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13 Juli 2018

Diesmal wird vorab geätzt!

Es ist ja nun wirklich nicht so, dass die Hamburger Stadtreinigung das seit Jahren pünktlich zum Schlagermove anschwellende Jammern und Wehklagen der Kiezbewohner immer noch ignorieren würde. 

Nein, die erwartungsfrohe Phalanx der Klohäuschen, die sie in den vergangenen Tagen an nahezu jeder Ecke von St. Pauli aufstellen ließ (das Foto zeigt die hochmotivierte Einsatztruppe Millerntorplatz), zeugt vom durchaus tapferen Versuch, das Schlimmste wenigstens in Bahnen zu lenken.

Irgendwas aber sagt mir (es ist, genau gesagt, die Erfahrung), dass die so geschmacksamputierte wie schnapsaffine Heuschreckenarmee der Hirnlos-durch-die-Nacht-Dschihadisten, die sich in diesen schicksalhaften Stunden bereits an den leider schon vor Jahrhunderten geschleiften Stadtmauern zusammenrottet, eben jene Klohäuschen aus promilletrüben Augen lediglich verständnislos anglotzen wird. Um sie dann – das wäre immerhin die günstigste denkbare Entwicklung – rülpsend anzupinkeln.

Der hochtoxische Mix aus Alkohol und Schlager nämlich wirkt auf die zivilisatorische Stabilität des deutschen Durchschnittbürgers, der den Schlagermove mehrheitlich bevölkert, wie ein Spritzer Nowitschok auf das Herz-Kreislauf-System von Exspionen. Nur dass der Durchschnittsbürger trotz allem weiterhin in der Lage ist, das erstaunlich breite Sortiment seiner Körperflüssigkeiten wahllos im gesamten Stadtviertel zu exkorporieren. Hauptsache nicht innerhalb von Klohäuschen.

Wahrscheinlich werden Sie Naivchen von außerhalb mich jetzt für einen misanthropischen Pessimisten halten, und das bin ich natürlich auch, aber morgen Abend – das verspreche ich Ihnen – wird alles noch viel schlimmer gekommen sein.

Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, was ich in der Tat Jahr für Jahr tue: Aber für diese Prognose gibt es handfeste empirische Indizien – und zwar hier, hier, hier, hier und hier. Und hier

Eigene Erfahrungen können in diesem Jahr übrigens erstmals interessierten Stadtbediensteten direkt geschildert werden, und zwar unter folgender „Pipi-Hotline“ (Mopo): 

040-428 28 1000 



25 Mai 2018

Der den Ständer hasst

Normalerweise hat gerade hier auf St. Pauli nix und niemand Probleme mit einem Ständer. Im Gegenteil: Bei vielen kieztypischen Freizeitangeboten rund um die Reeperbahn ist er geradezu essentiell. 

Doch irgendjemand zieht hier gerade über den Kiez und schneidet Ständer ab – einstweilen erst mal die von Fahrrädern.

Schlimm genug. Manchmal lässt derjenige – ich benutzte hier ganz bewusst das generische Geschlecht, liebe Genderer, also verzichten Sie bitte auf einen Shitstorm – manchmal also lässt der Ständerkiller das Amputat sogar einfach achtlos zurück. Es bleibt auf dem Gehweg liegen als stummer Zeuge einer fehlgeleiteten Kastrationsfantasie, an der die freudianisch geprägten Vertreter der Psychiatrie gewiss ihre stille Freude hätten.

Und so geht es auch mir, wenn ich ehrlich sein soll. Ich erführe allzu gerne Ursache, Sinn und Zweck dieser schwer behämmerten Freizeitgestaltung. Denn nach und nach zwingt sie uns Kiezradler alle dazu, bei jedem Halt nach einem immobilen Gestänge oder Gewächs zum Anlehnen zu suchen, statt unser Fahrrad einfach mal auf freier Fläche zwischenparken zu können. Ich weiß nicht, ob der Täter das bedacht hat, aber in der Sahara hätten wir jetzt echt Probleme, Mann.

Mein Interesse an der Motivation des Ständermörders ist übrigens ein durchaus ernsthaftes. Mithilfe der Kommentarfunktion unten gibt es für Sie, der Sie sich jetzt unweigerlich angesprochen fühlen, die rechtssichere Möglichkeit, mich und das interessierte Publikum dieses Blogs über die Hintergründe Ihres Tuns und Lassens aufzuklären.

Dank der Anonymität, die ich Ihnen hiermit DSGVO-kompatibel zusichere (siehe dazu den neuen seitenlangen Sermon in der Spalte links), brauchen Sie dabei auch kein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Mein Dank vorab. Und jetzt steigt die Spannung.





07 Mai 2018

Was mir heute den Tag gerettet hat

Eine nur für Nichteingeweihte kryptische Kürzest-SMS des Franken (sie bestand nur aus dem Wort „Penny“) bewog mich heute, sofort den gleichnamigen Supermarkt an der Reeperbahn aufzusuchen, um dort rücksichtslos durch die zu Sonderpreisen angebotenen Bestände meiner Lieblingsschokolade zu marodieren. Ich hatte die Botschaft des Franken also richtig gedeutet.

Auf dem Weg zu Penny, nämlich an der Fußgängerampel eingangs der Silbersackstraße, gingen zwei junge Frauen an mir vorüber, die wohl noch nicht einmal die Marke von 20 Lenzen erreicht hatten. Sie unterhielten sich miteinander über irgendetwas, das ich nicht verstand, doch auf einmal wehte ein kleines Satzfragment zu mir herüber, das mir nicht nur den Tag rettete, sondern möglicherweise – das wird sich noch herausstellen – auch den Glauben an diese ganze Generation zurückzugeben in der Lage ist.

Das Satzfragment lautete: „Im Herbst letzten Jahres …“ 

Im Herbst letzten Jahres … Wie wunderbar. Diesen reinen, unverfälschten, mit liebreizender Nonchalance in den sommerlichen Kieznachmittag geflöteten Genitiv hätte ich von zwei jungen Frauen von nicht einmal 20 Lenzen, die im Jahr 2018 über die Reeperbahn schlendern, keinesfalls erwartet. Und das beschämt mich, wie ich zugeben muss.

Bei Penny erwischte ich dann übrigens nur noch Restbestände meiner Lieblingsschokolade, doch diese schmale Ausbeute vermochte den genitivüberstrahlten Kiezsommertag natürlich nicht im Geringsten zu beeinträchtigen.

Meine letzte Kürzest-SMS an den Franken lautete übrigens „Edeka“.

PS: Die „Frankensaga – Vollfettstufe“ gibt es als E-Book hier. Nur für den Fall, dass ich Sie – hüstel – noch niemals darauf hingewiesen habe.

24 April 2018

01 Januar 2018

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (129)




Ob ohne Netz, Geländer und doppelten Boden auf dem Dach eines Reeperbahnhauses oder fünf Stock tiefer auf der Seilerstraße: So ging’s zu auf dem Kiez in den ersten Minuten des Jahres 2018.   



16 September 2017

Von Huren, Wien und Unterhosen

„Mal sehen, ob er gut gemacht ist.“ Der Kiezbäcker nimmt meinen 50-Euro-Schein, mit dem ich leicht verschämt die Samstagsbrötchen bezahlen möchte, und fährt ihn mit einem grauen, an einen USB-Stick erinnernden Lichtstift ab.

„Meine Falschgeldausrüstung zu Hause ist eigentlich spitze“, sage ich. „So“, sagt der Kiezbäcker, während er den Fuffi wegsteckt und nach Wechselgeld kramt, „hab ich Sie auch eingeschätzt.“

Dieser kleine Dialog mit einer St.-Pauli-Institution – wer den Kiezbäcker nicht kennt: Er vertickt seinen körnerreichen Stoff in der Silbersackstraße – passt gut zum heutigen Tag. Denn dieses ohne den Kiez undenkbare Blog feiert schon wieder sein Wiegenfest, und zwar zum zwölften Mal. Damit dürfte die Rückseite der Reeperbahn endgültig zu den Methusalems der deutschen Blogosphäre gehören.

Was die Besucherzahlen angeht, so liegen sie momentan recht stabil zwischen 1.700 und 2.000 täglich, mit Ausreißern nach oben und unten. Erstaunlich angesichts meiner seit Jahren rückläufigen Blogfrequenz (in den vergangenen zwölf Monaten hat sie immerhin wieder etwas angezogen).

Insgesamt waren seit 2010 (die Statistik davor ist leider verlorgengegangen) 3.490.328 Interessierte hier, viele natürlich mehrfach.

Jeder und jedem Einzelnen dafür demütigsten Dank! Ohne Sie und Ihre Kommentare wäre dieses Blog schon längst den Gang alles Irdischen gegangen. Man kann und muss sogar sagen: Nicht ich halte es am Leben, sondern Sie. Und das meine ich ernst.

Eines ungebrochenen Zulaufs erfreut sich noch immer einer der ältesten Texte überhaupt, der am 27. September 2005 veröffentlichte „Die Huren“. Mit knapp 37.000 Zugriffen ist diese kleine empirische Anleitung, wie man sich am besten der Avancen von Davidstraßendamen erwehrt, auch der mit riesigem Abstand meistgelesene. Der auf Platz zwei gelistete – „Die geschüttelte Unterhose“ vom 22. September 2013 – kommt auf 5.919.

Besonders erfreulich finde ich die 5.605 Leser von „Der weltweit mieseste Espresso von ganz Wien“, weil sie möglicherweise nicht in dieselbe Falle stolpern wie wir. Hier auf der Rückseite der Reeperbahn werden Sie nämlich nicht nur unterhalten, sondern auch geholfen!

Danksagungen, Beschimpfungen und gutgemeinte Ratschläge bitte in den Kommentaren.

PS: Das Foto zeigt die Abendsonne überm Millerntorstadion, neben dem Kiezbäcker eine weitere Institution auf St. Pauli.

15 Juli 2017

Kein Sterbenswörtchen über den Schlagermove

Beim Wettbewerb um die widerlichste regelmäßige Großveranstaltung auf St. Pauli hält der Schlagermove (Archivfoto) seit Jahren konstant eine Spitzenposition unter den Top drei – ästhetisch, musikalisch, sonisch und generell zivilisatorisch. 

Umso großartiger, dass wir ihn dieses Jahr wegen eigener Abwesenheit verpassen, und zwar – vielleicht gibt es ja doch einen Gott – rein zufällig. 

Denn ohne dieses Event aus dem Terminkalender des Teufels überhaupt auf dem Schirm zu haben (das menschliche Gedächtnis versucht ja, die schlimmsten Erinnerungen am schnellsten abzulegen, und zwar im Unterbewusstein unter einem Rubrum namens „Trauma“), buchten wir im Januar arg- und sorglos eine Urlaubsreise. 

Diese startet ausgerechnet am heutigen Sonnabend – also genau an jenem Tag, an dem die im Verlauf der Veranstaltung zuverlässig zu unkontrollierbarer Inkontinenz tendierenden Hossahorden unseren Kiez heimzusuchen planen.

Deshalb habe ich diese Jahr nicht den winzigsten Grund, irgendetwas zu dieser Veranstaltung aus der Vorhölle zu sagen. Wir sind ja nicht da. Ich kann mich jeder Bemerkung enthalten. Kein Wort, nicht das kleinste, wird heuer hier stehen über Miniplimarodeure, Perückenpaviane und „Marmor, Stein und Eisen bricht“-Vomitierer.

Ich kann und werde den Schlagermove 2017 deshalb komplett so was von ignorieren. Er wird diesmal hier auf der Rückseite der Reeperbahn einfach totgeschwiegen.

Und wenn wir wiederkommen, in einer Woche, werden mit Sicherheit sogar die letzten breitflächigen Kotzlachen der vereinigten Helene-Fischer-Chöre längst derart eingetrocknet sein, dass sie uns höchstens noch optisch zu beleidigen vermögen, aber nicht mehr olfaktorisch.

Also wie gesagt: diesmal kein Sterbenswörtchen über den Schlagermove. Denn wir sind nicht da. Hossa!






19 Juni 2017

Willkommen in der Hölle


Wäre ich gerade auf Twitter unterwegs statt hier im Blog, würde ich sagen: Ich brauche Followerpower. 

Vielleicht weiß ja jemand von Ihnen Bescheid. Es geht um ein neues Objekt auf dem Dach gegenüber, also auf einem Haus an der Reeperbahn, das von uns aus – der Rückseite der Reeperbahn – seit Kurzem zu sehen ist.

Die beiden großen Antennen dort drüben gibt es schon eine Weile, doch das Teil, das am Ende des Auslegers rechts promeniert (auf dem folgenden Bild zweimal vergrößert zu sehen), scheint mir neu. 


Was ist das bloß – eine Kamera? (Und wenn ja: Was nimmt sie auf? Und darf sie das überhaupt? Immerhin wurde die Kameraüberwachung auf dem Kiez vor einigen Jahren wg. nachgewiesener Illegalität wieder aufgehoben.) 

Oder ist es ein Strahler? (Und wenn ja: Was strahlt er an? Und warum haben wir dann das Objekt bisher noch nie beim Emittieren von Licht ertappt?)

Oder handelt es sich eventuell um ein unverzichtbares Accessoire des Antennenduos, ohne das unser LTE nicht mehr funktionieren würde?

Und warum hat es sich auf der Unterseite verfärbt, obwohl ich es innerhalb von wenigen Sekunden zweimal aus identischer Position fotografiert habe?

Fragen über Fragen, welche ich die Observierer, Ingenieure, Telekommunikationstechniker und Verschwörungstheoretiker unter Ihnen zu beantworten bitte. Eine plausible Erklärung trüge zur Beruhigung der Lage hier auf der Rückseite der Reeperbahn nicht unwesentlich bei, denn man wird ja schon ein bisschen paranoid, je näher der G20-Gipfel rückt.

Gestern etwa sah ich im SPIEGEL die Route der vielversprechend betitelten Auftaktdemo „Welcome to Hell“, die bereits für den 6. Juli, also den Tag vorm Start des Gipfels, anberaumt ist. Sie führt Richtung Westen über die Reeperbahn, biegt in die Detlev-Bremer-Straße ein und nimmt dann den Weg zurück nach Osten über die Simon-von-Utrecht-Straße.

Man könnte auch sagen: Die „Welcome to Hell“-Demo hat uns im Schwitzkasten. Hier in der Seilerstraße sind wir im Zentrum der Hölle. 

Ja, es sind wirklich nur noch gut zwei Wochen, dann kommt Donald Trump nach Hamburg. Mit erhobener Faust muss ich ihm deshalb hiermit den Sparks-Song „This town ain’t big enough for both of us“ entgegenschmettern. Und um aus dieser Erkenntnis auch eine vollinhaltlich korrekte Handlungsoption abzuleiten … – verlassen wir am G20-Wochenende die Stadt. Und fliehen nach Wolfsburg.

Wer das jetzt hasenfüßig findet, sollte eins bedenken: Trump hat etwas, was wir genau so wenig haben wie die Sparks: Atombomben.

Theorien über das Objekt da drüben bitte in den Kommentaren.


12 Mai 2017

Der Mondpreiseffekt des ESC

Der deutsche Schauplatz des Eurovision Song Contest ist ja, wie Sie auch als Nichthamburger sicherlich wissen, der Spielbudenplatz hier auf St. Pauli, direkt an der Reeperbahn. Uns trennt genau eine Häuserzeile vom Ort des Geschehens, und bei geöffneter Balkontür bekämen wir – wie schon mehrfach mitgeteilt – auch ohne Fernsehton alles mit. 

Diese Veranstaltung erreicht zwar zugegebenermaßen nicht ganz die Vergrätzungskraft der Harley Days oder gar des Schlagermove, doch sie löst hier im Viertel reflexhaft einen ähnlichen Impuls aus – nämlich den fraglichen Abend (also diesen Samstag) lieber ganz woanders zu verbringen, zum Beispiel auf einer Almhütte oder der internationalen Raumstation.

Angesichts solcher instinktiv richtigen Fluchtreflexe umso unfasslicher ist allerdings die Tatsache, dass es anscheinend Menschen gibt, die den Kiez nicht nur nicht weiträumig meiden, sondern an diesem Wochenende wegen des ESC sogar gezielt anreisen. Die extra hierher kommen, nach St. Pauli, nur wegen des Eurovison Song Contest. 

Und das scheinen sogar erfahrungsgemäß nicht wenige zu sein – wie sonst wäre die auf dem Foto dokumentierte Mondbepreisung des Ibis-Hotels bei uns um die Ecke zu erklären? Dort rechnet die Geschäftsführung mit einem deutlich erhöhtem Gästeaufkommen – und lässt deshalb den Doppelzimmerpreis an diesem Wochenende auf sagenhafte 209 Euro explodieren. 

Zweihundertneun Euro! Dabei hat diese Absteige Etagenbetten! Sie ist mehr Jugendherberge als Vier Jahreszeiten! Und wenn schon nicht die Veranstaltung als solche, so sollte doch derlei leicht durchschaubare Melk- und Ausquetschabsicht auch den gutmütigsten Eurodancetolerierer sofort von einer Anreise Abstand nehmen lassen.

Andererseits … Möchten Sie stattdessen vielleicht lieber bei uns übernachten? Ab 666 Euro würden wir mit uns reden lassen. 

(Wobei ich Ms. Columbo über diese Offerte noch gar nicht informiert habe; da bleibt also ein Restrisiko.)



04 April 2017

Die beste Show der Reeperbahn ist kostenlos

Die Penny-Filiale auf der Reeperbahn darf seit einigen Jahren nicht mehr an sieben Tagen die Woche ihren Betrieb am Laufen halten, sondern muss leider sonntags dicht bleiben. 

(Ob sich für diese Zwangsmaßnahme die Gewerkschaften oder die Kirche dereinst vor ihrem Schöpfer verantworten müssen, ist mir entfallen. Wahrscheinlich war es eine Koalition der beiden.) 

Jetzt halt nur noch von Montag bis Samstag läuft dort jedenfalls die beste Show auf dem Kiez, und sie ist auch noch kostenlos. Es ist eine Freakshow, und je später der Abend, desto freakiger. 

Zum durch die Gänge defilierenden Kundenensemble gehören Teenies mit verschmiertem Lippenstift, Plappertransen aus der Schmuckstraße, tätowierte Testosteronsammelstellen mit dem Willen zum Billigbier, eher nicht nach Hermès duftende Pfandflaschenzausel, gegelte Hugo-Boss-Typen mit zu engen Kurzsakkos, teigige Prolls in Schnellfickerhosen, die Dicke von nebenan, ältere türkische Herren auf dem Weg zum Kültürverein oder der heimlich Avocados (zer)drückende Hausmann.

Alle sind sie da. Und alle treffen sich spätestens in den zuverlässig langen Schlangen vor den Kassen. Selbst die Leute, die in dieser Penny-Filiale arbeiten, sind bisweilen eher … nun ja, ungewöhnlich. Keine Ahnung, ob sie speziell dahingehend gecastet wurden oder sich im Lauf der Zeit allmählich – Penny-Jahre sind Hundejahre, meine Damen und Herren! – ihrer Klientel annäherten. 

Man darf dabei eins nie vergessen: Jeder, der diesen Laden betritt, wird unweigerlich selbst Bestandteil der Freakshow, ob er will oder nicht. Doch was immer man tut, wie immer man sich verhält, keinen hier kümmert’s auch nur die Bohne – selbst wenn man 30 Tafeln Schokolade auf einmal zunächst aufs Transportband und wenig später in eine Eastpak-Umhängetasche kübelt, nur weil der Einzelpreis heute dramatisch von 1,29 Euro auf 85 Cent abgesackt ist.

Leider selbst getestet.



14 Januar 2017

Fundstücke (217)

Auf Straßen und Gehwegen rund um die Reeperbahn liegen u. a. Kippen, Restmüll und – Klischee, aber wahr – gebrauchte Kondome herum. 

All das überlässt man natürlich herzlich gern der Stadtreinigung, doch ich habe auf St. Pauli im Lauf zweier Jahrzehnte auch schon allerhand Aufklaubenswertes entdeckt – und dann auch aufgeklaubt. 

Zum Beispiel einen Satz Passfotos, diverseste Münzen aus aller Damen und Herren Länder, Kontoauszüge, Einkaufslisten, mindestens ein halbes Dutzend Euronoten bis hin zum Nennwert 50, einen Holzklapphocker, der seit Jahren hier im Flur unverdrossen seinen Dienst tut, einmal einen Personalausweis – und heute erstmals auch einen Führerschein. 

Lieber O., der du 1995 in Hamburg geboren wurdest: Du kannst dir dein Dokument auf der Davidwache abholen. Gegenüber dem diensthabenden Beamten habe ich dummerweise erneut auf jeglichen Finderlohnanspruch verzichtet. „Da wird er sich aber freuen“, meinte der Mann, und das wäre schön.

Über ein weiteres Fundstück stolperte ich unlängst im Edeka-Markt in der Paul-Roosen-Straße. Dort hatte ein Hersteller von Duftsteinen die super Idee, der Kundschaft seine Produkte in einer aufblasbaren Toilettenschüssel darzubieten. Kongenial isses scho, doch jeder Kaufakt wird damit auch zum Griff ins Klo – wenn Sie mir diesen kleinen Ausflug ins Reich der Reimkunst nachsehen mögen.

Übrigens gibt es hier auf der Rückseite der Reeperbahn nicht nur immer wieder was zu finden, sondern auch einiges zu verlieren. Jüngstes Beispiel: Durch einen technischen Fehler sind sämtliche Zugriffszählungen der zwischen August und Dezember veröffentlichten Blogtexte verlorengegangen.

Sie kommen also nicht umhin, all diese Texte erneut zu lesen, damit mir kein wirtschaftlicher Schaden entsteht. Dafür werde ich auch all Ihre Führerscheine und Personalausweise, die Ihnen in den Etablissements des Viertels abhanden kommen und mir anschließend in die Hände fallen, auf der Davidwache abliefern. Ohne Finderlohn zu verlangen!

„

25 September 2016

Reeperbahnfestival 2016: Eine Fotonachlese


Als ich heute Abend beim Konzert der britischen Newcomerin Alexandra Saviour im Imperial-Theater war, dachte ich: In einer skurrileren und deshalb lebenswerteren Version unserer Welt würde Herr Naidoo sie heiraten und ihren Namen annehmen.

Die gute Alexandra habe ich nicht fotografiert – wie überhaupt wenige Künstler –, dafür aber das Drumherum, vor allem die Stilleben im Trubel. Hier eine kleine Nachlese dreier toller Tage auf dem Kiez, die so ganz anders waren als sonst wochenendüblich.



Große Freiheit, Bühnenhintergrund der Band Get Well Soon. Die Nutzungsgebühren gehen wohl an John Lennon bzw. Yoko Ono. Es sei denn, die Liebe ist immer noch gemeinfrei. Heutzutage kann man sich dessen ja nicht mehr sicher sein.


Spielbudenplatz, Grillstand.





Die Decke des Resonanzraums im Bunker. Als Soundtrack dazu müssen Sie sich bitte eine von Olga Scheps gespielte Chopin-Etüde vorstellen, dann sind Sie ganz nah an der Wahrheit.



Große Freiheit, Eingang zum Sanitärbereich. Die Leuchtschrift müsste aus der Zeit stammen, als das Wasserklosett gerade erfunden worden war.




Imperial-Theater, Wandbeleuchtung.




Hand mit Band. Mit diesem kleinen Accessoire kam ich überall rein – und hätte sogar die ganze Zeit auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen können. Bei den kurzen Distanzen zwischen den Clubs waren Füße und Fahrrad aber die weitaus bessere Wahl.



Kaiserkeller, Wandbeleuchtung. Ob die auch schon dort war, als die Beatles hier spielten? Bestimmt.



Große Freiheit, Anna Ternheim (l.). Warum die Schwedin im Bademantel die Bühne betrat, erschloss sich dem Publikum nicht. Zumal das unförmige Teil auch leider wenig kleidsam war. 
Die Lautstärke rechts habe ich hingegen beim Konzert von Okta Logue im Grünspan gemessen. Laut DIN 15 905, welche als Höchstgrenze 99 db vorsieht, hätte die Veranstaltung also abgebrochen werden müssen. Was sehr schade gewesen wäre – und ja auch nicht passiert ist.

Deshalb kann es im kommenden Jahr weitergehen mit dem besten deutschen Clubfestival. Sollten Sie dann nicht anreisen, haben Sie vielleicht nicht die Kontrolle über Ihr Leben verloren – aber ganz sicher über Ihre Freizeitgestaltung.



24 September 2016

Streichereinheiten



Heute war für mich ein Streichertag auf dem Reeperbahnfestival. Und von James Johnston, früher bei den Quartalsrockern Gallon Drunk, hätte ich das keinesfalls erwartet.

Doch der Mann kam mit Kammerorchesterchen und mitteldüsterem Pop noir in den Bahnhof Pauli am Spielbudenplatz, und wäre plötzlich Nick Cave in Duettabsicht aus der Kulisse geschlurft gekommen, so hätte sich niemand gewundert.

Vorher bereits hatten mich die drei außergewöhnlich harmoniegesangbegabten Baselerinnen von Serafyn (zwei Celli, eine Akustikgitarre) bezirzt. Kammerfolk so zerbrechlich wie eine angedetschte Mingvase. Dafür hatten Choir Of Young Believers gar keine Streicher dabei, obwohl das angekündigt war, sondern spielten einen Portishead-artigen Elektropop.

Möglicherweise waren das aber auch gar nicht Choir Of Young Believers; so genau weiß man das manchmal gar nicht mehr, wenn man von Club zu Club schwebt wie eine von der Vielfalt herumschlierender Nektararomen halbberauschte Biene.

Was gab’s noch? The Slow Show etwa, ein Solokünstler mit einer Stimme, die an Bill Morrissey erinnert, und Songs, die eigentlich gar keine sind, weil dem Mann das Schema Strophe/Refrain fremd ist und dafür der Begriff Mantra umso vertrauter. Er sollte sich mit Thomas Dybdahl zusammentun, die beiden wären als schwer umwölkte Indiefolkies unschlagbar.

Anna Ternheim, meine ganz persönliche Lieblingsschwedin, geruhte abends in der Großen Freiheit im Bademantel aufzutreten und hallenkompatibel zu indierocken. Künstlerische Weiterentwicklung ist natürlich herzlich willkommen, ohne Frage, doch mir ist ihre „Shoreline“-Phase noch immer die allerallerliebste. Aber auf mich hört ja keiner, am wenigsten Anna Ternheim.

Dafür hören Okta Logue seit Jahren auf mich, obwohl ich gar nichts zu ihnen gesagt habe (na gut, in Form von Rezensionen schon). Diese blassen Griesheimer Jungs mit ihrer Affinität zu Grooves und Psychedelia bilden die weltweit beste deutsche Gitarrenband, und ich würde mich auf jeden beliebigen Kaffeetisch stellen und diese Behauptung aufrechterhalten. Punkt. 

Das gilt in keiner Weise für Connor Youngblood; kann ja auch gar nicht, weil er ein filzköpfiger Afroamerikaner aus Dallas, Texas, ist. Im Imperial-Theater startete der gerätegestärkte Mann mutig mit einer Akustikballade und einem stratosphärenhohen Stimmchen. Danach fing er an, allerlei Sachen wie Ukulelen, Drums etc. live zu samplen und den Status Quo des Lo-Fi zu definieren.

Da war es schon nach Mitternacht und für mich Zeit zu gehen. Schließlich wird der Samstag noch mal an den Kräften zehren, zumal ich mich jetzt schon nicht mehr an alle Bands erinnere, die ich außer den oben aufgelisteten heute alle gesehen habe.

Dieser dunkel pulsende Elektroact im Kaiserkeller zum Beispiel, mit dem (und einem Bier) ich spontan die Pause zwischen Okta Logue und Anna Ternheim überbrückte, war wirklich toll, aber ich bin jetzt zu müde, um ihn im Programmheft nachzuschlagen.

Bis morgen.




23 September 2016

Kann man machen



Reeperbahnfestival: Das bedeutet alljährlich, dass ein Wochenende lang Leute mit gutem Musikgeschmack den Kiez dominieren und nicht die üblichen Heerscharen von Ballermännern und Eckenpinklern.

Denn das muss man zur Ehrenrettung der Hipsterbartträger auch mal sagen: Sie sind zivilisiert(er). Nach einem Schlagermove sieht das Viertel aus, als wäre eine Konfettibombe über einer Urin- und Kotzlache explodiert; nach dem Reeperbahnfestival liegen höchstens Programmprospekte rum.

Ich startete den Abend im Sommersalon mit Me + Marie – und die strahlenden Augen des Trios beim fröhlichen Herumlärmen (u. a. coverten sie Motörheads „Ace of Spades“) machten sofort klar und deutlich, dass auch in hundert Jahren noch junge Menschen zur Gitarre greifen und rumrocken werden.

Diese Art und Weise, seine Jugend zu verbringen, ist einfach unübertrefflich. Meistens zwar nur für die Musiker selbst, aber das galt heute Abend keineswegs für Me + Marie, nicht nur wegen „Ace of Spades“.

Weiter ging’s im Imperial Theaer, wohin mich der vokalreiche Wohlklang des Künstlerinnennamens „Olivia Sebastianelli“ gelockt hatte. Die junge Frau kam allerdings nicht aus Livorno, sondern aus London, und sah auch noch aus wie der jüngste Sprössling der Addams Family.

Gleichwohl sang sie derart laut und fest, dass Dieter Bohlen glatt ein Ei aus der Hose gesprungen wäre, doch er war überhaupt nicht da, sondern wahrscheinlich in Tötensen. Die Sebastianelli wird mal ein Star, da leg ich mich fest, und wenn sie nicht spätestens nächstes Jahr im Vorprogramm von Adele auftritt, dann nur deshalb nicht, weil Adele Schiss vor der Konkurrenz hat.

Nächste Station: Bunker. Kurioserweise virtuosierte dort die Starpianistin Olga Scheps, und zwar außergewöhnlicherweise in Lederhosen und Pumps. So was erlebt man weltweit wohl nur beim Reeperbahnfestival: die Parallelität von Indierockern, Folkpflänzchen UND Weltklassetastenfrauen, die Chopin spielen.

Dass die Scheps auch noch akzentfrei Deutsch spricht, hätte man in der Laeiszhalle, wo sie in der Regel stumm vor einem höchstsituierten Schurwollzwirnpublikum ihre Superskills vorführt, nie erfahren. Auf dem Reeperbahnfestival schon – weil die Booker sich nicht entblödeten, frohgemut gegen den Strich zu denken und eine Frau wie sie einzuladen.

Kurz vor Scheps’ Satie-Part hetzte ich rüber ins Knust, wo das gemütliche Dickerchen Noah Guthrie in Triobesetzung den Country mit Crooning verschmolz. Handwerklich super, aber als Songschreiber ist Guthrie (trotz seines legendären Namens) nicht vom Himmel, sondern höchstens vom Dreimeterbrett gefallen.

Dann halt Black Oak in der St.-Pauli-Kirche am Pinnasberg. Dabei handelt es sich um holländische Indiefolkies mit einem Hang zu Westcoastharmonien und kaum verhohlenen Stolz auf einen amerikanischen Akzent beim Englischsprechen.

Kann man machen, aber faszinierender als ihre Musik war das oben abgebildete Schild auf dem Klo der St.-Pauli-Kirche, was an einem milden Hamburger Septemberabend noch eine Spur grotesker wirkt als sowieso schon.

Morgen Abend geht es weiter mit dem weltweit besten Festival von ganz St. Pauli – und wahrscheinlich sogar dem Rest des Planeten. 







18 August 2016

Kobern anno 27

Unlängst wurde ich von dem verdienstvoll in der Literaturgeschichte stöbernden @germanpsycho auf einen Text von Kurt Tucholsky hingewiesen. 

Der, also Tucholsky, war bereits 1927 nach einem St.-Pauli-Besuch zu dem Schluss gekommen: Rund um die Reeperbahn (oben ein Foto von heute) wird ganz schön rumgentrifiziert. Und nicht in jeder Hinsicht zum Nachteil des Viertels:


So leid es mir tut: Sankt Pauli ist sehr brav und fast gut bürgerlich geworden. Der stöhnende Trubel der Inflation ist dahin; und es gibt keine ›Sailors‹ mehr, die vier Monate auf dem Meer mit dem Schiffszwieback und den Ratten und dem Kapitän allein waren, und vier salzige Monate lang keine Frau mehr gesehen hatten; und es gibt nicht mehr diese tobenden Nächte und nicht die bunten Verbrechen ...

Nun, Tucho wusste natürlich noch nichts vom Schlagermove, sonst wäre sein Urteil anders ausgefallen. 

Was es 1927 ebenfalls schon gab, waren die Koberer, die Passanten in die Etablissements locken sollten und wollten. Ihre Sprüche unterschieden sich damals allerdings deutlich von den heutigen.

Während unsereins bisweilen konfrontiert wird mit unwiderstehlichen Verheißungen wie „Ihr könnt gar nicht so schnell wichsen, wie die sich ausziehen!“, versuchte man Tucho vor 90 Jahren mit einem anderen Killerargument zu bezirzen:

Da, an der Ecke, wollte uns der Portier hineinlocken – die Damen seien alle in Schwimmhosen, versicherte er. 

Wie es bei den Damen obenrum aussah, erwähnte der „Portier“ leider nicht. Und da die Aussicht auf Schwimmhosen bei Tucholsky nicht verfing, bekam er auf St. Pauli keine einzige dieser Damen zu sehen, weshalb er sich zu weiteren Bekleidungsdetails auch nicht äußert.

Erfolgreicher war er aber in der Nähe des Gänsemarktes, jedoch nicht mehr in jener Nacht; längst nämlich war auch diese Gegend, wie Tucholsky bedauert, des nachts brav und bieder geworden.

Doch er erinnert sich noch an einen Anbaggerspruch, mit dem ihn dort am Gänsemarkt einst eine Frau ins Separee bitten wollte, wahrscheinlich zu einem philosophischen Gespräch.

Der Spruch sollte, wie ich hiermit finde und ultimativ verlange, sofort auf dem Kiez – vor allem in der David- und Herbertstraße – wiederbelebt werden:

»Na Kleiner! Komm! Dich kenn ich doch noch aus Honolulu!« 

Und wäre sie wirklich jemals dort gewesen, dann hätte diese Dame – darauf setze ich alle meine Dollhouse-Dollar – Schwimmhosen getragen.