31 August 2019

Das haben die G20-Gefangenen nicht verdient!

Neulich war ich einen trinken mit German Psycho und zwar im Chug Club auf St. Pauli. Unter anderem in diesen Räumen in der Taubenstraße drehte Jan Schütte 1987 seinen unvergleichlichen Film „Drachenfutter“, ein schwarz-weißes Juwel der deutschen Kinogeschichte über das Schicksal von Immigranten in Hamburg, das eigentlich dauerhaft in den Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen abzurufen sein müsste. Aber das ist natürlich nicht der Fall.

Zurück zur Anschlussverwendung des „Drachenfutter“-Drehortes als Cocktailbar: Im Chug Club darf leider geraucht werden, was mich als Nikotinabstinenzler auf eine harte Probe stellt. Aber was tut man nicht alles für einen gemütlichen Abend unter Freunden. German Psycho, Raucher, kennt meine diesbezüglichen Nöte und geht immer, wenn er Schmacht hat, aus Höflichkeit raus auf die Straße. Ich begleite ihn natürlich jeweils herzlich gerne.

Während wir also dort stehen, zeigt er auf den oben abgebildeten Aufkleber, der einen Mülleimer in der Nähe der Eingangstür verziert. „Findest du das auch so empörend?“, fragt er. Ich schaue näher hin, lese mir das durch und sage: „Ja, unfassbar … Was für ein hammerhartes Deppenleerzeichen!“ German Psycho nickt zufrieden; genau das hatte er gemeint. Doch auch semantisch bietet dieser von einer gewissen „Anarchistischen Initiative“ verantwortete Text mindestens eine Denksportaufgabe. 

Denn was um alles in der Welt bedeutet der Passus „Auch mit den Unschuldigen“? Sollte die Solidarität mit den armen durch ein Deppenleerzeichen verunstalteten Gefangenen nicht den Unschuldigen sowieso, aber eben „auch den Schuldigen“ gelten? Nicht, dass ich selbst dieser Auffassung wäre; ich versuche hier nur die Argumentation der Anarchistischen Initiative zu hinterfragen und mich – wie es die Pflicht eines jeden Homo politicus ist – einer gewissenhaften Exegese zu befleißigen.

Also: Warum werden gerade „die Unschuldigen“ von der Anarchistischen Initiative nur wie ein lästiger Appendix behandelt? Denen sollte doch der ganze Furor des anarchistischen Engagements gelten! Stattdessen gibt man mit diesem – wie man leider sagen muss: letztlich undurchdachten – Geschwurbel (wahrscheinlich höchst versehentlich) zu, dass es in der Tat doch Schuldige gibt; und stellt sie implizit auch noch besser als die armen Würste, die damals Opfer von Polizei- und Staatsanwaltswillkür wurden.

Inzwischen hat German Psycho seine Zigarette zu Ende geraucht. Wir gehen wieder rein, schwankend zwischen Empörung (Deppenleerzeichen!) und Ratlosigkeit (Semantik!). Und ich beschließe, mir demnächst mal wieder „Drachenfutter“ anzuschauen. Ich habe ihn, liebe Öffentlich-Rechtlichen, auf Festplatte.

PS: Wer nachlesen möchte, wie es wirklich zuging auf St. Pauli beim G20-Gipfel 2017, der möge sich diese Blogbeiträge noch mal zu Gemüte führen.  









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