08 Juli 2020

Unter Corona (9): If 16 was 19

Am Sonntag hatten wir in Herborn noch eine Dreiviertelstunde Zeit, bis unser Zug abfuhr, und die verbrachten wir im kulinarisch empfehlenswerten Café Zarnitz, nur wenige Schritte entfernt vom Bahnhof. 

Als man uns die Rechnung über die beiden konsumierten Espressi überreichte, fiel mir ein Detail ins Auge: Der Bon wies 19 Prozent Mehrwertsteuer aus – obwohl doch am 1. Juli der Satz auf 16 Prozent abgesenkt worden war, um unsere durch Corona geschrumpfte Konsumbereitschaft zu befeuern. Doch hier im Café Zarnitz schien man davon nichts wissen zu wollen – und machte auch keinerlei Hehl daraus; der Kassenzettel gab sich da entwaffnend offen. 

Keineswegs aus Knauserigkeit, sondern aus purer Neugier ging ich zum Chef und sprach ihn auf diesen Umstand an. Warum also weiterhin 19 statt – wie es die aktuelle Gesetzeslage erforderte – nur noch 16 Prozent? Der Zarnitz-Chef gab bereitwillig Auskunft: Wegen dieser sieben oder acht Cent, erklärte er, würde er doch nicht die Kasse umrüsten; das käme ihn viel zu teuer.

Aha. Die Sache, fand ich, begann interessant zu werden. Aber wie, wollte ich weiter wissen, regele er das denn mit dem Finanzamt? Nun, jeden Abend, erläuterte der Chef freimütig, setze er sich ans Kassenbuch und verwandele die 19 in 16 und die sieben in fünf Prozent. Dann stimme alles wieder. „Aber Ihre Kunden“, wandte ich ein und meinte damit auch mich und Ms. Columbo, „haben doch 19 und sieben Prozent bezahlt …?“ Er lächelte säuerlich und zuckte wortlos mit den Schultern. 

Ich bedankte mich herzlich für seine offenen Worte und verabschiedete mich. Doch dieses kleine Erlebnis hallte noch eine Weile nach. Das tut es immer noch. So wüsste ich zum Beispiel gern, was unser Finanzminister von diesem kreativen – man könnte auch sagen: kontraproduktiven – Umgang mit seiner Rezessionsbekämpfungsmaßnahme hielte. Hoffentlich liest Olaf Scholz diesen Blogeintrag und nutzt die Kommentarfunktion. 

Leider vergaß ich, testweise das Bezahlen unserer Espressirechnung zu verweigern mit den Worten „Wegen der vier Euro hole ich meine Girokarte nicht aus der Tasche, das wäre mir viel zu aufwendig“. Die Reaktion des kontrakreativen Zarnitz-Chefs hätte mich schon interessiert.

Sollte ich diesen Reaktionstest demnächst in Hamburg mit einem hiesigen Probanden nachholen, werde ich Sie in Echtzeit informieren. Bei Bons jedenfalls lese ich ab jetzt immer das Kleingedruckte.






3 Kommentare:

  1. Die Händler sind nicht dazu verpflichtet, die Mehrwertsteuersenkung an den Kunden weiterzugeben. In vielen Fällen sehe ich die 3% als Trostpflaster für den entgangenen Umsatz im Frühjahr.

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    1. Das sind zwei Paar Schuhe: Dass er 19 Prozent auf die Rechnung schreibt, ist eine Falschinformation, weil die gesetzliche Steuer ja nur 16 Prozent beträgt. Wenn er von der Senkung profitieren möchte, statt sie weiterzugeben, kann er doch den Grundpreis des Espressos einfach erhöhen und ihn trotz 16 Prozent Mehrwertsteuer weiter für zwei Euro verkaufen.

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  2. Wenn er 19% erhebt, muß er auch 19% abführen. Steht so im UStG und ist von den Finanzgerichten tausendmal entschieden.

    Aber davon mal abgesehen: angesichts der humorvollen, geschliffenen Beiträge in diesem Blog bin ich entsetzt über soviel Mickerpissigkeit.
    Sich darüber zu entrüsten, wie ein Gastwirt die Steuer betuppt, dürfte schon in "normalen" Zeiten für einen Kiezbewohner ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal sein.
    In Zeiten, in denen die Wirte mit extremem Umsatzschwund zu kämpfen haben, ist dies - nun ja, s.o.

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