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07 März 2014

Bevor der Letzte das Licht ausmacht


Allmählich habe ich den schlimmen, schlimmen Verdacht, die erste Liga sei auf Abschiedstour in Hamburg. Die Indizien dafür sind jedenfalls erdrückend.

Der HSV tut alles, um endlich auch mal die kathartische Erfahrung eines Abstiegs in seine Annalen eintragen zu dürfen, und der FC St. Pauli wird es wieder mal nicht packen aufzusteigen – schon haben wir den Salat, nämlich weder BV- noch FCB mehr in der Stadt. 

Stattdessen Ingolstadt oder Sandhausen, und das gleich zweimal pro Saison. 

Nichts gegen Ingolstadt oder Sandhausen, aber das sind schon bittere Aussichten: das Tor zur Welt ohne Erstligatore. Keine Chance mehr, einfach mal spontan mit der S-Bahn nach Stellingen rauszufahren und dort Leverkusen, Wolfsburg, Bremen oder Mainz den üblichen Auswärtssieg einfahren zu sehen.

Deshalb verspüre ich schon seit einigen Wochen das progressiv wachsende Bedürfnis, bevor die Lichter ausgehen noch so oft es geht den Glanz und Glamour der Bundesliga zu schauen. Morgen tue ich es wieder. 

HSV gegen Frankfurt: Mr. Goodman und ich werden es uns mit Mützen, Bier und Sonnenbrillen auf der Osttribüne gemütlich machen und Alexander Meiers Siegtor in der 68. Minute mit jener wehmütigen Euphorie würdigen, die nur eine Erstliagabschiedstour auszulösen vermag.

Aber vielleicht steigt der FC St. Pauli ja doch noch auf.

09 Februar 2014

Alptraum Relegation


Jahrzehntelang währt nun schon meine Karriere als Stadionbesucher, doch am Samstag erlebte ich ein Debüt. Beim Spiel des HSV gegen Hertha BSC nämlich geschah Folgendes: 

Der Stadionsprecher nannte mit mühsam gespielter Euphorie den jeweiligen Vornamen der aus- und eingewechselten HSV-Spieler – und die ungefähr 40.000 Anhänger auf den Rängen blieben die übliche Nachnamenergänzung einfach schuldig. Sie schwiegen, konsterniert und gelähmt von diesem neuerlichen 0:3. 

Allmählich muss sich die Stadt wohl wirklich an den Gedanken gewöhnen, erstmals seit 1962 ohne Erstligisten auskommen zu müssen. „Es sei denn, St. Pauli und der HSV spielen in der Relegation gegeneinander“, malt Hertha-Fan A. ein für Hamburg schier apokalyptisches Szenario an die Wand. 

Dann, liebe Leute, wäre die ganze Stadt ein Gefahrengebiet, nicht nur der Kiez. Und wollen wir das? Freilich wollen wir das.


07 Dezember 2013

Ein Jahr an Krückenstöcken


Käpt’n Angelo Basilikos sitzt bei null Grad Außentemperatur Beim Grünen Jäger und versucht seine Finger an den eisigen Stahlsaiten seiner Bouzouki warmzuspielen. Das klappt natürlich nicht, und deshalb will er auch gleich den Betrieb einstellen. 

Vorher aber gestattet der altehrwürdige Grieche mir noch mitzufilmen (s. unten), wie er den Pavarottis gibt. „Meine Stimme hat neun Oktaven!“, behauptet er kühn und nicht ohne Stolz. Nun, das wären ungefähr dreimal so viele wie Mariah Carey, aber Käpt’n Angelo hat ja auch ein paar Jährchen länger geübt. 

Seit 40 Jahren lebt er auf dem Kiez, „habe Kinder gemacht auch“; ein alter Seebär, den es in seiner Jugend nach San Francisco verschlagen hatte, weshalb er nach seiner Rückkehr nach Athen, wo er mit einer Sängerin und Orchester in Musikclubs auftrat, als „der Amerikaner“ galt. 

Zuletzt aber lief es echt schlecht. „Ich habe ein Jahr an Krückenstöcke gelebt“, erzählt Käpt’n Angelo zwischen zwei Songs in seinem wunderbar griechisch gefärbten Baritondeutsch, das ihm jederzeit einen Radiojob verschaffen dürfte, wenn es ihm doch mal zu kalt wird für Straßenmusik. 

Schuld an des Käpt’ns Krückenstöckenjahr war ein Unfall, der ihn alles kostete: seine Frau und die beiden Kneipen, die er auf dem Kiez mal führte, wie er erzählt. Eigentlich ein super Grund, um sich willenlos der Altersdepression hinzugeben, doch an so was hat ein Käpt’n Angelo keinerlei Interesse. 

Stattdessen blitzen seine 71-jährigen Kapitänsäuglein vor Freude, wenn er über sein bewegtes Leben erzählt, bei null Grad Außentemperatur die Finger an den eisigen Stahlsaiten seiner Bouzouki warmzuspielen versucht und vergnügt den Pavarottis gibt.

Wegen solcher Typen liebe ich St. Pauli. Sie wiegen tausend Eckenpinkler auf. 

Na gut: 500.






11 November 2013

Im Gottesdienst



Volbeat-Konzert, o2-Arena, Hamburg, heute Abend.

Nachwehen einer Ehe


 „The next song is dedicated to my former wife number … eh … It’s called ,Jack the ripper’.“

Nichts für Feministinnen: Nick Cave gestern Abend in der Alsterdorfer Sporthalle.


21 Oktober 2013

Was lange währt, wird endlich Bob

Wie sehr, sehr langjährige Leser dieses Blogs wissen, versuche ich seit den frühen 80er-Jahren vergeblich, Bob Dylan zu fotografieren. Dieses Unterfangen scheiterte stets auf klägliche Weise; eine selbstentlarvende Chronik der Ereignisse gibt es peinlicherweise noch immer hier

Seit gestern aber ist mir diese selbstauferlegte Last von den Schultern genommen, denn ich habe VERDAMMT NOCH MAL ENDLICH BOB DYLAN FOTOGRAFIERT! Und zwar so, dass man ihn – und das ist das Sensationelle an dieser Meldung – auch erkennen kann. 

Der Künstler selbst begünstigte dieses epochale Ergebnis freundlicherweise durch den Verzicht auf die sonst bei ihm üblichen Accessoires Hut und Sonnenbrille. Und statt mich hatten die Sicherheitskräfte am Eingang nur Ms. Columbo nach einem Fotoapparat gefragt – Glück happens.

Übrigens kam Dylan während des Konzertes, wenn man von den zwei Zugaben absieht, ohne jeden Song aus den 60ern aus. Ein also in mehrerlei Hinsicht unvergesslicher Abend. Als Fotograf müsste ich mich eigentlich jetzt – auf dem Höhepunkt meiner „Karriere“ – zur Ruhe setzen. Und vielleicht tu ich das auch. 

Denn ich habe VERDAMMT NOCH MAL ENDLICH BOB DYLAN FOTOGRAFIERT.


27 September 2013

An der Schwelle der Wodka-Martini-Ära

Zum Auftakt des Reeperbahnfestivals, welches mich seit gestern auf höchst sinnvolle Weise um einen Teil der Nachtruhe bringt, war ich in den Edelstripclub Dollhouse geladen. Dort hielt der Musiker Dave Stewart (l.) Hof.

Viele erinnern sich gewiss noch an seine große Zeit mit den Eurythmics („Sweet Dreams“). Hier im Dollhouse hatte er nicht nur sein neues Album dabei, sondern auch eine schräge Produktidee, an deren weltrevolutionäre Kraft der Mann unerschütterlich glaubt: eine Wodka-Martini-Maschine.  
  
„Wie viele von Ihnen hatten vor zehn Jahren eine Cappuccinomaschine zu Hause?“, rief er uns in seiner Muttersprache Englisch zu. Ich bin mir nicht sicher, ob Engländer zu Espressomaschinen generell Cappuccinomaschinen sagen, er sagte auf jeden Fall Cappuccinomaschine.  

Vor zehn Jahren? Keiner von uns hob die Hand, entweder aus Schüchternheit oder weil wir allesamt vor zehn Jahren keine Cappuccinomaschine zu Hause stehen hatten. „Sehen Sie?“, triumphierte Stewart und legte uns damit den zwingenden Rückschluss nahe, 2023 allesamt zu Hause über Wodka-Martini-Maschinen zu verfügen, und zwar natürlich welche aus seiner Fabrikation.

Nun, bei mir zumindest wird er mit dieser Prognose völlig falsch liegen, weil ich weder Wodka noch Martini mag und die Kombination aus beidem schon mal gleich doppelt nicht. Da ich aber die Suggestionskraft des Kollegen Germanpsycho kenne, der mich unlängst auf den anhaltenden Trip brachte, mich in edle Tuche zu kleiden, und zurzeit viel Zeit darauf verwendet, seine Skills im Cocktailmixen zu verfeinern, will ich Dave Stewarts Nahelegung vorsorglich mal nicht als komplett ins Fabelreich verbannen. 

Er hatte übrigens noch einen anderen Knaller dabei: einen 11.1-Mix seiner aktuellen Single. Wenn ich 2023 dank Fukushima oder einer Überdosis Wodka-Martini über elf Ohren verfüge, höre ich mir den bestimmt (noch) mal in Ruhe an. 

 

24 September 2013

Wie im Paradiso


Amsterdam unterliegt der unumschränkten Hegemonie der Radfahrer, und sie sind sich ihrer Herrschaft in jeder Sekunde bewusst.

Man springt besser beiseite, wenn irgendwer angerollt kommt, und das geschieht unablässig. Jeder hier scheint Fahrrad zu fahren, und wenn der Amsterdamer gerade mal in der Tram oder im Auto sitzt (was durchaus vorkommt), dann wahrscheinlich nur, weil er gerade einen Platten oder einen Fahrraddiebstahl zu verkraften hat.

Der unbekümmerte Drauflosfahrstil der Radler muss den Amsterdamer Krankenhäusern tagtäglich zuverlässig Kundschaft zuführen, das geht gar nicht anders. Und gleich am ersten Abend erlebten wir denn auch einen Zusammenstoß mit.

Vorm Melkweg nietete ein Radfahrer eine Passantin um, beide gingen schwer zu Boden, überlebten am Ende aber locker. Der allgemeine Effekt dieser Vernarrtheit ins Zweirad ist eine auffällig niedrige Quote adipöser Amsterdamer. Wir haben wirklich keine Dicken dort gesehen.

Sollte wirklich jemand aufgrund einer psychischen Störung oder dank purer Renitenz dem Radeln abhold sein, reguliert er sein Gewicht wahrscheinlich durch lange Aufenthalte in den Coffeeshops. Dort kann man sich jedes Hungergefühl auf angenehmste Weise wegkiffen und bleibt dauerhaft schlank. Draußen vor der Tür darf man allerdings anscheinend nicht an der Tüte suckeln; anders ist es nicht zu erklären, dass alle Bedröhnten trotz angenehmster Temperaturen brav drin verharrten.

Allerdings stehen die Türen der Coffeeshops stets einladend offen (vielleicht ist das Prinzip der Entlüftung durch nach außen führende Rohre in Holland unbeliebt), und ein Aufenthalt in den auf den Gehweg hinauswabernden Shitschwaden verschafft auch dem geizigsten Zufallspassanten eine durchaus erkleckliche Cannabiolzufuhr. Dazu reicht bloßes Weiteratmen.

Abends hatten wir uns zu Fuß durch die niemals nachlassende Drahteselstampede bis zum Paradiso vorgekämpft, um die Swamprocklegende Tony Joe White live zu erleben. Das Paradiso wurde einst gebaut, um hanebüchenen Unsinn zu verbreiten, als Kirche nämlich. Heute gehört es zweifellos zu den wunderbarsten Liveclubs, die man hienieden aufsuchen kann.


Sogar die mit historischen Glasmalereien verzierten Fenster sind noch erhalten, und die farbigen Spotlichtbahnen, die sich vorm Konzert still und stumm durch den Trockeneisdunst frästen, gaben dem Raum ein nostalgisches Flair, das mich an die Glastanzdielen meiner Jugend erinnerte.

Nachdem ich Tony Joes ultralangsame Version seines Übersongs „Rainy Night in Georgia“ im Kasten hatte, wusste ich, dass von nun an nichts mehr schiefgehen konnte an diesem Wochenende – außer von einer Drahteselstampede überrollt zu werden.

Aber das geschah dann merkwürdigerweise doch nicht.




18 September 2013

Neues aus der Musikbranche



Hélène Grimauds Finger waren kürzer, Adel Tawils Turnschuhe grüner und Julia A. Noacks Knust-Konzert dürftiger besucht als gedacht: Wie man sieht, hielten die letzten Tage einige Überraschungen für mich parat.

Bei Frau Noack spielte ich nach Mitternacht sogar noch den Hilfsroadie – eine Erfahrung, die mir in meiner langen Karriere im Dunstkreis der Musikbranche (gerade noch) gefehlt hatte. (Scherz!)

 

Die Woche beschließen wird ein Ausflug nach Amsterdam, wo ich mir die nächste Kerbe im Colt holen werde: Tony Joe White. Wenn der Mann nicht zu mir kommt, muss ich eben zu ihm. Betonung auf müssen.

Alles Weitere später. Ich kann zur Einstimmung schon mal eine höchst anregende Amsterdamstory ankündigen, die zwar etwas angejahrt, mir aus bald zu enttarndenen Gründen aber noch höchst präsent in Erinnerung ist. Es hat – so viel vorab – etwas mit Drogen und Striptease zu tun.

Stay tuned, wie wir Hilfsroadies sagen.

13 September 2013

Fundstücke (181)


Dieser Schemel – und jetzt halten Sie sich bitte fest – war in dem Moment, als ich ihn fotografierte, noch warm von Hélène Grimauds Hintern. Ungelogen.

Zu den Vorzügen meines Berufs gehört es manchmal, quasi Privatkonzerte genießen zu dürfen, durchaus auch mal von großen Stars wie der Klaviervirtuosin Grimaud, die heute bei Steinway & Sons vor den Augen geladener Gäste Flügel ausprobierte.

Der Versuchung, den von ihrem Hintern noch warmen Schemel danach probeweise selbst zu besetzen, widerstand ich übrigens auch aus dem Grund, dass sie – die Versuchung – komischerweise gar nicht aufkam.

Manchmal finde ich mich schon seltsam.


16 Juni 2013

Vorsicht ist die Mutter der Bierkiste


 

Die Sommerbühne in der Ufafabrik ist der weltweit schönste Konzertort von ganz Berlin, nicht nur wegen der von einem Zeltdach heimelig überwölbten Stuhlreihen, sondern auch dank der begrünten Terrassen, die von Stehtischen gesprenkelt sanft Richtung Tresen ansteigen.

Wenn man dort an der Bar ein Getränk kauft, erhält man zusätzklich eine Plastikpfandmarke. Gedankenlos steckte ich sie ein, ehe mir das Pleonastische daran aufging.

Würde es eigentlich nicht völlig reichen, fragte ich mich auf dem Weg zurück zu Ashras schwebendem Sequenzerteppich, wenn man einfach Pfand auf Gläser und Flaschen einbehielte und ihn bei Rückgabe derselben wieder aushändigte – warum zusätzlich auch noch Pfandmarken?

Genau diese drängende Frage stellte ich auch dem Tresenmann bei der nächsten Bestellung. „Weil“, sagte er, „sonst die Leute mit ihren alten Gläsern ankämen. Oder mit einer leeren Kiste Jever.“

Diese Erklärung überzeugte mich sofort. Und sie informierte zudem beiläufig über eine gewisse hinterfotzige Pfiffigkeit des Berliner Publikums, welche eine solche Maßnahme anscheinend notwendig macht.

Jedenfalls wieder mal ein sehr lehrreicher Besuch in der weltweit besten Bundeshauptstadt unserer Republik.


25 Mai 2013

Auf dem Elbjazzfestvial


Pianomeister Chilly Gonzales bittet vor seinem Auftritt darum, keine Handyaufnahmen zu machen.

Haha – das ist ungefähr so, als würde man von Fischen verlangen, für anderthalb Stunden die Kiemenatmung einzustellen. Es ist 2013, Chilly, der Geist ist aus der Flasche, die Büchse der Pandora steht sperrangelweit offen!

Derweil gibt es Ärger am Eingang der Halle, weil niemand mehr reingelassen wird. In der Tat wirkt die Location, wie wir Medienleute sagen, halbleer; ein Anblick, den die draußen Wartenden mit eskalierendem Unmut quittieren.

Irgendwann schaffen sie es sogar, sich zum Chor zu solidarisieren. Ihr „Wir wollen rein!“ erinnert mich an „Wir sind das Volk!“ von Leipzig, 1989. Und wie damals fällt schließlich auch hier die Mauer, allerdings nur für jeweils so viele, wie die Halle verlassen.

Dazu gehöre auch ich bald. Ich bin leicht verstimmt, weil man mich a) mit Getränkebons versorgt hatte, die man sich b) nun weigert einzulösen.

Na gut, schaue ich mir eben c) die Girls In Airports im Golem gegenüber an – ein Plan, der schnell scheitert, weil nunmehr ich zu jenen gehöre, die wegen „Überfüllung“ oder aus „Sicherheitsgründen“ nicht eingelassen werden. Der Rückweg in die Fischauktionshalle ist nun natürlich ebenfalls versperrt.


Klingt, als sei ich gefangen in the middle of nowhere, doch wir sind hier beim Elbjazzfestival, da geht immer auch noch was anderes. Zum Beispiel ein paar hundert Meter weiter westlich im beeindruckend hohen Atrium des Holzhafens.

Dort spielt d) das wunderbare Don Friedman Trio unter LED-illuminierten Glas- und Klinkerflächen. Und weil der altgediente Klaviervirtuose Friedman von keinem Fisch der Welt verlangen würde, die Kiemenatmung einzustellen, gelingt mir e) ein geometrisches Foto fürs Blog.

Morgen geht das Festival weiter. Mal gespannt, wie viele Leute sich bei The Notwist in der Fischauktionshalle einfinden werden – Anpfiff … äh … Konzertbeginn ist f) (wie Fußball) kurz vorm Champions-League-Finale.

18 Februar 2013

Doppelt kodiert

Mit Mark beim ausverkauften Konzert von Fraktus in der Fabrik. Die Band ist seit 30 Jahren eine absolute Legende, auch wenn sie bis vor kurzem noch niemand kannte.

Ohne sie nämlich hätte es Kraftwerk, Rammstein, Scooter (!) oder Jethro Tull (Heinz Strunks Querflöte!) nie gegeben – und natürlich auch sämtliche Technoclubs zwischen Rio und Mojo nicht. Nicht ein einziger „Café del Mar“-Sampler würde existieren – und an dieser Stelle muss man sich natürlich fragen, ob das wirklich ein Verlust für die Menschheit wäre.

Egal: Als wir nach anderthalb vergnüglichen Stunden die Halle verlassen, zetert uns unaufgefordert ein Mann an. „So’n Scheiß hab ich mein Leben noch nicht gesehen!“, zürnt er lauthals. „Das war das Schlechteste, was es überhaupt gibt!“
Der Mann sieht echt wütend aus.

„Ich glaube“, raune ich Mark zu, „er hat den Witz nicht verstanden.“

„Oder“, lächelt Mark fein, „er möchte, dass wir glauben, er habe den Witz nicht verstanden.“

Handelt es sich bei diesem Wutanfall also etwa um eine doppelt dekodierte Ironie? Um ein zweifaches Um-die-Ecke-Denken?

Nun, wir werden es niemals erfahren.


03 Februar 2013

Damals mit Norah



Heute Abend fand das weltweit erste Konzert im wiedereröffneten Mojo Club an der Reeperbahn statt, und wer war gebenedeit genug, um dabei zu sein? Moi. Als Beweis mag das beigefügte Video gelten, welches einen kurzen Ausschnitt des Auftritts der Jazzband Studnitzky zeigt.

Wie mir aus gemeinhin glaubwürdiger Quelle zugetragen wurde, soll es weiterhin strikt untersagt sein, Teile der Mojo-Architektur zu fotografieren. Aber „Filmen“ ist ja schon etwas ganz anderes als „Fotografieren“, nicht wahr, und außerdem ist im Film von der Mojo-Architektur lediglich das Ensemble der Deckenlampen zu sehen. Und das – so habe ich insgeheim ex cathedra entschieden – zählt nicht.

An die erste Mojo-Ära habe ich übrigens nur wärmste Erinnerungen. Gut, auch die aufdringliche Gutgelauntheit eines Roger Cicero drängt sich dazwischen, doch weit wärmer sind die Erinnerungsgefühle, wenn ich zum Beispiel an die schüchterne Norah Jones denke. Am 17. Mai 2002 versteckte sie sich dort bühnenrandöffentlich hinterm Klavier, noch nichts ahnend vom anstehenden Weltruhm und den 20 Millionen verkauften Exemplaren von „Come away with me“.

Nur vier Tage später – das habe ich ebenfalls in meinen alten Terminplan nachgeschlagen – rockte Chris Isaak die Hütte. Zwischen den Stücken flirtete er mit den Damen im Publikum und gab jeder einzelnen das Gefühl, er würde sie und nur sie nach der Show mit aufs Zimmer nehmen. (Am Ende waren es wahrscheinlich alle.)

Mal schauen, ob es wieder so gut wird im neuen Mojo. Der Sound und die Luft sind jedenfalls schon mal spitze, Studnitzky sowieso.

Und die Architektur erst!


16 Dezember 2012

Watt Muse, datt Muse

Beim Muse-Konzert in der o2-Arena filme ich mit der Digicam einen Song mit, als mir plötzlich jemand eine Hand auf die Schulter legt. Es ist eine Ordnerin.

„Bitte stellen Sie das Filmen ein“, brüllt sie mir ins Ohr, „das ist untersagt!“

Wir befinden uns im Unterrang. Einige Meter tiefer wogt die Fanmasse, die Stehplätze erworben hat. Man sieht Dutzende, vielleicht Hunderte Handys und Kameras, die im Dunkeln leuchten.

Alle filmen mit.

Ich würde der Ordnerin gerne erläutern, wie sinnlos der Versuch ist, Zahnpasta zurück in die Tube zu drücken. Aber dazu ist es einfach zu laut.

Und es würde auch die Aufnahme verderben.

19 November 2012

Selig gehört (vermutlich)

 „Da vorne ist Jan Plewka! Ich habe Jan Plewka gesehen!“, brülle ich Ms. Columbo zu. Wir stehen im Kellerclub Molotow. Vorn auf der Bühne, die nicht zu sehen ist, sollen Selig spielen. Klingt auch danach.

Wenn man am Eingang des Molotow-Bühnenraums vor einer unnachgiebigen Wand aus Rückenfronten steht, hat man vielerlei Probleme, die in mehreren Dimensionen anzusiedeln sind.

Zum einen ist der Sound von strunzdumpfer Breiigkeit, aber wenigstens bläst er einem nicht das Hirn aus dem Schädel: Die Front der unnachgiebigen Körper wirkt wie ein riesiger Punchingball, der den Schall teilabsorbiert. Zugleich verhindert sie zuverlässig unser weiteres Vordringen.

Um die Situation zu verschärfen und den Weltrekord in der Disziplin „Unzumutbare Konzertbedingungen“ nicht aus den Augen zu verlieren, minimiert die unmittelbar überm Scheitel des Publikums ansetzende Molotow-Decke außerdem den Sichtspalt Richtung Bühne auf Schlipsbreite – und ich meine nicht die Schlipsmodelle aus den 70ern.

Aus irgendeinem Grund erhasche ich gleichwohl einen Bühnenblick und erkenne den Bart des Sängers. „Da vorne ist Jan Plewka! Ich habe Jan Plewka gesehen!“, brülle ich daher Ms. Columbo zu. Sie scheint mir zu glauben, und wenn nicht, dann spätestens jetzt, mit diesem Beweisbild:




Das süße Discokügelchen über der Treppe, die harmlos tuend hinabführt in den Molotow-Höllenschlund, sollten die Betreiber übrigens unbedingt abhängen. Aus Sicht der zuständigen Jury gefährdet sie möglicherweise den Weltrekord in der Disziplin „Unzumutbare Konzertbedingungen“.


13 November 2012

Meine Killerskills als Linguist

Über unseren Köpfen dreht sich die wahrscheinlich größte Discokugel St. Paulis und überflackert die Stuckengel an den Wänden mit silbrigem Gesprenkel. Kein Zweifel: Wir sind in der Prinzenbar, wo die Südtiroler Frauenband Ganes konzertiert.

Die aparten Damen haben die urige Eigenart, auf Ladinisch zu singen. Dabei handelt es sich einer Theorie zufolge um das Überbleibsel eines alten lateinischen Dialekts aus der römischen Provinz Raeta. Vielleicht importierten aber auch Außerirdische das Ladinische vom Aldebaran; jedenfalls höre ich fasziniert zu.

„Sie rollen das R wie die Spanier“, informiere ich überraschend sachkundig Ms. Columbo, „und manche Nuschellaute klingen deutlich nach Portugiesisch.“

„Das Stück gerade“, antwortet sie, „war aber auf Italienisch.“

Hmpf. HMPF.

Im Anschluss singen die Grazien zum Glück und ganz ohne Rrrrollen und Nuschellaute Bob Marleys „Redemption Song“, und ich bin froh, dass Ms. Columbo das Thema nicht weiter vertieft.

28 Oktober 2012

Es gibt Wichtigeres als J. Los Hintern

Mit den fröhlichen Worten „Komm, lass uns Jennifer Lopez auf den Hintern starren!“ lockte ich Ms. Columbo heute Abend erfolgreich in die o2-Arena nach Stellingen. Und da ich gebenedeit bin unter den Musikjournalisten, durften wir das Konzert in der Loge ihrer Plattenfirma Warner Music verbringen.

Die Wände dort sind geschmückt mit Porträts der bedeutendsten Labelkünstler, also Kalibern wie Miles Davis, Ray Charles, Neil Young, Lou Reed … Warner-Chef Bernd Dopp genoss sichtlich meine sinnierende Bewunderung dieser geballten Galerie der Kreativität und erzählte nicht unstolz, er sei mit sämtlichen abgebildeten Künstlern persönlich bekannt, nur mit einem nicht: Frank Sinatra.

Dabei hatte er alles versucht und ihm einst, in den 80ern, die Bitte um ein Treffen mit einer in die Garderobe geschickten Flasche Schampus schmackhaft zu machen versucht. Der Assistent des Meisters beschied ihm allerdings nach sorgfältiger Prüfung Folgendes: „Mr. Sinatra zieht es vor, Sie nicht zu treffen. Doch er bedankt sich für den Champagner.“ Für The Voice war diese Lösung anscheinend das Musterbeispiel einer Win-win-Situation.

Dopp informierte mich des Weiteren darüber, dass Paul Simons Tage in der Galerie bald gezählt seien, denn die Rechte an seinem Lebenswerk seien just an Sony Music verkauft worden. „Ehe Sie das Bild wegwerfen, geben Sie es mir“, hörte ich mich spontan sagen – und zwar leider nicht eingedenk der hier im Blog unlängst geschilderten Strategie, zu Hause kulturelle Bestände im großen Stil abzubauen.

Sofort schritt Dopp zur Wand, nahm das Bild ab und überreichte es mir. „Wir hätten es wirklich weggeworfen“, sagte er. Verblüfft und dankbar nahm ich das Geschenk an und schaffte es später beim Rausgehen sogar, das Foto an den Sicherheitskräften vorbeizuschmuggeln, ohne des Diebstahls verdächtigt zu werden.

Ich war also losgezogen, um Jennifer Lopez auf den Hintern zu starren – und kehrte zurück mit dem gerahmten Porträt eines der größten Songpoeten der Popgeschichte (vgl. „Duncan“ oder „The Boxer“).

Eigentlich habe ich das also nicht verdient. Und Lopez’ Hintern ist keineswegs so spektakulär, wie immer alle sagen.

24 September 2012

Sooo Billstedt

Am dritten Tag des Reeperbahnfestivals machten sich allmählich Verschleiß-, wenn nicht gar Zerfallserscheinungen bemerkbar. So vergaß ich sowohl den Zettel mit meinem Tagesprogramm als auch meinen Fotopass.

Verstört irrte ich über den Kiez, wo zum Glück jeder zweite Laden reeperbahnfestivaltechnisch bespielt wurde. In einige kam man allerdings nicht mehr rein. Und vor anderen war die Schlange lächerlich lang.

Wegen des Rappers Cro, der die schrullige Angewohnheit hat, nur mit einer Pandamaske aufzutreten, reichte sie vom Docks bis fast zur Davidwache. Ohne mich! Stattdessen holte ich mir mein persönlich längstes Konzert des Festivals ab, nämlich eine volle Stunde Okta Logue im Angie’s.

Für das kürzeste sorgte hingegen die britische Rapperin Speech Debelle (Einschub: Mein saublödes Rechtschreibprogramm verbesserte ihren Namen gerade eigenmächtig in „Debile“). Ich erwischte sie just in dem Moment, als sie den letzten Vers ihres Auftritts ins Auditorium schmetterte und dann ging.

Was nach diesen handgestoppten 34 Sekunden blieb, war der rein optische Eindruck einer stämmigen Frau in Jogginghose. Der lustigste Moment des Festivals passierte aber im Café Five an der Reeperbahn und hatte mit Musik nichts zu tun.

Zwei junge Frauen stritten sich auf dem Damenklo, wie mir aus glaubwürdiger Quelle zugetragen wurde, bis der einen der Kragen platzte. „Halt die Klappe!“, rief sie ihrer Kontrahentin zu, „du klingst sooo Billstedt!

Bei Billstedt, das für Nichthanseaten, handelt es sich um einen sogenannten Problemstadtteil, der gewiss zu den Hauptentsendungsgebieten der hier am Wochenende regelmäßig einfallenden Prollmassen gehören dürfte. Ja, es liegen mir sogar intuitive Indizien dafür vor, dass eventuell jemand aus Billstedt den abgebildeten Mümmelmann auf der Wandtapete der Hasenschaukel verschönert hat.

Wie auch immer: In ihrem von einem innigen Abgrenzungswunsch motivierten Ausruf „Du klingst sooo Billstedt!“ schien die junge Frau eine Herkunft aus einem kultivierteren Hamburger Stadtteil nahelegen zu wollen.

Mein Eindruck vom Kiezpublikum während der drei Festivaltage war ähnlich: Hier dominierten endlich mal nicht die krakeelenden Wer-ist-schneller-hackedicht-Heinis, sondern Indiefans aller Altersgruppen. Die Sauf-, Gröl- und Pöbelfraktion ging gleichsam in der Masse der Musikinteressierten unter, sie wurde komplett absorbiert.

Das Wochenende auf den Straßen St. Paulis war demzufolge geradezu eins zum Wohlfühlen, und diesen Satz habe ich noch nie in dieser Deutlichkeit ausgesprochen.

Daher mein Appell an die Verantwortlichen: Wiederholt bitte das Reeperbahnfestival jede Woche. Egal, wer dann noch sooo Billstedt klänge: Seine Stimme wäre nur noch ein Hintergrundrauschen.

Ich finde diesen Vorschlag übrigens ziemlich großartig.