19 Februar 2013

Mein Ausflug in den Familienblock

St. Pauli gegen Köln: Als Doppelfan muss ich da hin! Dass mir dies siedendheiß erst am Abend des Spiels einfällt, verbessert indes die Chance auf Umsetzung nicht unbedingt.

Doch siehe da: „Ja, ich habe noch eine Karte für 27 Euro, aber im Familienblock“, sagt die liebreizende Frau am Kartenschalter. „Gerne!“, jubiliere ich. „Familienblock deshalb“, erläutert sie, „weil Sie dort nicht rauchen und trinken dürfen.“

Wahrscheinlich glaubt sie, für mich sei diese Karte damit gleichsam vergiftet, doch es ist geradezu das Gegenteil der Fall. Denn: Ich werde hinterher nicht stinken wie Don Draper nach einem Kundenmeeting, mir werden keine Suffköppe Plörre übern Latz kippen, und auf der Toilette werde ich nicht ausrutschen, nur weil irgendein beschwipster Schwanker sich jedwede Treffsicherheit weggesoffen hat.

„Kein Problem“, sage ich also heiter, „aber ich muss doch kein Kind mitbringen oder so?“

„Nein, nein“, beschwichtigt sie.

„Und wenigstens Wasser gibt es dort zu kaufen?“

„Ja, ja.“

Vorfreudig schlendere ich kurz vor 8 rüber zum Stadion – und erblicke Schlangen vorm Einlass wie anno 77 in Ostberlin nach einer Bananenlieferung. Mild panisch reihe ich mich in etwa 50 Metern Entfernung vorm Eingang ein und nehme an, dass sie natürlich den Anpfiff verschieben werden. Schließlich kann man nicht Tausende draußen stehen lassen und drinnen einfach so tun, als wären sie schon drin.

Doch es geht recht zügig voran, weil vorn die Kontrolleure die Gefahr eines Aufstandes anscheinend mit einer zunehmenden Laxheit beim Abtasten zu mindern versuchen. Im Familienblock angekommen sehe ich aus dem Augenwinkel gerade noch das 0:1 und finde anschließend meine Reihe nicht.

Denn nirgends stehen Nummern, die Ordner können auch nicht helfen („Bin neu hier“). Als ich einen bereits sitzenden Fan frage, in welcher Reihe er sich befindet, glaubt er, ich wolle ihm seinen Platz streitig machen. „Ich sitze schon seit Jahrhunderten hier!“, schwört er mit Panik in der Stimme.

Immerhin finde ich heraus, dass es die richtige Reihe ist. Nur liegt mein Platz anscheinend am anderen Ende. Der seit Jahrhunderten mit seinem Schalensitz verwachsene Fan rät mir mit deutlicher Erleichterung, es vom anderen Aufgang aus zu versuchen, das sei leichter. Wahrscheinlich will er mich nur loswerden, weil er in mir einen Sargnagel für seine Sitzschalendynastie zu erblicken glaubt.

Also treppab, treppauf – und wieder das gleiche Problem: keine Reihennummern am Sockel. Deutlich zu lesen sind sie – wie ich bald herausfinde – nur auf den Lehnen der Sitzschalen, aber nur auf den Vorderseiten, und die werden ja verdeckt von denen, die draufsitzen. Ein Teufelskreis, und schuld ist der Stadionarchitekt.

Unmerklich habe ich inzwischen den Familienblock verlassen, das Spiel schreitet fort, Kalla ballert Horn an, und ich habe immer noch keinen Platz. Also gebe ich auf und setze mich einfach irgendwohin, ist ja hie und da noch was frei, trotz ausverkauft.

Ähnlich halten es auch andere Herumirrende. Keiner von ihnen findet den Platz, für den er bezahlt hat, also wird improvisiert. Ein fröhliches Hin und Her, schön chaotisch, aber hochkommunikativ. Wahrscheinlich möchte der FC St. Pauli so den Zusammenhalt der Fanbasis stärken, und das klappt auch. 


Man könnte die Maßnahme vielleicht noch effizienter gestalten, indem man von vorneherein überhaupt keine nummerierten Karten mehr anbietet, sondern „freie Platzwahl“ draufdruckt. Den Rest regeln dann der Markt und die Evolution („survival of the fittest“).

Um mich herum wird übrigens wohlgemut gekifft und gesoffen, als gäbe es morgen kein Gras und auch kein Astra mehr; als Thorandth mit Gelb-Rot vom Platz fliegt (42.), tun es ihm viele volle Becher nach; die eisige Luft ist plörregesättigt, und auf der Toilette pieselt bestimmt gerade irgendein beschipster Schwanker auf die Brille und gern auch mal daneben. Als ich nach Hause komme, stinke ich wie Don Draper nach einem Kundenmeeting.

 

So viel also zu meinem Ausflug in den „Familienblock“. Aber kein weiteres Wort zum Ergebnis des Spiels. Da, euer Ehren, berufe ich mich auf mein Aussageverweigerungsrecht als Schwerstbetroffener.

6 Kommentare:

  1. Eine weitere heitere Story aus der Serie "Habemus neue GG!" :-)

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  2. Musste Don Draper googeln, von mir aus auch googlen! Ich glaub, ich werde alt.
    "Kettenrauchender Womanizer mit dunkler Vergangenheit"- aber Sie rauchen doch gar nicht?!

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  3. Doch oft – und zwar vor Wut über die Begriffsstutzigkeit der Menschen. Und jetzt raten Sie mal, warum ich das gerade jetzt aufschreibe.

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  4. Jekylla, es war übrigens nicht die GG, sondern die NT.

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  5. Weil Sie gerade wütend sind? Wenn Sie in letzter Zeit viel Lasagne gegessen haben, wüsste ich auch, warum...

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