensiver Geräuschentwicklung verbunden – wobei es sich ja nur um Sachen wie Krächzen, Röcheln und Rasseln handeln kann.

Irgendwie habe ich das Gefühl, die rauchende Peitschendomina würde auf dieses Schild ungehalten reagieren. Aber was weiß ich schon von Dominas.

(Foto 2 mit freundlicher Genehmigung von A.)

25 Dezember 2010

24 Dezember 2010

Friede auf Erden (aber nicht im Bus)



Verträumt sitze ich im Bus, als plötzlich eine Stimme von rechts blafft: „Fass mal an!“

Vor der mittleren Tür steht ein alter Herr mit Schiebermütze, der seine Gehhilfe nicht allein die Stufe hochhieven kann. Ich springe eilfertig herbei und hebe sie in den Bus.

Der Mann, verkrümmt von Missmut und Betagtheit, steigt ächzend hinterher. „Da rüber! Da rüber!“, schreit er mich an, womit er mir auf seine herzliche Art bedeuten möchte, die Gehhilfe am Rollstuhlplatz zu verankern.

Das tue ich wortlos, während er sich auf einen freien Sitz fallen lässt, ohne mich anzuschauen oder gar eines weiteren Wortes zu würdigen.

„Bitte“, denke ich und nehme meinen Platz wieder ein. Mir gegenüber, auf der anderen Seite des Gangs, sitzt ein weiterer Rentner. Als der Bus losfährt, schaut er zu mir herüber und ruft so laut, dass der Gehhilfenbesitzer es unweigerlich hören muss: „Was war denn das eben für ein Ton, sach ma!“

Ich grinse ihn schief an, was er, wenn kommunikativ alles gutgeht, als mit Nachsicht umflortes „Tja“ interpretieren sollte.

Weiter passiert nichts. Der Blaffer hat nichts gehört, der Rentner muffelt, weil seine Rüge verpufft, und mir ist eh alles egal.

Denn es ist Weihnachten in Hamburg, meine Damen und Herren, die Fleete sind weiß wie mein Gewissen, und die Boote träumen still vom großen, weiten Meer.

Amen.

23 Dezember 2010

Man gab mir die Kugel

Heute Mittag im Restaurant Marinehof biss ich beim Verzehren des Wildschweinragouts auf etwas Hartes, Metallenes.

Es war keine Plombe. Sondern die Kugel, die das Wildschwein getötet hatte.

Sie lag plötzlich kupferfarben und verbogen auf meinem Teller und sorgte fürs schlagartige Ende des üblichen enfremdeten Essens.

Delektiert man sich an einem Durchschnittskotelett, passiert einem so etwas nicht. Die Methode, wie das kotelettliefernde Hausschwein ums Leben kam, bleibt immer unsichtbar. Das Fleisch verweist nie auf seine Herkunft: ein atmendes, lebendes Wesen; ein Tier an einem Stück.

Die verbogene Kugel auf meinem Teller ließ hingegen keine Distanzierung, keine Ausflüchte, kein Schönreden mehr zu. Ich aß ein totes Tier. Punkt.

Natürlich war die Kugel kein Grund, das köstliche Ragout zu monieren. Und der Ober kam auch mit Recht nicht auf die Idee, mir Rabatt anzubieten.


21 Dezember 2010

Die die Mails ausdruckt

Unsere Hausverwaltung ist die Pest. Wenn man ein Problem hat, stellt sie sich reflexhaft tot. Keine Antwort auf Mails, keine Reaktion auf Faxe, schwer erreichbar per Telefon.

Heute morgen endlich rief mal einer zurück, nachdem wir wochenlang vergeblich auf inzwischen drei essenzielle Probleme aufmerksam gemacht hatten.

Der Mann war nicht der, mit dem wir sonst immer (nicht) zu tun hatten, sondern ein anderer, ein durchaus verbindlicher, freundlicher, zuvorkommender. Kurz: ein Mann aus einem Paralleluniversum.

An einer Stelle im Gespräch sprach er von einer Mitarbeiterin der Hausverwaltung, einer Frau S. „Frau S.“, sagte er, „ist die, die morgens immer die Mails ausdruckt.“

Die morgens immer die Mails ausdruckt.

In diesem Moment wurde mir die ganze Dimension des Problems klar. Und die Zukunft erschien mir trist und grau.



20 Dezember 2010

Kurz vorm Kommen



Entschieden verwahren muss ich mich als Anwohner gegen die Beschmutzung meines Viertels durch „Santa Pauli – den geilsten Weihnachtsmarkt Deutschlands“.

Wie jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit treibt er auch jetzt wieder sein ekles Unwesen auf dem Spielbudenplatz. Gipfel der ethisch-moralischen Verwahrlosung, mit der dieser häretische Markt offensichtlich mit städtischer Duldung die Adventszeit kontaminieren darf, ist das hier zu sehende mannshohe Bild auf der Einzäunung.

Es zeigt Unfassliches: einen vor Geilheit schwitzenden Weihnachtsmann mit heruntergelassenen Hosen, der sich vorderseitig ganz offenkundig lüstern befingert, während ein unrasierter Bullmastiff vorsorglich ein Taschentuch bereithält, um Santas demnächst unweigerlich hervorschießende Säfte wenigstens wieder ordnungsgemäß vom Zaun abzuwischen.

Zu seinem unstandesgemäßen Tun, welches jeder Heilsgeschichte Hohn spricht, ließ sich der notgeile Zipfelmützenmasturbator wohl von etwas inspirieren, das er zuvor durch ein Loch im Zaun erspähte, wobei es sich hundertprozentig um die notorische Liebeskugelvirtuosin Biggi Bardot handeln muss.

Um dem für jeden anständigen St. Paulianer bis zum Brechreiz anstößigen Bild – einer skandalösen Entweihung von allem, was Sarrazin heilig ist – den letzten gottlosen Schliff zu verleihen, ließ sich der für den Entwurf unzweifelhaft zuständige Antichrist auch noch einen Spruch einfallen, der an empörend widerlicher Doppeldeutigkeit seinesgleichen sucht: „Santa Pauli is coming soon“ …

Ich kann gar nicht hingucken. Wobei ich das Schlimmste noch gar nicht erwähnt habe: des fetten Onanisten Arschhaarstoppeln. Wenigstens dagegen könnte doch die Kirche mal protestieren oder meinetwegen auch ein bibeltreuer Selbstmordattentäter. Benedikt, Käßmann: Wo seid ihr, wenn man euch mal braucht?

Abstoßend rätselhaft bleibt zudem, warum Blut aus dem verbogenen Mülleimer läuft. Aber diesen Deckel mache ich nicht auch noch auf.