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06 Mai 2007

Man kann sich seine Verwandten nicht aussuchen

Edit 6.12.2007: Hier konnte man bis heute das kleine Foto eines Nudelgerichts sehen. Dafür habe ich eine Abmahnung des Anwaltsbüros Rotermund (Marions Kochbuch) erhalten, die mich 747,50 Euro kosten soll.

Da hat man erstmals Gäste aus dem Rheinland und will ihnen zeigen, welch buntes, derbes, aber lebenswertes Viertel St. Pauli ist. Also geht man mit ihnen erst mal zum Italiener (Link entfernt) um die Ecke, bestellt Pizza, Pasta, Wein und Salat, und plötzlich taucht eine kleine Dicke im Lokal auf und beschimpft umstandslos die Frau hinterm Tresen.

Randale! Alle gucken gespannt, natürlich auch die Gäste aus dem Rheinland – und komischerweise auch das Personal. Erst als die Furie anfängt, über die Theke nach ihrer Feindin zu spucken, bequemt sich ein erstaunlich wortkarger Kellner, sie aus der Tür zu schieben.

Draußen setzt sie sich an einen Tisch, steht auf, kommt wieder rein, schimpft und spuckt; diesmal sogar auf den Tisch mit den Antipastitöpfchen.

Die Chefin hat inzwischen die Polizei gerufen, doch die war auch schon mal schneller da. Wieder wird die Dicke rausgeschoben, wieder kommt sie rein, diesmal nimmt sie eins der Töpfchen und wirft es wütend nach der Barfrau, es zerschellt auf dem Boden.

„Hey, jetzt reicht’s aber!“, rufe ich der Frau zu, deren wulstiger, gleichwohl dank eines zu kurzen Hemdes frei zugänglicher Bauch sich schlaff über den Hosenbund beugt, als wolle ihr Nabel Fußbodenstudien betreiben.

Der Kellner bequemt sich erneut her und schiebt die sich Wehrende stumm raus, wieder wundern wir uns über seine relative Duldsamkeit. Keine Minute später wackelt das kleine Monster wieder ins Lokal – genau einmal zu viel nach meinem Geschmack. Ich gehe hin und schiebe sie raus.

„Was geht dich das dan?“, schreit sie. Ich versuche ihr zu verklickern, dass es gemeingefährlich sei, Gegenstände durch bevölkerte Gaststätten zu pfeffern, und mich daher ihr Ignorieren dieser allgemein bekannten Tatsache sehr wohl etwas anginge – zumal Ms. Columbo und die Gäste aus dem Rheinland sich im Wurfradius befinden. So richtig überzeugt aber wirkt sie nicht.

Eingangs ihres linken Nasenlochs hängt ein Rotzklumpen, und ich bleibe einen Meter von ihr weg, um die Gefahr des Angespucktwerdens etwas zu mindern. Jetzt, wo ich mit ihr streitend im Eingang stehe, bequemt sich auch der Kellner wieder her, doch ich bin angesichts des bisher stetig eskalierenden Verlaufs der Gesamtlage skeptisch, ob er die Wildgewordene dauerhaft fernhalten kann. Ich indes bin inzwischen sehr entschlossen, das rabiate Weib von Ms. Columbo und den
Gästen aus dem Rheinland fernzuhalten, o ja.

Doch zum Glück kommt die Polizei, endlich. Die zeternde Dicke wird in Handschellen gelegt und abtransportiert. Als wir und die Gäste aus dem Rheinland später – nach Pizza, Pasta, Wein und Salat – aufbrechen wollen, kommt der passive Kellner noch mal zu uns und entschuldigt sich für die Umstände. Und dann sagt er einen Satz, der erklären könnte, warum die Frau nicht auf die kiezüblich rustikale Weise aus dem Lokal befördert wurde.

„Sie ist“, sagt er leise, „die Schwester vom Chef.“


12 Februar 2007

Angst und Schrecken in Altona

Im Altonaer Restaurant Eisenstein, wo ich unlängst das Chorizo-Erlebnis hatte, bekommt man stets vorab ein paar Scheiben Brot mit Butter. Ein begrüßenswerter Service, aber in quantitativer Hinsicht ausbaufähig. Denn das Eisenstein knappst. Dabei sind die maximal drei winzigen Scheibchen lebenswichtig, wenn man etwa ein Pastagericht bestellt, denn was ist das Schönste daran? Das Soßentunken mit saugfähigem Brot.

Bei den üblichen Eisenstein-Portiönchen reicht das Brot aber nur bis zum ersten Drittel der Pastaportion. Also ordere ich gewöhnlich nach – was sich leichter anhört, als es ist. Denn dieser verständliche Wunsch des Königs Gast stößt beim Bedienungspersonal auf Abwehrreflexe. Offenbar manövriert das Restaurant derart knapp an der Klippe des ökonomischen Kollaps’ entlang, dass es mitentscheidend für seine Existenz ist, ob man einen weiteren Kanten des Mehlgebäcks herausgibt oder nicht.

Vor allem die ältere verkniffene Blonde mit der Brille („die stumme Hexe“) ist eine Meisterin im Ignorieren lockender Rufe und windmühlenartiger Armbewegungen. Und wenn ich es schließlich doch geschafft habe, ihr mit einem Hechtsprung um die Knöchel zu fallen und keuchend meinen Brotwunsch zu japsen, schnappt sie sich mit eisiger Miene das leere Schälchen und schreitet wortlos davon.

Ihre in ebenso schneidender Stille ablaufende Rückkehr nach einigen Minuten ist von Hass und Verachtung geprägt. Ohne jeden Blickkontakt wirft sie im Vorübergehen das nur noch mit zwei winzigen Scheibchen Nachlieferungsbrot erbärmlich bestückte Schälchen auf den Tisch und hinterlässt in mir ein Gefühl der Zerschmetterung und Scham – ganz so, als hätte ich einem taubblinden und halsabwärts gelähmten Waisenkind die Barbiepuppe entwunden und ihr höhnisch auflachend den Kopf abgebissen.

Das alles muss man wissen, wenn man den Ablauf meines heutigen Eisenstein-Besuches korrekt einstufen möchte. Ich hatte eine kleine Tagespizza bestellt, erhielt allerdings versehentlich eine große. Mir fehlte die Zeit und vor allem die moralische Kraft, sie umzutauschen, deshalb aß ich tapfer das über den Tellerrand lappende Teigmonster.

Ein Mordstrumm, ich schaffte ihn gerade so – doch als Folge davon scheiterte ich erstmals in meiner Eisenstein-Geschichte bereits an der ersten Brotportion. Gleich zwei Scheiben blieben übrig, und daraus, das dämmerte mir schnell, erwuchs ein ungeheures Problem für künftige Besuche.

Denn eins war klar: Das Übriglassen dieses Brotes signalisierte der Blonden etwas Grundfalsches – eine überdimensionierte Portion. Möglicherweise schlösse sie daraus, sie könne die Erstration von nun an von drei auf zwei Scheiben reduzieren. Die daraus resultierende Notwendigkeit für mich, in Zukunft noch früher Brot nachbestellen und diesen Bestellvorgang vielleicht sogar ein weiteres Mal wiederholen zu müssen, erfüllte mich mit namenlosem Schrecken.

Nein, an diesen zwei übrigen Scheiben entschied sich alles, hier mussten Weichen gestellt werden. Es gibt ja solche Momente im Leben, wo einem das unmittelbar klar wird – zum Beispiel in diesen Filmen, wo sich der schweißüberströmte Held im Angesicht des tickenden Zeitzünders entscheiden muss, ob er den roten oder den blauen Draht durchschneidet.

Doch was sollte ich tun? Ich war pappsatt, rien ne va plus. Natürlich konnte ich das Brot verschwinden lassen, es somit als aufgegessen suggerieren – aber wohin? Zufällig führte ich keine Tüte mit mir. Und es einfach so in die Jackentasche stecken und hinfort die Restkrümel gedanklich beim Verschimmeln beobachten? Nein, mein Hygieneempfinden ließ das nicht zu.

Es gab schlicht keine Lösung für alle Probleme gleichzeitig, das musste ich mir eingestehen. Und so schnitt ich weder den roten noch den blauen Draht durch, sondern zog aufgewühlt davon und ließ zwei Scheiben Brot auf dem Tisch zurück. In meinem Rücken spürte ich den Hass und die Verachtung der Blonden, vergiftet von zwei, drei Tropfen eisigen Triumphs.

Die einzige Lösung, das fällt mir jetzt erst ein, wäre die, künftig nur noch große Pizzen zu bestellen und nie mehr Pasta. Dann hätte ich gesiegt.

Gewissermaßen.

14 Januar 2007

Unverblümt

Unser thailändisches Restaurant am Spielbudenplatz hat plötzlich zu, und ein Schild an der Tür informiert unverblümt über den Grund.

Natürlich hängt der mit viel Frust und Wut beschriftete Zettel innen. Denn nicht nur der zurzeit immer wieder aufbrandende Sturm brächte ihn in Gefahr, sondern sicherlich auch ein Agent der Wohnungsbaugesellschaft SAGA, die sich bessere Außenwerbung vorstellen als diesen Schrieb.

Na, sollen sie halt die Miete senken, dann ist er ganz schnell weg. Und wir können wieder um die Ecke thailändisch essen.

Auf der Website des Phuket pappt der Zettel übrigens noch nicht.

11 Januar 2007

Kein Chorizo, aber mehr Trinkgeld

Man könnte ständig bloggen übers heimische Dienstleistungs- und Servicegewerbe und litte dennoch nicht unter Themenmangel.

Gestern etwa war ich mittags im Eisenstein essen, wo sie als Tagespizza eine offerierten, die mit Chorizo, jener pikanten spanischen Wurst, belegt war und mit Manchego überbacken.

Als ich sie erhielt, sah ich keine Chorizo, aber halbgeschmolzene Manchegonester, und darunter wähnte ich die Wurst. Herzhaft haute ich rein. Es schmeckte.

Nach drei Bissen wehte plötzlich flatternd die Bedienung heran und gestand, man habe die Wurst vergessen und füge sie selbstverständlich noch bei. Ich wehrte nachsichtig ab, war ich doch zufrieden mit dem manchegolastigen Fladen. Allerdings akzeptierte ich gern den in Aussicht gestellten kostenlosen Entschädigungsespresso.

Der Grund für die mangelhafte Pizza war übrigens ebenso pikant, wie es die Wurst gewesen wäre: Der Koch, raunte die Bedienung, habe schlicht nicht gewusst, was Chorizo überhaupt sei – und deswegen erst gar nicht versucht, sie aufzulegen.

Das amüsierte mich ziemlich. Immerhin war dieses Pizzamodell doch (von ihm?) in den Adelsstand der Tagesempfehlung erhoben und daher gewiss vielfach geordert worden. Egal: Der Espresso, den mir die Bildungslücke des Kochs einbrachte, war vorzüglich.

Abends musste ich – und jetzt kommt die zweite Servicegeschichte – den gestern angekündigten Gang nach Canossa resp. den Stage Club (Foto) antreten. An der Theke erläuterte ich mein Missgeschick. Ich sei leider nach dem Konzert ebenso gedankenschwer wie -los aus Versehen zechprellerisch verschwunden, und jetzt wolle ich …

„Zwei Weißwein, ein Wasser“, fiel mir der Barkeeper recht barsch ins Wort, „macht 11 Euro 20.“ Offenbar war die ganze Sache durchaus aufgefallen, es hatte unzweifelhaft Ärger und Gezeter geben. Mein Kommen aber befriedete die nur halbwegs beruhigte Lage endgültig.

„Der Bedienung“, fügte der Mann mit schmalem Lächeln an, „haben wir den Kopf nur halb abgerissen.“ Ich schaute mich um, sah die Frau aber nirgends. Irgendwie fühlte ich mich plötzlich zu einer Aufstockung des Trinkgelds verpflichtet, ich weiß auch nicht, warum.

21 Dezember 2006

In der Italopophölle

Heute Abend habe ich Ms. Columbo zum Schlemmen in unser liebstes italienisches Restaurant Pesco Mare eingeladen. Das Lokal zwei Straßen weiter ist kulinarisch ebenso großartig wie stets erstaunlich schlecht besucht.

Dieser bedauerliche Umstand liegt sicherlich weder an der Qualität des Essens noch am Enthusiasmus des Kochs, äußerlich ein Mix aus Ronaldo und dem späten George Foreman. Nein, es muss einen anderen Grund geben, und ich glaube ihn zu kennen: Das Pesco Mare ist die brutalstmögliche Italopophölle.


Zu hausgemachter Pasta und traumhaften Antipasti serviert man die totgespieltesten aller Oldies in Dauerschleife – von längst hundertfach durch den Bocelli-Fleischwolf gedrehten Verdi-Arien bis zu 30 Jahre alten Schnulzen wie „Ti amo“. All diese Songs sind tief ins paneuropäische limbische System eingesunken und haben dort unbehelligt und inoperabel eine erfolgreiche Zweitkarriere als Folterinstrumente gestartet.

Und dem wirkt das Pesco Mare nicht entgegen. O nein.

Das Beschallungskonzept folgt einem unantastbaren Dogma: Die Boxen dürfen ausschließlich das bis zum Erbrechen Bekannte auswürgen, jede Abweichung vom „Azzuro“-Kurs gilt offenbar als schlimmste Ketzerei. Wie es auf die geistige Gesundheit der Bediensteten wirken muss, diesem Gassenhauerloop dauerhaft ausgesetzt zu sein, will ich mir nicht ausmalen. Die Crew versucht sich jedenfalls durch vernehmliches Mitsingen vor den schlimmsten Schäden zu schützen.

Dennoch wird die Tonspur auf Dauer ihren Willen brechen – ähnlich wie die chinesische Wasserfolter, bei der man den kahlrasierten Schädel des bedauernswerten Probanden tagelang betropft, bis der sich in einen sabbernden Mollusken verwandelt hat. So ähnlich wirkt „Mama Leone“ im Pesco Mare.

Ms. Columbo allerdings zeigt sich völlig resistent, wahrscheinlich wegen der sardischen Gene, die sie von Natur aus mit sich führt. Während ich bang dem nächsten Song entgegenzittere (nein, nicht schon wieder „La donna e mobile“, bitte!), fördert sie ungerührt meine Allgemeinbildung. „Tiramisú“, erläutert sie, während irgendein Lucio Dalla dazu den Soundtrack schluchzt, „heißt soviel wie: Putsch mich auf! Wegen des Espressos, der drin ist.“

Interessant, das wusste ich noch nicht. Auch der Pragmatismus, mit dem sie sich den kulinarischen Herausforderungen des Abends stellt, ist so entzückend wie lehrreich. „Es ist nicht entscheidend, was du zwischen Weihnachten und Silvester isst“, erklärt sie mit der Gelassenheit derjenigen, der just eine dampfende Pizza Frutti di Mare serviert wurde, „sondern was du zwischen Silvester und Weihnachten isst.“

Ein weiser Satz – und eine gute Rechtfertigung für das Riesenstück eisgekühlte Schokoladentorte zum Abschluss. Die beiden Absackergrappe brauche ich aber vor allem wegen „Tornero“.

15 Dezember 2006

Rettet den Lotterbuben!

Allein unser engstes Postleitzahlgebiet weist angeblich 118 Kneipen und Restaurants auf, doch eine Stichprobe ergab: Die Angaben sind höchst lückenhaft. Es gibt also weitaus mehr.

Viele davon tragen schrullige Namen. Einer der liebsten ist mir „barbarabar“. Wenn man den Namen ausspricht (macht Spaß!), klingt das etwas herrische „Papperlapapp“ an – ein Wort, das auch schon mal größere Erfolge gefeiert hat. Vielleicht geht es bald schon den Gang alles Irdischen und wird komplett abgelöst von „barbarabar“.

Mich störte das nicht gar zu sehr, obwohl ich gemeinhin sehr an Wörtern hänge und ihr Dahinscheiden generell mit Bedauern und Missmut verfolge. Sollte zum Beispiel demnächst eine Trauerfeier für „Lotterbube“ anberaumt werden müssen, stünde ich gewiss an der Grube und schüttete unter Verdrückung einer Träne eine Tasse Blümchenkaffee hintendrein.

Vorsorglich aber rufe ich hiermit alle mutigen und wörterliebenden Kneipiers von St. Pauli auf, möglichst zeitnah ein Etablissement namens Lotterbube zu gründen, um dem Dahinwelken dieses sicher noch nicht ausgeschöpften Wortes tathaft entgegenzuwirken.

Zum Glück sind nicht nur Verluste zu beklagen; auch Nachwuchs stellt sich gelegentlich ein, oftmals dank der hiesigen Kneipenszene. Vor allem schwebt mir da die „Hasenschaukel“ in der Silbersackstraße vor, an der Ms. Columbo und ich heute Abend vorbeischritten, bereit, einen Absacker zu uns zu nehmen, doch leider wollte man Eintritt für eine Lesung, und darauf waren wir nun gerade gar nicht eingestellt.

Beim Namen „Hasenschaukel“ denke ich übrigens weniger an Hugh Hefners Bunnys als an putzige Osterhoppler oder Hauskaninchen mit Schleife im Fell, so rosa ist alles an und in der Hasenschaukel. Als Gegenentwurf dazu tritt uns scharf der Crazy Horst entgegen, und auch der Knallermann am Hamburger Berg scheint der Kontemplation wenig Raum zu geben.

Doch ich rede theoretisch, denn wenn ich mich überhaupt in einem der zahllosen Versorgungspunkte in unmittelbarer Nachbarschaft aufhalte, dann im stinklangweilig benamten Miller.

Dabei säße ich viel lieber in der barbara- oder Wunderbar in der Nähe des Lümmeltütenautomaten und tränke einen Einspänner, aber das Wort hätte die Hupfdohle von Bedienung bestimmt ihr Lebtag noch nicht gehört.

31 Oktober 2006

Die Kartoffelamnesie

Wenn ich im Kumpir meine überbackene Stammkartoffel mit Spiegelei bestellen möchte, fällt mir nie der Name des Gerichts ein, sondern immer nur der meines Weinhändlers. Der heißt Ardahan, die Kartoffel aber … wie heißt die noch mal? Ach, ja: Rafadan.

Diese verflixte Kartoffelamnesie ist mir inzwischen peinlich, und ich gehe nicht mehr so oft zum Kumpir. Zumal ich feststellen musste, dass es sich dabei um eine Fränscheißkette handelt. Das entwertet den Laden; es schmeckt dort einfach nicht mehr so wie vor dieser Information.

Es ist wie mit einem geheimen Lieblingssong, der plötzlich in die Charts geht: Danach klingt er fad – als büßte er durch die schiere Quantität des Gehörtwerdens an Qualität ein.

Zurück zum Essen. Heute stieß ich beim Schlendern durch die Karstadtfiliale an der Mönckebergstraße auf etwas Wunderbares: eine Schokoladenmischmaschine. Ich hätte stundenlang verzückt zusehen können. Leider geschah der ganze Vorgang hinter Glas, sonst wären wohl Dinge geschehen, für die sich Ms. Columbo fremdgeschämt hätte.

Aber ich habe einfach 30 Sekunden davon gefilmt. So muss ich nicht immer wieder zu Karstadt.

Weiß eigentlich irgendjemand ein Kumpirrezept mit Schokolade?

25 Oktober 2006

Rom raucht nicht mehr

Ob man aus römischen Cafés kommt oder aus Restaurants, man verlässt sie beschwingt und gutgelaunt. Es hat Tage gedauert, bis wir diesen Umstand trennen konnten von der vorauseilenden Vermutung einer urlaubsbedingten Gutgestimmtheit.

Nein, es ist eine kleine Großigkeit, die nicht unerheblich beiträgt zum unbestimmten Wohlgefühl: Man geht nämlich nach Hause, ohne bestialisch zu stinken. Denn nirgendwo in Kneipen, Discos, Cafés, Trattorien und Restaurants darf mehr geraucht werden. Die Italiener haben das offenbar weggesteckt wie einst den Verlust der Kolonien: mit einem Achselzucken. Überall herrscht Trubel, Heiterkeit, Gestikulationsfreude und eine ausgeprägte Bereitschaft zu genussvollem Konsum – aber keinerlei Ärger über Rauchmangel.

Es geht also. Und wenn man nach Hause kommt, haftet Jacke wie Hose höchstens ein Anflug von Caffé an, aber nicht der in Deutschland übliche kalte Kippenqualm, was tagelanges Auslüften oder gleich eine Vollwäsche erfordert.

In Irland, wo sie öffentliches Rauchen ebenfalls verboten haben, ging unter Kneipenbeschäftigten die Zahl der Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 20 Prozent zurück. Gleichzeitig wurden die Gasthäuser voller – denn jetzt traut sich auch jener Teil der Bevölkerung wieder aus dem Haus, den früher die Diktatur der Qualmer vom öffentlichen Leben ausschloss. Und dieser Teil war groß.

In Rom genieße ich das Ausgehen mit Ms. Columbo sehr. Denn in Hamburg kriege ich sie gewöhnlich kaum aus dem Haus – sie hasst Rauch. Würde man den selbstverständlichen Terror der Raucher endlich auch bei uns ahnden, stürmte die schweigende Mehrheit, die zurzeit aus Qualmophobie zu Hause schmollt, gewiss bald wieder Kneipen und Clubs. Und die rückläufigen Einnahmen durch die Tabaksteuer wären ratzfatz ausgeglichen – oder, wie man in Irland sieht, gar überboten.

Nikotinsucht ist die einzige bekannte Abhängigkeit, die andere Menschen chemisch in Sippenhaft nimmt. Italiener und Iren finden das nicht in Ordnung – und kurbeln so die Wirtschaft an.


Und heute Abend machen wir dabei wieder mit, diesmal dreigängig.

31 August 2006

Die Bettelblickattacke

Durch den Regen bin ich mit dem Franken zum Lunch in die Filmhauskneipe gehuscht. Neben dem Nachbartisch hockt ein netter grauweißer Zottelköter, irgendetwas Bobtail-artiges von erbarmungswürdiger Harmlosigkeit. Gäbe es nur Hunde wie ihn, die Maulkorbindustrie ginge genauso schnell pleite wie in Matts Welt Bill Gates.

Ich spüre seinen Hundeblick deutlich auf der linken Wange, es ist ein Bettelblick. Weil der Franke und ich es uns schon schmecken lassen, Frauchen und Herrchen aber noch aufs Essen warten, hat Waldi sich mit großer Konsequenz von ihnen ab- und uns zugewandt. Jetzt mustert er uns durch seine Zottelhaare mit treuherziger Traurigkeit. Sein Blick ist starr, er blinzelt nie. Können Hunde überhaupt blinzeln, oder befeuchten sie ihre Augen irgendwie anders? Immer dieses Viertelwissen.

Ich grinse ihn mit gespieltem Bedauern, in Wahrheit aber erschreckend herzlos an und nehme einen weiteren Bissen von der gebratenen Putenunterkeule, die ich auf der Gabel geschickt mit einem Stückchen Salzkartoffel und gedünstetem Walzenkürbis kombiniere. Zottels Blick scheint sich leicht ins Anklagende zu verschieben, wie ich aus dem Augenwinkel zu erkennen glaube.

„Man müssde“, mümmelt der Franke zwischen zwei Bissen seines blutigen Rindersteaks, welches im Begleitschutz einer quarkgefüllten Ofenkartoffel und eines unverschämt üppigen Salates unterwegs ist, „man müssde ihn auslachen, bevor man sich dann die letzde Gabel reinschiebd!“ Ein Vorschlag, der auf die in jedem von uns glosende dunkle Seite anspielt; insofern ein guter Vorschlag. Wir müssen zu dem stehen, was und wie wir sind.

Inzwischen ist auch der Nachbartisch bedient worden, Waldi wird mit kleinen Leckerlis versorgt. Nur noch ab und zu schaut er kurz zu uns rüber, und mir wäre es allmählich lieber, unsere dunklen Seiten verzögen sich recht zügig wieder ins Off.

Der Nachhall der Putenunterkeulenbratensoße überdeckt jedoch schon bald diesen trüben Gedanken, und der Rest des Tages verläuft ohne weitere Appelle an unser ethisches Empfinden.

(Bild: Maria Maehler)

Die bisherigen Teile der Frankensaga
19. Der Kulturstoffel 18. Fußball auf Fränkisch! 17. Auhuuu! 16. Die Bettelblickattacke 15. Der Franke bleibt störrisch 14. Der unvollendete Panini-Coup 13. Duck dich, Sylt! 12. Auf Partypatrouille 11. Laggs auf vier Uhr 10. Der Franke ist überall 9. Die Greeb-Pfanne 8. Erste gegen dritte Liga 7. Die verspätete Riesenkartoffel 6. Der historische Tag 5. Der Alditag 4. Der Faschingskrapfen 3. Der Klozechpreller 2. Der Dude 1. Das Alte Land

20 August 2006

Kant und die Folgen

Der Kategorische Imperativ lautet bekanntlich: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Wendet man Immanuel Kants verflixte Forderung aufs persönliche Konsumverhalten an, stellt sich mir sofort folgende Frage: Welche Branchen wären pleite, wenn sich alle so verhielten wie ich – und welche gingen durch die Decke?

Nun, zunächst einmal raffte es sämtliche Fastfoodketten dahin. Ich esse keine Hamburger, und wenn das nun mal keiner täte, könnten Burger King und McDonald's einpacken, aber in nullkommanichts. Blöd für die Gesamtsituation wäre natürlich das durch meine Autoabstinenz verursachte Zusammenbrechen des Individualverkehrs. Aber vielleicht könnte die Branche das kompensieren – durch den Mehrbedarf an Bussen und Taxen.

Was ebenfalls augenblicks Geschichte wäre: alle Branchen, die an der Herstellung von Limonaden mittun. Ob Coca oder Pepsi, Fanta oder Ahoj-Brause mit Himbeergeschmack: pleite, allesamt. Den kompletten Kollaps gewärtigen müssten auch Schmuck- und Tabakbranche, das Bezahlfernsehen und natürlich Microsoft.

Jetzt zur Sonnenseite dieser Überlegungen. Geradezu explodieren durch mein verallgemeinertes Konsumverhalten würde der Markt für Zwischenraumzahnbürsten, und auch dem deutschen Winzertum stünden die glorreichsten Zeiten seiner Geschichte bevor; es müsste allerdings seine Anbauflächen komplett auf Riesling umstellen.


Restaurants fast jeder Couleur (außer den griechischen und „jugoslawischen” natürlich) wären auf beängstigende Weise überlaufen, und in Frankreich bräche wegen der ungeheuren Mengen auszuliefernder Rohmilchkäsemengen ein unsagbarer Jubel aus, wohingegen die weltweite Atombombenproduktion sofort dichtmachen könnte, denn dafür ist hier in der Seilerstraße noch nie der kleinste Bedarf angefallen.

Und für den dank Kant aufkommenden Megabedarf an hocharomatischen Ökostrauchtomaten müsste man leider sämtliche Anbauflächen für Hanf, Tee und Runkelrüben heranziehen – sie würden ja nicht mehr gebraucht, und irgendwoher müssen die Billionen Tomaten ja kommen, nicht wahr?

Das alles geschähe, wenn sich die Menschheit unisono einigen meiner wichtigsten Konsumgewohnheiten anschlösse. Die Welt wäre eine andere. Aber ganz sympathisch, wie ich finde.

Eigentlich könnte man aus diesem Beitrag fast wieder mal ein Stöckchen … okay, okay, ich hab nichts gesagt.

03 August 2006

Der Sitzfreund

Die Bedienung im Restaurant Freudenhaus (Foto: max-online) ist aufgedreht wie ein Brummkreisel. Jede unserer Antworten auf ihre Fragen kommentiert sie mit einem juchzenden „Super!“, wahlweise auch „Supi!“.

Und bevor sie Wein nachschenkt, legt sie dir jovial die Hand auf die Schulter wie einem alten Freund.

Ihr Energielevel amüsiert uns, wir fühlen uns wohl in ihrer Nähe. Am Ende des Dinners gehe ich zur Kasse und möchte zahlen.

„Von welchem Tisch kommst du?“, fragt sie.

Ich bin überrascht, sogar enttäuscht. Bis vor einer Sekunde habe ich mich noch gefühlt wie ihr alter Freund; sie saß doch gleichsam mit uns am Tisch!

„Du musst entschuldigen“, ergänzt sie eilig, „ich erkenne meine Gäste nur im Sitzen.“

Offenbar sehe ich von unten anders aus als von oben.


Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Kneipenbedienungen
1. „Highlands” von Bob Dylan
2. „Dear catastrophe waitress” von Belle & Sebastian
3. „Waiter there's a yawn in my ear" von Manfred Mann's Earthband

17 März 2006

Am Sushilaufband

Wenn man auf dem Land lebt – sagen wir: in Uckersdorf –, ist die Wahrscheinlichkeit immens klein, vom Restaurant seiner Träume quasi zu Hause aufgesucht zu werden. Anders auf St. Pauli.

Um die Ecke, nämlich zwei Fußminuten entfernt am Millerntorplatz, hat unlängst das Tai Pan eröffnet. Mit einem traumhaften Konzept für Fischfans wie uns: Sushi all you can eat, mittags für neunneunzig, abends für vierzehnneunzig. Da kann man nichts gegen sagen, wirklich nicht. Und wie wir heute erneut feststellen konnten: we can eat hell of a lot.

Man sitzt am fixen Laufband und fischt (harhar) sich flugs die von einer durchsichtigen Plastikhaube beschirmten Schälchen herunter. Der besondere Gag des Restaurants aber ist die zusätzliche warme mongolische Küche, die auf dem begrüßenswerten Büffetprinzip beruht.

Man schreitet das Angebot gemessenen Schrittes ab und füllt sukzessive seinen Teller mit rohen Köstlichkeiten, darunter Krabben, Ente, diverse Pilzsorten und Gemüse. Sodann wählt man eine nummerierte Klammer, welche die erwählte Soße bezeichnet, heftet diese an den Teller und trägt denselben zur Küchendurchreiche, wo der original asiatische Koch ihn voller Tatendrang entgegennimmt, um alles auf einer riesigen Pfannenfläche à la Wok kurzzubraten. Famose Idee.


Auf dem Sushilaufband bewirkt die knappe Kalkulation des Tai Pan zwar eine relativ geringe Fischdichte, doch ist alles nur eine Frage der Geduld, welche ja zu den höchstangesehenen Tugenden gehört. Und wenn man allzulang auf den nächsten Lachshaps warten muss, behilft man sich eben mit einem schnippisch kompilierten Teller am Mongolenbüffet.


Für eine kleine Trübung des Vergnügens sorgte heute ein Kerl mit hochgeschobener Sonnenbrille über dem Ludenmecki, der die (durchsichtigen!) Plastikhauben aus unerfindlichen Gründen jeweils anhob, um das sushige Darunter aus beängstigend kurzer Distanz genauer in Augenschein zu nehmen. Meist klappte er danach allerdings die Haube wieder herunter. Da wir laufbandtechnisch gesehen einen Platz hinter ihm hatten, kamen diese entweihten Schälchen für uns natürlich nicht mehr in Frage; immerhin hätte Herr Ludenmecki Vogelgrippeviren auf den Tun geatmet haben können.


Ms. Columbo war das aber längst egal, sie hatte deutlich mehr Weißwein zu sich genommen als gewöhnlich, und das macht sie stets toleranter gegenüber dem Fehlverhalten ihrer Umwelt. Stattdessen nötigte sie mich wider alle Vernunft zu einem letzten frittierten Bananenbällchen zum Dessert, ehe wir die zwei Fußminuten nach Hause antraten, die seltsamerweise heute fünf dauerten.


Ein sehr empfehlenswertes Restaurant, das Tai Pan.


Ex cathedra: Die Top 3 der Songs mit Meeresbewohnern

1. „Ice fishing“ von Bill Morrissey

2. „Save the whale“ von Country Joe McDonald

3. „The fisherman“ von Leo Kottke.


04 Februar 2006

Das kontrastreiche Restaurant

Der Innendekorateur des thailändischen Restaurants Phuket in der Taubenstraße hat seine ersten Sporen offenbar im Nippesgroßhandel verdient und wechselte dann sofort hierher.

Als wir zuletzt da waren, dachten wir noch, die gelben und roten Lämpchen in Herz-, Fisch- und Delfinform, die sich in endlosen, gern auch mal ineinander verzwirbelten Girlanden durchs Restaurant schlängelten, hätten schlicht den Kehraus einer Faschingsparty temporär überlebt – obgleich uns Thailand und Fasching ungefähr so verwandt vorkamen wie Kaninchen und Kokosmilch.

Nun, Fasching war wohl auch in der Tat nicht der Grund für diese Illumination; stattdessen müssen grundsätzliche Erwägungen zur fatalen Wahl geführt haben. Denn die Girlanden des Grauens hängen immer noch da. Sie geben dem Phuket die Heimeligkeit eines Vorstadtpuffs.

Doch die Betreiber, durchweg hochsympathische Thailänder, konterkarieren das entwaffnend ungeschickt mit der Musikbeschallung. Im Lauf des Abends fügen sich Bill Haleys „Rock around the clock“ ebensowenig ins wirre Gesamtambiente ein wie diverse Oldies der Sechziger Jahre. Und aus dem Zeitschriftenregal lugt Architectural Digest.

Thailand, Leuchtdelfine, Bill Haley, Edelmagazine: Wer dieses Restaurant desorientiert betritt, wird es keinesfalls mit geschärftem Geschmack wieder verlassen. Natürlich nur kulturell gesehen, nicht kulinarisch. Wir studieren die Karte, staunen und entscheiden uns für – Kaninchen in Kokosmilch. Dazu singt Cher „Bang bang“.

Ein schöner Abend. Wir kommen bestimmt bald wieder.

Ex cathedra: Die Top 3 der sphärischsten Gitarrensongs
1. „Ghosts of american astronauts“ von The Mekons
2. „Pink frost“ von The Chills
3. „Rollercoaster“ von The Red House Painters


15 Januar 2006

Der Schmerzensmann

In 15 Minuten Fußentfernung von der Seilerstraße liegt das Restaurant Bok. Dort hängen Neonröhren an den Wänden, Tische und Stühle wirken kahl und mensahaft, doch das Essen ist gut und erschwinglich.

Das Bok kocht asiatisch. Ehe man mir jetzt kulturelle Hybris entgegenhält und ausführt, das sei ja mal wieder typisch, den fernen Osten einfach als „asiatisch“ glattzubügeln, wo doch hunderte von spezifischen Kulturen und Gesellschaften … schon klar. Aber mit nachsichtigem Lächeln beharre ich im Fall des Bok auf „asiatisch“, denn die Karte offeriert Diverses: japanische, koreanische und thailändische Gerichte.

Wir ordern thailändisch. Ein junger Mann mit gewagter Frisur – an den Seiten kurz, hinten mit spitz zulaufender Strähne bis zum Kragen – serviert zunächst die Getränke. Er tut das mit Grazie und Verve. Nach meiner schwach ausgeprägten Kenntnis asiatischer Physiognomien zählt er wohl zum japanischen Kulturkreis.

Als er Ms. Columbo Wasser einschenkt, schwebt seine Hand plötzlich nur Zentimeter über der offenen Kerzenflamme. Ich schaue entsetzt zu ihm hoch, doch er gießt ungerührt weiter. An seinem rechten Kiefer ist eine wulstigrunde Narbe zu sehen, groß wie ein 2-Euro-Stück. Zackig und mit tänzerisch anmutender Übertreibung stellt er die Wasserflasche wieder ab, nachdem er auch mein Glas gefüllt hat. Ich suche nach Anzeichen des Schmerzes in seinem Gesicht oder nach einer schwarzen Stelle an seiner rechten Daumenwurzel. Vergebens.

Immer, wenn dieser Ober im Lauf des Abends in der Nähe ist, betrachte ich verstohlen seine Hände. Vielleicht ist er ja ein Yakuza, einer, der sich bereits ein Fingerglied abtrennen musste, um einen Fehler zu begleichen, und der darüber gelernt hat, wie man Schmerzen ignoriert.

Doch ich finde es nicht heraus. Die Rechnung bringt dann ein anderer.

Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Better version of me“ von Fiona Apple, „Lost highway“ von Hank Wilson und „Barbarellas“ von Stephen Duffy.


08 Januar 2006

Die Forellen

Bisher kennen wir das Steakhaus an der Reeperbahn nur von außen, heute, vorm Kino, wollen wir doch mal sehen, wie sich diese Toplage auf Innendeko und kulinarisches Konzept auswirkt. Um es kurz zu machen: nachteilig.

Die Tische sind kaum größer als die Teller, ich werde im Lauf des kurzen Aufenthaltes – das Essen kommt so schnell, wie die leeren Teller uns wenig später wieder entrissen werden – mit dem Ellbogen innig an der Wandtäfelung schaben. Und als mir Tölpel einmal die Gabel herunterfällt, stellt sich heraus, dass es praktisch unmöglich ist, unter den Tisch zu langen. Meine Bewegungsfreiheit erinnert ans Innere eines Computertomografen. Bei der Bergung der Gabel hole ich mir eine Rippenprellung.


Doch ich greife vor. Erst mal soll bestellt werden. Auf der Speisekarte fällt eine echte Weltsensation auf: „Lebend – frische Forelle vom Grill“. Offenbar springen die Teufelskerle einem vom Gitterrost auf den Teller und müssen, obgleich braungebacken, erst mal mit Messer und Gabel gebändigt werden. Die englische Erläuterung darunter – wir sind in einem multilingualen Touristenladen – bringt Klarheit: „freshly killed“ steht da in kaltherziger Lakonie.


Erwähnte ich schon unseren Platz direkt neben dem Aquarium? Zwar bin ich ein großer Freund von Fischen in jedweder zubereiteten Form, doch nach erstem Augenkontakt mit den treuherzig ahnungslosen Salmoniden ist es mir natürlich schlechterdings unmöglich, sie noch zu ordern.

Ich weiß, ich weiß: Ausschließlich solche Lebewesen zu verzehren, die in konspirativer Heimlichkeit von sabbernden Schlachtern und sardonisch grinsenden Köchen gemetzelt wurden, ist feige, inkonsequent und im Sinne Walter Benjamins geradezu unanständig. Aber diese vier hier neben mir … nein, das geht nicht. Man kennt sich inzwischen, wenn auch nur flüchtig, da grillt man sich nicht mehr.


Also läuft es bei Ms. Columbo und mir auf Steaks hinaus. Dann fällt mir die Gabel herunter, ich hole mir eine Rippenprellung, man entreißt uns die Teller, wir zahlen bar. Die Steakhausstoiker verkneifen sich routiniert jede geheuchelte Vorfreude auf ein baldiges Wiedersehen.

Klar: Sie halten uns für Touristen; die sieht man nur einmal im Leben.


Die Forellen schauen uns treuherzig nach. Sie ahnen nichts.


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Burn baby“ von Mother Tongue, „Refugees“ von The Tears und „Someone“ von Thee Hypnotics.


12 Dezember 2005

Das WM-Spiel

Wir wurden schon gestern Abend per SMS vorgewarnt: Im Büro sei die Heizung ausgefallen. Wir sollten uns besser warm anziehen. Um halb zehn heute morgen gingen sie also los, die allgemeinen Schal- und Wollsockenfestspiele.

Wie sich allerdings herausstellte, war die Heizung bereits über Nacht repariert worden. Ich versuchte dennoch spaßeshalber, mit Strickhandschuhen meinen Namen in die Tastatur zu hacken. Ergebnis: „Ma tg g hiysxc Wabvnef“.

Seit Freitag muss ich mich mit Spötteleien über mein WM-Spiel herumschlagen. Costa Rica gegen Ecuador, hmpff. Aber man muss das mal so sehen: Ecuadorianerinnen und Costaricanerinnen, mit denen ich unzweifelhaft die Tribüne teilen werde, wollen sicherlich nächsten Juni die abgetakelten Sambaschabracken aus Brasilien vergessen machen. Immerhin ist das ihre einzige Chance. Und wo geht das am allerallerbesten? Bei genau dieser Partie. Costa Rica gegen Ecuador. Und ich mittendrin.


So.


Abends bin ich zum Weihnachtsessen einer großen Plattenfirma eingeladen. Im Restaurant Abendmahl am Hein-Köllisch-Platz (wo ich die abgebildete Telefonzelle mit Baumkorona entdeckte) ist es höllisch laut, obwohl keine Musik spielt, nicht mal die der großen Plattenfirma. Dennoch weht ein denkwürdiger Dialogfetzen zu uns herüber, und er klingt, findet Herr Rammoser, wie in Stein gemeißelt:


„Das kannst du vergessen!”

„Ich denk gar nicht dran!“

Darauf muss man erst mal kommen.


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Knife in the table“ von Beef Terminal, „Deep lake“ von Film School und „FM delight“ von Klaus Schulze.


30 November 2005

Der Verdächtige

Am Bahnhof Altona sitze ich im 37er gegenüber der mittleren Tür, lese Spiegel und warte, dass der Bus abfährt. Mein Blick fällt auf einen Mann mit Bartschatten, der vor der Tür steht, obgleich noch Plätze frei sind. Er wirkt arabisch, trägt einen dicken Parka, Handschuhe und einen Rucksack auf dem Rücken. Er blickt unstet umher, und mir wird plötzlich unwohl. Was, wenn er … Ich höre auf zu lesen und überlege, ob ich aussteigen soll. Der nächste Bus fährt in zehn Minuten, und ich bin in Eile.

Soll ich? Quatsch! Oder doch?


Wir haben eine neue Kanzlerin, die noch einen braunen Hals hat von ihrem damaligen Besuch bei Irak-Krieger Bush, mit dem sie der deutschen Regierung in den Rücken fiel. Und im Irak wurde gestern eine deutsche Staatsbürgerin entführt. Kann es nicht sein, dass wir jetzt ebenso auf der Liste stehen wie England und Spanien?


Der Mann an der Tür schaut umher. Warum setzt er sich nicht? Sein Parka beult sich, der Rucksack ist prall. Ich bin wie versteinert. Die Türen flappen zu mit einem dumpfen Zischen, und der Bus fährt los. Die wahrscheinlich lächerliche Entscheidung, auszusteigen und auf den nächsten zu warten, ist mir abgenommen worden.

Der Spiegel liegt auf meinem Schoß. Ich beobachte den Mann, der sich jetzt umdreht und durch die Türscheiben in die Dunkelheit starrt. Sein Rucksack wölbt sich mir schwarz entgegen. Der Mann hält sich mit einer Hand an der Stange fest. Sein Körper schwankt im Zusammenspiel von Gravitation und Fliehkraft.


Wann würde es passieren? An einer Ampel? Wenn der Bus die Reeperbahn hochfährt? Vielleicht an der Haltestelle Davidstraße, wo die Sünde und Verderbtheit der westlichen Welt sich verdichtet zur grandiosen Verhöhnung seines Glaubens? Oder will er zur U-Bahn, in einen Tunnel, zum Hauptbahnhof?


Die nächste Haltestelle, Altonaer Poststraße. Der Bus stoppt, die Türen zischen auf. Der Mann steigt aus. Ich sehe, dass er ein steifes Bein hat. Er hätte sich gar nicht hinsetzen können, so eng, wie die Sitzreihen aneinander gebaut sind.


Ich bin beschämt und erleichtert. Abends im bretonischen Restaurant Ti Breizh in der historischen Deichstraße esse ich einen Schoko-Marzipan-Crêpe, für den Adam jederzeit den Garten Eden verlassen hätte. Über die Ost-West-Straße huschen die Lichter der Autos; und das würden sie auch, wenn abends irgendwo in der Stadt ein Bus explodiert wäre.


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Two wrongs won't make things right“ von Tarnation, „Summer dress“ von Red House Painters und „Sight of you“ von Pale Saints.