26 Oktober 2023

Stillgestanden


Seit wir im Sommer in Lerwick, der Hauptstadt der Shetlandinseln waren, schaue ich dort täglich seufzend vor Nostalgie vorbei. Das ermöglicht mir eine Webcam, die den Anleger in den Blick nimmt, wo wir damals mit Tenderbooten anlegten. (Seufzt vor Nostalgie.)

Was mich allerdings nun schon seit einigen Wochen irritiert, sind die beiden Autos unten rechts auf dem Parkplatz, der weiße Transporter und der rote Kleinwagen rechts daneben. Beide bewegen sich nämlich nicht. Nie. Sie stehen da wie stillgelegt.

Meine Columbo-geschulte Intuition murmelt: Irgendetwas stimmt da nicht. Könntest du, Lerwicker Polizei, vielleicht mal verifizieren, dass dort wirklich keine leblosen Menschen hinterm Steuer sitzen? Oder im Kofferraum liegen? Danke.

Ergänzung vom 27.10.2023, 16 Uhr: 
Heute steht direkt gegenüber von unserem verdächtigen Duo plötzlich dessen Zwillingspaar. Wtf …?? 

Ergänzung vom 28.10.2023, 22.30 Uhr: 
Und er bewegt sich doch: Der Transporter ist weg!

Ergänzung vom 31.10.2023, 18.30 Uhr:
 
Ich widerrufe den gesamten Eintrag.


14 Oktober 2023

Die gemütlichsten Ecken St. Paulis (200)

Es ist ja schon zum Fremdschämen, wenn Hamburger sich nicht entblöden, in Dirndl und Krachlederner ein „Oktoberfest“ in der Fischauktionshalle aufzusuchen.

Wenn aber just dann eine Sturmflut kommt und all die Pseudobayern sich draußen ratlos das Dekolletee und ihre weißen Waderln verkühlen, weil die Halle überschwemmt ist und sie nicht reinkönnen, dann ist das sogar zum Fremdhämen.


05 Oktober 2023

Teilen wir das Preisgeld?


Das linke
Foto von Jaroslaw Kolacz hat soeben einen Preis beim Comedy Wildlife Award gewonnen. Dabei ist es eindeutig ein Plagiat meines Fotos eines bettelnden Alsterschwans von – festhalten – 2019!

Ich hoffe, Jaroslaw teilt das Preisgeld mit mir.


28 September 2023

20 September 2023

Warnung vor Platz neunzehn!

Nach Jahren gab es gestern mal wieder (richtigen) Fußball im Volksparkstadion, nämlich die Champions-League-Partie Donezk gegen Porto. Da musste ich natürlich hin, so eine Gelegenheit kommt nicht wieder. Genauer gesagt nur noch zweimal, wenn Donezk auch seine „Heimspiele“ gegen den FC Barcelona (7. November) und Royale Antwerp (28. November) hier notgedrungen austragen wird.

Platz drei in Reihe neunzehn des Blocks neunzehn C sah auf dem Stadionschema super aus. Denn vor mir würde niemand sitzen, der freie Blick von hoch oben versprach prachtvoll zu werden, und die Gefahr, einem Vordermann die Schuhspitzen ins Schulterblatt zu rammen, war gleich null.

Allerdings hatte ich die Rechnung ohne den Architekten des Volksparkstadions gemacht. Denn die Situation vor Ort war so, wie es das Bild oben erschütternd klar dokumentiert: Ich hatte ein Brett vorm Kopf. Beziehungsweise eine kapitale Metallstange. Sie war von den Schildbürgern am Zeichenbrett geschickterweise so platziert worden, dass stets zentrale Aspekte des Spielgeschehens unsichtbar blieben.

Als Alternative blieb mir die Option, mich zu ducken, sodass ich unter der Stange hindurchlinsen konnte. Dadurch rückte allerdings die Gitterstruktur auf Bild zwei ins Blickfeld. Ein weites Vorbeugen, um zwischen beiden Elementen ein größeres Sichtfeld zu erzielen, war zwar denk-, auf Dauer aber nicht darstellbar: Rücken und Nacken reichten nach kurzer Zeit Protestnoten ein. Obendrüberlinsen war ebenfalls nur temporär möglich, da ich dazu meinen Sitzplatz halb verlassen musste, und diese Haltung ist mit unbequem nur euphemistisch beschrieben.

Die Situation schien geeignet, mir das erste Champions-League-Livespiel meines Lebens zu vergällen. Zum Glück war in der Reihe unter mir – direkt links neben dieser vermaledeiten Metallkonstruktion – ein Platz frei. So gewitzt wie gelenkig schlängelte ich mich dorthin, warf allerdings bei dieser Aktion meinen soeben erworbenen Wasserbecher (sechs Euro mit Pfand) um, an dem ich lediglich einmal genippt hatte. Und dann kam natürlich bald der rechtmäßige Inhaber des Sitzplatzes und vertrieb mich wieder, was mich dazu zwang, die Dame, die inzwischen meinen gekauften Platz besetzte, zu vertreiben, genauer gesagt Verhandlungen darüber zu führen, die darin mündeten, dass ich gutmütig auf den ebenso schlechten Platz zwanzig hinüberrutschte.

Heute kam zum Glück eine Umfrage des HSV zu meinem „Stadionerlebnis“. Ich schrieb, es wäre mir schon lieber gewesen, bereits bei der Ticketauswahl darüber informiert zu werden, dass es sich bei Platz drei in Reihe neunzehn des Blocks neunzehn C eher um einen Hörplatz handelt.

Die Aussicht, auch die nächsten beiden Donezk-Spiele dort verbringen zu müssen, sollte mich eigentlich deprimieren. Doch zum Glück entdeckte ich auf dem (überschwemmten) Klo den abgebildeten Aufkleber. 

Darüber musste ich dann doch sehr herzlich lachen.



 

16 September 2023

Bloggeburtstag Nr. 18


Auch zum achtzehnten Bloggeburtstag nehme ich Ihre und eure Glückwünsche nur verschämt entgegen, da das zurückliegende Jahr meinerseits wieder einmal eher von Prokrastination als hoher Blogfrequenz geprägt war. Zu meinem Glück hat aber eh bisher nur eine Person gratuliert, und zwar die mir sowieso sehr zugeneigte Ms. Columbo. Somit hält sich meine Scham in Grenzen.

Apropos Prokrastination: Was generell im Leben gilt, gilt auch beim Bloggen – der innere Schweinehund ist verteufelt flexibel. Wenn ich zweitausend Blogbesucher am Tag habe, flüstert er: Du brauchst nichts zu schreiben, die Leute kommen ja eh. Und wenn es nur hundert sind, winkt er ab: Du brauchst nichts zu schreiben, interessiert ja eh keinen. Das Ergebnis ist jeweils dasselbe: Ich schreibe keinen neuen Blogeintrag. Und das kann’s ja auf Dauer nun wirklich nicht sein! 

Deshalb gelobe ich heute – wie jedes Jahr – Besserung. Denn irgendwo da draußen sind ja doch immer noch welche, die sich an sporadischen Meldungen von der Rückseite der Reeperbahn erfreuen. Wie man an oben abgebildeter Grafik sieht, welche die vergangenen zwölf Jahre abbildet, sorgen diese liebreizenden Menschen (ja, Sie!) dafür, dass sich die Besucherzahl stetig, aber immer langsamer der Sechsmillionengrenze nähert. Bei einem monatlichen Durchschnitt, der nur noch selten die Zehntausendermarke knackt (es waren auch schon mal achtzigtausend!), ist das Schneckentempo natürlich kein Wunder.

Zu den beliebtesten Blogtexten des Jahres gehört skurrilerweise einer von Anno Domini 2016. Seit Monaten erfreut er sich wieder stabiler Beliebtheit. Es geht darin um eine bizarre Grabstätte auf dem Wiener Zentralfriedhof und um ausgeraubte Nutella-Gläser in Hamburg.

Wenn mir jemand vielleicht verklickern könnte und möchte, warum ausgerechnet dieser Text wieder aus den Tiefen des Archivs hochgestiegen ist und dann auch noch so dauerhaft reüssiert, dann möge er oder sie es gerne tun. Dann schreibe ich nämlich noch mal so einen! 

Und hätte zum neunzehnten Bloggeburtstag wieder was zu erzählen.



 

30 August 2023

Die gemütlichsten Ecken Deutschlands (199)







Die Lübecker Bucht zwischen Travemünde und Timmendorfer Strand.

Links: Unser Frühstückstisch im 19. Stock des Maritim.

28 August 2023

Die hohe Kunst des Kundenvergrätzens


Gestriger Dialog im Niederegger-Eiscafé, Travemünde:

„Guten Tag, ich hätte gerne zwei Kugeln in der Waffel, und zwar …“
„Wir haben keine Waffeln, nur Becher.“
„Gut, dann halt im Becher. Zwei Kugeln mit Schokoladensoße, und zwar …“
„Keine Schokoladensoße. Die gibt’s nur zur Schlemmertüte.“
„Äh, okay …? Dann einmal Walnuss und einmal Schokolade. Ich zahle mit Karte.“
„Keine Karte, nur bar.“

Die Niederegger-Zentrale in Lübeck kann natürlich überhaupt nichts für den außergewöhnlichen Liebreiz ihrer Filiale in Travemünde, aber als wir heute an der Zentrale vorbeiliefen, war uns beiden in stillem Einvernehmen klar, dass wir auf jeden Fall ein anderes Café ansteuern würden.

Ganz egal, welches. Hauptsache, nicht Niederegger.

25 August 2023

Sommer in Niendorf, mit Hund


Wahrscheinlich bin ich weltweit der Erste, der jemals mitten in der Ostsee von einem Dackel attackiert wurde. Allerdings muss ich zugeben, dass der Dackel das umgekehrt ebenfalls behaupten könnte.

Jedenfalls schwamm ich heute vor Niendorf bei null Wellengang gemütlich auf dem Rücken durch die Ostsee. Weit und breit war niemand sonst zu sehen, ich wähnte mich ganz allein im weiten Meer; deshalb auch mein arg- und sorgloses Rückwärtsschwimmen. Doch plötzlich kollidierte ich mit irgendwem oder irgendwas und spürte, wie mir etwas hektisch den Rücken zerkratzte.

Ich dachte im ersten Moment nicht einmal an einen Weißen Hai, wie es irrationalerweise vollkommen logisch gewesen wäre, sondern an einen Homo sapiens, vielleicht im mittleren Kindesalter. Doch als ich in milder Panik herumwirbelte, sah ich einen verängstigten Dackel, der mit schreckgeweiteten Augen eilends weiterpaddelte. Drei Meter weg sein Herrchen, das mir mit schmerzvollem Lächeln stumm Vorwürfe machte. Sogar meine hervorgestammelten lobenden Worte über seinen süßen Hund – eine Übersprungshandlung, ich weiß – ließ der Mann unkommentiert. Ich fühlte mich schlecht.

Später konstatierte Ms. Columbo rote Striemen auf meinem Rücken, die ein geübter Forensiker sofort als die typischen Folgen von Dackelpfotenkrallen identifiziert hätte. Freilich waren sie, die Striemen, nicht tief genug, als dass hätte Blut fließen können. Eigentlich schade, denn so wäre mir meine kürzlich erfolgte Tetanusimpfung noch nützlicher erschienen, als das eh schon der Fall ist.

Später sah ich Hund und Herrchen zwischen den Felsen am Ufer. Der Dackel guckte ängstlich. Er schien mich nicht zu mögen. Sein Herrchen ignorierte mich.

Fazit: niemals rückwärts schwimmen. Auch wenn du denkst, du seist ganz allein im weiten Meer.

Abends verunglückte Old Zitterhand dann auch noch ein Foto von der Küstenlinie in Travemünde (Foto).


 

20 August 2023

Fundstücke (259)

Dieser prachtvolle Lincoln Continental steht im Automuseum Loh Collection aufm Dorf in Hessen. Sinnigerweise wird er dort als der Wagen vorgestellt, den John F. Kennedy „zuletzt lebend verließ“. Das war am 22. November 1963 vormittags. Und in der Tat: Am selben Tag stieg JFK in eine dunkelblaue Variante des Lincoln um, tja, und dann kam Lee Harvey Oswald. Das dunkle Modell haben die USA aber ganz offensichtlich nicht rausgerückt, weshalb der autosammelnde Milliardär Friedhelm Loh zähneknirschend „nur“ das weiße anschaffen konnte. Deshalb musste er das Ausstellungsstück argumentativ ein wenig pimpen. Trotzdem auratisch, das Teil – am Wochenende selbst getestet. 

Ein Blogleser hat sich vom Foto eines Portals in Inverness aus diesem Eintrag zu einer – wie man sieht – sehr gelungenen Tuschezeichnung inspirieren lassen. Und da er mir postalisch sogar das Original vorbeischickte, hat nun unsere Bilderwand im Flur Zuwachs bekommen. 

Fußball spielt auf dem Kiez durchaus eine Rolle, für manche offensichtlich sogar eine derart wichtige, dass sie sich deswegen selbst das Betreten ihrer Loggia versagen. Entdeckt am Fischmarkt.


Apropos Fischmarkt: Hier präsentiere ich mit Stolz und Freude ein Sonntagmorgen-um-halb-zehn-Schnäppchen für insgesamt drei Euro. Und das Beste (und die große Ausnahme): keine verschimmelten dabei! 


04 August 2023

Mein erstes und letztes Interview mit Lemmy Kilmister

In Wacken wollen sie jetzt einen Teil seiner Asche endlagern, denn Lemmy ist für das Festival so etwas wie ein Säulenheiliger. Und als ich das lese, fällt mir auf, dass der große wilde Mann noch gar nicht in meiner oben genannten In-memoriam-Serie auftaucht – eine Lücke, die zum Glück leicht zu schließen ist. Hier also ein Rückblick auf mein Lemmy-Treffen aus dem letzten Jahrtausend. Damals war er 50. Tempi passati …

Lemmy beäugt die mitgebrachte Ausgabe der Zeitschrift kulturnews mit einer gewissen Skepsis. „Kultur?”, krächzt er, „if I hear kultur, I pull my gun.“ Trotz des imposanten Patronengürtels, der einen Teil seines überlappenden Bauchs stabilisiert, fühle ich den Drang, Lemmys Meinung zu korrigieren.

„Ähm, Lemmy“, sage ich vorsichtig, „du bist doch ein Teil davon … irgendwie.“

Lemmy wirft zwei Eiswürfel in seinen Jack Daniel’s, den er in einem für die Brause ungünstigen Verhältnis mit Cola verdünnt hat, und zieht an der Kippe. „Yeah“, sagt er, „irgendwie.“

Nach über einem Vierteljahrhundert Metalshouting für Hawkwind und Motörhead ist seine Stimme zu etwas geschrumpft, das klingt, als rutschte ein Schlitten über Sandpapier – der Preis des Ruhms. Würde man den Lemmy von heute Nachmittag schockfrosten und in einem Hard Rock Café aufstellen, empörten sich die Gäste gewiss über die geballte Ladung Metalklischees, mit der das Denkmal ausstaffiert ist: aufgeknöpftes schwarzes Hemd mit hochgerollten Ärmeln, Kette mit eisernem Kreuz um den Hals, Tattoos an den Armen („Born to lose / Live to win“), pferdeaugengroße Totenkopfringe an den Pranken, eine zu enge Hose mit Schlag und dazu weiße Spitzstiefeletten, die dringend geputzt werden müssten.

Und immer, wenn die Lemmy-Statue weibliche Cafégäste erblickte, würde sie „silly cow“ röcheln. So nennt er jedenfalls (wenn sie grad nicht da ist) die Blonde von der Plattenfirma, die dafür sorgt, dass ihm Whiskey, Eis und Cola nicht ausgehen – in dieser Reihenfolge.

Ich meine: Lemmy ist wirklich böse. Er hat kirschtomatengroße Warzen im Bartgesicht! Und Zottelhaare mit eisgrauen Strähnen drin. Damals, 1975, war es seine Idee, Motörhead mit „ö” zu schreiben. Das sah irgendwie deutsch aus, und die Deutschen, Mann, sind für einen Engländer echt „mean”.

Wir vereinbaren ein Stichwortinterview, das schont seine Kehle. Let's go, starten wir mit der Anatomie.

Seine arme Stimme … ? „Hat sich zur Ruhe gesetzt.“
Der Zustand seiner Ohren? „Ich hab genau verstanden, dass du mich das gefragt hast.“
Exduopartnerin Samantha Fox (… the breast and the beast, haha): „Geschichte.“
Britisches Rindfleisch? „Geschichte.“
Drogen? „Naturgeschichte.“
Techno? „Bald Geschichte.“

Lemmy trinkt schnell, er raucht schnell, aber er denkt auch schnell.

Tanzen? „Ich tanze nicht. Except for the totentanz, hehehe.“
Drei Dinge, die er am meisten hasst? „Politiker, organisierte Religion und – hmm – Intoleranz.“
Gott? „Welchen? Gibt's einen? Ich glaube daran, dass wir unsere eigenen Entscheidungen treffen müssen. Es gibt keinen Ausweg namens Gott.“
Alt zu sein? „Unvermeidlich.“

Lemmy wirft Eis nach und füllt mit Whiskey auf. Es ist 16 Uhr 11 an einem Dienstag. Wir sind in einem Hotel an der Kieler Straße, das bevölkert ist von ältlichen Frauen. Der Häkelclub Hodenhagen in der Großstadt. Und in einem der Zimmer, davon wissen die Damen nichts, sitzt Lemmy Kilmister. Der Melody Maker hält ihn für „radikal, roh, barbarisch und verrückt”. Was davon stimmt heute nicht mehr? „Nichts“, seufzt Lemmy, „alles stimmt.“

Danke, das war's, sage ich. „Das war leicht“, sagt Lemmy. Sein Händedruck ist sehr fest, ich fühle den Totenkopfring. Im Foyer wuseln aufgeregte Häkeldamen herum. Wahrscheinlich wollen sie heute Abend ins „Phantom der Oper“.



 

30 Juli 2023

Die gemütlichsten Ecken St. Paulis (198)


Die Ruhe vor dem Sturm am Millerntorstadion – am Samstag gegen die Fortuna 
wird es hier ganz anders aussehen.


22 Juli 2023

Einmal Nordsee und zurück (Teil 2)

Eine just zu Ende gegangene Schiffsreise von 3917 Kilometern Länge nach England, Schottland und Norwegen brachte uns einige Orte und Städte näher, die hier in Kurzrezensionen gewürdigt werden sollen. Ultrakurz, um genau zu sein, und bestürzend lückenhaft. Aber damit müssen Sie leben. Den ersten Teil gibt es hier.


6. Skjolden, Norwegen



An der Gegend um Skjolden – gelegen am Ende des Lustrafjords, eines Seitenarms des gewaltigen Sognefjords – ist alles, wirklich alles zauberhaft: die sattrote flatterhafte Skulptur vorm allumfassenden Grün der Umgebung, die 900 Jahre alte und weiterhin im sakralen Einsatz befindliche Holzkirche in Urnes, deren Originalbalken die gelungene Photosynthese fleißiger Bäume ab dem Jahr 1000 repräsentieren – und die Tatsache, dass man sich bei der Aussprache des Wortes Skjolden nicht die Zunge brechen muss, sondern einfach „Scholden“ sagen darf. Wermutstropfen, der einen Umzug dorthin weniger attraktiv macht: Der Notarzt muss per Helikopter einfliegen. 


7. Bergen, Norwegen

Kommt man in die regenreichste Stadt Norwegens, wenn nicht ganz Europas, so ist man vor jedweder Enttäuschung gefeit. Denn folgt die Stadt buchstäblich dem Gießkannenprinzip, dann macht sie halt einfach ihren Job. Und ist es sonnig, dann ist man hocherfreut. Als wir dort waren, machte Bergen halt einfach seinen Job. Im Viertelstundenrhythmus platschten geradezu aggressive Regentropfenverbände hernieder, sodass wir ein ums andere Mal von Hoteleingang zu Fischmarktbude sprangen, denn Menschen sind – wenn man es bis zum Ende fortdenkt – wasserlöslich. Also ging’s irgendwann entmutigt zurück aufs Schiff, von wo aus sich die Bergen-typische Schleusenöffnungstaktung weitaus kommoder verfolgen ließ.


8. Stavanger, Norwegen

Bunter als Stavanger ist höchstens die lgbtqia2s+-Bewegung. Dort – also in Stavanger, nicht bei der lgbtqia2s+-Bewegung – gibt es zudem den bestsortierten Nuss- und Trockenfruchtladen aller Zeiten sowie denen, die noch kommen, nämlich Nøtteblanderen in der Kirkegata 21. Sollte ich jemals einen Hausarrest mit Fußfessel antreten müssen, dann bitte ebenda, danke vorab. In Stavanger parkt unser Schiff übrigens in der Altstadt, aber das darf der Nabu nie erfahren, weshalb das strikt unter uns bleiben muss. 












9. Kristiansand, Norwegen


Die Stadt in Südnorwegen ist das Gegenteil von Bergen, nämlich die sonnenreichste Stadt des Landes. Sie brüstet sich gar mit dem Titel „Riviera des Nordens“, was ein wenig an die Beschönigungsskills von Aberdeen erinnert. Doch in der Tat: Ja, es schien die Sonne. Nur dies bewahrte uns angesichts der in Kristiansand aufgerufenen Preise vorm Stimmungstief. Beispiel: In einem Café wollte man für einen winzigen Brownie umgerechnet acht Euro fünfzig. Da sagt der Hamburger von Herzen nein danke. Aber von Herzen ja bitte zu den Wohnungspreisen. Hier bekommt man für rund 200.000 Euro ein solides Haus, während man sich dafür an der Elbe mit anderthalb Zimmern bescheiden müsste. Ohne Balkon.

Ansonsten war viel, viel Nordsee. Hier ein paar Belege.









 

21 Juli 2023

Einmal Nordsee und zurück (Teil 1)

Eine just zu Ende gegangene Schiffsreise von 3917 Kilometern Länge nach England, Schottland und Norwegen brachte uns einige Orte und Städte näher, die hier in Kurzrezensionen gewürdigt werden sollen. Ultrakurz, um genau zu sein, und bestürzend lückenhaft. Aber damit müssen Sie leben. Den zweiten Teil gibt es hier.


1. Newcastle upon Tyne, England




Die Stadt im Osten Englands überrascht nicht nur mit kühner Architektur zwischen schwungvoll und raupenähnlich, sondern in der katholischen St.-Mary’s-Kirche 
auch mit einem rein säkularen Fensterbild. Arbeitendes Volk bei profanen Verrichtungen statt Lobpreis des Einzigen: Deutlicher kann man seine vollumfängliche Niederlage gegen die Anglikaner wohl nicht eingestehen. Deswegen: Auf nach Schottland!











2. Inverness, Schottland


Als ich Ms. Columbo vor einem schönen lila Portal fotografierte und unversehens drei Damen ins Motiv liefen, fühlte ich mich erstaunlicherweise noch nicht an ein berühmtes Beatles-Bild erinnert, beim Betrachten am Rechner indes schon. Sonst blieb von Inverness nicht allzu viel hängen.


3. Aberdeen, Schottland

Die Stadt besteht aus Granit. Heißt: Sie ist grauer als grau. Der Himmel darüber will dem nicht nachstehen, woraufhin das Meer sagt: Das kann ich auch. Die Delfine, die in der Bucht herumtollen, sind ebenfalls nicht rosa. Allerdings betätigen sich die Aberdeener als weltweit größte Beschöniger von ganz Schottland und euphemisieren ihr tristes Häuserkonglomerat nonchalant zur „Silver City“. Angeblich soll im Sonnenschein beim richtigen Strahleneinfallswinkel und wenn man ausreichend Single Malt Scotch getankt hat, Aberdeen silbrig schimmern. Nun: Das können wir nicht bestätigen; ich erspare Ihnen den Fotobeweis. Die grauen Delfine in der Bucht haben uns dennoch verzaubert.


4. Shetlandinseln, Schottland


Vor der Küste der Shetlands soll es Orcas geben. Das ist Hörensagen; für den phasenweise von mäandernden Steinmauern gesäumten und von majestätischer Stille überwölbten Rundweg um das Städtchen Lerwick herum können wir uns allerdings herzlichst verbürgen. Dass die Wohnlage mit der besten Aussicht überhaupt der Friedhof ist, zeugt möglicherweise vom gesunden Antikapitalismus der hiesigen Insulaner; anderswo stünden hier längst lukrative Bettenburgen. Die berühmten Shetlandponys (Foto) hatten wir uns übrigens größer vorgestellt. 




5. Balmoral, Schottland



Hier im Schloss hauchte Queen Elizabeth II. ihr langes Leben aus, ganz wie von ihr gewünscht. Jahrzehntelang wandelte sie allsommerlich sinnierend am River Dee entlang, der das Schloss schier kronenartig umfließt. Wahrscheinlich besuchte Frau Windsor im Park auch regelmäßig den „Pet Cemetery“, und das wollten auch wir – vor allem um zu sehen, welche postmortale Würdigung all den königlichen Corgies zuteil wird, die dort dem Jüngsten Tag entgegenverwesen. Doch wir irrten herum, verpassten den Friedhof und landeten urplötzlich an einem Kiosk mit Eisverkauf, was alles andere augenblicklich bedeutungslos machte. Das offerierte Speiseeis indes war trotz räumlicher Nähe zum Royalen eher niederer Herkunft.

(Fortsetzung folgt mit den norwegischen Stationen Skjolden, Bergen, Stavanger und Kristiansand)