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09 Dezember 2016

Warten auf Kerry

Nein, Modernismus oder gar Ranschmeißerei an den Zeitgeist kann man unserer Hausverwaltung keineswegs vorwerfen. 

Der erstmalige (!) Neuanstrich unseres Treppenhauses seit mindestens drei, wenn nicht acht Jahrzehnten – unser Haus wurde um 1906 errichtet – orientiert sich koloral eher an dem, was wir draußen vor der Haustür gewöhnlich an menschlichen Körperflüssigkeiten und -feststoffen vorfinden, vor allem an Wochenenden.*

Insofern eine adäquate Farbwahl, zu der man die Entscheidungsträger nur beglückwünschen kann. Ja, ich würde so weit gehen, diese Wahl als mutiges Statement gegen die Gentrifizierung des Viertels zu deuten, als ein Manifest des widerständigen Traditionalismus – umgesetzt konsequenterweise exakt in der Farbe, die bisher schon unsere Treppenhauswände zierte. Wir müssen uns also nicht mal umgewöhnen. 

Nur das charmant Abgeranzte, die Rußspuren an den Türrahmenritzen, die abgeplatzten Flächen: All das ist halt jetzt nicht mehr da. Aber das kriegen wir wieder hin in den nächsten drei, wenn nicht acht Jahrzehnten. Schließlich sind wir St. Paulianer.

Aber wir haben auch unser Päckchen zu tragen, vor allem, wenn gerade OSZE-Konferenz ist. Gestern an der Fußgängerampel am Casino stieß ich auf eine Menschenmenge, deren mentaler Zustand sich bereits bei meiner Ankunft am Siedepunkt bewegte. Denn sie wurde grundlos am Überqueren der Straße gehindert. Wie der leicht verschüchterte Polizist, der uns in Schach zu halten versuchte, erläuterte, müssten wir warten, bis die Kolonne des US-amerikanischen Außenministers vom Stephansplatz aus kommend die Kreuzung überquert habe.

Allerdings war von Kerrys Kolonne weit und breit nichts zu sehen. Und die Mitglieder der von der Straße geteilten Menge trennten nur je sechs Meter von der anderen Seite, dem Ziel aller Träume. Doch der Cop – Typ graumelierter Studienrat, unbewaffnet – ließ uns nicht.

Eine Radfahrerin war die erste, die den Aufstand wagte. Sie fuhr einfach los und rief: „Ich muss zur Arbeit!“ Eine Frau in Joggingkleidung ergänzte schrill: „Ich hab’s eilig!“ Der Polizist bekam allmählich einen runden Rücken und eine Gesichtsfarbe, die mich an unser Treppenhaus erinnerte. „Das haben wir doch alle“, lächelte er lahm und schaute bang runter Richtung Stephansplatz.

Doch von dort kein Kerry, nirgends. Hier aber eine zweigeteilte Menschenmenge, die wütend mit den Hufen scharrte, mittlerweile schon halb auf der Straße stand und immer lauter murrte. Anweisungen der Ordnungskräfte brauchen halt immer auch eine sich sinnlich erschließende Plausibilität, und die hätte in dieser Situation nur der heranbretternde Herr Kerry herstellen können. Oder wenigstens ein anschwellender Sirenenton.

Das sah nun auch der Polizist ein: Er beugte sich dem Druck des Volkes. „Okay“, sagte er seufzend, und alle strömten herüber und hinüber, von links nach rechts und rechts nach links. Und dann eilten sie davon, um auch heute endlich wieder unbehindert von Phantomen wie Kerry und Konsorten dem Sinn ihres Lebens nachgehen zu können: einer abhängigen Beschäftigung. 

Abends sah ich Kerry im Fernsehen, er war also doch noch gekommen. Im Wohnzimmer roch es ein wenig nach Farbe.


*Das gilt übrigens auch für die Ästhetik dieses Blogs, wie mir gerade dämmert.

20 Mai 2016

Begegnung mit einem potenziellen Mörder


Neulich Lärm unterm Balkon, wie so oft. Hier ein Beispiel.

Zu sehen ist eine Dreiergruppe Männer, einer davon brüllt. Es handelt sich um einen volltätowierten, stoppelhaarigen Hantelmann im Muskelshirt. „Ich will jäzz sofott’en Nigger uffhängen!“, brüllt er, „einfach nuor, weilor schwozz is!“

Einer seiner im Gegensatz zum Wortführer unauffällig gekleideten Kumpels ist verhalten irritiert. „Hier in Hamburg?“, fragt er bang. „Jöu!“, brüllt der Mordlüsterne zurück, „miör ögol! Öder ’n Kanaggn!“

Die aufrechten Ritter der politischen Korrektheit werfen mir wahrscheinlich jetzt wieder vor, ohne Not den Akzent des moralisch mächtig Herausgeforderten wiedergegeben zu haben; dies, so höre ich sie sagen, trüge eventuell zur Diskriminierung der ostdeutschen Bevölkerung bei, und das sei unfair all jenen Ostdeutschen gegenüber, die gerade keinen Nigger oder Kanaggn uffhängen möchten.

Darauf kann ich nur erwidern: miör ögol. Wenn die Wahrheit diskriminierend ist, dann ist sie, die Wahrheit, höchstselbst dafür verantwortlich, aber nicht der, der sie ausspricht.

Vom Balkon brülle ich: „Scheiß Nazis! Verpisst euch aus St. Pauli!“, aber es kommt keine Reaktion, wahrscheinlich weil der Brüllaffe das unmittelbare Gruppenumfeld sonisch zu stark dominiert.

Was bleibt, ist die bestürzende Erkenntnis, dass es wirklich Menschen gibt, die Mordlust verspüren, nur weil ein anderer von Natur aus irgendwie aussieht. Sie sind keine Fantasie, keine Comicfiguren aus dem Schwarzbuch der Antifa. Sie sind echt, sie laufen durch Deutschland, manchmal sogar durch St. Pauli.

Einer davon atmet gerade, sein Herz schlägt, sein Kreislauf funktioniert; wahrscheinlich irgendwo im Osten Deutschlands. Das darf eigentlich nicht sein.


Doch was kann man tun? Was hätte man tun sollen und müssen, damals, als er ein Kind war?

Lösungsvorschläge in den Kommentaren, danke.


PS: Wie weit so einer ideologisch entfernt ist von jemandem, der ein Schild wie das oben abgebildete ausdruckt und in Altona verliert, weiß ich nicht. Mir fallen aber ideologische Distanzen ein, die größer sind.



07 Februar 2015

Stuss stoppen!


Hamburg-St.Pauli: Auch hier auf dem Kiez tobt der Wahlkrampf. Selbst wir, die wir niemandem etwas getan haben, werden behelligt von Menschen mit Namen wie „Enckevort“ und – man vermag es nur errötend niederzuschreiben – „Fegebank“, die sich nicht entblöden, auf unvorteilhaft gestalteten Plakaten ihre Wählbarkeit zu simulieren.

Auch ein gewisses Suding marodiert seit Wochen enervierend sportiv durch Hamburger Medien – anscheinend in der Hoffnung, mithilfe untervögelter Gelegenheitswähler künftig in der Bürgerschaft Bein zeigen zu können. Eine rätselhafte „Bürger-Liste“ hingegen umgarnt jene, denen sich der Liebreiz eines Deppenbindestrichs bereits vollumfänglich erschlossen hat. 
  
 
Derweil will die Linke mit dem oberollen Slogan „Kein Mensch ist illegal“ natürlich wieder mal nicht Adolf Eichmann damals in Argentinien gemeint haben, schon klar.

 






Völlig rätselhaft agiert die CDU, deren Spitzenkandidat Wersich (wer …?) den „Stau stoppen“ möchte. Warum denn das, bitte schön? Der steht doch schon komplett  stillgelegt in der Gegend rum, der Stau, mehr geht nicht. Oder meint die CDU „Stau auflösen“?

 






Erfrischend ehrlich gab sich zunächst als einzige Partei die SPD, welche den Bürgermeister sinnigerweise mit halbiertem Kopf plakatierte; siehe oben. Das signalisiert so entwaffend offen wie kühn: Man kann Hamburg auch mühelos ohne Frontallappen regieren.

Inzwischen ist dieses Kopf-ab-Motiv leider, leider wieder aus dem Stadtbild verschwunden, und jetzt weiß ich überhaupt nicht mehr, wen ich wählen soll.

Aber Sie bestimmt.





 

08 November 2014

Zwangsumtausch erfolgreich erfolgt!


Ungefähr zweieinhalb Gründe gibt es Pi mal Daumen für meine Mitgliedschaft in der Partei Die Partei. Zum einen hat mich die Tatsache überzeugt, dass Die Partei immer Recht hat. Nach so etwas habe ich lange gesucht, eigentlich schon seit dem Untergang der DDR.

Zum andern verzichtet Die Partei darauf, säumigen Mitgliedsbeitragszahlern russische Inkassounternehmen auf den Hals zu hetzen, und davon profitiere ich direkt persönlich.

Auch dass mir heute Nachmittag der für mich zuständige Bezirksfürst am Schulterblatt meine mitgebrachte BILD freudig erregt gegen eine wenn auch nicht ganz taufrische Titanic-Ausgabe (das Foto zeigt ein noch älteres und leicht zweckentfremdetes Modell) zwangsumtauschte, finde ich herzallerliebst von meinem Genossen.

Kurz: Ich fühle mich in der Partei Die Partei rundum gut aufgehoben. Sollten Sie auch mal ausprobieren.

01 Oktober 2014

Tiroler Nachlese – mit Pareidolie Nr. 100!


Wahrscheinlich löst dieses im Zillertal entdeckte Hinweisschild bei Touristen aus dem englischsprachigen Raum kein „Must see“-Gefühl aus – im Gegensatz zum Grab des legendären Skikönigs Toni Sailer. 

Es liegt auf einen traumhaft schönen Kirchhof in Kitzbühel, dessen Anblick man auch Toni Sailer weiterhin wünschen würde. Angenehm sachlich seine Grabinschrift: „Berühmt, beliebt, bescheiden“. Wahrscheinlich stimmt sogar alles davon.






Dieses zornige Steingesicht entdeckte ich auf einem recht mühseligen Bergpfad oberhalb der Baumgrenze. Auch die Alpen können also Pareidolien. Nach über einer Stunde Gekraxel über besagten Pfad und der Bewältigung von mehr als 200 Höhenmetern erreichten wir ächzend den Wildsee, wo wir uns stantepede auf die Holzbänke der dort ansässigen Gastronomie fallen ließen. 

„Haben Sie hier oben eigentlich einen Hubschrauberlandeplatz, oder wie kommen Sie jeden Tag hier rauf und runter?“, fragte ich die etwa 25-jährige Servicekraft. „Zu Fuaß“, sagte sie, „in oaner hoalbe Stund.“

Warum gibt es eigentlich nicht mehr Olympiasieger aus Österreich?



Völlig problemlos kann man in diesem unverkrampften Alpenland übrigens weiterhin einen Kuchen namens „Mohr im Hemd“ bestellen, und keiner guckt komisch. Und der Espresso heißt zu allem Überfluss auch noch „Kleiner Brauner“, und zwar nicht nur in Braunau am Inn, sondern auch in St. Johann.
 
Ebenda erweist der Tiroler sich gendertheoretisch als erfrischend rückständig. Sonderpreise für „Pensionisten und Damen“ auszurufen, traut man sich bei uns nur noch in Hessen aufm Dorf. Na gut, wahrscheinlich auch in Bayern, Franken, Schwaben und sicher auch in Sachsen. Hauptsache aufm Dorf.


Volldeppenapostrophe versuchten wir mit der Reise nach Tirol zuverlässig zu fliehen, doch leider waren sie schon vor uns da. Im deutschsprachigen Europa wächst eben zusammen, was zusammengehört.

Also können wir auch getrost nach St. Pauli zurückkehren. Hiermit geschehen.



24 August 2014

Antifa mit Fahrrad

St. Pauli ist nicht nur manchmal eine rechtsfreie, sondern ganz generell eine ziemlich rechtenfreie Zone. Neonazis und ähnliches Gesocks gibt es hier selten zu sehen. 

Der abgebildete Sticker auf einem Laternenpfahl in der Seilerstraße hat also durchaus recht mit seiner (warum eigentlich auf Englisch verfassten?) Behauptung, der Kiez sei eine „fascism free zone“. 

Eins aber ist seltsam an diesem Aufkleber: Sollte sich doch mal ein Nazi hierher verirren, muss er anscheinend damit rechnen, mit einem Fahrrad verprügelt zu werden. 

Warum in Dutschkes Namen mit einem Fahrrad und nicht z. B. mit einem Baseballschläger? 

Der ausgestreckte Arm des auf dem Boden liegenden Hakenkreuzträgers scheint trotzdem weniger eine Abwehr- als eine Zeigegeste auszuführen. Vielleicht ist er ja auch begeistert, eindeutig nicht mit einem Damen-, sondern mit einem ihm aus politischen Gründen genehmeren HERRENrad verprügelt zu werden. 

Wie auch immer: Als Nazi würde ich den Kiez tunlichst meiden. Wir haben Fahrräder, und wir werden sie benutzen!

08 Juni 2014

Fundstücke (192)


Wahrscheinlich die einzige Fahne der Welt, auf die selbst ich einen Eid schwören würde.

Entdeckt im Parc de la Villette, Paris.

03 Februar 2014

Die Luft ist raus


Mensch, hier passiert ja gar nichts mehr, denken Sie sich sicherlich. Und das haben Sie richtig beobachtet. Nach den Krawallen zwischen den Jahren ist nämlich Ruhe eingekehrt auf dem Kiez. 

Praktisch alle Evakuierten der Esso-Häuser sollen inzwischen in vergleichbar billigen Wohnungen untergekommen sein – ein Erfolg für die Protestler, wenn ich das richtig sehe, und damit eigentlich ein Grund zum Feiern. Man hört nur nix davon. 

Insofern illustriert das Foto gut die derzeitige Lage auf St. Pauli: Irgendwie ist die Luft raus, und deshalb gibt es erste gute Gründe für ein schiefes Grinsen nach der Krise. 

Habe ich eigentlich schon mal erwähnt, dass immer, wenn man den Boden rund um die Reeperbahn fotografiert, unweigerlich Kippen mit aufs Bild kommen? 

Bestimmt noch nie.

11 Januar 2014

Was vom Kissen übrig blieb



Kommentare in der Mopo sind oftmals recht lesenswert. Heute empört sich ein der Rechtschreibung nicht hunderprozentig sicherer Kommentator namens herring über die Kissenschlacht von gestern Abend auf dem Spielbudenplatz und fragt recht suggestiv: „und wer macht die sauerrei wieder weg?“

Nun, dafür, lieber herring, haben wir hier in Hamburg eine recht nützliche Einrichtung. Ich weiß nicht, ob so etwas auch in anderen Kommunen schon bekannt ist; hier jedenfalls heißt sie ziemlich schnörkellos „Stadtreinigung“. 

Dabei handelt es sich um lustig gekleidete Herren mit Spezialfahrzeugen, die überall herumwieseln und mit großer Akkuratesse einsammeln, was allem Anschein nach keiner mehr haben will. Zum Beispiel Federn aus Kissenschlachten. 

Das Schöne: Vor allem der Kiez stellt auf geradezu rührende Weise die Arbeitsplätze dieser Menschen sicher. Derart zuverlässig nämlich sorgt er, der Kiez, für die stete Zufuhr wegräumenswerten Nachschubs, dass die lustig gekleideten Herren gleich mehrfach täglich durch unsere Straßen wuseln dürfen. 

Eine Kissenschlacht ist letztlich also nur eine empathische Investition in die Zukunft der Hamburger Stadtreinigung, und entsprechend gutgelaunt präsentierte sich heute Morgen das abgebildete Team. 

Es wurde gejuchzt und gescherzt, zwei schippten, zwei schauten zu, und immer wieder umtanzten kleine aufgewirbelte Federflockenwölkchen das gesellige Quartett.

Friede, Freude, Federkissen: Könnt es doch immer so sein.

10 Januar 2014

Endlich gaga


Wahrlich: Es wäre ein erheblicher Fortschritt gegenüber dem Gebaren, welches zuletzt hier in unserer Straße an den Tag gelegt wurde, wenn die Unzufriedenen hinfort nur noch mit Klobürsten und Federkissen statt mit Wackersteinen würfen. Also Gaga statt Gewalt.

Das wäre genau jene Art relativer Deeskalation, welche den Hardlinern auf der anderen Seite nicht schmecken dürfte, uns Anwohnern aber umso mehr. Genau dort – auf der Ebene des Satirischen – sollte dieser eskalierte Konflikt ausgetragen werden. Von daher plädiere auch ich hiermit von Herzen für den erweiterten Klobürsten- und Federkisseneinsatz im Bereich zwischen Schanze und Reeperbahn, der vom Gefahrengebiet inzwischen wieder gesundgeschrumpft ist zur Region mit zwei übriggebliebenen Gefahreninseln. 

Der FC St. Pauli hat heute übrigens ebenfalls seine Meinung zu den Vorfällen auf dem Kiez, bei denen Vereinsparolen skandiert wurden, bekanntgegeben:

„Die Eskalation der letzten Wochen, gewalttätige Auseinandersetzungen, viele Verletzte, massive Sachbeschädigungen, die Ausrufung eines Gefahrengebiets – all das verhindert die vernünftige Diskussion von politischen Themen, die für den Stadtteil von großer Bedeutung sind.

Das Präsidium des FC St. Pauli spricht sich klar gegen Gewalt in jeglicher Form aus und appelliert an alle beteiligten Parteien, Deeskalation zu betreiben, Gewalt zu unterlassen und zu versuchen, wieder in den Dialog zu treten. Zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger unseres Stadtteils.“ 

Zurück zu den Klobürsten: Auf ganz St. Pauli soll dieses inzwischen so bedeutsame Utensil inzwischen ausverkauft sein. Somit steigt unweigerlich die Gefahr, dass man alsbald verstärkt auf Ersatz zurückgreift – nämlich gebrauchte. Und das wäre das Gegenteil von Deeskalation. 

Also bitte nicht. 

PS: Das Motiv oben kursiert zurzeit im Internet. Die Urheberschaft ist leider nicht festzustellen. Eine Quellenangabe reiche ich selbstverständlich gerne nach – oder entferne das Bild auch, wenn die Abbildung hier im Blog dem Schöpfer oder der Schöpferin nicht genehm sein sollte.

07 Januar 2014

Pareidolie (75): Aus den Feuern

Die brennenden Barrikaden neulich in der Seilerstraße waren doch zu etwas gut, und zwar zu einer belastbaren, wenngleich höchst flüchtigen Pareidolie. 

Selbst meinem geübten Blick entging sie indes zunächst, doch dann manifestierte sie sich plötzlich umso heftiger.

Oder erkennt irgendjemand in diesem Feuer etwa nicht das Profil eines bärtigen älteren Herrn mit hoher Stirn und tiefliegenden Augen, der viel sanftmütiger lächelt, als es der Anlass eigentlich nahelegt? 

Wusst ich’s doch.

PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.



05 Januar 2014

News aus dem Gefahrengebiet


Wenn ich sonntagsmorgens zum Brötchenholen auf dem Kiez unterwegs bin, dann muss mir niemand erzählen, dass ich mich in einem Gefahrengebiet befinde. Denn was da an Überresten der letzten Nacht vorüberschlurft, sieht aus, als wäre es beim „Walking Dead“-Statistencasting nur knapp gescheitert. Und deshalb sauer.

Doch auch offiziell, generell und auf unbestimmte Zeit ist St. Pauli seit dem Wochenende „Gefahrengebiet“, eine Reaktion auf die Überfälle auf Polizeistationen in der Schanze und auf dem Kiez (zumindest letzterer ist inzwischen umstritten). 

Dieser Status ermöglicht der Polizei, ohne konkreten Anlass nach Ausweisdokumenten zu fragen oder Platzverweise zu erteilen. Wohin sie Ms. Columbo und mich allerdings im Bedarfsfall verweisen wollte, bleibt vorerst ungeklärt. 

Allmählich jedenfalls avanciert ganz Hamburg zum Gefahrengebiet, zumindest für den Bürgermeister Olaf Scholz, wie Spiegel online treffend feststellt. Falls was passiert (gestern war ich z. B. versehentlich ohne Ausweis unterwegs, das war knapp!), halte ich Sie auf dem Laufenden.

Bis dahin bilden Sie bitte eine Luftbrücke.


23 Dezember 2013

Dann müssen alle dürfen



Bitte stellen Sie sich mal vor, jede politische Gruppierung, die es nicht geschafft hat, eine Mehrheit für ihre Position zu organisieren, würde sich so verhalten wie der schwarze Block am vergangenen Wochenende auf dem Kiez (s. hier).

Dann hätten wir plötzlich überall im Land steinewerfende, zündelnde, krakeelende Grüppchen – Autonome, Nazis, Veganer, Pädophile, Kurden, Windkraftgegner, Flughafenausbaukritisierer, Jungliberale.

Alle zögen sie marodierend durch die Städte, nur weil ihre Position in der Gesellschaft, in der sie leben, aus irgendwelchen Gründen keine Mehrheit gefunden hat.

Wer jedenfalls – wie der schwarze Block am vergangenen Wochenende auf dem Kiez – denkt, dieses Verhalten sei auch in einer parlamentarischen Demokratie eine legitime Methode, seine Position zu vertreten, der muss sie logischerweise auch anderen Minderheiten ohne Mehrheit zugestehen.

Zum Beispiel Nazis.

Oder fällt irgendwem ein nachvollziehbares Argument ein, mit dem der schwarze Block dem braunen Mob die Legitimation zum Abfackeln von Asylbewerberheimen absprechen könnte?

Entweder man akzeptiert ein durch die demokratische Mehrheitsgesellschaft legitimiertes Gewaltmonopol der Exekutive oder nicht. Wenn nicht, dann muss man auch so tolerant sein zu sagen: Ja, jeder darf schlagen und morden, der das für richtig hält.

Manche Leute glauben ja, die Randalierer vom Wochenende seien größtenteils Leute, die einem verqueren Spieltrieb folgen. Das ist eine wohlwollende Interpretation. Ich glaube allerdings, es ist schlimmer. Natürlich gibt es auch die Fraktion derjenigen, die Party machen wollen, und sei es mit Pflastersteinen. Aber dabei sind wahrscheinlich auch solche, die ernsthaft davon überzeugt sind, es sei ein legitimes Mittel der Politik, Postfilialen, Polizeiwachen, Autos oder Wohnhäuser zu zerstören.

Diese Leute müssen ernstlich glauben, dass all dies – sofern sie damit Erfolg hätten – zu einem Staat führen würde, in dem es sich mehr zu leben lohnt als in dem, den wir zurzeit haben.

Klar, es ist unschön, sich einem Mehrheitsentscheid beugen zu müssen, der einige Jahre lang Leute wie Pofalla oder Nahles an die Macht spült. Aber wollte man sie wirklich austauschen gegen jene, die nachts durch die Straßen streunen und kiloschwere Wackersteine auf Gebäude und Menschen werfen?

Was wäre dann zu erwarten, wenn sie das Sagen, wenn sie das Gewaltmonopol inne hätten? Wie würden sie das Land regieren? Was wäre das für ein Staat? Und wie würde er mit jenen Minderheiten umgehen, die es nicht geschafft haben, eine Mehrheit für ihre Position zu organisieren, und deshalb marodierend durch die Städte zögen?

Und eins noch, bevor hier wieder das große Wehklagen von den Wasserwerfern etc. losbricht: Wenn die Polizei Gesetze bricht, dann gehört sie angezeigt. Wenn ein Gericht diese Rechtsbrüche nicht ahndet, dann geht man in Berufung. Und da wir nicht im Iran, in Nordkorea oder Russland leben, gibt es die Chance, dass Verbrecher in Uniform verknackt werden. Ja, das ist schon passiert.

Diesem Schweinesystem traue ich im Bedarfsfall nämlich sogar Gerechtigkeit zu. Den Steinewerfern vom vergangenen Wochenende eher weniger.



PS: Eine recht fruchtbare Diskussion zum Thema gibt es auch bei Don Alphonso

PPS vom 31. Dezember 2013: Ein Spiegel-online-Artikel, der die Konfliktlinien sachlich beschreibt und einstuft: http://bit.ly/1kYsgxt

22 Dezember 2013

Gelungene Werbung in eigener Sache


Gestern Abend, als die ersten schwarzvermummten Stoßtrupps unter unserem Balkon durchmarodierten, mitten auf der Straße irgendwelche Haufen aufschichteten und sie anzündeten, da war noch nirgendwo Polizei zu sehen. 

Auch nicht, als die liebenswerten Freunde der Roten Flora wahllos Mülltonnen auf die Straße zogen und sie dort umwarfen. Nicht, als sie die Scheiben der Postfiliale zerdepperten. Und auch nicht, als sie unser Nachbarhaus, welches das bittere Schicksal der späten Geburt schultern muss (Gentrifzierung! Hohe Miete!), mit Gegenständen bewarfen.

Währenddessen: nirgends Polizei. 
Keinerlei Staatsmacht. 
Niemand, der die Marodeure provoziert hätte. 

Nur St. Paulianer, die sich selbst auf ihren Balkonen nicht mehr sicher fühlen konnten.


PS: Und hier noch ein paar Argumente, wieso man auch Nazis und anderen Minderheiten Gewaltausübung zugestehen müsste.

PPS vom 31. Dezember 2013: Ein Spiegel-online-Artikel, der die Konfliktlinien sachlich beschreibt und einstuft: http://bit.ly/1kYsgxt

28 November 2013

Wenn Israel dir tief in die Augen schaut



Bereits hunderte Kilometer vor der Ankunft im Hafen von Ashdod (Foto) kommen israelische Grenzer an Bord und nehmen jeden einzelnen Passagier unter die Lupe, selbst wenn er gar nicht vorhat, in Ashdod an Land zu gehen. 

Über 3000 Leute müssen also nach und nach zur Gesichtskontrolle. Ms. Columbo und ich haben Massel und werden unbeanstandet durchgewinkt. Puh. 

Die Paranoia der Israelis ist nachvollziehbar. Als einzigem Land der Welt wird ihnen unverhohlen mit Auslöschung gedroht (Iran), sie werden von Nachbarn mit Raketen beschossen (Hamas et. al.) und seit Jahrhunderten von Antisemiten aus aller Welt für sämtliche globalen Probleme verantwortlich gemacht. Da kann man (= weiblich, blond, Mitte 20) schon mal Matt Wagners Reisepass aufklappen und ihm tief in die Augen schauen.

Immerhin lässt Israel uns ohne Visum ins Land – aber nur, weil wir nach 1928 geboren sind. Wer bei Kriegsende mindestens 17 war, muss mit einem intensiveren Vergangenheitscheck rechnen, ehe er willkommen geheißen wird. Ein Verfahren, das allerdings über kurz oder lang auch den letzten Rest Relevanz verlieren wird. Die Methode Demjanjuk.

Übrigens drückt Israel uns dankenswerterweise keinen Einreisestempel in den Reisepass, sondern händigt uns eine lose Besuchsgenehmigung aus. Nur so können wir künftig, wenn wir möchten, auch gewisse andere Länder der Region besuchen, die uns mit einem jüdischen Stempel im Pass den Einlass strikt verwehren würden. 

Diese israelische Kulanz finde ich rührend, denn eigentlich müsste es ihnen ja egal sein, ob wir irgendwann mal Ärger mit Meschuggen bekommen oder nicht. So aber könnten wir uns auch künftig nach Herzenslust in Teheran oder Damaskus vom Staatsfernsehen mit antisemitischer Propaganda berieseln lassen.

Ja, so eine Demokratie hat schon was für sich. Trotz zweifellos rumpeldummer Siedlungspolitik.

25 November 2013

„I don’t need sex“

Griechenland, ouha … Werden wir Blitzableiter spielen müssen für die hiesige Wut auf Merkel? 

Ein Taxifahrer soll heute Mitreisenden befohlen haben, nur englisch zu sprechen, weil er ihnen – obzwar des Deutschen mächtig – ansonsten nicht antworten würde. Wir hingegen kamen sowohl in Olympia als auch in Athen (Foto: Akropolis) ungeschoren davon. 

Man bediente uns sogar in Bars, der frischgepresste Orangensaft war nicht vergiftet, und in den griechischen Kaffee hatte kein Koch reingepinkelt. Zumindet schmeckte man es nicht raus. 

Die gereizte Stimmung im Land spiegelt sich eher in den T-Shirt-Aufdrucken in der Altstadt Plaka wider. „I don’t need sex“, stand auf einem, „the governement fucks me everyday.“ Und damit war mal NICHT Merkel gemeint. 

Ein anderes T-Shirt schlug sogar versöhnliche Töne an – und eine Kommunikationsmethode vor, die auch wir als Deutsche sofort unterschreiben können: „OUZO. Connecting people.“

Ab morgen heißt der Ouzo dann Raki: Auf nach Izmir!

08 September 2013

Noch eine Bankenkrise


Allmählich wird es richtig unschön. Erst kam heraus, dass unser aller Mails verdachtsunabhängig abgefischt werden können, und jetzt ist auch das Onlinebanking nicht mehr sicher – genauer gesagt: noch nie sicher gewesen. Weil die Softwarehersteller den Geheimdiensten von vorneherein ein Türchen offengelassen haben.

Insgesamt unterhalte ich Geschäftsverbindungen mit vier Banken. Allen vieren habe ich heute ein paar einfache Fragen gemailt, die natürlich verdachtsunabhängig abgefischt worden sein könnten:
Die aktuellen Berichte in der Presse über bewusst eingebaute und somit von Geheimdiensten ohne richterlichen Beschluss nutzbare Sicherheitslücken in der Programmstruktur des Onlinebankings haben mich sehr verunsichert. Bitte beantworten Sie mir daher folgende Fragen: 
1. Ist Ihnen dieses Problem bekannt und wenn ja, seit wann? 
2. Wie schützen Sie ihre Kunden vor dem externen und verdachtsunabhängigen Abschöpfen von Kontodaten durch wen auch immer? 
3. Was unternehmen Sie, um künftig die Sicherheit und Anonymität des Onlinebankings wieder zu garantieren?

Nicht dass ich mir irgendetwas Erhellendes von den Antworten erhoffe. Aber die willigen Vollstrecker sollen sich mit diesen Fragen beschäftigen müssen.

Und jetzt überklebe ich die Kamera meines MacBooks. Skypen wird ja eh überschätzt – und möglicherweise verdachtsunabhängig mitgeschnitten.

Zum Abendessen hatte ich übrigens Mozzarella, falls es jemanden irgendwo auf der Welt interessiert.

02 September 2013

Wie optimistisch, wie naiv


Hübsch symbolisch, dieser Wegweiser auf einer Wand an der Großen Bergstraße. Diese Wand trifft sich mit einer anderen Wand in einer spitz zulaufenden Sackgasse. Ende Gelände.

Allerdings weiß ich beim besten Willen nicht, woher die Urheber des „Way of capitalism“-Wegweisers ihren Optimismus nehmen. Denn für ein baldiges Ende des Kapitalismus gibt es weder einen Grund noch Indizien noch historische Beispiele.

Revolutionen jedenfalls (korrigieren Sie mich, wenn ich ein Gegenbeispiel vergessen haben sollte) fanden bisher nur gegen Autokratien statt – gegen Monarchien (z. B. Frankreich 1789, Russland 1917, Iran 1978) oder Diktaturen (DDR 1989), aber noch nie gegen eine demokratisch legitimierte Regierung in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem.

Das hat seine guten Gründe. Der Kapitalismus ist deswegen die bisher erfolgreichste Wirtschaftsform in der Geschichte, weil er so flexibel ist, so geschmeidig. Er versteht es bestens, interne Verwerfungen und Unwuchten gerade so weit abzuschmirgeln, dass er als Gesamtsystem nicht in Gefahr gerät.

Nur ein Beispiel: Als die Arbeiterbewegung aufkam, die potenziell systemgefährdend gewesen wäre, verstand „der Kapitalismus“ es hervorragend, sie in Form von Gewerkschaften zu legitimieren, einzubinden und somit zu besänftigen, gerade in westlichen Staaten wie Deutschland. Die Teilhabe auch unterer Schichten am Wohlstand, ihre Chance auf Auto, Häuschen und Italienurlaub sorgte zudem stets für Ruhe im Karton.

Ja, der Kapitalismus ist perfide genug, sogar die Armutsgrenze peu à peu den gestiegenen Durchschnittseinkommen anzupassen, so dass immer nur eine nicht systemgefährdende Minderheit revolutionären Gedanken nachhängt. Diese Anpassungsfähigkeit des Kapitalismus, welche  spiegelbildlich seiner Fähigkeit entspricht, die Produktivität immer weiter zu steigern, ist sein unschlagbares Erfolgsrezept.

Das war es schon immer, das wird es auch bleiben. Und ob Bankenkrise, Umweltprobleme, Massentierhaltung, Geheimdienstüberwachung oder Altersarmut: Ehe irgendetwas davon so viel Druck auf den Kessel gibt, dass er zu explodieren droht, werden die Triebkräfte des Kapitalismus schon Mittel und Wege finden, genügend Luft rauszulassen. Und zwar gerade so viel, dass die Geschäfte weiter gut laufen.

Eine Revolution innerhalb eines demokratisch legitimierten Kapitalismus ist deshalb praktisch undenkbar. Seine Einhegungskompetenzen sind zu groß, seine Dehnungsfugen zu flexibel.

All das schoss mir heute durch den Kopf, als ich eingangs der spitz zulaufenden Sackgasse den Wegweiser „Way of capitalism“ erblickte. Wie grundlos optimistisch, dachte ich, wie erschütternd naiv.

Das aufgemalte Schild zeigte übrigens auch gen St. Pauli, und dorthin schritt ich denn auch munter aus im prickelnden Hamburger Herbstnieselregen.

31 Juli 2013

Ideologischer Hirnschaden

Ein hübscher Shitstorm tobt zurzeit auf der Seite der St.-Pauli-Ultras.

Die wollen einen Fan, der beruflich bei der Polizei Vergewaltiger jagt, nicht mehr in ihren Reihen auf der Südtribüne dulden. Nicht, weil der Mann sich als Fan irgendetwas FCSP-Schädliches hätte zu schulden kommen lassen. Nein, einfach weil er von der Bundesrepublik Deutschland – dem barbarischen Schweinesystem
also – dafür bezahlt wird, Vergewaltiger zu jagen.

Die Ultras offenbaren damit einen ideologischen Schwersthirnschaden, der bereits spätestens ab Mitte der 80er von vorvorgestern war, aber anscheinend jederzeit neu erworben werden kann, wenn man nur jung und dumm genug ist.

Peinlicherweise schweigt die Vereinsführung des FC St. Pauli dazu höchst vernehmlich, obwohl der Fall inzwischen längst überregional Schlagzeilen macht, den Ruf des Vereins beschädigt und somit eine Stellungnahme dringend erforderlich wäre.

Dazu sieht sich die Vereinsführung aber anscheinend nicht in der Lage, weshalb ich nun nachträglich noch zufriedener damit bin, meine Mitgliedschaft vor einiger Zeit wieder beendet zu haben.

Ich wüsste übrigens gern, was der Berufskollege des ausgegrenzten Fans, der Kommissar und FCSP-Mannschaftskapitän Fabian Boll, über die ganze Sache denkt.

Gerne als Kommentar, danke.