18 September 2016

Die schlechtesten Cover ALLER Zeiten (2)


Natürlich, diese zum Aushängeschild einer Langspielplatte geronnene Szenerie ist dermaßen legendär kacke, dass das Motiv einst auch schon von der britischen Zeitung Guardian in ihre Allzeitbestenliste der allerübelsten Albumgestaltungen aufgenommen wurde.

Für meine Ende August gestartete Galerie der schlechtesten Albumcover ALLER Zeiten ist Millie Jacksons 1989er-Werk „Back to the Shit“ aber genau deshalb und in umso größerem Maß die reinste Zierde.

Dass die (nebenbei bemerkt: großartige) Soulsängerin sich auf diesem Foto nicht nur nicht entblödet, ihr bitchy Outfit im Rahmen einer Toilettensitzung komplett ad absurdum zu führen, sondern auch noch guckt, als erlebe sie nach einwöchiger Verstopfung justamente die Erleichterung einer Totalabfuhr, ist für Außens(t)ehende wirklich nur äußerst schwer zu verknusen. Auf mich wirkt das sogar verstörend.

Und warum eigentlich steht die Gute anscheinend kurz davor, uns mit einem ihrer Pumps zu bewerfen – nur weil wir das Cover anstarren wie eine Massenkarambolage auf der A7? Denn das tun wir völlig zu Recht, Millie!

Immerhin ist das Cover bei all seiner Scheußlichkeit gleichwohl in der Lage, auch positive Gefühle auszulösen. Ich empfinde zum Beispiel Mitleid mit dem Blumenstrauß in der Vase unten rechts. Und bin außerdem sehr dankbar für die blickdiche Gardine vorm Klofenster.

Was mich allerdings nachhaltig beschäftigt, ist die bestürzende Tatsache, dass der abgebildete Fußboden peinlicherweise ein verblüffend ähnliches Muster aufweist wie der in unserer Küche auf der Rückseite der Reeperbahn.

Ms. Columbo und ich müssen wohl noch diese Woche den Familienrat zusammenrufen und sehr, sehr ernsthaft über eine ästhetische Neuorientierung im Kochbereich reden.

Herzlichen Dank auch dafür, Frau Jackson. 



 
 
 

16 September 2016

Elf sind voll

Bloggeburtstag Nummer elf! Ich bedanke ich mich bei bisher (Stand: 20:17 Uhr) 2.786.234 Zuschauern – und hoffe sie mit einer kleinen Bilderstrecke zu erfreuen, welche hoffentlich für die tote Ratte vom letzten Jahr entschädigt.

Die meisten Fotos zeigen Kiez- und Hafenmotive, nur der stolze Vogel mit seinen beiden Bodyguards gehört der Alstersphäre an. Aber wir sind ja tolerant hier auf der Rückseite der Reeperbahn. 

Wer weiß das besser als Sie.










11 September 2016

Meine Beklaubarkeit ist grenzenlos

Umkleidekabine von Fitness First am Rödingsmarkt: Als ich  aus dem Kurs von Katha Gnadenlos zurückgekrochen komme, finde ich den Platz unter der Garderobe vor meinem Spind, wo ich immer meine Badeschlappen abzustellen pflege, verwaist vor.

Sie sind weg – und zwar definitiv geklaut, denn oben am Empfangstresen weiß man von nichts. Aber wer um alles in der Welt klaut denn bloß Badelatschen?

Nicht dass ich damit aufwartete, aber wäre es nicht denkbar, eventuell sogar recht wahrscheinlich, dass wildfremde Badelatschen bis in die letzte Polyesterecke mit Fußpilzsporen kontaminiert sein könnten, so dass man die Idee, sie entwenden zu wollen, doch allein schon aus hygienischen Grünen zwingend verwerfen müsste?

Der Dieb indes scheint völlig frei gewesen zu sein von derlei Erwägungen. Oder er hat die bezirzende neongrüngelbe Pracht meiner Badelatschen als eine Verlockung jener Art empfunden, die alle Gegenargumente hinwegzuschwemmen in der Lage ist, sogar welche fungogener Provenienz.

Dies eingedenk: Was kommt als nächstes – Leute, die mir meine gebrauchte Zahnbürste entwenden? Meinen Nasenhaarschneider? Meine vollgeschneutzten Papiertaschentücher?

Immerhin, und das muss ich dem Dieb doch ein wenig anrechnen, nahm er nicht mein Fahrrad mit. Man freut sich ja schon über Kleinigkeiten. Und eins dämmert mir allmählich: Gehörte es wirklich noch zu meiner Lebensplanung, mich zu reproduzieren, so würde ich als einen meiner herausragendsten genetischen Defekte mit hoher Wahrscheinlichkeit wohl vor allem einen vererben: pipileichte Beklaubarkeit. Und das darf man ja keinem Kind sehenden Auges antun.

Jetzt besorge ich mir erst mal neue Badelatschen – und zwar aus lauter Protest genau hier: in einem Strandshop in Travemünde. So.




31 August 2016

Ein halber Euro zu viel


Kurz nach der Eröffnung des Einkaufszentrums Rindermarkthalle in St. Pauli besuchten Ms. Columbo und ich eine dort ansässige Espressobar, wo die abgebildete Tafel uns über die Preise informierte. Unter anderem über den eines sogenannten Americano.

Als monothematischer und somit ignoranter Kaffeekonsument – will sagen: Ich trinke ausschließlich völlig unkontaminierten schwarzen Espresso à la italiano, nichts anderes, niemals – wusste ich nicht genau, was darunter zu verstehen war.

„Das ist ein mit Wasser verlängerter Espresso“, klärte mich Ms. Columbo auf. Also so eine Art Kaffeeschorle. Umso erschreckender der im Vergleich exorbitante Preissprung. Immerhin wird einem ganz normalen Espresso lediglich Leitungswasser beigefügt, und wenn der Barbetreiber schlau ist, nimmt er sogar weniger Espressopulver; merkt ja eh keiner.

Es handelt sich also um ein Produkt, das den Betreiber wahrscheinlich weniger kostet als ein Espresso. Gleichwohl hält er eine 33-prozentige Preissteigerung für opportun. Mir war das eine Thematisierung wert.

Also fragte ich denjenigen, der uns bediente, warum denn ein Americano ein Drittel mehr koste als ein Espresso, obwohl der einzige Unterschied doch lediglich in der Beifügung einer kostentechnisch vernachlässigbaren Menge Leitungswassers bestünde.

Der Mann war baff. Darüber habe er noch gar nicht nachgedacht, gab er zu, und wir hatten keinerlei Grund, an seiner Aussage zu zweifeln. Eigentlich, fuhr er fort, hätten wir aber Recht. Das sei im Grunde nicht zu rechtfertigen, für das bisschen Wasser. Er würde das mal bei der Geschäftsführung zur Sprache bringen.

So kann es also auch gehen in der Gastronomie: Man wird auf einen Fehler aufmerksam gemacht und korrigiert ihn. Wie in so einer idealen Welt. Wir bedankten uns gerührt und empfahlen uns.

Das war, wie gesagt, in der Eröffnungsphase der Rindermarkthalle. Also vor ungefähr anderthalb Jahren. Heute waren wir mal wieder da und hatten die Gelegenheit, unser segensreiches Wirken anhand der dort noch immer aufgestellten Tafel zu überprüfen.

Und jetzt raten Sie mal, wie viel der Americano mittlerweile kostet.

Ganz genau.







28 August 2016

Die schlechtesten Cover ALLER Zeiten (1)

Außergewöhnlicherweise startet hier im Blog doch noch mal eine neue Serie, dabei war ich schon mal sehr kurz davor, dieses Projekt ganz einzustellen. Und jetzt das.

Heute also die erste Folge einer Rubrik, die sich der Ästhetik- und Stilkritik widmen wird. Manchmal werden die Ausführungen länger sein, ein andermal verständlicherweise eher Sprachlosigkeit vorherrschen. Vielleicht sogar recht oft, das ist momentan noch nicht abzusehen. 

Los geht es jedenfalls mit einem Motiv, das mir keine rechte Ruhe lässt, seit der verfluchten Minute, als es mir vors Auge trat.

Motivisch und auf jeden Fall auch handwerklich gehört das Albumcover der First International Sex Opera Band ohne jeden Zweifel zu den grauenhaftesten aller Zeiten. Ich meine: Hatte die Band etwa einen 13-jährigen Grafiker, dem kurz vorher vom Klassenlehrer nahegelegt wurde, den Kunstunterricht dauerhaft zu schwänzen, ohne Eintrag ins Klassenbuch? Meine Vermutung: ja.

Was die Formulierung „aller Zeiten“ angeht, bei der jetzt bei vielen von Ihnen der Drang erwacht, mich zu belehren, so rufe ich Ihnen hiermit selbstbewusst zu: Ich weiß genau, was ich da schreibe, denn ich habe eine Glaskugel, die mir auch alle künftigen Albumcover anzeigt, und zwar bis zu dem Moment, an dem die Sonne sich die Erde in einer (übrigens spektakulär anzuschauenden) Supernova einverleiben wird.

Was mich beim Nachgrübeln über die Semantik dieses Motivs aber besonders beschäftigt, ist nicht etwa die mimisch ausgedrückte Lust, welche angesichts dessen, was da gerade passiert, selbst dem verständnisvollsten Masochisten ein Stirnrunzeln aufzwänge, sondern die bohrende Frage: Warum springt die körpermittig entflammte Frau mit den lila Haaren, also vermutlich Anita, nicht einfach in den praktischerweise bereitstehenden Pool?

Und warum bloß gibt es diese Lücke im Geländer da hinten rechts?

Theoretische Erörterungen, Exegesen, Theorien erhoffe, nein: erwarte ich in den Kommentaren. Lassen Sie mich bitte nicht allein mit all dem.







 


26 August 2016

Wie erschlagen, und zwar zweifach


Ein Satz wie „Mozart würde sich im Grabe umdrehen“ war schon immer Stuss.

Gerade weil er im Grab liegt, kann er das, was ihn zu einer empörten Drehung bewegen würde, ja keinesfalls hören – nicht nur wegen der dämpfenden Wirkung der Erde über ihm, sondern auch wegen der längst irreparabel eingetretenen Dysfunktionalität seiner Ohren.

Stattdessen gilt hier der Umkehrschluss: Könnte Mozart den Empörungsgrund hören, läge er demnach nicht im Grab. Aber mal angenommen, er könnte das, was ihn empören würde, trotz seiner misslichen Lage six feet under doch sonisch wahrnehmen:

Warum sollte er sich dann ausgerechnet umdrehen wollen? Was wäre denn das für eine lahme Reaktion?

Wenn er, Mozart, also dort unten immer noch hören könnte, dann wäre es ihm doch gewiss auch ein Leichtes, sich wie ein Zombie der Rache hervorzuwühlen an die Oberfläche, um die Ursache seines Missvergnügens mit gnadenlosen Knochenhänden abzuwürgen. Statt sich einfach nur umzudrehen.

Der Satz, meine Damen und Herren, stimmt also hinten und vorne nicht, er war schon immer Stuss. Und er ist deshalb selbstverständlich auch völlig ungeeignet, um irgendetws Zutreffendes über das erste Soloalbum „Herzschlag“ des Ex-Adoro-Sängers Laszlo auszusagen, der zu Klassikpopbombast eingedeutschte Songs von u. a. Miley Cyrus derart schmettert, als versuchte er Mozart von den Toten aufzuwecken.

Mein Rat: Dieses Risiko sollte er lieber nicht eingehen.

Als wäre Laszlos Albumpräsentation heute Abend nicht schon erschlagend genug gewesen, fiel später in der U-Bahn auch noch ein junger, durchs ruckartige Anfahren von einer Zehntelsekunde auf die andere seines Gleichgewichtssinns beraubter junger Mann um und sodann auf mich drauf.

Sein frei flottierender Körper fegte mir den Hut vom Kopf, mein iPhone absentierte sich ins Nirgendwo, ebenso meine Orientierung.

Ja, Sie haben richtig gelesen: Ich trug einen Hut. Und zwar einen billigen Strohhut vom Flohmarkt.

Joseph Beuys würde sich im Grabe umdrehen. 


 

 
 
 

19 August 2016

Fundstücke (215)

Warum ich mich als Radler von den Autofahrern nicht immer ganz ernst genommen fühle. 

Entdeckt in der Glacischaussee, St. Pauli.

18 August 2016

Kobern anno 27

Unlängst wurde ich von dem verdienstvoll in der Literaturgeschichte stöbernden @germanpsycho auf einen Text von Kurt Tucholsky hingewiesen. 

Der, also Tucholsky, war bereits 1927 nach einem St.-Pauli-Besuch zu dem Schluss gekommen: Rund um die Reeperbahn (oben ein Foto von heute) wird ganz schön rumgentrifiziert. Und nicht in jeder Hinsicht zum Nachteil des Viertels:


So leid es mir tut: Sankt Pauli ist sehr brav und fast gut bürgerlich geworden. Der stöhnende Trubel der Inflation ist dahin; und es gibt keine ›Sailors‹ mehr, die vier Monate auf dem Meer mit dem Schiffszwieback und den Ratten und dem Kapitän allein waren, und vier salzige Monate lang keine Frau mehr gesehen hatten; und es gibt nicht mehr diese tobenden Nächte und nicht die bunten Verbrechen ...

Nun, Tucho wusste natürlich noch nichts vom Schlagermove, sonst wäre sein Urteil anders ausgefallen. 

Was es 1927 ebenfalls schon gab, waren die Koberer, die Passanten in die Etablissements locken sollten und wollten. Ihre Sprüche unterschieden sich damals allerdings deutlich von den heutigen.

Während unsereins bisweilen konfrontiert wird mit unwiderstehlichen Verheißungen wie „Ihr könnt gar nicht so schnell wichsen, wie die sich ausziehen!“, versuchte man Tucho vor 90 Jahren mit einem anderen Killerargument zu bezirzen:

Da, an der Ecke, wollte uns der Portier hineinlocken – die Damen seien alle in Schwimmhosen, versicherte er. 

Wie es bei den Damen obenrum aussah, erwähnte der „Portier“ leider nicht. Und da die Aussicht auf Schwimmhosen bei Tucholsky nicht verfing, bekam er auf St. Pauli keine einzige dieser Damen zu sehen, weshalb er sich zu weiteren Bekleidungsdetails auch nicht äußert.

Erfolgreicher war er aber in der Nähe des Gänsemarktes, jedoch nicht mehr in jener Nacht; längst nämlich war auch diese Gegend, wie Tucholsky bedauert, des nachts brav und bieder geworden.

Doch er erinnert sich noch an einen Anbaggerspruch, mit dem ihn dort am Gänsemarkt einst eine Frau ins Separee bitten wollte, wahrscheinlich zu einem philosophischen Gespräch.

Der Spruch sollte, wie ich hiermit finde und ultimativ verlange, sofort auf dem Kiez – vor allem in der David- und Herbertstraße – wiederbelebt werden:

»Na Kleiner! Komm! Dich kenn ich doch noch aus Honolulu!« 

Und wäre sie wirklich jemals dort gewesen, dann hätte diese Dame – darauf setze ich alle meine Dollhouse-Dollar – Schwimmhosen getragen. 



04 August 2016

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (104)





Viele Menschen in Hamburg raufen sich ja tagtäglich die Haare vor lauter Sorge um die Gentrifizierung unseres Viertels.

Zu ihrer Beruhigung möchte ich heute ein paar durchaus beispielhafte Hauseingänge dokumentieren, die einer mit Entmietungsabsicht vorgenommenen Aufwertung bisher noch nicht anheimgefallen sind.

Und ich würde natürlich auch niemals sagen, dass sie es nötig hätten.

02 August 2016

Bye, bye, Nummer acht



Ungefähr anderthalb Jahre ist es her, da streunte ich über den Schlachthofflohmarkt auf der Suche nach einem billigen und doch haltbaren Fahrrad.

Eins, das mich trotz aller hoffentlich sichtbaren Defizite noch eine Weile trüge über die Hamburger Straßen und zugleich jedem Dieb suggerierte: Nimm mich nicht, ich bin schrabbelig, ich falle beim erstbesten Bordsteinkontakt in mich zusammen.

Meine Wahl fiel auf ein Fischer-Fahrrad mit Stoßdämpfer. Schon bei der Probefahrt merkte ich, dass eine Affinität zum Seekrankwerden auf Dauer den Nutzwert des Bikes erheblich mindern könnte, doch als kreuzfahrtgestählter Seebär bin ich zum Glück nicht anfällig für derlei.

Der vielversprechend halbseiden wirkende Händler wollte, wenn ich mich recht entsinne, 70 Euro für den zusammengetackerten Schrotthaufen. Ich schaute aus taktischen Gründen skeptisch und runzelte die Stirn. Er deutete diese Mimik wohl als Kritik an den unübersehbaren Rostflecken.

„Hier, sehen Sie“, sagte er und begann sogleich an allen möglichen Stellen herumzukratzen, „das geht ganz leicht ab.“ Das stimmte, war aber keineswegs das, was ich wollte. Schließlich sollte das Fahrrad unbedingt so aussehen, als sei sein illegaler Erwerb eher Verlustgeschäft als Gewinn.

„Schon gut“, beeilte ich mich daher zu sagen, ehe der Mann das ganze billige Alugestell mit seinen nur mittelgut intakt wirkenden Fingernägeln freigewienert hatte.

Er hörte auch sofort damit auf – und zudem gut zu, als ich ihm ein mit viel gespieltem Widerwillen formuliertes Gegenangebot von 50 Euro machte. Sofort schlug er ein.

Ich bezahlte bar und erhielt eine handschriftlich hingeschlurte Quittung, die er quasi mit dem Schmutz unter seinen Fingernägeln signierte. Hinfort befand ich mich im Besitz eines Fischer-Fahrrads mit Stoßdämpfer und 21 Gängen, eins mit zwei Handbremsen und ohne Rücktritt, auf dem ich dank seiner für meinen Körperbau höchst ungünstigen Konstruktion draufsaß, als wäre ich gerade dabei, vom Einmeterbrett geschubst zu werden.

Doch die Hauptsache war, dass jeder Mensch ohne funktionierenden moralischen Kompass beim Anblick des Fahrrads sofort auf pawlowsche Weise dächte: unter. keinen. Umständen. klauen.

Denn der Wiederverkaufswert, den es ausstrahlte mit seinen Rostflecken und dem lachhaften Stoßdämpfer, mit seiner klobigen Konstruktion und der marktschreierisch ausgestellten Billigbauweise, lag maximal bei acht Euro, wohlwollend geschätzt.

Das ist der beste Diebstahlschutz der Welt, dachte ich. Weshalb ich ihm auch nur ein billiges Zahlenkombinationsschloss spendierte. 

Nun, während unseres letztwöchigen Urlaubs in Norwegen wurde es gestohlen.
 
Es ist das achte Fahrrad, das mir auf diese entwürdigende Weise abhanden kam (Sie möchten die ganze schreckliche Historie nachlesen? Dann bitte hier klicken.). Die Energie, mich wieder einmal der so zähen wie stets nutzlosen Diebstahlsanzeigeprozedur auf der Davidwache auszusetzen, bringe ich diesmal nicht mehr auf.

Stattdessen werde ich mir auf dem Schlachthofflohmarkt die nächste Schrabbelkiste besorgen – und anschließend ein mindestens dreimal so teures Mördermegafahrradschloss erstehen.

Am Ende werde ich gewinnen, so viel ist sicher. 
Nicht.







16 Juli 2016

Dann lieber Todeszone

Neulich stieß ich auf eine super Argumentation, weshalb die Zweiradapokalypse namens Harley Days für uns St. Paulianer erträglicher sei als der Schlagermove. 

Sie ging ungefähr so: Während Motorräder zugegebenermaßen enervierend laut durchs Viertel öttelten, benähme sich der Rest des Ensembles – also die Leute, die draufsitzen – vergleichweise gesittet. 

Beim Schlagermove hingegen sei die Lautstärke – also so was wie „HOSSA!“ mit der Dezibelzahl einer startenden Northrop Black Widow in fünf Meter Entfernung – leider nur eins der Probleme, und nicht das drängendste.

Neben den Augenkrebs verursachenden ästhetischen Begleiterscheinungen dieser in der Verbrechensgeschichte der Menschheit beispiellosen Veranstaltung bietet sie nämlich eine weitere Eigentümlichkeit, die zweifellos alle anderen Unzumutbarkeiten bei Weitem überbrifft.

Teilnehmer des Schlagermoves neigen nämlich kollektiv dazu, sämtliche verfügbaren Körperöffnungen als jederzeit aktivierbare Auswurfvorrichtungen fehlzudeuten. Und an Körperöffnungen, meine Damen und Herren, gibt es einige; da machen sich anatomisch Minderbewanderte, also Nicht-St.-Paulianer, kaum eine Vorstellung von.

Man könnte natürlich sagen: Passt doch inhaltlich perfekt zu dem, was beim Schlagermove den lieben langen Tag aus den Lautsprechern kommt. In Teilen stimme ich dem auch zu, doch während der sonische Auswurf in jenem Moment St. Pauli verlässt, in dem die Mottowagen ihre Stecker ziehen, kontaminiert der biologische erfahrungsgemäß noch tagelang unsere Gehwege, Grünflächen und Hauswände.

Optisch und olfaktorisch macht das unseren Stadtteil erst mal unbewohnbar. In der Todeszone von Tschernobyl ist es – was das angeht – zweifellos angenehmer.

Apropos: Bietet jemand vielleicht zufällig noch heute eine Mitfahrgelegenheit in die Ukraine? Kontaktdaten bitte in den Kommentaren. Wir zahlen gut! 

PS: Vor Jahren habe ich die beiden zweifellos von Psychopathenhirnen erfundenen Veranstaltungen aus der Vorhölle gemeinsam mit Ms. Columbo schon einmal gegeneinander abgewogen, bin also letztlich zu meiner eigenen Überraschung selbst der Urheber der oben geschilderten Argumentation. Den Beweis finden Sie hier.   






13 Juli 2016

Unter muss rein


Mannigfaltigster Natur sind die Arten und Weisen, wie man einem Franken versehentlich zu nahe treten kann.

Zum Beispiel reagiert er höchst unwirsch, wenn man mit einem kapitalen Lachkrampf zusammenbricht, weil er einen ursprünglich hartgesottenen Konsonanten so ausspricht, als wäre der ein Pfund Butter in der Mittagssonne am Äquator („Dang-ge“).

Ich hingegen bleibe selbst dann, wenn es in der Folge im Zwischenmenschlichen gewittert, stets wirsch. Schon aus Eigenschutz: Schließlich sollte man es tunlichst vermeiden, einem aus fränkischem Mutterboden fehlgesprossenen Echauffator weitere Eskalationsgründe zu liefern.

Manchmal aber gießt man Öl ins Feuer, ohne es zu wollen. Mit zum Schlimmsten, was man diesem eigenwilligen Menschenschlag antun kann, gehört zum Beispiel die Benennung des Franken als „Franken“.

„Ich bin Unterfranke!“, knurrt der Franke dann gewöhnlich mit schneidender Unnachgiebigkeit, als hätte ihn diese fehlende Spezifizierung wirklich getroffen. Aber das hat sie ja auch.

Wenn etwa wieder mal ein Serienkiller oder Amokläufer durch sein Heimatland marodiert und ich ihm das mit freundlichstem Lächeln – also wirsch – vorhalte, dann schaut er sich die Sache in der Regel kurz an und blafft dann: „Der Tüb ist Middelfrang-ge! Wir haben nicht mal die gleiche Schbraache!“

Um Außenstehende vollends zu verwirren, gibt es übrigens auch Oberfranken. Dass daraus möglicherweise eine für ihn wenig schmeichelhafte Hierarchie des Frankentums abzuleiten sei, streitet der Franke – Verzeihung: der Unterfranke – indes mit Verve ab. Im Gegenteil: Er scheint sich und seinesgleichen für geradezu gebenedeit unter den Frankenvölkern zu halten.

Bei der noch zu erstellenden, dann aber stark erweiterten und refurbishten Neufassung der „Frankensaga“ sehe ich mich jedenfalls mehr oder weniger gezwungen, dieses Unter irgendwie, irgendwo unterzubringen.

Im Vorwort reicht, oder?

PS: Ein weniger treffendes Symbolbild war wahrscheinlich noch nie. Na ja, immerhin sind die Nudelsmileys, die ich vorm Haus entdeckte, ziemlich wirsch drauf.


 

 
 
 

12 Juli 2016

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (102)



Anscheinend experimentiert momentan jeder mit der Prisma-App herum.

Ich auch – und muss feststellen, dass St. Pauli selbst auf meinen mittelmäßigen Fotos plötzlich toll aussieht, wenn man sie durch die verschiedene Kunstepochen repräsentierenden Prisma-Verfremdungseffekte jagt.

Demnächst mache ich das auch mal mit den vielen abgeranzten Hauseingängen, die ich hier im Viertel immer wieder wie ferngesteuert ablichten muss.

(Oder lieber nicht: Das würde bestimmt die nächste Generation gewissenloser Gentrifizierer herlocken.)


10 Juli 2016

Auf Abenteuerurlaub in Schwerin

Wetterseiten im Web sind grundsätzlich eine feine Sache. Allerdings vermögen sie die Vorfreude auf eine Reise nicht unwesentlich zu trüben.

Für die Premiere der Schweriner Schlossfestspiele – man hatte „Aida“ einstudiert – verhieß wetter.de seit Tagen mit durchaus hämisch durchwirkter Prognosesicherheit Regen, Wind und, pünktlich zum Anpfiff, gar Gewitter.

Ms. Columbo packte deswegen vorsorglich Regencapes ein, die sich beim in der Tat notwendigen Überziehen vor Ort indes als wenig kleidsam erwiesen. Ihr Modell überzeugte wenigstens durch Transparenz, wollte also gar nicht in Konkurrenz treten zur Kleidung darunter; meins aber war in seinem peinlich leuchtenden Blau nichts weiter als ein Müllsack mit Löchern drin. 

Es gibt eine fotografische Dokumentation dieser Lachnummer, für deren Herausgabe man mich allerdings schon Trump’schen Befragungsmethoden unterziehen müsste. Also versuchen Sie es erst gar nicht, danke.

Stattdessen zeige ich hier gern die beeindruckende Sanktionsliste her, mit der unsere Unterkunft, das empfehlenswerte Café Karina in der Werderstraße, all jene bedroht, die sich trotz Verbots erdreisten, heimlich im Zimmer eine durchzuziehen:

Auf Twitter habe ich gestern bereits vorgeschlagen, doch lieber diese AGB aus der Hölle auf Zigarettenpackungen zu drucken statt der sogenannten Schockfotos, die jedem, der auch nur eine einzige Folge „The Walking Dead“ gesehen hat, beim routinierten Zünden seines Zippos nur ein Gähnen entlocken.

Aber Auslöser zu sein für den Einsatz von Spezialreinigern und Zwangsumsiedlungen unbescholtener Mitbewohner: Das schockt wirklich. Wir haben jedenfalls lieber nicht geraucht, ich schwör!

Auch während der „Aida“-Premiere wäre das nicht möglich gewesen, dazu war es einfach rundum zu nass. Wir hatten wenigstens unsere Regencapes, die auf der Bühne Agierenden allerdings waren schutzlos den Naturgewalten ausgesetzt; manche hatten sich unter der unbekümmerten Regie von Georg Rootering gar in den munter wachsenden Pfützen zu wälzen.

Nur das von wetter.de seit Tagen versprochene Gewitter hätte das Ensemble erlöst. Doch der sardonisch gießende Wettergott hielt lieber alles in der Schwebe, sodass niemand entkommen konnte – wahrscheinlich eine kleine, feine Rache am mehrheitlich noch immer atheistischen Osten.

Wenn Sie also zu denen gehören, die sich gern die Lunge bräunen und zudem Abenteuerurlaube schätzen: Buchen Sie einfach „Aida“-Karten in Schwerin – vor allem aber ein Zimmer im Café Karina. 

Und dann tun Sie, was Sie tun müssen.




06 Juli 2016

„Blödmann!“

Der Franke ist zwar der weltweit größte FC-Bayern-Fan von ganz Eimsbüttel, hat aber gleichwohl schon Planungsfehler in Dimensionen gemacht, dass du dir an den Kopf fasst.

Einmal saß er während eines Champions-League-K.O.-Spiels im Flugzeug, ein andermal im Zug und einmal auf einer italienischen Halbinsel fest. Erst mal munter terminieren und am Ende feststellen: Da war doch was, nämlich ein Bayern-Spiel – so ist er, der Franke.

Am vergangenen Samstag aber toppte er all dies auf eine Weise, welche die Historie seines Fehlverhaltens augenblicks pulverisierte. Völlig arglos und ohne Blick in den Kalender hatte er sich vor Wochen von seiner Freundin zu einem Wochenende in Stettin beschwatzen lassen, wo er in eine Tanztheatervorführung unter offenem Himmel verschleppt werden sollte.

Auf all das ließ er sich bereitwilligst ein – ohne zu bedenken, dass ein Europameisterschaftsviertelfinale des deutschen Teams, dem er auf ähnlich hündische Weise zugeneigt ist wie dem FC Bayern, parallel vonstatten gehen sollte.

Als ihm das Dilemma dämmerte, blieb ihm nur noch lautes Wehklagen und Haareraufen (wozu er, wie ich neidvoll zugestehen muss, wenigstens noch in der Lage ist) – und der Auftrag an mich, ihn live per SMS auf dem Laufenden zu halten.

Nun, dies geschah auch: 


Dankbarkeit sieht anders aus, wie ich als Hesse finde. Je nun. So ging es weiter: 


Aus seiner schmallippigen Antwort vermochte ich unschwer eine gewisse Frustration zu destillieren, doch das fand ich eher ermunternd. Schließlich war er drauf und dran, eins der dramatischsten Duelle zwischen Deutschland und Italien zu versäumen – irgendwo im Nirgendwo und wahrscheinlich im Angesicht von Männern in Strumpfhosen. Kein Grund, nicht Öl ins Feuer zu gießen: 


Inzwischen aber verspürte ich nicht nur eine verdammte Chronistenpflicht – manchmal muss ein Mann tun, was ein Mann tun muss –, sondern auch das Bedürfnis, seine ausweglose Lage nicht auch noch durch Süffisanz zu verschärfen. Na ja, ein bisschen zumindest.

Denn mittlerweile war der arme, in der polnischen Diaspora gefangene Franke, wie ich später erfuhr, bereits zwangsversetzt worden, da mein ständiges Simsen nicht nur seine Freundin kirre machte, sondern wohl auch die ganze Tanztheaterveranstaltung in Gefahr brachte. Den Männern in Strumpfhosen wär’s wahrscheinlich recht gewesen: Dann hätten sie die Verlängerung vielleicht noch in der Theaterkneipe mitgekriegt.

Verlängerung also. Und nicht nur das: auch noch Elfmeterschießen. Das Drama aller Dramen, und der Franke sitzt blind und taub in einem Amphitheater in Westpommern. Aber er hat ja mich und meine SMS. 



Gut, die letzte war ein Rückfall ins Sarkastische, sie bohrte in einer tiefen, tiefen Frankenwunde, die sich hienieden nie mehr schließen lassen wird, aber verdammt: Ich bin auch nur ein Mensch. Einer mit Schwächen.

Und er ist ja selber schuld. Das Desaster, in das er fern der Heimat geriet, kann man nicht mal mit einem Anfängerfehler entschuldigen – die oben geschilderten Beispiele verpasster oder nur unzulänglich verfolgter, aber definitiv unverpassbarer Spiele zeigen das überdeutlich. Der Franke kompensierte das zu diesem Zeitpunkt aus reinem Selbstschutz längst mit einer Prise Fatalismus: 


Als alles vorbei war, das Drama, die Euphorie, die Erledigung des Italientraumas – also all das, an das man sich als Fußballfan ewig erinnern wird (sofern man es gesehen hat …) –, habe ich ihm weitere SMS-Dienste angeboten.

Zum Beispiel im Halbfinale, während er wahrscheinlich rituellen Fruchtbarkeitstänzen aus Nordostsibirien beiwohnt. Oder beim Endspiel (Achtsamkeitsworkshop in Worpswede).

Komisch, dass er darauf noch gar nicht geantwortet hat.







22 Juni 2016

Pareidolie (109–111)



Keine einzige Pareidolie seit fünf Monaten? Das ist inakzeptabel, und deshalb gibt es hier und jetzt gleich drei auf einmal.

Die Fundorte sind Boppard (das Katzengesicht oben links), Schwerin (das gutgelaunte Nilpferdbaby rechts) und Planten un Blomen.

PS: Eine ganze Galerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.

15 Juni 2016

Der weltbeste Pinselstrich


Heute klingelte unser Nachbar, der Künstler 4000, um uns den Katalog zu seiner „25 Jahre 4000“-Ausstellung zu schenken. Er hat ihn sogar mit einer persönlichen Widmung versehen, was ich herzallerliebst finde. 

Die skurrile Geschichte von 2011, wie der für uns bis dahin noch namenlose Nachbar mal eine freundlicherweise entgegengenommene DHL-Kiste mit Wein hereinschleppte, drei Bilder von sich an der Flurwand entdeckte und sich lakonisch als deren Schöpfer enttarnte, habe ich bereits verbloggt.

Der Katalog zur Ausstellung „25 Jahre 4000“ ist großartig; ich habe heute Abend eine ganze Halbzeit des Spiels Frankreich–Albanien verpasst, weil ich mich davon nicht losreißen konnte. 
4000s Bilder – hingerotzte, mit Worten und Textzeilen abgeschmeckte und konterkar(ik)ierte Minutenmeisterwerke in Acryl – sind es ja sowieso (also großartig), aber viele begleitende Elogen seiner Weg-, Trink- und Kampfgefährten aus dem vergangenen Vierteljahrhundert sind es auch.

Ich könnte jedenfalls juchzen vor Freude über diesen Katalog (auch wenn er ihn vorher besser mir zum Korrekturlesen gegeben hätte, aber egal), und das werde ich 4000 demnächst auch persönlich sagen, sobald er mal wieder auf dem Nachbarbalkon steht und Wunderdinge mit seinen Pflanzen anstellt. 

Der Mann nämlich hat nicht nur den weltbesten Pinselstrich von ganz St. Pauli, sondern auch einen derart grünen Daumen, dass er als Weltraumgärtner in „Silent Running“ glatt Bruce Dern aus dem Gewächshaus gefegt hätte. 

Die 4000-Ausstellung läuft seit Anfang des Monats bei Feinkunst Krüger in Kohlhöfen 8, und wer aus der Gegend zwischen Kiel und Kitzbühel kommt und es bis zum 25. Juni wirklich nicht schaffen sollte, dort mal vorbeizuschauen, der hat die Kontrolle über sein Leben verloren.