26 Oktober 2019

Ein lehrreicher Saunabesuch

„Normale“ Smartphonezombies haben ihr Suchtmittel selbstverständlich immer und überall dabei. Sie karriolen damit blind über Radwege, torkeln gegen Poller oder bekommen einen Herzkasper, wenn man im Vorübergehen leise „Buh“ macht. Die ganz harten User haben es vermutlich auch auf dem Klo in Gebrauch und allerhöchstens beim Sex und unter der Dusche nicht. (Bei einem der beiden Szenarien bin ich mir allerdings nicht so sicher.)

Bislang dachte ich, dass auch eine 90-Grad-Sauna zu den wenigen Tabuzonen gehören müsste. Das aber ist, wie sich heute herausstellte, falsch. Mir gegenüber in der Sauna nämlich saß im Halbdunkel ein wohlbeleibter Mann, und ich erkannte erst, was da Schwarzes neben ihm auf der glühenden Holzbank lag, als er es hochnahm, aufklappte und ein aufflammender Bildschirm uns Saunabesucher in fahles Licht tauchte.

Der Mann schaute kurz drauf, klappte sein Smartphone wieder zu und legte es zurück auf die vor Hitze leise knackende Holzbank. Ein iPhone zum Beispiel soll nur bei Temperaturen bis zu 35 Grad zuverlässig funktionieren. In der Sauna herrschten heute – wie erwähnt – ungefähr 90 Grad. Läge sie, die Sauna, in einer Höhe von 2981 Metern, finge dabei Wasser an zu kochen. Die Ionen seines Handys müssen sich gefühlt haben, als tanzten sie auf einer eingeschalteten Herdplatte um ihr Leben. 

Vor vielen Jahren habe ich übrigens einmal vorm Betreten eben dieser Sauna vergessen, meine Brille abzunehmen, und als ich den Raum nach zehn Minuten verließ, waren die Kunststoffgläser angeschmolzen. Die Brille war Schrott. Fielmann verhielt sich damals sehr kulant, was unbedingt für diesen Brillenverkäufer spricht, doch Ähnliches sollte der Kollege aus der Sauna von seinem Smartphonehersteller nicht erwarten. Das ist zumindest der erhellenden Webseite Saunazeit zu entnehmen. 

Übrigens verdanke ich dem heutigen Saunabesuch noch eine weitere Erkenntnis: Nicht bei allen Frauen ist der 70er-Jahre-Busch verpönt. Aber das nur nebenbei.

PS: In verständlicher Ermangelung eines Fotos der oben geschilderten Situationen gibt es eins vom Solarium um die Ecke.


24 Oktober 2019

Die Badenixe

Gestern, an einem kühlen, aber sonnigen Herbsttag, saß ich mittags an der Alster und möfelte mein Pausenbrot, als plötzlich eine Dame von etwa 60 Jahren sich ihrer Kleider entledigte. Darunter trug sie einen dunklen Badeanzug. Sie betrat den Steg, und dann ging sie ein paar Runden schwimmen.

Im Anschluss lief sie – weiterhin im Badeanzug und tropfnass – zehn Minuten lang auf dem Holzsteg hin und her, ehe sie zur Bank neben meiner ging, wo ihre Sachen lagen, und sich abtrocknete.

Ein älteres Rentnerpaar trat herbei und sagte: „Das machen Sie nicht zum ersten Mal, nöch?“ Die Dame bestätigte das lächelnd. „Wie viel Grad hat denn das Wasser?“, lautete die nächste Frage. „Woher soll ich das denn wissen?“, blaffte die Dame stolzvergnügt zurück, ließ sich dann aber doch zu einer Schätzung herab: „Auf jeden Fall unter 15 Grad.“

Das Rentnerpaar trollte sich bewundernd. Und ich alter Kiezianer, der ich wollmützengeschützt an diesem kühlen, aber sonnigen Herbsttag mein Pausenbrot möfelte, fühlte mich plötzlich eins ganz und gar nicht mehr: hartgesotten.


22 September 2019

Ich hatte ein Wristband!

Das Reeperbahnfestival sorgt seit 14 Jahren jeden September für Feiertage auf dem Kiez – genauer gesagt taten das die diesmal 50.000 Indiefans, die von Mittwoch bis Samstag durch die auf der Karte zu sehenden Clubs zogen. Darunter ich. 

Dank meiner Akkreditierung war ich dieses Jahr ein „Wristbandholder“ und hoffte, dass mein Wristband vier Tage Höchstbelastung (darunter Duschen) aushalten würde, ohne abzufallen. Dann wäre ich nämlich aufgeschmissen gewesen.

Diesmal hatte ich mir nur ein loses Programm zusammengestellt. Ich wollte mich einfach quer durch St. Pauli treibenlassen – von Gig zu Gig, von einem (mir unbekannten) Act zum andern. Doch so einfach war das nicht. Im Pooca am Hamburger Berg machte ich gleich wieder kehrt, als ich drinnen auf Menschen mit glühenden Zigaretten stieß. Für so was bin ich einfach zu alt (obgleich ich es als Kind noch erleben durfte, wie die Erwachsenen sogar im Auto rauchten, bei geschlossenen Fenstern und mir auf dem Rücksitz).

Vor einigen Clubs stieß ich auf grimmige Türsteher, die „Einlassstopp!“ grummelten, was auch schon längst per Pushnachricht auf meinem Smartphonebildschirm aufgeploppt war, aber dank des gegenüber normalen Kiezabenden noch mal deutlich dezibelreicheren Grundbrummens rundherum war mir das entgangen. Zwar hätte ich mir als offizieller Wristband- und Akkreditierungskärtchenholder trotzdem Zutritt verschaffen können, doch mich in einen brechend vollen Laden zu quetschen, wo ohne Bazooka weder Theke noch Klo in absehbarer Zeit erreichbar gewesen wären, dafür bin ich – Sie ahnen es – zu alt.

Problemlos gelang indes das Entern des Sankt-Pauli-Museums, vor dessen Eingang ich vergangenes Jahr Günter Zint bei seiner Attacke auf ein Verkehrsschild ablichten konnte. Dort sang der isländische Singer/Songwriter Teitur Magnússon, ein rotbärtiger Nordmann mit Pelzmütze, aber verblüffend elfenähnlicher Bübchenstimme. Wenn wirklich Gott die Menschen – und somit auch Herrn Magnússon – erschaffen hat, dann muss man sagen: ER hat Sinn für Humor.

Im Moondoo an der Reeperbahn stieß ich auf die junge, dünne argentinische Elektrokünstlerin Catnapp. Ihre Schläfen waren rasiert, dafür wippte ein einzelner langer Rastazopf im Rhythmus kalter blauer zuckender Strahler und dem reeperbahnerschütternden Beben ihrer Breakbeats und -bässe. Es war faszinierend. Im Berliner Berghain soll sie eine große Nummer sein. Hoffentlich trägt sie regelmäßig Ohrstöpsel, sonst geht es ihr irgendwann wie Sven Väth.

Freitag dann Elbphilharmonie. Zwar passt der Kulturtempel nur suboptimal zu einem Festival, das vor allem auf kleine Clubs und Indiekünstler setzt, doch wie könnte ich das bemäkeln, wenn dort die schwedische Songwriterin Anna Ternheim auftritt, die ich seit ihrem ersten Album verehre (Näheres dazu in diesem Buch)? 

Der schwarze Herrenanzug, den sie trägt, umschlottert sie derart, dass ich die Journalistin, die neben mir sitzt und Ternheim erst neulich interviewt hat, frage, ob diese damit ein eventuelles Untergewicht zu kaschieren trachte. Das sei sicher nicht so, heißt es, Ternheim sei sehr normalgewichtig.

Mit Sicherheit ist sie auch sehr duldsam mit dem unbotmäßigen Verhalten ihres blonden Schopfs. Hätte ich eine Frisur, die mich dazu zwänge, mir alle acht Sekunden die Strähnen aus dem Gesicht zu wischen, ich legte mir augenblicks eine gänzlich andere zu. Andererseits verfügte ich als jemand, der sich seine spärlichen Reststoppel zweimal die Woche auf einen halben Millimeter Länge runterkürzt, gern über ein solches Luxusproblem.

Ternheim jedenfalls wischt sich während ihres Auftritts hochgerechnet circa 600-mal die Haare aus dem Gesicht, derweil das sie begleitende Kaiser Quartett ihre schönsten (und leider auch einige mittelprächtige neue) Songs in apartesten Kammerpop kleidet. Hätte Ternheim statt des herumrumpelnden Drummers einen Perkussionisten dabeigehabt, das Ganze wäre als Zauberabend in die Reeperbahnfestivalgeschichte eingegangen. Das Publikum war trotzdem euphorisiert bis zum Aufspringen und mehrfach Zugabefordern.

Genau so wie das des kanadisch-ukrainischen Pianoschrats Lubomyr Melnyk am Samstag in der St.Pauli-Kirche. Der 71-Jährige, ein leicht berberhaft wirkender Grauzausel in ausgebeulter Cordhose, ist sozusagen das missing link zwischen Rachmaninov und Steve Reich, nur dass er schneller spielt als Lucky Lukes Schatten. 

Damit schafft Melnyk wellenartig dröhnende Klangmuster, von denen er behauptet, die (für ihn eh verdammenswerte) Digitaltechnik sei zu träge, um sie adäquat aufzunehmen. Warum der Mann an seinem Verkaufsstand trotzdem neben Vinyl auch CDs anbietet, gehört zur Dialektik dieses Festivals – des weltweit besten von ganz St. Pauli, wenn nicht des ganzen Planeten.

Mein Wristband hat übrigens vier Tage lang durchgehalten. Gegen die Schere Samstagnacht war es aber hilf- und machtlos.



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16 September 2019

Bloggeburtstag Nr. 14!


Sehr schmeichelhaft, dass die Deutsche Fußball Liga das Hamburger Stadtderby am Millerntor dieses Jahr genau auf den 14. Geburtstag dieses Blogs gelegt hat. Und dann auch noch inklusive Heimsieg! Das nehme ich persönlich.

Statistisch verliefen die vergangenen zwölf Monate aus Blogbetreibersicht sehr zufriedenstellend. Die Besucherzahl stieg auf insgesamt 4.646.268, der Monatsschnitt hat sich über 40.000 stabilisiert. Danke dafür, meine Damen, Herren und Diverse! 

Zwei Beiträge aus dem Berichtsjahr haben sich sogar in den unten aufgelisteten Top Ten der meistgelesenen überhaupt vorgearbeitet. Dass der auf Rang sechs lediglich aus einem Foto bestand (dem Kinosaal der Astor-Filmlounge), verstehe ich als subtile Kritik an meinem Schreibstil. Immerhin stieß auch meine Eloge auf den 70 Jahre jung gewordenen Universalkünstler Ernst Kahl auf reges Interesse, und das kalmiert mich wieder.

Hier nun die zehn meistgelesenen Blogbeiträge mit der Zahl der Aufrufe zwischen September 2005 und heute:



27.09.2005, 44 Kommentare
36960

15.07.2018, 2 Kommentare
10359

9287

8461

8039

7859

24.04.2018, 2 Kommentare
7853

7614

09.02.2019, 2 Kommentare
7536

7491


Standesgemäß sind natürlich weiterhin die Huren ganz weit vorn, und so gehört es sich auch für ein Blog, dessen Hirn und Herz der Hamburger Kiez ist. Auf die nächsten gemeinsamen zwölf Monate!


13 September 2019

Endlich sorgenfrei!

Neulich stand ich in Potsdam sehr ratlos vorm Eingangsportal von Schloss Sanssouci und rang um Fassung. Schuld daran war der brachiale Kommafehler, der die Fassade hochprominent kontaminierte. Das tut er, wie mir zugetragen wurde, schon seit zweihundertzweiundsiebzig Jahren.

Zweifellos ist diese voll in die royale Verantwortung fallende Fehlleistung dazu angetan, das ansonsten doch recht beachtliche Lebenswerk des Schlossbauherrn Friedrich des Großen unschön zu überschatten. Zumindest in meinen Augen. 

Dabei hätte es durchaus Eingriffsmöglichkeiten gegeben. Klar, rechtschreibkundige Hofschranzen haben sich damals natürlich nicht getraut, das Maul aufzumachen. Aber warum bloß hat Friedrichs Freund Voltaire ihn beim immerhin vier Jahre andauernden Besuch in Potsdam dafür nicht wenigstens an einem weinseligen Abend böse ausgescholten? Auch der französische Philosoph büßt in diesem Zusammenhang, wie ich zugeben muss, viel an Nimbus ein. Der Mann hätte unbedingt intervenieren müssen, gerade als Muttersprachler!

Heute an der Simon-von-Utrecht-Straße in St. Pauli gemahnte mich ausgerechnet die beschriftete Seite eines parkenden Lkw erneut an Friedrich und Voltaire und diesen gruseligen Moment in Potsdam, den ich längst erfolgreich verdrängt zu haben glaubte. „Echte Kerle, trinken Elbperle“ – da rollen sich dir doch sämtliche Fuß- und Fingernägel auf! Und mir auch!

Es sei denn, derjenige, der sich diesen Werbespruch zurechtdengelte, vertraut auf die intelligente Hintersinnigkeit des vorbeiflanierenden Um-die-Ecke-Denkers und dessen Fähigkeit, die subtile Anspielung auf die Potsdamer „Sans, souci“-Kommakatastrophe zu dechiffrieren. 

Immerhin heißt „sanssouci“ auf Deutsch sorgenfrei, und womit ist dieser Zustand nun mal besser herzustellen als mit einer geexten Gallone Elbperle?

Und siehe da: Plötzlich ergab alles einen Sinn. 
Und sogar einen Blogbeitrag.



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