21 Mai 2020

Der Pitbull unter den Fahrradschlössern

Anfang August 2016 wurde mir zum bisher letzten Mal ein Fahrrad gestohlenEs war bereits der achte Verlust dieser Art, seit wir auf St. Pauli leben. Zum Glück aber handelte es sich dabei nur um mein Zweitrad vom Flohmarkt, ein hauptsächlich von Rost und Kabelbindern unzulänglich zusammengehaltenes Ensemble minderwertiger Bauteile. 

Mein Hauptrad hingegen, ein robustes 16-Kilo-Modell von Trento mit sieben Gängen und Rücktrittbremse, hatte ich ein Jahr zuvor erworben – neu zwar, aber mit einem Kaufpreis von rund 450 Euro keineswegs hochkarätig genug, um bei ethisch-moralisch desorientierten Vollspacken sofort Gedanken an eine illegale Aneignung auszulösen. Außerdem hatte ich damals endlich, endlich erstmals erhebliche finanzielle Ressourcen in eine Sicherungsmaßnahme gesteckt. Will sagen: in ein Schloss, das laut Stiftung Warentest und anderen seriösen Quellen bei Dieben gemeinhin zu Heulen und Zähneklappern führen soll.

Es handelte sich dabei um ein gummiummanteltes Faltschloss aus gehärtetem Stahl namens Bordo Granit XPlus 6500, kostete sechsundachtzig Euro (also fast doppelt so viel wie das oben erwähnte Flohmarktrad) und hätte sich mit seinen knapp zwei Kilo Gewicht auch problemlos für eine Karriere als Bizepshantel entscheiden können. Doch das Bordo Granit XPlus 6500 wollte nie etwas anderes als Fahrradschloss sein, und diese Aufgabe erfüllte es in meinen Diensten hinfort mit Duldsamkeit und Eifer. 

Seit fast fünf Jahren arbeitet es nun schon Tag und Nacht, bei Sonne und Regen, Sturm und Eis, ohne je zu klagen oder Anzeichen von Müdigkeit zu zeigen – und siehe da, ich habe mein Rad noch immer. Da die bisherige Durchschnittshaltedauer meiner Fahrräder bis zum unweigerlich stattfindenden Diebstahl bei knapp drei Jahren lag, rechne ich das voll meinem Bordo an. Es ist halt der Pitbull unter den Fahrradschlössern: Niemand wagt es, sich mit seinem Herrchen anzulegen.

Vorgestern wurde das mal wieder äußerst evident. Das direkt neben meinem ans Fußweggeländer angeschlossene Fahrrad war gestohlen worden. Ein seiner Verantwortung nicht gerecht gewordenes Zahlenschloss hing düpiert am Rohr, die zerfetzten Fasern seiner Stahlseilspirale lugten ratlos aus dem Kunststoffschlauch (im Bild rechts). Und links daneben mein Bordo Granit XPlus 6500: unversehrt und tadellos. Es würdigte seinen Artverwandten, diesen Chihuahua unter den Fahrradschlössern, keines Blickes. Ich platzte fast vor Stolz.

Allmählich übrigens zeigt mein 450-Euro-Trento-Stadtrad – obgleich scheckheftgepflegt! – erste Anzeichen von Abnutzung, ja vielleicht sogar von Altersschwäche. Nach fünf Jahren und mehr als 10.000 gefahrenen Kilometern darf ich ihm das wahrscheinlich nicht einmal krummnehmen. 

Dass es mir endlich gestohlen wird, wie es im Schnitt nun mal alle drei Jahre vorkommt auf St. Pauli, ist diesmal allerdings keine Option. Bordo wird es nicht zulassen.



 

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