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17 Oktober 2015

Bedingungslos lydonsfähig



Gestern Abend traf ich erstmals den Mann, der mir mit 17 das Leben gerettet hat. Na gut, er hat es mir damals zumindest enorm erleichtert. Und ich traf ihn auch nicht persönlich, sondern befand mich nur mit ihm in einem Raum, gemeinsam mit ein paar Hundert anderen. Aber immerhin.

Verdammt, ich war am selben Ort auf diesem Planeten mit JOHNNY ROTTEN!

Seit dem Ende der Sex Pistols heißt er wieder bürgerlich John Lydon, aber was macht das schon? Für mich wird Johnny immer Rotten bleiben – also der Mann, der mir einst das Leben rettete. Na gut, fast.

Damals war ich ein Teenager vom Dorf, der nach der Mittleren Reife unter Fremdeinfluss (Eltern!) den Fehler seines Lebens begangen und eine Lehre bei der Sparkasse angefangen hatte. Morgens um 8 musste ich antanzen, in Anzug und Krawatte, das war schon schlimm genug für einen 17-Jährigen, dessen Freunde sich gerade die Haare wachsen ließen. Und dann noch die Verarsche durch ein sadistisches Kollegenensemble – wie man’s halt so macht mit Azubis vom Dorf.

Nachmittags kam ich fertig nach Hause und schob den Rest des Abends Horror vorm nächsten Tag. Bis diese Platte erschien: „Never mind the Bollocks, Here’s the Sex Pistols“. Ich hatte in der damals coolsten Musikpostille Sounds die Kritik gelesen und rannte bei nächster Gelegenheit in den Plattenladen. Shit, die LP war jeden Pfennig des Azubigehaltes wert!

Der Sänger, ein (wie ich aus der Sounds wusste) dürrer Typ mit irre aufgerissenen Augen und einem Grinsen von triefender Verachtung, kreischte hysterisch, dazu verprügelte irgendjemand Saiteninstrumente und Drums, alles explodierte …

Diese hyperventilierenden Schreihälse aus England taten also genau das Gegenteil von dem, was ich tagtäglich tat. Was ich tagtäglich tun musste. Ihre Hemmungslosigkeit lag exakt am unerreichbaren anderen Ende der Skala meiner sparkassenbedingt immens eingeschränkten Handlungsoptionen. „Never mind the Bollocks“ war eine radikale Utopie. Aber eine greifbare: Sie kreiste mit 33,33 Umdrehungen auf dem Plattenteller und veränderte die Welt.

Ich liebte diese Platte. Abends hieß es: Schlips in die Ecke und „Holidays in the Sun“ auf Lautstärkelevel 10. „No feelings“ bis zum Kollaps. Stress relief vom Allerlautesten. Die Wände meines Jungszimmers wackelten unter der Urgewalt der Sex Pistols, das ganze Haus vibrierte.

„God save the Queen“, geiferte Johnny höhnisch, „she ain’t no human being“, und diese Einschätzung schien mir auch eine außergewöhnlich treffsichere Beschreibung meines Filialleiters zu sein.

Bis plötzlich alles erstarb.
Meine Mutter hatte oben die Sicherung rausgedreht.
Fuck!

Später halfen mir auch Nick Drake und Joy Division durch die alles überwölbende Tristesse der Sparkassenjahre, doch die kathartische Kraft von „Never mind the Bollocks“ blieb unerreicht. Johnny Rotten, diese an beiden Enden brennende menschliche Fackel der entfesselten Aggression, war die monumentgewordene Antithese. Das habe ich ihm nie vergessen. 

Und gestern, Jahrzehnte später, war ich erstmals in meinem Leben mit ihm in einem Raum. Er spielte mit seiner Band PiL im Berliner Columbia Theater. John Lydon trug ein schwarzes Kurzarmhemd und wirkte darin ziemlich stämmig. Statt hysterisch zu kreischen, verfeinert er inzwischen eine selbst entwickelte Technik des Jaulens und Heulens.

Manchmal hob John wie segnend die Arme (die Karikatur eines Papstes des Punk!), und manchmal musste er die Brille (!) abnehmen, um die auf einem Stehpult parat liegenden Songtexte lesen zu können. Auch an ihm, dem Helden meines Jungszimmers, sind die Jahre eben nicht spurlos vorübergegangen. Noch etwas, was uns beide verbindet – und was mich, wenn Sie mir diesen Kalauer verzeihen, weiterhin bedingungslos lydonsfähig macht.

Neben mir stand eine junge Asiatin mit streichholzdünnen Beinen, vielleicht 18 oder 19, und als John „This is not a love song“ jaulte und heulte, sang sie jede Silbe mit. Das trieb mir endgültig die Tränen in die Augen. Na ja, fast.

Wenn Sie das lesen und gerade die Mittlere Reife in der Tasche haben: Bitte hängen Sie das Abi hinten dran. Studieren Sie. Aber machen Sie unter keinen Umständen eine Sparkassenlehre! 

Denn keiner kann Ihnen garantieren, dass wieder zufällig ein Johnny Rotten zur Hand ist, um Sie mit einer einzigen Platte aus den Händen jener zu befreien, die keine menschlichen Wesen sind.




20 Februar 2015

Fundstücke (200)

Johnny Cashs erster Gedanke, als er einst in einem Hamburger Hotel erwachte, galt natürlich: June.

Das Dokument hängt im Hard Rock Café gerahmt an der Wand – und ich stand gestern gerührt davor.

04 Juli 2014

Eine Mail aus der Hölle

AN: Kundenzentrum-StPauli@hamburg-mitte.hamburg.de

Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr,

ich maile Ihnen aus der Hölle: St. Pauli.

Seit Wochen jagt eine Großveranstaltung die nächste. Sie machen unsere Wochenenden unerträglich, eins nach dem anderen. Erst Motorradgottesdienst, dann Schlagermove, nun drei Tage lang Harley Days. 


Wie ist es möglich, dass z. B. schwere Motorräder offenbar keinerlei Lärmemissionsgrenzen einhalten müssen? Seit heute morgen donnern sie durch unsere Wohnstraße, und das wird bis Sonntag so weiter gehen.

Wie soll man es im Sommer in St. Pauli überhaupt noch aushalten? Wie kann es sein, dass die Stadt Hamburg durch Genehmigungen allsommerlich praktisch die Unbewohnbarkeit eines ganzen Stadtviertels fördert, das als Amüsierviertel eh schon ganzjährig außergewöhnlichen Belastungen ausgesetzt ist?

Für eine Antwort danke ich Ihnen schon vorab. Und fordere hiermit ausdrücklich eine Änderung dieser Politik, im Sinne der Gesundheit aller St. Paulianer.

Mit freundlichen Grüßen
Matt

19 Juni 2014

„Was soll ich jetzt machen?“


Während des Englandspiels lautes Wehklagen draußen. Vom Balkon aus sehe ich einen großen muskulösen Mann afrikanischer Herkunft, der mitten auf der Straße steht und weint. 

„Oh nein“, schluchzt er, „mein Hund ist tot! Was soll ich jetzt machen?“ 

Vor ihm liegt sein lebloser Hund, anscheinend überfahren. Es ist erschütternd, diesen Brocken von Mann weinen zu hören. Immer wieder klagt er sein „Oh nein!“ in die Dämmerung, in gebrochenem hohen Ton, den wahrscheinlich noch nie jemand von ihm gehört hat und den er nicht mal selber an sich kennt. Ein anderer Mann steht daneben und telefoniert, wenige Meter weiter warnblinkt sein Unfallwagen.

Zwei Jungs laufen vorbei, auf dem Weg in die Kieznacht. Und als sie unter unserem Balkon vorbeigehen, fangen sie an sich lustig zu machen über den weinenden Mann, der gerade seinen Hund verloren hat.

„,Mein Hund! Mein Hund!’“, äfft der eine mit Kieksstimme den Trauernden nach, „,was soll ich jetzt machen, huhuhu’?“ Sein Kumpel stimmt glucksend ein; sie haben richtig Spaß. Guter Auftakt für eine lange Nacht.

Die Polizei kommt und füllt Formulare aus. Der tote Hund liegt jetzt auf dem Gehweg, er ist ein Versicherungsfall. 

Und der große schwarze weinende Mann weiß noch immer nicht, was er jetzt machen soll.

19 November 2013

Ja, ich war einmal ein One-Hit-Wonder!

Jetzt, wo sie wieder mal um die Weltmeisterschaft im Schach ringen, fällt mir ein, dass ich diesem Spiel auch einmal verfallen war. Vor allem während des Studiums lieferte es mir willkommene Ausreden, um nicht lernen zu müssen. Stattdessen komponierte ich Schachprobleme, also künstliche Stellungen, in denen der einzige existierende Weg zum Matt in einer vorgegebenen Maximalzahl von Zügen gefunden werden muss.

Mein damaliger WG-Mitbewohner musste es oftmals ertragen, mich fiebrig an seiner Tür kratzen zu hören, in der Hand den neusten Zweizüger, den er bitte zu lösen bzw. auf Fehler abzuklopfen habe. Wie in den meisten Disziplinen, in denen ich mich zeitlebens betätigte, erreichte ich beim Komponieren von Schachaufgaben ein höchstens mittelmäßiges Niveau, wohingegen die Begeisterung, mit der ich mich diesem Sujet widmete, bisweilen ins Weltmeisterliche lappte. 

Jedenfalls musste ich irgendwann erkennen, dass meine Zwei- und Dreizüger allesamt in der Regionalliga anzusiedeln waren – bis auf einen. Ich weiß nicht, woher mir dieser kleine Geniestreich zugeflogen war; vielleicht war die Hausarbeit, die es an jenem Tag wegzuprokastinieren galt, besonders lästig, und das führte Motivation und Geistesblitz womöglich auf ausnehmend effiziente Weise zusammen. Was weiß ich. 

Am Ende der Komposition ging mir schlagartig auf, dass dieser Dreizüger alle meine vorherigen Versuche bei weitem übertraf. Sein Aufbau, die Ästhetik seines Ablaufs, die Wege der Figuren auf dem Brett: All das hatte eine Schönheit, die man einfach in der Regionalliga nicht findet. 

Damals gab es in der Zeitschrift Stern noch eine entsprechende Rubrik. Wöchentlich wurde ein Schachproblem veröffentlicht, und befeuert von meiner Heureka-Euphorie hatte ich die Chuzpe, meinen Dreizüger – von dem ich ahnte, dass er den Gipfel und Endpunkt meines Schaffens darstellte, also jenen einen Ausrutscher nach oben, der nicht mehr zu egalisieren, geschweige denn zu übertreffen war – an den Stern zu schicken. 

Leiter der Rubrik Schachprobleme war zu jener Zeit der große Schachkomponist Hans Klüver, und man kann sich mein Entzücken vorstellen, als ich eine postalische Antwort von ihm erhielt. Allerdings handelt es sich dabei erst mal nicht um eine Abdruckbestätigung, sondern um eine Rückfrage.

Klüver hatte eine kleine Unsauberkeit in der Komposition entdeckt, wodurch ein zweiter Weg zum Matt in drei Zügen möglich wurde, und das darf natürlich keinesfalls sein. Es war allerdings nicht sonderlich schwer, dieses Schlupfloch zu schließen. Ich schickte Klüver die modifizierte Version – und was soll ich sagen: Er druckte sie!

Am 21. Juli 1988 erschien mein Dreizüger im Stern, der damals, fünf Jahre nach den „Hitler-Tagebüchern“, zwar auch keine Fantastilliarde Hefte pro Woche mehr verkaufte, aber schon noch ein Dickschiff der deutschen Medienlandschaft war. Ich fühlte mich wie die Nummer eins der Singlecharts. 

Gleichwohl blieb ich ein One-Hit-Wonder, ohne damit zu hadern. Dieser Dreizüger war gewissermaßen mein „Vom Winde verweht“. Margaret Mitchell hat ja auch nichts weiter mehr zustande gebracht – oder zumindest nichts mehr, von dem sie glaubte, es könne mithalten mit jenem einen Roman, der ihr auf so wundersame Weise geglückt war. 

Auch ich erkannte, dass mir ein solcher Streich nie mehr gelingen würde. Deshalb vermochte ich zufrieden und gelassen auf dem Höhepunkt meines Ruhms zurückzutreten. Ich tat also genau das, was Otto Rehhagel 16 Jahre später nach dem Gewinn der Europameisterschaft mit Griechenland versäumen sollte. Hätte der Otto anno 88 besser mal Stern gelesen! 

Na ja, wie auch immer: Hier ist er jedenfalls, der Dreizüger von damals. 

Lösungsvorschläge bitte in den Kommentaren. Wie gesagt: Es gibt nur einen einzigen Weg, wie Weiß den Gegner in drei Zügen matt setzen kann. Wer einen zweiten finden sollte, wird mich in Melancholie und Irrsinn stürzen und zum No-Hit-Wonder degradieren, das nur zur Info. Und als Anreiz.

PS: Ich hoffe inständig, dass ich das alles hier nicht schon mal verbloggt habe. Wenn ja, dann vergessen Sie bitte diesen Eintrag rückstandslos. Burn after reading! (Und bitte den desavouierenden Link mailen, danke.)

28 Oktober 2013

Christian war da

Windstärke zwölf bei wolkenlosem Himmel: So was haben wir in Hamburg auch noch nicht erlebt. 

Dass die Tanzenden Türme dieses Wirbelmonster namens Christian unbeschadet überstanden haben, spricht für die Fachkompetenz der beteiligten Statiker. Der Schöpfer des abgebildeten Reeperbahnbaums indes hat in dieser Hinsicht schwer geschlampt. 

Obgleich man, wie jedes Kind weiß, auf dem Kiez stets geschmeidig, flexibel und fluchtbereit sein muss, beharrte dieser trotzige Vertreter der heimischen Flora auf Standorttreue – und liegt nun dumm rum. 

Was der Sturm auf der Reeperbahn an Chaos anzurichten wusste, glich er allerdings nur wenige hundert Meter weiter schamhaft wieder aus. Am Nobistor nämlich wirbelte Christian die vorher völlig unsortiert herumliegenden Blätter derart sorgsam zu einem kompakten Haufen zusammen, dass es fast nach Wiedergutmachung aussah. 

Der juvenile Impuls, in einem solchen Blätterhaufen wie blöd rumzuspringen, ist übrigens unbezwingbar. Ähem.


21 Oktober 2013

Was lange währt, wird endlich Bob

Wie sehr, sehr langjährige Leser dieses Blogs wissen, versuche ich seit den frühen 80er-Jahren vergeblich, Bob Dylan zu fotografieren. Dieses Unterfangen scheiterte stets auf klägliche Weise; eine selbstentlarvende Chronik der Ereignisse gibt es peinlicherweise noch immer hier

Seit gestern aber ist mir diese selbstauferlegte Last von den Schultern genommen, denn ich habe VERDAMMT NOCH MAL ENDLICH BOB DYLAN FOTOGRAFIERT! Und zwar so, dass man ihn – und das ist das Sensationelle an dieser Meldung – auch erkennen kann. 

Der Künstler selbst begünstigte dieses epochale Ergebnis freundlicherweise durch den Verzicht auf die sonst bei ihm üblichen Accessoires Hut und Sonnenbrille. Und statt mich hatten die Sicherheitskräfte am Eingang nur Ms. Columbo nach einem Fotoapparat gefragt – Glück happens.

Übrigens kam Dylan während des Konzertes, wenn man von den zwei Zugaben absieht, ohne jeden Song aus den 60ern aus. Ein also in mehrerlei Hinsicht unvergesslicher Abend. Als Fotograf müsste ich mich eigentlich jetzt – auf dem Höhepunkt meiner „Karriere“ – zur Ruhe setzen. Und vielleicht tu ich das auch. 

Denn ich habe VERDAMMT NOCH MAL ENDLICH BOB DYLAN FOTOGRAFIERT.


18 Juni 2013

Die männliche Klofrau

Was mich geritten hatte, den Wettvorschlag des Franken zu akzeptieren? Keine Ahnung.

Jedenfalls behauptete ich nachmittags aus irgendeinem Grund und heiterem Himmel, Oliver Welke würde nachher bei seinem Auftritt im Schmidt-Theater bestimmt einen Maß- oder zumindest einen -anzug tragen, schließlich täte er das auch in der „heute-show“.

Pah, machte der Franke, unterstellte dem dicklichen Gütersloher stattdessen Jeans und erklärte, wir sollten dieser gewichtigen Frage die Ehre einer Wette antun. Einsatz: ein Bier.

 

Nach einigem Hin und Her um die Modalitäten (was z. B. wäre, wenn Welke einen Anzug lediglich dabeihätte, z. B. in einem Koffer, ihn aber nicht anzöge etc. pp.) wetteten wir und begaben uns ins Schmidts. Wo der dickliche Gütersloher in Jeans und Polohemd auf die Bühne schlurfte.

Feixend und glücklich nuckelte der Franke alsbald an einem Duckstein for free, was ihm natürlich gleich doppelt so gut schmeckte. Vorher hatte der Leiter des Schmidt-Theaters eine kleine Eröffnungsansprache gehalten, die er mit den Worten „Viel Spaß, auch im Namen der Klofrau“ beschloss.

„Das ist heute ein Mann!“, rief ein Zuschauer, der anscheinend auf soeben gewonnene Erkenntnisse aus dem Sanitärbereich zurückgreifen konnte.

„Habe ich zuerst auch gedacht“, schoss der Theaterleiter nach nicht mal einer Millisekunde zurück, „aber schauen Sie noch mal genauer hin …“

Ein eindrucksvoller, zudem auf elegante Weise kiezkompatibler Konter, um den ich diesen Mann glühend beneide. Denn Schlagfertigkeit steht – neben Weltfrieden, ewigem Sommer und einer baldigen Deutschlandtour von Tony Joe White – sehr weit oben auf meiner persönlichen Wunschliste.

Oliver Welke und sein Kompagnon Dietmar Wischmeyer lasen übrigens aus ihrem Buch „Franz Bsirske macht Urlaub auf Krk“ und waren sehr komisch, trotz Jeans.

21 März 2013

An die Heimatfront (3)

Das Ausmaß an Zorn, Neid und Missgunst, welches mir entgegenschlägt, seit ich das arktische Hamburg gen Italien verließ und nun vom ausbrechenden Frühling ebendort berichte, ist sehr wohltuend.

Allerdings hilft es mir kaum weiter bei der Frage, wie ich mit dem Sonnenbrand umgehen soll, den ich mir heute in La Spezia (wolkenlos, 20 Grad) zugezogen habe. Oder ob ich die Hose noch mal anziehen soll, die untenrum nass wurde, als ich am Strand von Monterosso (wolkenlos, 17 Grad) erstmals im Leben in die Riviera stieg.

Dort, in Monterosso, liegen übrigens herrlich flache, an den Ecken kongenial gerundete Steine im Sand, die bei entsprechender Wurftechnik ausgelassen übers silbrig glitzernde Meer hüpfen.

Aber all das interessiert Sie bestimmt kein bisschen. Deshalb mach ich an dieser Stelle auch Schluss.

Zumindest für heute.

11 Dezember 2012

Von 0 auf 180 – und zurück

Auf einer Handelsplattform im Netz, wo man auch Produkte aus zweiter Hand verkaufen kann, hatte ich eine CD aus meinem überbordenden Archiv eingestellt und erfolgreich verkauft, für 12,88 brutto. Zwei Tage nach dem Versand erhielt ich vom Käufer eine Mail. Sie klang unzufrieden:

Hallo, leider musste ich eben feststellen das sie mir die Falsche Ware zugeschickt haben!! Ich habe die CD inkl. DVD bestellt. Sie lieferten mir die Standard-Version des Albums! Wie sollen wir jetzt verfahren???? Frechheit zumal Ihr Ware bei CD gelistet ist/war!
Anscheinend hatte ich beim Einstellen das falsche Produkt angeklickt und es nicht bemerkt. Er schon, und wie. Noch ehe ich mich von meiner schamvollen Verdatterung erholen konnte, pingte seine nächste Mail ins Fach. Diesmal sparte er sich auch die Anrede und wählte das Stilmittel der unmittelbaren Ansprache:

Zumal ich dies als betrug bewerten kann, denn allein die Coverdarstellung ist die der Deluxe-Version mit DVD!!! Sie haben mir die Standard zugeschickt!!!! Und dann auch noch im Lieferschein stehend: CD. Obwohl die Listung bei CD+DVD stand. Klicken sie einmal auf den Artikel und schauen sie wo er gelistet ist!!
Wie mir schien, war dieser Mann rechtschaffen empört. Und sämtliche seiner Rückschlüsse waren alles andere als schmeichelhaft für mich. Allein das Wort „betrug“ in Zusammenhang mit mir lesen zu müssen, traf mich tief, trotz der Kleinschreibung. Dennoch kam ich nicht umhin, seine Suada nah an der Überreaktion anzusiedeln.

Für ihn gab es, wie mir schien, keine andere denkbare Erklärung für die ihm zugemutete Ungeheuerlichkeit als die kriminelle Energie eines Dr. Mabuse. Und der zu begegnen, bedurfte es aus seiner Sicht offenbar keineswegs des Floretts, sondern eines kapitalen Flakgeschützes.

Man liest in letzter Zeit viel von marodierenden Trollen im Netz, von Tobern und Pöblern, und es heißt, es läge an der Anonymität, die selbst wohlerzogene Mitbürger dort alle Anstandsregeln vergessen ließe. Wo im richtigen Leben (neudeutsch: RL) gemeinhin vier bis fünf Eskalationsstufen durchlaufen werden müssen, ehe man endlich beim „ARSCHLOCH!“ anlangt, sind es online höchstens die Hälfte. Mein Kunde schien diesen Erklärungsansatz zumindest nicht vollends zu widerlegen.

Ich beschloss, dieser Attacke auf meine Integrität, ja auf mein ganzes säkulares Moralsystem angemessen zu begegnen. Nämlich mit brutalstmöglicher Höflichkeit: 

Entschuldigen Sie vielmals, das war ein Fehler und keine Absicht. Ich erstatte Ihnen selbstverständlich Ihre Kosten. Behalten Sie bitte die CD. Ich hoffe, Sie können mir diesen Fauxpas nachsehen. Mit freundlichen Grüßen.
Die Wirkung war erstaunlich. Seine Reaktion kam nur wenige Minuten später – und grenzte geradezu an Selbsterkenntnis:

Hallo, Danke für den schnellen Schriftverkehr. Mir tut es selber Leid hier einen aufriss zu machen. Bitte entschuldigen sie meine Wortwahl. Da ich ihnen dankbar bin für Ihr verständniss etc. biete ich ihnen an mir 10€ zurück zu überweisen den rest dürfen sie getrots behalten. Ich danke Ihnen nochmals, mit frdl Grüßen und einer schönen vorweihnachtszeit. LG
Doch so leicht wollte ich ihn nicht vom Haken lassen. Wer mich beim Tippen der folgenden Zeilen beobachtet hätte, hätte mich sardonisch lächeln sehen:

Ich habe Ihnen den Komplettbetrag zurücküberwiesen. Da ich die CD falsch zugeordnet habe, muss ich auch die Kosten tragen. Aber danke für Ihr Angebot! Wenn Sie mögen, können Sie mir ja trotz der Umstände eine positive Bewertung geben. Besten Gruß.
Er hatte als tollwütiger Hammerhai angefangen. Aber jetzt war er nur noch ein Putzerfischchen, und man kann nun wirklich nicht sagen, dass diese Entwicklung die (Online-)Welt schlechter macht, oder? Er schrieb steviasüß zurück:

Bewertung wurde ebend gemacht. Positiv natürlich  ;-) Alles alles liebe und gute!!!
Einen Heiratsantrag hat er übrigens nicht nachgeschoben. 
Na ja, noch nicht.



08 Dezember 2012

Time to say goodbye (2)

Im Gegensatz zu Büchern, die man relativ problemlos verschenken kann, wird man nur unter größten Schwierigkeiten Abnehmer für zuschanden gespielte Fußballschuhe aus dem letzten Jahrtausend finden.

In meinem Fall erklärte sich nur noch die Mülltonne dazu bereit. Wobei ich zugeben muss, auch keinen anderen gefragt zu haben. Jetzt sind sie jedenfalls weg – trotz aller Erinnerungen, die an diesem Paar Treter hängen.

So gelang mir damit zum Beispiel dereinst einmal die direkte Verwandlung eines Eckballs, allerdings mit freundlicher Hilfe einer Bö und eines talentlosen Torwarts. Doch dieses Jahr steht nun mal unter dem Motto: Schaffe wöchentlich mehr aus der Wohnung hinaus, als du im gleichen Zeitraum nach Hause gebracht hast. 


Als ganz besonders effektiv erwies sich dabei der Abbau der Compact-Cassetten-Bestände. In den abgebildeten Tüten tummelten sich einige Hundert Bänder, darunter u. a. selbst mitgeschnittene Konzerte aus den 80er Jahren, Unikate zwar, doch klanglich von bestürzender Lausigkeit.

Die meisten Cassetten waren allerdings selbst zusammengestellte Mixtapes. Angesichts der Abertausenden Arbeitsstunden, die das Kompilieren insgesamt gekostet hat, vergoss ich beim Entsorgen erstaunlich wenig Herzblut.

Vielleicht liegt es daran, dass die Musik, die sich darauf befand, ja letztlich gar nicht weg ist. Sie befindet sich mittlerweile komplettement irgendwo da draußen: im Netz, in der Cloud. In Mausklickreichweite.

Hinsichtlich des Jahresmottos sorgte der gestrige Tag übrigens für einen gewaltigen Rückschlag. Ich sage nur ein Wort: Redaktionsflohmarkt.

Wie die Spezialedition von „Fluch der Karibik“ allerdings gleich dreimal in meine Tüte kam, will ich gar nicht wissen.

24 November 2012

Der Biss in die Bank

Neulich joggte Kramer abends mit Musik auf den Ohren durch Eppendorf. Dabei übersah er eine perfide verdunkelte Parkbank (Symbolfoto). Er traf sie auf der schmalen Seite.

Über Kramers Schienbein setzte eine naturgesetzlich bedingte Hebelwirkung ein, die seine Einsneundzig in einer parabelartigen Flugbewegung längs auf die Parkbank knallen ließ. Dabei schlug Kramer seinen Oberkiefer kraftvoll ins unschuldige Holz dieser Eppendorfer Sitzgelegenheit.

Wie er uns am Folgetag mit aufgeschlagener Oberlippe und lockerem Vorderzahn berichtete, sei allerdings unmittelbar nach dem Aufprall keineswegs die aufgeschlagene Oberlippe oder der lockere Vorderzahn das größte Ärgernis gewesen, sondern die Tatsache, dass sein iPod weiter ungerührt Musik spielte.

Und zwar einen Song der Schweizer Band Die Aeronauten.

Quälend zähe Sekunden lang befingerte Kramer demnach den vielfach verfluchten Player, ehe er den Soundtrack zu seinem Unglück endlich stoppen konnte.

Besorgte Passanten, die den zitternd und zeternd auf einem kleinen weißen Kasten herumdrückenden Trumm von Mann nach seinem Wohlbefinden fragten, beschied er in verwaschenem Duktus und unangemessen schroff, alles sei „in Ordnung“. Doch das stimmte nicht. Nichts war in Ordnung.

Und dass ausgerechnet eine Band namens Die Aeronauten Kramers Sturzflug auf die Eppendorfer Parkbank untermalte: Das hat schon ein G’schmäckle, liebes Schicksal.

09 November 2012

Eine kleine Gewalt Fantasie


 

Ich glaube, wir müssen uns allmählich wirklich vom altehrwürdigen zusammengesetzten Hauptwort verabschieden.

Über Jahrhunderte tat es tapfer seinen Dienst, übte sich lustvollst im Kreieren von Neuschöpfungen, schmolz zusammen, was oft nicht mal ahnte, dass es zusammengehört, schuf wie aus dem Nichts neue Wort- und damit Sinnwelten.

Diese Ära geht nun zuende, gewalt- und grausam. Denn die Kompositazerstückelung grassiert inzwischen in einem Maße, wie sie in der Vergangenheit nur in Serienkillerhaushalten vorkam. Irgendwann werden in der deutschen Sprachlandschaft nur noch Wort fet zen her um lie gen, zuckend und zappelnd und den letzten Rest ihrer Semantik aushauchend.

Das oben dokumentierte Beispiel eines Promoteranschreibens, das mich heute erreichte, ist nur die Spitze des Scheißbergs, ich schwör. So was bloß als „Deppenleerzeichen“ zu diskreditieren, wäre eine Beschönigung, der ich mich keinesfalls schuldig machen möchte.

Nein, Hopfen, Malz und das zusammengesetzte Hauptwort scheinen verloren. Oder gibt es einen Untergrund, in den man gehen könnte, um zurückzuschlagen? Könnte man von dort aus nicht mit kapitalen Kompositakanonen auf diese Spatzen Hirne schießen?

Wenigstens einen Vorteil hätte es ja, dass schon so viele davon herumflattern: Man träfe garantiert mit jedem Schuss.

09 September 2012

Mein kleiner Sonnenschein



Seit das Kleine da ist, hat sich mein Leben, mein Alltag, einfach alles total verändert.

Das Kleine war mit 2030 Gramm ein Leichtgewicht, ganz zart und filigran. Doch seit seiner Ankunft reißt es ununterbrochen die Klappe auf und schaufelt fröhlich in sich hinein, was man ihm auch anbietet. Erstaunlicherweise nimmt es trotzdem kein Gramm zu. Aber das sei normal, sagt Ms. Columbo.

In den ersten Nächten jedenfals bekamen ich und das Kleine kaum eine Stunde Schlaf, weil es immer mehr wollte, mehr, mehr. Aber wenn es mich dann anstrahlt mit diesem gleißend hellen, intensiven und hellwachen Blick, dann kann ich ihm einfach keinen Wunsch abschlagen. Und es gibt mir so viel zurück.

Außerdem ist es unglaublich leise. Echt wahr, das Kleine ist so leise, dass man nicht mal seinen Atem hören kann, das muss man sich mal vorstellen. Und allmählich kommt es auch nachts zur Ruhe. Mittlerweile schläft es manchmal sogar schon sechs Stunden durch, traumlos, wie es scheint.

Kurz: das Kleine ist einfach hinreißend, ich bin total vernarrt. Ich umhege und umsorge es, kann es den ganzen Tag verliebt anstarren, und wenn ich mal raus muss, fühle ich mich sofort unruhig, bin grundlos besorgt und denke nur an zu Hause. Und dann beeile ich mich, zu ihm zurückzukehren, um stundenlang mit ihm herumzuspielen.

Es scheint mich sogar bereits zu erkennen, denn immer, wenn ich ins Zimmer komme und es berühre, leuchtet es augenblicklich auf und strahlt mich hellwach an.

Das Kleine ist wirklich mein kleiner Sonnenschein, ich wüsste gar nicht mehr, wie ich ohne es leben könnte – ohne mein neues MacBook Pro 15" mit 2,6 Gigahertz und 512-SSD-Flashspeicher.

Ich glaube, ich taufe es auf den Namen Retina.


15 Mai 2012

Pareidolie (41)



Mancher Pareidolie begegnet man überraschend sogar im Liegestuhl. Es hätte aber nicht unbedingt der vom Zahnarzt sein müssen.
 

PS: Eine ganze Galerie an Pareidolien gibt es bei der Pareidolie-Tante.


03 Mai 2012

Eine Hommage



Wäre der junge Schäfer Diego F. nicht anno 1962 aus seiner sardischen Heimat gen Norden aufgebrochen und in Wolfsburg zunächst bei VW und wenig später bei einem einheimischen Backfisch gelandet, und hätte Diego F. keine zwei prachtvollen deutsch-sardischen Töchter gezeugt, von denen mir 1989 zum Glück eine zufällig in Marburg über den Weg lief –…


ja, dann hätten wir am vergangenen Montagabend nicht nur alle gemeinsam keine 50 Jahre alte Flasche Barolo dekantiert, sondern dann lebte ich wahrscheinlich nicht einmal auf St. Pauli, und Ms. Columbo erst recht nicht.

So hängt alles mit allem zusammen; die eine Entscheidung beeinflusst tausend andere, was sich über die Jahre gleichsam unendlich und global potenziert, und ich mag mir gar nicht ausmalen, wie nicht nur meine, sondern die ganze Welt beschaffen wäre, hätte der junge Schäfer Diego F. 1962 nicht die (folgen)schwere Entscheidung getroffen, seine sardische Heimat gen Norden zu verlassen.

Der altehrwürdige Barolo, dieses weingewordene Sonnengold von anno 62, war übrigens schon ein ganz klein wenig klapprig. Aber besser der als Diego F.!


03 Februar 2012

Momentane Hauptbaustellen (2): Tele2



Die schwedische VerbrecherTelefongesellschaft Tele2 hat meine zusammengenommen 156 Jahre alten Eltern von der Telekom weggelotst und ihnen einen neuen Vertrag aufgeschwatzt. Laufzeit: zwei Jahre.

Leider wird das Ganze im Hintergrund übers Mobilnetz abgewickelt, und in dem Dorf, wo meine Eltern leben, gibt es überhaupt keinen Empfang.

Die beiden können nun schon seit drei Wochen nicht mehr telefonieren, und ich habe das Verfahren kurzentschlossen an mich gezogen, obwohl ich in solchen Fällen dazu neige, zum grundunsympathischen Echauffator zu mutieren.

Bei Tele2 habe ich nach schwierigen Verhandlungen, bei denen ich unter Aufbietung unmenschlicher Kräfte aus rein taktischen Gründen nicht ausfallend wurde, eine außerordentliche Kündigung erwirken können, doch die Rückabwicklung dauert.

Und dauert.

Um sich über den neusten Stand der Dinge zu informieren, fährt mein Vater jetzt immer auf einen Berg hoch überm Dorf, um mich von dort aus mit einem Alice-Handy anzurufen, das wir ihm geschenkt haben. Alice nämlich ist unten im Tal auch nur so zuverlässig wie Regen in der Sahelzone.

Alles schien jedenfalls ganz allmählich einen guten Ausgang zu nehmen. Heute allerdings habe ich erfahren müssen, dass meine Eltern einen weiteren Zweijahresvertrag mit Tele2 haben.

Sie, die mit durchschnittlich vier verschiedenen Menschen telefonieren, von denen drei in ihrem Dorf wohnen und einer in Hamburg, erhalten von Tele2 monatlich einen Einzelverbindungsnachweis – für ungefähr 18 Euro Grundgebühr, so genau wusste meine Mutter das aus dem Stegreif nicht.

Es ist also noch nicht vorbei. Etwas hat überlebt.

(Serie wird fortgesetzt.)

02 Februar 2012

Momentane Hauptbaustellen (1): Sky



Der Bezahl-TV-Sender Sky hat mir bereits fünf fehlerhafte Bestätigungsschreiben über die genaue Laufzeit meines just verlängerten Vertrages zugeschickt. Immer steht dort als Ablaufdatum „31.1.2012“ statt „31.1.2013“.

Nach jedem Eingang rufe ich bei der Hotline an, verklickere das skurrile Phänomen einer immer neuen Telefonstimme, die meist sagt: „Oh, ein neuer fehlerhafter Brief ist bereits an Sie unterwegs! Betrachten Sie ihn einfach als nichtig! Wir schicken Ihnen die richtige Bestätigung!“

Immer frage ich zurück, ob ich mich denn jetzt darauf verlassen könne, und immer wird mir das inbrünstigst bestätigt. Ich habe mich bereits dabei ertappt, die große Erschöpfung, die sich dank dieser Angelegenheit in mir breitmacht, mit den immer neuen Telefonstimmen in Form eines psychologischen Therapiegespräches zu thematisieren.

Das Verständnis ist stets groß, es grenzt fast an Mitgefühl. Aber helfen können sie mir letztlich alle nicht. Call me Kafka.

Mit den bisher angefallenen Telefongebühren könnte ich mir wahrscheinlich schon jetzt einen ganzen Monat das konkurrierende Telekom-Angebot Entertain leisten, und vielleicht täte ich das auch, wenn ich nur nicht so erschöpft wäre.

(Serie wird fortgesetzt.)


04 Januar 2012

Vermintes Gelände

Als der Franke und ich im Fischrestaurant in der Bahrenfelder Straße die Rechnung bezahlt haben, schenkt uns die Bedienung unversehens noch zwei Promoflaschen Cola Zero. Wir nehmen sie höflich und dankend an, obgleich wir beide zu diesem „Getränk“ stehen wie ein ralliger Ozelot zu Kopfsalat.

Auf dem Weg zurück ins Büro überlegen wir, wem wir damit eine Freude machen könnten. „Ich schenke sie Kramer“, entscheidet der Franke. „Und ich einfach einer sehr schlanken Frau“, sage ich. „Damit bin ich auf der sicheren Seite. Jede Frau, die nicht sehr schlank ist, würde doch automatisch denken, ich hielte sie für fett. Und wenn die schlanke Frau, der ich sie schenke, das aus irrationalen Gründen ebenfalls denkt, dann kann ich ihr genau erklären, warum ich genau ihr die Flasche geschenkt habe und keiner … Vollschlanken.“

Derart argumentativ abgesichert betrete ich selbstgewiss dieses schwer verminte Gelände und schenke meine Cola Zero einer sehr schlanken Kollegin. Sie betrachtet die Flasche. „Meinst du denn“, fragt sie, während sie unsicher lächelt, „ich hätte das nötig?“

„Siehst du!“, rufe ich dem Franken hinterher, der bereits auf dem Weg zu Kramer ist, dem man übrigens jederzeit alles schenken kann, zum Beispiel auch Schwartemagen, Fruchtgummi oder alte Nachos; Hauptsache, man schenkt ihm überhaupt etwas.

Der Franke stürzt feixend herbei, und ich erläutere in seinem Beisein der sehr schlanken Kollegin, wie ich vorhin überlegt hätte, ob sie wohl annähme, ich hielte sie für fett, wenn ich ihr diese Flasche Cola Zero gäbe, und dann erkannt hätte, dass ich dieser Falle nur dadurch entgehen könne, indem ich sie einer sehr schlanken Frau schenkte.

„Danke“, haucht sie.
Es klingt geradezu ergriffen.


PS: Vielleicht sollte man als Mann generell mehrere Flaschen Cola Zero vorrätig haben.
(War das gerade der Flirttipp des Tages? Scheint so.)

15 Dezember 2011

Ausgetickt? Im Gegenteil!



Seit mehreren Jahrzehnten besitze ich keine Uhr mehr. Schließlich schlägt dem Glücklichen keine Stunde, wozu also braucht er einen Chronometer?

Außerdem ist meine innere Uhr durch dieses jahrzehntelange Training von einer verblüffenden Treffsicherheit, mit der ich Ms. Columbo immer wieder neu auf eine Weise beeindrucken kann, als beherrschte ich das Jonglieren im Kopfstand, und zwar unter Wasser.

Wenn ich hingegen wirklich mal hundertprozentig genau wissen muss, wie spät es ist, dann hängt – o Segen der Großstadt! – immer gerade irgendeine Uhr in Sichtweite rum, und für Notfälle gibt es ja auch noch das iPhone in meiner Hosentasche.

Kurzum: An der Notwendigkeit, mein Handgelenk mit einem Zeitmesser beschweren und somit ständig diesen eklen Schweißfilm ertragen zu müssen, der sich zwangsläufig an der Uhrenunterseite bildet, gebricht es mir total.

Als ich heute auf dem Heimweg allerdings mal wieder einen Blick in die öden Weiten der progressiv dahinsiechenden Woolworth-Filiale in der Großen Bergstraße warf, gewahrte ich einen Tisch, an dem Uhren verramscht wurden. Unverbindlich schaute ich mal drauf – und verliebte mich augenblicklich ins abgebildete Objekt.

Es war indes keineswegs die recht schlicht konzipierte Uhr an sich, welche mich in ihren Bann schlug, sondern die Zusatzapplikation Flaschenöffner mitsamt der Befestigungsmöglichkeit am Schlüsselbund. Der Preis gab mir dann den Rest, denn Woolworth vertickt (sic!) das Teil für fünf Euro und legt sogar noch eine Ersatzbatterie bei.

Ja, ich habe ein Herz für Ramsch. Und ich weiß, in Ihren Augen hebt diese Schwäche meinen sozialen Status keineswegs. Doch eins kann ich Ihnen sagen: Wenn sie das nächste Mal ratlos mit einer zuen Flasche Astra anner Reeperbahn rumstehen, dann werden Sie heilfroh sein, wenn ich mit meinem Uhrenschlüsselanhängerflaschenöffner zufällig des Weges komme – und Ihnen sagen kann, wie spät es ist.

Einfach so.