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05 Mai 2015
Nürnberg und die Folgen
17 April 2015
Die Brötchenbetatscherin
01 April 2015
Ein langer Weg nach Hause
Nach einer Raststättenpause kehrte ich vor ihm zurück und sah, was auf seinem Sitz lag: ein etwa halber Meter langer metallener Schuhlöffel, dessen Biografie ich mir lieber nicht ausmalen möchte. Gerade als ich dieses … Ding … fotografieren wollte, kam der Mann angewackelt, und ich verriss nervös die Kamera. Das Ergebnis sehen Sie oben.
Bestimmt habe ich noch gar nicht erwähnt, dass die Busfahrt zwölf Stunden dauerte. Oder dass ich jede Sekunde davon persönlich kenne.
27 Februar 2015
„EVRI!“
29 Juli 2014
Geklebt und nicht vernäht
German Psycho schaute hoch, ohne zu blinzeln. „Sie sind ja auch“, sagte er, „geklebt und nicht vernäht.“
Das bringt alles auf den Punkt. Alles.
Und gibt mir Gelegenheit, diesen Blogeintrag mit dem unlängst auf dem Flohmarkt geschossenen Armani-Sakko zu dekorieren. Wahrscheinlich ist es geklebt und nicht vernäht.
Ich sollte es 25 Jahre lang in den Schrank hängen und nicht mehr rausholen.
01 Juli 2014
Der würdelose Pinkelgreis
Der ältere Herr, der von dort – also der Telefonzelle – eine ganze Weile lang irgendwohin telefonierte, ertrug die Umgebung dennoch mit jener Gelassenheit, die Menschen eigen ist, die IMMER NOCH kein Smartphone besitzen.
Am Tag vorher übrigens – da stand die Phalanx der Dixiklos dort noch nicht stramm – hatte ich einen anderen Mann dabei ertappt, wie er an unserer Hauswand sein Wasser abschlug.
Sein Resthaar war so weiß wie sein Schnauzer, was durch seine Solariumsbräune besonders betont wurde. Eine halblange Shorts hielt seinen Wohlstandsbauch nur unzureichend im Zaum, und die hellen Kniestrümpfe, die in Sandalen ausliefen, waren sorgsam auf sein zeltartiges rotes Polohemd abgestimmt.
Ich stellte ihn zur Rede, was ihm offenkundig nicht zupass kam. Jedenfalls erstarb sein Strahl sofort, hastig steckte er sein tropfendes Gerät zurück in die Bux – und suchte sich mit der Ausrede zu rechtfertigen, es einfach nicht mehr ausgehalten zu haben.
Schneidend verwies ich den Mann auf die nicht nur gefühlt 184 mit sanitären Einrichtungen wohlausgestatteten Bars, Restaurants, Kneipen und Spielsalons in unmittelbarster Umgebung, darunter die Eisdiele Lieblings, von deren Außenbereich man ihn behaglich stracciatellaschleckend beim Urinieren hätte zusehen können, wenn auch nur von hinten.
„Aber ich hab’s an der Prostata!“, jammerte der würdelose Greis, doch ich war nicht in der Stimmung, ihn mit vorgeschützten fadenscheinigen Diagnosen davonkommen zu lassen. „Pinkeln Sie NICHT an unser Haus!“, schnarrte ich schroff, und er trollte sich murrend.
Heute morgen, als ich die Postfiliale aufsuchte, sah ich ihn erneut. Ich an seiner Stelle hätte zwar den Ort der Schmach hinfort gemieden, aber jeder Mensch ist halt anders.
Er fuhr in einem silbergrauen Mercedes vor, obwohl – ohne dass ich genau sagen kann warum – mir ein Moped logischer vorgekommen wäre.
09 Juni 2014
„19 …?“
Was gibt es eigentlich Langweiligeres als noch ein Bahnbashing? Das ist doch seit Jahren Volkssport in deutschen Blogs. Dennoch soll auch hier in der gebotenen Kürze nicht unerwähnt bleiben, wie engagiert das ehemalige Staatsunternehmen in Abwicklung sich darum bemühte, unsere Pfingstreise nach Paris zu beeinträchtigen.
„Die Abfahrt verspätet sich um einige Minuten“, „Wir sind außerplanmäßig in einem Tunnel zum Halten gekommen“, „Oberleitungsstörung“, „Betriebsstörung“ etc. pp.: Diese einst recht vorzeigbare Transportfirma mit längst institutionalisiertem Handicap fuhr während beider Fahrten das ganze guterprobte Arsenal leicht zerknirscht klingender Ansagen auf, um die linear wachsenden Verspätungszeiten wenigstens begrifflich halbwegs einzuhegen.
Das Unternehmen scheint zu einer vollmaroden Klitsche verkommen zu sein, in der es überall klappert, hakt und zwickt und lediglich die leicht zerknirschten Verspätungsbegründungsansagen noch tadellos funktionieren – auch wenn natürlich eine Floskel wie „… sind außerplanmäßig zum Halten gekommen“ keine Begründung darstellt, denn das hatten wir auch so bereits bemerkt.
Von der Zeit, die wir in Paris verbringen wollten, forderte die Bahn jedenfalls schon auf der Hinfahrt einen außerplanmäßigen Tribut von zweieinhalb Stunden, und dafür werden wir sie mit einem Erstattungsantrag kräftig bluten lassen, versprochen.
Doch wir sind angekommen in Paris, und das ist ja die Hauptsache, nicht wahr. Beim Flohmarkt am Samstag am Porte du Vanves biss ich mir die Zähne aus an einer Verkäuferin, der ich zwei mit je zehn Euro ausgepreiste Hemden von Christian Lacroix und Donna Karan zum Mengenrabatt abkaufen wollte. Ich begann also mit 14, woraufhin sie „No, 20“ sagte. „Okay, 15“, machte ich ein Angebot zur Güte, was sie mit „No, 20“ konterte.
Schon jetzt schien mir der Zeitpunkt gekommen, sie daran zu erinnern, wo wir uns gerade befanden: auf einem Flohmarkt nämlich, einer Veranstaltung also, der Handeln und Feilschen gleichsam wesenseigen sei. Dann bot ich 16. Sie sagte „No, 20“, ich: „Okay: 18!“, sie „No, 20“, ich – fassungslos zu Ms. Columbo – „Mann, die ist ja bockelhart!“ und dann zu ihr, nur noch pro forma und mit bereits erstorbener Verve „19 …?“
Sie schüttelte den Kopf und lächelte melancholisch: „20.“ Zur Wahrung meiner Restwürde entschloss ich mich zu einer dual abgestuften Rückzugsstrategie, kaufte ihr das Lacroix-Hemd für den geforderten Zehner ab und hängte das Karan-Hemd zerschmettert wieder zurück. Über das seither nagende Gefühl, es lieber in meinem Besitz zu haben, tröstet mich auch die Tatsache nicht hinweg, zehn Euro mehr in der Geldbörse zu wissen.
Was es sonst noch gab in Paris (Auswahl):
– gegen Mitternacht ein famoser Gitarrentsunami der legendären Shoegazerband Slowdive (Foto) im Parc de la Villette
– eine merkwürdig holprig konzipierte Van-Gogh-Ausstellung im Musée d’Orsay
– eine durch Abwesenheit glänzende Duchamp-Schau im Centre Pompidou (die nämlich – anders, als es das blöde Internet behauptet – erst ab Oktober läuft)
– herumkrakeelende Jugendliche unterm Fenster unserer Wohnung im 12. Arrondissement, die nachts um 1 von einem gottgeschickten Regenguss nach Hause gespült wurden
– den schönen Kalauernamen „L’or ange“ für einen Saft
Und ab jetzt wieder Kiez.
Moin.
24 Mai 2014
„Isch schmeiß disch ausm Fenster!“
Eine überraschende Aussage, denn außer dem Handtuch war vorher weit und breit niemand zu sehen gewesen. Statt das Naheliegendste zuerst zu sagen – „Bitte lassen Sie uns doch beim Sie bleiben“ –, erläuterte ich ihm, wie sich mir die Situation dargestellt hatte: ein verwaistes Handtuch auf dem Sitz eines allem Anschein nach temporär ungenutzten, also freien Fitnessgerätes, weshalb ich mir erlaubt habe … „Du schtehst jetzt auf, sofort!“
Ein, wie ich fand, ziemlich ungehobelter Einschub. Die Diskussion lief an dieser doch recht frühen Stelle bereits Gefahr, eine unschöne Wendung zu nehmen, weshalb ich umso mehr auf die Strahlkraft sachlicher Argumente setzen zu müssen glaubte. Mein Kurs begänne gleich, in nur 30 Sekunden sei ich durch mit meiner Üb… „Isch schmeiß disch ausm Fenster!“
Der Nachdruck, die Lautstärke, die 90 Kilo: Ich kann nicht verhehlen, dass die Diskussionsstrategie dieses Muskelmannes ihren Eindruck auf mich nicht verfehlte. Indes fühlte ich mich weiter im Recht; schließlich sind wir dank einer über Jahre geführten breiten gesellschaflichen Debatte zu dem Konsens gekommen, reservierend ausgelegte Handtücher an den Beckenrändern von Swimmingpools seien unfein. Warum sollte das in Fitnessstudios anders sein?
Der Mann schien vom Ergebnis dieser Debatte allerdings wenig bis gar nichts mitbekommen zu haben, geschweige denn von der Option einer Transferübertragung von Schwimmbädern auf Fitnessclubs, denn er baute sich inzwischen vor mir auf, als erwäge er ernsthaft, mich aus dem Fenster zu schmeißen. „ISCH SCHMEISS DICH AUSM FENSTER, WENN DU NISCHT AUFSCHTEHST!“, bekräftigte er denn auch vernehmlich.
Inzwischen verfolgte das komplette Fitnessstudio diesen interessanten Auftritt mit nicht geringer Anteilnahme, die allerdings – ähnlich wie auf der Autobahn – über dumpfes Glotzen nicht hinausging. Auch zwei Trainer hatten die dicke Luft gerochen und traten jetzt deeskalierend herzu. „Komm, Abdurrahim*“, sagte der eine, der ungefähr zweimal in Abdurrahim hineingepasst hätte, „jetzt beruhig dich mal!“ Abdurrahim dachte allerdings ganz und gar nicht daran, sondern bekräftigte seinen Entschluss, mich auf ungewöhnlichem Weg aus dem Gebäude zu befördern, überdeutlich, will sagen: mit ganz schön vielen Dezibel.
In diesem Moment erkannte ich schlagartig zweierlei:
1. Die Trainer würden mich hier und jetzt kaum vor echtem Ungemach bewahren können; es fehlte vor allem an den körperlichen Voraussetzungen.
2. Der Handtuchreservierer war dank der fitnessclubweiten Öffentlichkeit drauf und dran, sein Gesicht zu verlieren, was in seiner Welt keinesfalls passieren durfte. Die Folgen für mich wollte ich mir angesichts seiner Statur und seines Erregtheitslevels lieber nicht en detail ausmalen.
Augenblicklich wurde mir klar, was nun unbedingt zu tun war:
Ich stand auf, entschuldigte mich, sagte auf das Gerät zeigend „Bitte sehr“ und verließ den Ort des Geschehens.
Hinter mir her eilte der Trainer. „Lass dich von so einem nicht provozieren“, raunte er, „man weiß nie, wie die ticken.“ Eigentlich weiß ich so etwas selbst; schließlich lebe ich auf dem Kiez und folge seit Jahren der Maxime, Spatzenhirnen keine Anlässe zu liefern, dumme, dumme Dinge zu tun, bei denen sie mit ein paar Jährchen Haft davonkämen, ich hingegen möglicherweise mit ein paar Ewigkeiten unter den Radieschen.
Was mir im Nachhinein jedenfalls ein wenig Angst macht, ist die Erkenntnis, dass ich während des Konfliktes keine Angst hatte. Das ist schlecht und darf nicht wieder passieren.
Schließlich möchte ich noch ein wenig weiter bloggen können, hier auf der Rückseite der Reeperbahn.
* Name geändert
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22 Mai 2014
Vielleicht bin ich ja auch nur geizig
Liebes Restaurant XXXXXX,
bis zur Rechnung haben wir dir alles nachgesehen. Dass der Kellner stilles statt Sprudelwasser servierte, war lässlich. Und dass er mir Messer und Gabel von links quer vorm Gesicht vorbeiführte, um es rechts von mir abzulegen, war nur ein bisschen gefährlich.
Doch dann kam die Rechnung.
Drauf standen 14 Euro für die Getränke; das Essen war durch einen Groupon-Gutschein schon vorfinanziert. Ich sagte 16, tippte routiniert meine PIN ins hingereichte Kartengerät und erhielt den Quittungsausdruck. Ich wollte ihn schon dankend einstecken, als mein Blick zufällig die Gesamtsumme streifte, welche ich gerade mit Maestrokarte bezahlt hatte.
Sie betrug nicht 16 Euro, oh nein.
Sondern 60.
„60?“, prustete ich los, „ich habe 16 gesagt!“ Diverse Reaktionen Ihres Mitarbeiters wären an dieser Stelle denkbar gewesen. Bestürzung zum Beispiel. Eine von Kopfschütteln begleitete Bitte um Entschuldigung. Ein Sich-die-Hand-vor-die-Stirn-Schlagen.
Doch Ihr Mitarbeiter verzog erstaunlicherweise keine Miene – und bot in dürren Worten an, mir die überschüssigen 44 Euro in bar zurückzuzahlen. Klar, das löste das Problem. Doch hätte er sich nicht von vorneherein ganz anders verhalten müssen? Wenn bei Gästen eine 14-Euro-Rechnung aufgelaufen ist und er glaubt, als Zahlbetrag inklusive Trinkgeld 60 verstanden zu haben: Muss er dann nicht stutzig werden?
Nur zwei Reaktionen wären in einer solchen Situation denkbar und logisch: entweder eine ungläubige Rückfrage – oder überschäumende Begeisterung ob des höchsten Trinkgelds seit Michael Jacksons letztem Besuch bei Ihnen. Doch nichts dergleichen.
Die Mimik Ihres Kellners war von einer Beweglichkeit, die an Buster Keaton erinnerte. Oder an eine Gipsbüste. Wäre ich nicht im letzten Augenblick über den Rechnungsbetrag gestolpert, hätte er ohne mit der Wimper zu klimpern sagenhafte 46 Euro Trinkgeld eingesackt – ein Betrag, der mehr als dreimal so hoch war wie die Gesamtrechnung.
Uns scheint es so, als hätte der Mann dieses Missverständnis billigend in Kauf genommen. Und auch wenn uns letztlich kein Schaden entstanden ist, weder finanziell noch durch am Gesicht vorbeigeführte Besteckensembles: Stammgäste werden wir nicht bei Ihnen.
Aber das haben Sie sich wahrscheinlich schon gedacht.
Mit freundlichem Gruß
Matt
PS: Warum ich so blind war und den falschen Betrag nicht bereits während der Eingabe meiner PIN wahrgenommen habe? Nun, das ist eine völlig andere Geschichte, die wir hier nicht vertiefen wollen, danke.
16 Mai 2014
Ein Besuch bei Alberto
Bei Alberto, einem trotz der Insinuation seines Namens Nichtitaliener von geschätzt Ende 60, geht es vollauf kiezgemäß zu, will sagen: alles andere als etepetete. Eine Umkleidekabine hat der ehrwürdige Altmeister leider nicht, also stellt man sich einfach hinter einen Mauervorsprung neben seine Nähmaschine. So kann man wenigstens von der Straße aus nicht beim Hosenrunterlassen beobachtet werden.
Fürsorglich wie er ist, legt Alberto eine altgediente Netto-Einkaufstüte (leider nicht aus Jute) auf dem Steinfußboden aus, damit man etwas hat, worauf man sich stellen kann nach dem Ausziehen der Schuhe.
Schuhlöffel, Kleiderbügel, Haken? Ph, Eppendorfer Luxus. Unnötig auf St. Pauli, zumindest in den noch nicht gentrifizierten Ecken.
Die Quittung heftet Alberto am Ende zwar leicht verwirrt an ein fremdes Paar Jeans, doch das Missverständnis ist schnell und unbürokratisch geklärt, so dass die Chance besteht, exakt die hinterlassenen Hosen zurückzuerhalten.
Morgen hole ich sie mir, wenn alles unfallfrei verläuft, wieder ab. Und sollte ich den Abholtermin vergessen, dann wird er mir spätestens dann wieder einfallen, wenn ich an einem Netto-Laden vorbeikomme.
09 Mai 2014
Ist halt immer Abwägungssache
Von drinnen hörte man es fröhlich pladdern (Stehpinkler!), begleitend war ein gar nicht mal untalentiertes tremolierendes Pfeifen zu hören. Nach dem Ersterben dieser polyphonen Geräuschkulisse öffnete sich ohne weitere Verzögerung die Tür (Hände nicht gewaschen!), und heraus trat sympathisch grinsend ein schlanker Muskelmann.
Wenig später wartete ich bereits entkleidet im Behandlungsraum – und wer kam herein?
Der gleiche Mann. Mein Masseur.
Mist. Was tun? Eine Diskussion anfangen? Fliehen? Mir fiel eine Seinfeld-Folge ein, in der Jerry auf der Restauranttoilette den Koch trifft, der sich ebenfalls nicht die Hände wäscht und wenig später erneut Jerrys Aufmerksamkeit erregt: als er mit Hingabe Teig knetet.
Im Vergleich erschien mir das weitaus bedenklicher als die Situation, der ich mich nun zu stellen hatte, und ich entschloss mich, die Massage nicht einfach nur als Training für meinen Rücken, sondern auch für mein Immunsystem zu sehen.
Und was soll ich sagen? Der Mann hatte nicht nur übertünchendes, vielleicht sogar desinfizierendes Mandelöl zur Hand, sondern auch wahre Wunderhände. Da konnten sämtliche Experten, denen ich im Lauf der Jahre meinen Rücken anvertraut hatte – darunter ganze Riegen von sachkundigen Thaidamen –, einfach nicht mithalten.
Was ich damit sagen will: Ich glaube, ich muss dort noch mal hin, trotz alledem.
Für Rücken und Immunsystem.
30 April 2014
„Wie sind Sie denn drauf???“
Ich schaue ihn an, als hätte er mir gerade erzählt, der Papst schwämme jeden Sonntag nach der Messe in Strapsen durch den Trevibrunnen. „Warum denn das?“, frage ich, nachdem ich mich wieder gefangen habe.
Weil die Stelle, wo ich gerade stünde und von der aus ich das feine Wollsakko befühle, zum Nachbarstand gehöre, nicht zu seinem. Also solle ich doch bitte um den Garderobenständer herumgehen und das Sakko von der anderen Seite befühlen.
„Danke“, antworte ich, „jetzt nicht mehr.“
Und er, laut: „Wie sind Sie denn drauf???“
Trotz solch schrulliger Typen erziele ich auf dem Schlachthofflohmarkt immer wieder bedeutende Kauferfolge. So gelang es mir erst am vergangenen Samstag, eine Boss-Hose aus reiner Schurwolle, eine in Würde gealterte Mustangjeans sowie die Mac-Originalversion des Office-2004-Pakets zu erwerben – für insgesamt 7 Euro!
Mal schauen, ob ich am Samstag auf dem Wiener Naschmarkt ähnlich erfolgreich sein werde.
02 April 2014
Ich hör nix
Mein neuer Masseur Bernie erzählt von seinem Leben. Seinem Berufsleben.
Die Praxis, in der er arbeitet, hat sich unlängst auch urkomischen Humbug wie „Cranio-Sacral-Therapie“ zugelegt, vor allem zur Behandlung von Tinnitus, und Bernie hat dafür eine saugute Begründung, die selbst für Esoterikabstinenzler wie mich unmittelbar einsichtig ist.
„Man kann natürlich nicht beweisen, dass der Tinnitus damit weggeht“, sagt Bernie und lächelt fein. „Aber man kann auch nicht beweisen, dass jemand den Tinnitus überhaupt hört.“ Ergo? Cranio!
Bernie ist bauernschlau, und die Krankenkassen finanzieren es.
Wer also ernsthaft erwägt, seine Kasse zu schröpfen, um damit Bernies Arbeitsplatz zu sichern, der simuliere einfach einen Tinnitus. Niemand kann ihm das Gegenteil beweisen.
Aus Protest gegen diese Praxis gehe ich jetzt sofort mit Ms. Columbo und meinen Eltern auf Flusskreuzfahrt nach Amsterdam (Foto). So.
21 März 2014
Immer wieder Nuggi
Das Ziel unserer Träume: Nuggi’s Elbkate.
Bei Nuggi’s Elbkate handelt es sich um einen vergrößerten Kiosk mit verkleinerten Preisen direkt an der Hafenkante, in dem eine dralle schwarze Lebefrau die köstlichsten Matjesbrötchen seit Erfindung der Niederlande rüberreicht, und zwar im Takt eines melancholischen Calypsos oder so ähnlich.
Sie dreht diese hier so herrlich unpassende Begleitmusik immer runter, wenn jemand was bestellen will, und dann wieder rauf, wenn sie z. B. eine Bockwurst in den Kochtopf wirft.
Wir würden – so der genial ausgetüftelte Plan – die dralle Lebefrau, bei der es sich möglicherweise um Nuggi höchstselbst handelt, um Matjesbrötchen und Astraknollen bitten, uns damit ans Ufer setzen und sinnierend gen Westen schauen, in die untergehende Sonne. Schweigend würden wir essen und trinken.
Es würde Stille herrschen – bis auf das leise Lecken der Elbwellen am dümpelnden Eisbrecher Stettin. Bis auf das Geräusch, das ein Kronenkorken macht, wenn er sich vom Flaschenrand der Astraknolle löst. Bis auf das Knirschen und Knacken der Zwiebelringe zwischen unseren Zähnen.
Und genau so kam es dann auch – wenn man vom Sabbeln, Sülzen, Flachsen, Labern, Lachen und Lästern absieht, mit dem Kramer (l.) und der Franke (r.) diesen genial ausgetüftelten Plan genussvoll zunichte machten.
Der Franke und ich durchliefen dabei, wie ich gestehen muss, drei komplette Zyklen mit Matjes und Astra, während der berufsrenitente Kramer in Richtung Erbsensuppe und Krakauer ausscheren zu müssen glaubte.
Tja, und wegen all dem müssen wir schon bald wieder runterradeln zu Nuggi’s Elbkate. Am besten sobald die Sonne das nächste Mal plant, in der Elbe unterzugehen. Morgen?
28 Februar 2014
Vorzüge unserer Wohnlage
Zurzeit haben wir einige ungebetene Gäste im Haus. Zum einen Silberfischchen.
Seit ich neulich versehentlich einen Artikel darüber las, wie putzig, harmlos, ja geradezu nützlich diese „lebenden Fossilien“ seien in ihrer Gier nach allem, was uns tagtäglich so vom Körper rieselt, fühle ich mich zunehmend unwohl in meiner tradierten Rolle als Silberfischchenterminator.
Beschämendes Ergebnis: Ich expediere die Tierchen neuerdings mit Hilfe einer Postkarte, die mir Dr. K. in den 90ern geschickt hat, vorsichtig in ein Schnapsglas (Foto) und kippe sie mit einem gemurmelten Lebwohl über die Balkonbrüstung.
Ähnliches wäre mit der anderen Spezies ungebetener Gäste im Haus weniger gut zu machen, nicht nur, weil sie sich bevorzugt im Erdgeschoss aufhalten: Junkies.
Irgendwie schaffen sie es immer wieder, das Haus zu entern. Eine wirksame Methode ist wahlloses Betätigen der Klingeltafel; irgendein Bewohner wird im Tran schon auf den Summer drücken. Ein Kalkül, das immer noch derart oft aufgeht, dass die mahnenden hausinteren Rundmails inzwischen bevorzugt in Versalien verfasst werden.
Die andere Methode ihres Eindringens scheint von noch weniger Raffinesse geprägt und stattdessen eine brachiale zu sein, wie am Zustand des Schließblechs an der Haustür leicht abzulesen ist.
Sobald diese armen Gestalten drin sind, verkriechen sie sich in unseren heimelig verwinkelten Mülleimerabstellraum und tun, was Junkies gemeinhin tun. Manchmal bleiben sie zu diesem Zweck auch einfach dumpf auf der erstbesten Stufe im Treppenhaus sitzen und lassen sich widerspruchslos rauswerfen.
Jedenfalls scheint unser Heim zum Geheimtipp der Drogen- und Berberszene geworden zu sein, nachdem es bisher nur in der Rangliste Vorshauskotzen/-pinkeln/-kacken sowie in der Disziplin Haustürscheibeeinschlagen ganz weit oben rangierte.
Na ja, irgendwas muss man für die gestiegene Miete ja auch geboten bekommen, was Castrop-Rauxel nicht zu bieten hat.
Silberfischchen haben sie da schließlich auch.
16 Februar 2014
Kein Interesse
Heute flohen wir vorm einsetzenden Regen auf einen Tee bzw. Espresso in ein Kneipencafé in der Markstraße.
Hinterm Holztresen empfing uns eine desinteressierte Schnepfe mit der typischen Schnute einer Soziologiestudentin, die diesen Scheißbedienungsjob nun mal tun MUSS, weil Papa nicht genug Kohle springen lässt für bedingungsloses Rumstudieren.
Ms. Columbo nahm die den Raum füllende Muffelaura indes mit erheblich mehr Gleichmut hin, als es eigentlich logisch gewesen wäre. Denn so was hat auch Vorteile. Statt sofort von einer überaufmerksamen Bedienung bereits beim Ablegen der triefenden Mäntel mit einem Bestellaufnahmewunsch behelligt zu werden, durften wir in aller Ruhe ablegen, die Getränkekarte in Augenschein nehmen, den ranzigen Muff der Inneneinrichtung beschnuppern und die – kaum dass wir Platz genommen hatten – plötzlich durchs Fenster hereinflutenden Sonnenstrahlen genießen.
Als die Tresentrulla dann schließlich unwillig herbeigeschlurft kam und mit ins Nirgendwo schweifendem Blick unsere Tee-, Espresso- und Kuchenwünsche entgegennahm, waren die Mäntel schon wieder trocken.
Vorgestern hatten wir bereits ein Erlebnis, welches durch das gemeinsame Band des Desinteresses auf wundersame Weise verknpüft ist mit der Marktstraßenschnepfe. Wir waren am Fuß der Wexstraße auf ein Brot- und Brötchendepot gestoßen, welches für auf Straßen herumliegende Lebensmittel eine erstaunliche Güte und Unversehrtheit aufwies. Die Körnerlaibe hatten sogar noch unbeschädigte Banderolen, wie auf dem Beweisfoto oben gut zu erkennen ist.
Warum sich aber nicht schon längst Abertausende von Tauben heiß und innig für diese unverhoffte Ladung Manna interessierten, kann mit einem unterfinanzierten Soziologiestudium wohl kaum hinreichend erklärt werden.
20 Dezember 2013
Cezary und Brutus
Nach Hause kam ich demzufolge nicht nur mit der Probenflasche von Hamburg Wasser, sondern auch mit einem 47PFL7008K/12. Das ist ein 3D-Fernseher.
Was hier beim Darniederschreiben so unverhofft und plötzlich klingt, war allerdings das spontane grande Finale eines über Monate gereiften Entscheidungsprozesses. Der alte Plasmatrumm zu Hause tat’s schon länger nicht mehr richtig; außerdem verantwortete er gefühlte acht Prozent des jährlichen deutschen Energieverbrauchs. Anders gesagt: Eine Heizung brauchten wir im Wohnzimmer eigentlich nicht mehr, wenn der Plasma rötelte.
Jetzt stand ich jedenfalls unversehens mit einem 47PFL7008K/12 vorm Lager von Saturn und wartete auf das Taxi, das ihn und mich nach St. Pauli karren sollte. Ihm entstieg – nach 20 statt der telefonisch angekündigten sieben Minuten – ein grauhaariger Pole mit Schnauzer und dem kaiserlichen Namen Cezary, der mich nach dem Hineinwuchten des 47PFL7008K/12 umstandslos über die Dummheit der Leute im Advent aufklärte.
„Läutä sind dumm“, kommentierte er mit großer Ernsthaftigkeit das Wuseln und Treiben da draußen, „jäddes Jahr Gleiche! Jäddes Jahr!“ Stumm nickte ich, während ich verstohlen das Taxameter im Auge behielt. „Helfen Sie mir für einen Fünfer extra den Fernseher in den zweiten Stock tragen?“, fragte ich ihn vorm Haus.
Ich hatte mit einem dank zusätzlicher Verdienstaussichten freudigen Aufblitzen in Cezarys Augen gerechnet, doch sie wurden skeptisch und schmal. „Nur mit Pausän“, grummelte er. „Klar“, versicherte ich. „Aber Sie müssen auch nicht.“ „Doch, ist ägal“, winkte er unwirsch ab und schälte sich aus dem Wagen.
So richtig gut beeinander wirkte er in der Tat nicht mehr. Der sitzende Beruf und generell zu wenig Bewegung, deren fatalen Effekt auf seinen Energiehaushalt er augenscheinlich mit zu vielen Pirogi zu potenzieren versucht hatte – all das führte dazu, dass Cezary über Gebühr ächzte beim Weg nach oben.
Und als auf der vorletzten Stufe der 47PFL7008K/12 auch noch durch den Karton brach, weil das verfluchte Saturn ihn auf der Unterseite nur liederlichst verklebt hatte, und wir das Gerät im letzten Moment mit vereinten Kräften vorm Absturz durchs Treppenhaus bewahren mussten, da spürte ich, wie Cezary nicht nur mich, sondern auch den Fünfer verfluchte, den er so leichtfertig angenommen hatte.
Mein Dank, der ihm treppab folgte, war deshalb weniger überschwänglich als schamgeschwängert, zumal ich sein Keuchen und Röcheln noch eine ganze Weile verebbend mitanhören musste. Nicht, dass ich ungewollt noch zu Cezarys Brutus werde.
Der 47PFL7008K/12 jedenfalls hat alles unbeschadet überstanden. Ich sollte einen Teil der Anschaffungskosten auf Hamburg Wasser abwälzen. Mal schauen, wie wohlwollend sie dieser Idee gegenüberstehen, wenn ich morgen die Probe abgebe. Scherz!
07 Dezember 2013
Ein Jahr an Krückenstöcken
Käpt’n Angelo Basilikos sitzt bei null Grad Außentemperatur Beim Grünen Jäger und versucht seine Finger an den eisigen Stahlsaiten seiner Bouzouki warmzuspielen. Das klappt natürlich nicht, und deshalb will er auch gleich den Betrieb einstellen.
Vorher aber gestattet der altehrwürdige Grieche mir noch mitzufilmen (s. unten), wie er den Pavarottis gibt. „Meine Stimme hat neun Oktaven!“, behauptet er kühn und nicht ohne Stolz. Nun, das wären ungefähr dreimal so viele wie Mariah Carey, aber Käpt’n Angelo hat ja auch ein paar Jährchen länger geübt.
Seit 40 Jahren lebt er auf dem Kiez, „habe Kinder gemacht auch“; ein alter Seebär, den es in seiner Jugend nach San Francisco verschlagen hatte, weshalb er nach seiner Rückkehr nach Athen, wo er mit einer Sängerin und Orchester in Musikclubs auftrat, als „der Amerikaner“ galt.
Zuletzt aber lief es echt schlecht. „Ich habe ein Jahr an Krückenstöcke gelebt“, erzählt Käpt’n Angelo zwischen zwei Songs in seinem wunderbar griechisch gefärbten Baritondeutsch, das ihm jederzeit einen Radiojob verschaffen dürfte, wenn es ihm doch mal zu kalt wird für Straßenmusik.
Schuld an des Käpt’ns Krückenstöckenjahr war ein Unfall, der ihn alles kostete: seine Frau und die beiden Kneipen, die er auf dem Kiez mal führte, wie er erzählt. Eigentlich ein super Grund, um sich willenlos der Altersdepression hinzugeben, doch an so was hat ein Käpt’n Angelo keinerlei Interesse.
Stattdessen blitzen seine 71-jährigen Kapitänsäuglein vor Freude, wenn er über sein bewegtes Leben erzählt, bei null Grad Außentemperatur die Finger an den eisigen Stahlsaiten seiner Bouzouki warmzuspielen versucht und vergnügt den Pavarottis gibt.
Wegen solcher Typen liebe ich St. Pauli. Sie wiegen tausend Eckenpinkler auf.
Na gut: 500.
15 November 2013
Ach, St. Pauli …
Um sein bestes Stück ans Tageslicht zu befördern, braucht er beide Hände. Also legt er die Tüte neben sich auf den Boden – genau in die Ablaufrinne, wie sich nur Sekunden später herausstellt. Ihm aber egal.
Nachdem dieser herausragende Vertreter menschlicher Zivilisation ausgiebig abgeschüttelt hat, nimmt er die tropfende Lidl-Tüte wieder an sich und taumelt mit seinem Kumpel davon.
Ihm wird wohl niemals dämmern, wie deprimierend das alles ist, und diese Tatsache ist fast noch trauriger als eine vollgepinkelte Lidl-Tüte, die allmählich im Herbstwind trocknet.
PS: Die Abbildung ist nur ein Symbolbild. Sie zeigt einen ganz anderen Fleck als den oben beschriebenen.
14 Oktober 2013
Es war die Mirabelle
Organisationsleiter Thomas, ausstaffiert mit Stock und Hut, erläutert vorm Losgehen alle Essentials: „Zwischedurch mache mer en Paus, do gitts wos tse dreng-ge. Bejer kost ahn Euro, Wasser foffzich Sent, unn ’s Schnäbbsje es imsost.“
Spätestens zu diesem Zeitpunkt dämmert uns: Dieser Gemarkungswalk war die richtige Entscheidung. So komme immerhin ich (Ms. Columbo kneift) zu der lebensweit erstmaligen Erfahrung, morgens um elf in Wald und Flur einem hochprozentigen Wässerchen zuzusprechen, welches unschuldigen Mirabellen abgerungen wurde.
Nach einer weiteren Stunde deutlich beschwingteren Ausschreitens erreichen wir das Ziel: eine bestens ausgestattete Grillhütte mitten im Wald. Es gibt Hackbraten von der Größe eines Kinderkopfes, reichlich Bier, ein weiteres Schnäbbsje imsost – und irgendwann auch die aus dem milchigen Nebel des Angeheitertseins hervordämmernde Erkenntnis:
Der jährliche Spaziergang der Forstbetriebsvereinigung ist nur ein McGuffin. In Wahrheit geht es um etwas ganz anderes.
Ja: auch um Hackbraten.