14 Oktober 2017

Unterwegs mit einem Bolzenschneider

Wie langjährige Leser und Leserinnen wissen, sind mir bereits acht Fahrräder entwendet worden, sieben davon auf dem Kiez. Wer die Chronik der traurigsten dieser Vorfälle noch einmal nachlesen möchte, kann das hier, hier, hier, hier, hier und hier tun.  

Heute aber wurde mal keins geklaut, sondern es geschah so etwas Ähnliches wie das Gegenteil: Irgendein Witzbold nämlich hatte Ms. Columbos Rad, obgleich es bereits mit ihrem eigenen Faltschloss ans Geländer gekettet war, mit einer zusätzlichen Kette dort befestigt (Foto oben), allerdings ohne den Schlüssel da zu lassen. Das Fahrrad war also immobil. 

Um meinen Ruf als der weltweit erfolgreichste Ermöglicher unserer Haushaltes zu festigen, erbot ich mich, das Problem zu lösen, und suchte den Fahrradladen um die Ecke auf, um mir einen Bolzenschneider zu leihen. Nach einer kurzen Schilderung der Umstände und aufgrund meines ehrlichen Gesichts sowie eines 20-Euro-Scheins als Pfand drückte man mir das Werkzeug in die Hand. „Aber sagen Sie vorher der Polizei Bescheid“, riet mir der Kollege noch. Eine gute Idee – das fand man auch auf der Davidwache. 

„Wenn Sie in der Seilerstraße mit einem Bolzenschneider rumwerkeln“, sagte der Diensthabende, „stehen sofort drei Polizeiwagen da.“ Nun, dachte ich im Stillen, während meine acht Räder entwendet wurden, hätte ich mich schon über das Auftauchen eines einzigen gefreut, aber gut. Schnee von gestern. 

Die Freunde und Helfer der Davidwache erklärten sich zu meiner Freude bereit, mich zu begleiten, sogar in Gesellschaft eines polizeieigenen Bolzenschneiders. Das Gerät, welches aus der Waffenkammer hervorgeholt wurde, verhielt sich zu dem, das ich bei mir führte, wie der Hulk zu einem Heinzelmännchen. 

Noch ganz benommen von diesem Eindruck stieg ich mit zwei Uniformierten, einem Mann und einer Frau, in den Streifenwagen. Wir kamen allerdings nicht direkt durch, obwohl die Seilerstraße praktisch gegenüber der Davidwache schon anfängt. Auf dem Hamburger Berg nämlich taumelte uns ein zirka 60-jähriges Faktotum mit Fusselbart, Piratenkopftuch und Jeansweste vors Auto und verlangte die Aufnahme einer sofortigen Anzeige. 

Vorm Penny, keuchte der Mann in höchster Erregung, habe ihn so’n Typ mit Glatze und ganz, ganz komischen Augen irgendwie am Ohr erwischt und zudem damit gedroht, ihm auffe Fresse zu hauen, dabei „hab ich seine Frau gor nich annemacht!“. Die Polizistin schickte ihn auf die Wache, ihr Kollege murmelte „Spinner“, und wir fuhren weiter. 

In der Seilerstraße angekommen, trat der nächste Passant auf uns zu. Ach, man sei im Einsatz? Er wolle aber dringend eine Meldung machen, und zwar habe er im Lauf der Woche beobachtet, wie jemand dort drüben – er zeigte ins Ungefähre – haufenweise Steine gehortet und deponiert habe, wer weiß, zu welchem Behufe. 

Als auch dies registriert worden war, widmeten wir drei uns Ms. Columbos festgesetztem Zweirad. Mit ihrem Fahrradpass und durch Aufschließen des Faltschlosses hatte ich mich vorher als Bevollmächtigter der Eigentümerin legitimiert. Sonst könnte ja jeder kommen und sich von der Polizei beim Fahrraddiebstahl helfen lassen.

Zunächst probierte der Polizist es mit meinem Zwergenbolzenschneider, vergeblich. „Vielleicht doch der große?“, regte ich an, begierig darauf, das Monster im Einsatz zu sehen. Der Mann war einverstanden, doch das Billigschloss erwies sich als ungeahnt zäh. Oben zog die Polizistin die Kette stramm, unten ich, und in der Mitte nagte der von kräftiger Bullenhand geführte Bolzenschneider wütend und verzweifelt am längst freigelegten Drahtgeflecht.

Wir mühten uns gewiss fast zehn Minuten ab mit diesem zähen Miststück, ehe es endlich knack machte und die Sache erledigt war. Danach suchten wir noch längere Zeit nach der Rahmennummer, um sie mit dem Fahrradpass abzugleichen; mir traten schon die ersten Schweißtröpfchen auf die Stirn, und nicht nur, weil dieser goldene Oktobertag sich so sommerlich gerierte.

Das zerbissene Schloss entsorgte ich im Mülleimer. Wer eine Theorie hat, wieso man fremde Fahrräder irgendwo ankettet, möge hervortreten und sie darlegen. Ich bin neugierig. Als ich den kleinen Bolzenschneider wieder zurück in den Laden brachte, fragte mich der Verleiher, während er mir die 20 Euro zurückgab, ob alles geklappt habe. „Nö“, sagte ich. „Aber der kriegt sonst eigentlich alles durch“, antwortete er.

Aus diesem Erlebnis habe ich mehrerlei gelernt. Erstens: Auch mit einem Bolzenschneider vom Ausmaß eines Laubbläsers braucht man zu dritt außerordentlich lange, um ein Popelschloss zu knacken. Mir als Dieb wäre das zu nervenzerrend, ich nähme lieber eine Flex. 

Zweitens: Aus einem Polizeiwagen kann man nicht aussteigen, ohne dass jemand von außen die Tür aufmacht. Selbst wenn man nicht verhaftet ist.

PS: Ein ähnlicher Fall ist mir schon mal passiert. Und er ging so aus.



18 Kommentare:

  1. Ach, ist das Känguru nach Hamburg umgezogen?


    Aus: Marc-Uwe Kling "Das Känguru-Manifest":

    "»Und was machen wir jetzt?«
    Das Känguru holt ein Dutzend billiger Fahrradschlösser aus seinem Beutel. »Jetzt gehen wir zum Alexa-Shopping-Center, schließen fremde Fahrräder fest und setzen uns mit einem Coffee-to-go auf die andere Straßenseite.«
    »Das hört sich doch nach ’nem Plan an«, sage ich.
    »Du musst den Kaffee bezahlen.«"

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    1. Jetzt wird allmählich klar, von welcher Literatur der Täter inspiriert wurde.

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  2. Und? Hast Du jemanden auf der anderen Straßenseite Kaffee trinken sehen?

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    1. Die zwölf Leute auf dem Flachdach hatten sogar Bier und Campingstühle dabei.

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  3. Haben Sie sich das Model des Schlosses gemerkt? Es scheint ja besser zu sein, als alles was Sie bisher (hier, hier, hier, hier, hier und hier) verwendet haben :)

    Gruß aus Bayern.

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    1. Aus wissenschaftlicher Sicht muss ich Ihnen widersprechen, denn die entsprechende Datenbasis fehlt. Vielleicht wurden auch sämtliche bisherigen Schlössser in nullkommanix aufgeflext.

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    2. Dann will es mir immer noch nicht in den Sinn, wieso sich jemand eine teure Akkuflex kauft, nur um dann ihr 30€ Flohmarktrad zu klauen. Ganz schlechter ROI.
      Aber was versteh ich schon von Fahrraddiebstählen, Akkuflex, und ROI..

      egal.. :)

      Gruß aus Bayern

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  4. Ich finde es immer wieder faszinierend, wie schmerzfrei man sein kann, in diesem P...- und K...viertel überhaupt etwas draussen zu lassen und anschliessend ohne Gummihandschuhe und Kleidung, die man anschliessend verbrennt, zu berühren. Graut Ihnen vor nichts?

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  5. Mir auch schon passiert... in Würzburg... Marc-Uwe Kling lässt grüßen... ich musste allerdings sehr lange auf die Polizei warten... die hatten keinen Bolzenschneider... der wurde von der Bundespolizei am Bahnhof geordert... als dann endlich vier (!) Männer um mein Rad standen und auch noch anfingen zu diskutieren wer jetzt aufschneidet war mein Satz: Wenn nicht einer von euch mache ich das jetzt - dann hat es mir einer aufgebrochen... und es war nur ein billiges Schloss vom 1-Euro-Shop gegenüber... Fahrradpass hatte ich keinen dabei... sie haben mir zum Glück trotzdem geglaubt...
    Viele Grüße ins schöne Hamburg!!!
    Jessie

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    1. Geben Sie es zu: Es war gar nicht Ihr Fahrrad …

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    2. Doch, doch (-:
      Mein Schloss war ja auch am Fahrrad festgemacht und ich hatte den passenden Schlüssel.

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    3. Damit sind Sie rehabilitiert.

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  6. Also, das geht so: Fremdes Fahrrad abschließen und hoffen, dass der Besitzer kommt und sein eigenes Schloss öffnet, anschließend loszieht um einen Bolzenschneider zu besorgen und wenn er um die Ecke ist, das Fahrrad aufschließen, ab dafür...

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    1. Aber so was funkioniert doch höchstens in einem von hundert Fällen, denn wer ist schon so blöd? Nein, das ist unglaubwürdig.

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  7. Fahrräder festschließen, die einem nicht gehören, ist ein beliebter Fahrradklautrick, wie ich unlängst von mehreren Geschädigten hören durfte. Die es seither genauso halten wie Sie und mit polizeilichem Placet das Fremdschloss knacken.

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    1. Na, dann habe ich ja intuitiv alles richtig gemacht.

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  8. Fast schon skandalös, dass bisher noch niemand die Verwendung des schönen Wortes "Behuf" in diesem Text gewürdigt hat. Bereichert jeden Text und ganz besonders schön im althergebrachten § 15 II FGG:

    "Behufs der Glaubhaftmachung einer tatsächlichen Behauptung kann ein Beteiligter zur Versicherung an Eides Statt zugelassen werden."

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    1. … und dann auch noch im Genitiv – ich ziehe meinen Hut vorm Gesetzgeber!

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