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30 Mai 2010

Lenamanie vor der Haustür



Noch immer schwappen große Wellen Kakophonie ins Wohnzimmer.

Einzelne Elemente sind herausdestillierbar: brüstungerschütternde Bässe, Choräle euphorisierter Betrunkener („Lena, we love you!“ im Wechsel mit „St. Pauli, o-ho-ho!“), indifferentes Gegröle ohne genau bestimmbare Semantik, wildes Wut- und Empörungshupen sowie die Hysterie multipler Notarztsirenen.

Mehrfach im Jahr ist es von besonderem … äh … Reiz, neben dem Spielbudenplatz zu wohnen, doch wenn „wir“ gerade den Eurovision Song Contest gewonnen haben, dann halten auch doppeltverglaste Isolierfenster nur den gröbsten Krach draußen.

Wir sind also jetzt Papst, wir sind 1. Liga, und wir sind Lena. Auf die ein oder andere Weise manifestiert sich so ein Wirgefühl immer besonders heftig auf dem Kiez (außer beim Papst, natürlich). Eigentlich sollte ich jetzt rübergehen, mitten hinein ins Herz der Kakophonie. Einfach damit ich meinen Enkeln später mal erzählen kann, ich sei dabeigewesen.

Moment mal: Ich hab ja nicht mal Kinder.


Trotzdem.

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09 Dezember 2016

Warten auf Kerry

Nein, Modernismus oder gar Ranschmeißerei an den Zeitgeist kann man unserer Hausverwaltung keineswegs vorwerfen. 

Der erstmalige (!) Neuanstrich unseres Treppenhauses seit mindestens drei, wenn nicht acht Jahrzehnten – unser Haus wurde um 1906 errichtet – orientiert sich koloral eher an dem, was wir draußen vor der Haustür gewöhnlich an menschlichen Körperflüssigkeiten und -feststoffen vorfinden, vor allem an Wochenenden.*

Insofern eine adäquate Farbwahl, zu der man die Entscheidungsträger nur beglückwünschen kann. Ja, ich würde so weit gehen, diese Wahl als mutiges Statement gegen die Gentrifizierung des Viertels zu deuten, als ein Manifest des widerständigen Traditionalismus – umgesetzt konsequenterweise exakt in der Farbe, die bisher schon unsere Treppenhauswände zierte. Wir müssen uns also nicht mal umgewöhnen. 

Nur das charmant Abgeranzte, die Rußspuren an den Türrahmenritzen, die abgeplatzten Flächen: All das ist halt jetzt nicht mehr da. Aber das kriegen wir wieder hin in den nächsten drei, wenn nicht acht Jahrzehnten. Schließlich sind wir St. Paulianer.

Aber wir haben auch unser Päckchen zu tragen, vor allem, wenn gerade OSZE-Konferenz ist. Gestern an der Fußgängerampel am Casino stieß ich auf eine Menschenmenge, deren mentaler Zustand sich bereits bei meiner Ankunft am Siedepunkt bewegte. Denn sie wurde grundlos am Überqueren der Straße gehindert. Wie der leicht verschüchterte Polizist, der uns in Schach zu halten versuchte, erläuterte, müssten wir warten, bis die Kolonne des US-amerikanischen Außenministers vom Stephansplatz aus kommend die Kreuzung überquert habe.

Allerdings war von Kerrys Kolonne weit und breit nichts zu sehen. Und die Mitglieder der von der Straße geteilten Menge trennten nur je sechs Meter von der anderen Seite, dem Ziel aller Träume. Doch der Cop – Typ graumelierter Studienrat, unbewaffnet – ließ uns nicht.

Eine Radfahrerin war die erste, die den Aufstand wagte. Sie fuhr einfach los und rief: „Ich muss zur Arbeit!“ Eine Frau in Joggingkleidung ergänzte schrill: „Ich hab’s eilig!“ Der Polizist bekam allmählich einen runden Rücken und eine Gesichtsfarbe, die mich an unser Treppenhaus erinnerte. „Das haben wir doch alle“, lächelte er lahm und schaute bang runter Richtung Stephansplatz.

Doch von dort kein Kerry, nirgends. Hier aber eine zweigeteilte Menschenmenge, die wütend mit den Hufen scharrte, mittlerweile schon halb auf der Straße stand und immer lauter murrte. Anweisungen der Ordnungskräfte brauchen halt immer auch eine sich sinnlich erschließende Plausibilität, und die hätte in dieser Situation nur der heranbretternde Herr Kerry herstellen können. Oder wenigstens ein anschwellender Sirenenton.

Das sah nun auch der Polizist ein: Er beugte sich dem Druck des Volkes. „Okay“, sagte er seufzend, und alle strömten herüber und hinüber, von links nach rechts und rechts nach links. Und dann eilten sie davon, um auch heute endlich wieder unbehindert von Phantomen wie Kerry und Konsorten dem Sinn ihres Lebens nachgehen zu können: einer abhängigen Beschäftigung. 

Abends sah ich Kerry im Fernsehen, er war also doch noch gekommen. Im Wohnzimmer roch es ein wenig nach Farbe.


*Das gilt übrigens auch für die Ästhetik dieses Blogs, wie mir gerade dämmert.

01 September 2011

Wahrscheinlich war es nur der Wind



Ein blechernes Scheppern von draußen, hörbar sogar durch die winterbedingt (sic!) geschlossenen Fenster.

Vom Balkon aus sehe ich nicht nur zwei männliche Passanten, die sich in verdächtiger Hast entfernen, sondern auch eine schöne Bescherung: die stomleitungsführende Stangenkonstruktion auf dem Gehweg gegenüber, mit der die nachbarliche Großbaustelle versorgt wird, ist auf ganzer, also etwa 20 Meter messender Länge umgekippt (worden?) und auf sämtliche parkenden Autos gekracht.

Falls hier Vandalen am Werk waren, so muss man ihre hocheffiziente Vorgehensweise widerwillig bewundern; mit diesen Skills könnten sie binnen kurzem auch einen Daxkonzern verschlanken bis zur Wettbewerbsfähigkeit.

Jedenfalls gelang es ihnen (oder dem Wind – ich will hier nicht vorverurteilen), mit extrem wenig Aufwand ein halbes Dutzend Autos gleichzeitig werkstattreif zu beschädigen.

Eigentlich müsste also jetzt mal wieder irgendjemand die Schmier rufen, im Zweifelsfall also ich, doch das scheint bereits jemand anderes zu tun, nämlich ein aufgeregt vor der Postfiliale herumtrippelnder telefonierender Anzugträger, deshalb bescheide ich mich diesmal mit der Rolle des Beobachters.

Als die Polizei eintrifft, haben sich bereits die ersten ratlosen Autobesitzer eingefunden. Sie stehen da, fröstelnd, stumm, finster, als versuchten sie die Gefühle ihrer Autos zu spiegeln. Sie sehen ihre Wagen eingekeilt zwischen und unter Metallstangen, hier ist kein Fortkommen mehr.

Unsere Haustür hat übrigens auch schon wieder mal irgendwer eingeschlagen, bereits gestern. Wer sind diese Leute, und warum tun sie all das? Liegt es an irreparabel verrenkten Synapsen im Hirn, oder gibt es für dieses Verhalten Gründe, die nicht nur im Zerebralen oder einer schweren Kindheit wurzeln?

Ja, das würde mich wirklich mal interessieren. Und dafür gibt es ja zum Glück die Kommentarfunktion.

19 Januar 2011

Der verschwundene Parmesan



Zu Hause, beim Auspacken der Einkaufstasche, stellte ich fest, dass der Parmesan im Wert von 3,82 Euro fehlte. Ich musste ihn im Wagen liegengelassen haben.

Nur fünf Minuten nach der Heimkehr hatte ich bereits wieder die Reeperbahn überquert und kniete im Supermarkt vor der Phalanx der Einkaufswagen und linste durch die Gitterwaben.

Nichts, kein Parmesan.

Ich lief zu den Kassen und nervte das Personal mit der Frage nach einem abgegebenen Stück Käse, doch niemand wollte eins entgegengenommen haben. Ein Blick in den Laden selbst ergab grob überschlagen mindestens 20 Kunden mit Einkaufswagen im Einsatz, und das war mir dann doch etwas zu kleinkariert: Jedem davon in den Wagen zu starren und ggflls. sogar die Herausgabe eines dort herumliegenden Stücks Parmesan zu fordern.

Also frustriert wieder heim. Kurz vor der Haustür begegnete ich einem Handytelefonierer, der die ganze Straße beschallte. „Weißt du, was du gemacht hast?“, schrie er erregt in sein unschuldiges Telefon, „du hast Leute bespuckt und bepöbelt, in aller Öffentlichkeit!“

Betont langsam schloss ich mein Fahrrad an, um dem interessanten Monolog noch etwas folgen zu können. „Das hast du gemacht!“, brüllte der Mann, „und weißt du was? Das machst du nicht nur in der Kneipe, wenn du getrunken hast, das machst du auch PRIVAT!“

Und plötzlich schrumpfte der Parmesan in meiner Erinnerung derart zusammen, als hätte es ihn nie gegeben.

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30 Juli 2009

Fundstücke (52): Gepflastert



Seine übergroße Enttäuschung hat Jacob mit betont lapidarem Ton zu kaschieren versucht. Statt eines „Johannes, du vollverpeilter Transenbalg, wo steckst du!?“ dimmte er seinen Ärger auf ein schmallippiges „Schade“ herunter.

Wie tief gleichwohl seine Wunde ist, verrät ein Detail: das Pflaster, mit dem er seine Nachricht an die Haustür in der Detlev-Bremer-Straße pappte. Kein Tesa, nein: ein Pflaster. Allein dass Jacob ein solches Utensil anscheinend routinemäßig mit sich führt, lässt tiefe Einblicke in seine vulnerable Seele zu.

Johannes war übrigens auch abends, als wir dort vorbeikamen, noch nicht zurückgekehrt an den Ort seiner Terminflucht; sonst hätte er doch wohl Jacobs gepflasterte Nachricht abgenommen.



13 Juni 2021

Unter Corona (14): Die Rückkehr des Bösen

Seit Monaten pinkelte, kotzte und kackte uns niemand mehr in den Hauseingang, und samstagsmorgens, wenn ich zum Brötchenholen aufbrach, musste ich von dort auch keine Junkies mehr verscheuchen. Ehrlich gesagt: Nicht alles war schlecht am Lockdown. So sorgte er zum Beispiel auch für einen spürbaren Krakeelerschwund.

Natürlich, diese jeglicher Außenwirkungskontrolle abholden Herumbrüller waren auch vor Corona auf St. Pauli nicht endemisch, doch sie empfanden unser Viertel als natürliches Habitat und prägten durchaus das hiesige Biotop. Vor allem durch die kiezspezifisch beständige Zufuhr von Alkoholika vermochten die Krakeeler St. Pauli akustisch mit großem Erfolg in Beschlag zu nehmen. Demzufolge war ihr Besatz im Viertel vor Corona enorm.

Doch nachdem hier alles schließen musste, sank der Krakeeleranteil signifikant. Dem verbliebenen Restbestand erwuchs allerdings ein Killerfeature, welches den zahlenmäßigen Schwund mehr als auszugleichen in der Lage war. War die von ihnen ausgehende Belästigung bisher ausschließlich sonischer Natur, so wurden diese Leute im Zuge der Krise nun auch zu hoch effizienten Aerosolemittenten. Zwar war das auch vorher schon der Fall, aber auch ziemlich egal, da ihre eruptiven Speichelwölkchen coronafrei waren. Nun hatte dieses Phänomen seine Unschuld verloren. Wir hielten in den Monaten der Einschränkungen also noch mehr Abstand zu den Restvorkommen dieser Spezies als eh schon.

Jetzt, seit den Lockerungen, ist im Grunde alles wie vorher: Enthemmte Teilnehmerinnen von Junggesellinnenabschieden torkeln wieder Lieder kreischend durch die Straßen, ohne sich im Geringsten um Ton- und Textsicherheit zu scheren, Horden junger Betrunkener versuchen sich selbst auf Kurzdistanz so zu verständigen, als wären ihren Saufkumpanen die Hörgeräte abgestürzt, und die Rückkehr der Harleyhirnis führt uns vor Ohren, welch erstaunlich unterstützende Wirkung 120 Dezibel auf unsere Mordlust haben.

Doch nicht nur der Lärmpegel nähert sich hier wieder seiner Vor-Corona-Infernalität. Vor unserer Haustür liegt auch sonntagsmorgens wieder das übliche Junkiebesteck (Foto), und beim Kiezbäcker hörte man wieder Dialoge wie folgenden (absolut authentisch, ich schwör): „Digger, machst du mir ’n Brötchen mit Pute klar? Und ’ne Capri-Sonne? Und 'n Eistee, Digger!"

Lockdown, wo bist du, wenn man dich mal braucht?




24 Juni 2021

Als wären sie nie da gewesen

Unten im Treppenhaus, direkt hinter der Eingangstür, hat es sich ein Paar gemütlich gemacht, das hier definitiv keinen Mietvertrag besitzt. Es versperrt mir, der ich das Haus verlassen will, den Weg. Nach der Größe der herumliegenden Rucksäcke zu schließen, haben die beiden ihren halben Hausrat dabei; eher ist es sogar ihr ganzer. Auch zwei Fahrräder gehören dazu.

Eins davon ist ein Herrenrad. Es wirkt selbst auf einen Laien wie mich recht hochwertig. Ich bezweifle ehrlich gesagt, dass sein Besitzer schlüssig und rechtskonform herleiten könnte, wie er dessen habhaft wurde. Die Frau verbirgt sich halb unter einer Hoodiekapuze, tut geschäftig und brabbelt wirr vor sich hin, während er ansprechbar wirkt.

„Bitte gehen Sie“, sage ich zu den beiden, die nach meinem Auftauchen – wohl aus langjähriger Vertreibungserfahrung klug geworden – bereits eigeninitiativ damit begonnen haben, ihr Lager abzubrechen. „Wie sind Sie überhaupt hereingekommen?“

Der Mann trägt Radlerhosen und Haar- und Bartfrisuren, die schon lange nicht mehr von einem Profi in Augenschein genommen wurden – und Letzterer würde sich bei einem entsprechend vorgetragenen Anliegen wahrscheinlich auch weigern, ohne Gefahrenzulage tätig zu werden.

„Die Tür stand auf“, antwortet der Mann, ohne mich anzuschauen.
„Ich warte, bis Sie weg sind“, sage ich.

Es dauert lange Minuten, ehe alles weitgehend still und stumm verstaut ist. Auch ein Ladegerät will aus der frei zugänglichen Steckdose, die dummerweise über dem Stromkasten angebracht ist, entfernt werden. (Notiz an mich selbst: Hausverwaltung um ein Steckdosenschloss bitten.)

Ich bin den beiden nicht böse, auch sie wollen schließlich über die Runden kommen. Aber einfach über ihr Treppenhauslager hinwegsteigen und sie in Ruhe lassen, das kommt mir auch nicht richtig vor. Nach einer Weile ist das Lager geräumt. Ich verlasse hinter ihnen das Haus und überprüfe von außen, ob die Haustür sich aufdrücken lässt. Tut sie nicht.

Später sehe ich vom Balkon aus, wie die Hoodiefrau gegenüber unter einem Gerüst sitzt und sich anscheinend Substanzen zuführt, ich vermute intravenös. Er geht ab und zu rüber, lässt sich anbrabbeln, und irgenwann, als ich mal wieder vom Balkon aus die Lage checke, sind die beiden verschwunden.

Den Hausflur hinterließen sie übrigens rückstandlos sauber. Als wären sie nie da gewesen.

PS: Das irgendwie passende Foto zeigt den Bauzaun an der Taubenstraße.




15 März 2007

Die depressive Garderobe

Sicher, St. Pauli hat viele Nachteile: Hundedreck, verhaltensgestörte Menschen, der verzweifelte Lärm temporärer Lebenslust. Doch es hat auch Vorteile: Manchmal fällt man gleichsam aus der Haustür in den richtigen Konzertsaal.

Heute Abend spielt die kanadische Zeitlupenband Cowboy Junkies in unserer, also der Seilerstraße, genauer gesagt im Imperial Theater, und weil ich die richtigen Freunde dabei habe, darf ich die Band vorm Konzert in der Garderobe aufsuchen.

Wären die Cowboy Junkies nicht eh eine der melancholischsten Bands der Welt (ich meine: Sie LIEBEN die Musik von Townes Van Zandt!), so wären sie es spätestens in diesem Kabuff geworden.

Fassungslos gewahre ich einen etwa drei Meter langen und kaum mehr als einen Meter breiten Schlauch im Bauch des Gebäudes, erleuchtet von einer trüben Deckenlampe, ohne Platz für einen Tisch oder Stühle und mit einer traurigen Anrichte, auf der ein paar Teller stehen mit Obst, das sich am Anfang seiner Karriere am Baum gewiss ein anderes Schicksal erträumt hatte, als in einer Art Computertomograf mit eingebauter Dusche zu enden.

Denn in der Tat: Das hintere Ende des Schlauches wird von einer Dusche begrenzt. Die Cowboy Junkies stehen dennoch keineswegs weinend und wehklagend, sondern eher ein wenig unschlüssig herum. Gitarrist und Songschreiber Mike Timmins hockt sogar auf einer undefinierbaren bodennahen Sitzgelegenheit (es ist die einzige), während die paradoxerweise nicht einmal missgelaunte Sängerin Margo – eine Frau, auf die endlich mal das aus-, leer- und abgedroschene Klischee der „engelsgleichen Stimme“ tausendprozentig zutrifft, was einen ernsthaft überlegen lässt, zu jener Religion zu konvertieren, die solche Engel hervorbringt –, während also Margo an der Wand lehnt und dem unmittelbar bevorstehenden Konzert mit einer Gelassenheit entgegenblickt, die nur durch das jahrzehntelange Umkleiden in Garderobenparodien wie dieser stalaktitenartig entstehen kann.

Das Konzert ist natürlich trotzdem traumhaft – eine Art magische Meditation, die ich, auch wenn es paradox klingt, hochkonzentriert im Halbdämmer erlebe. Dennoch wird sich der Eindruck dieser Garderobe nun auf symbiotische Weise mit der Erinnerung an die hochzerbrechliche Version von Neil Youngs „Powderfinger“ verbinden; ja, so wird es kommen, und ich und mein Gedächtnis werden nichts dagegen tun können, nichts.

18 Mai 2009

Kulturelle Unterschiede beim Aussichherausgehen

Bei einer Stadtführung durch Würzburg gerieten wir in die Fänge mehrerer sogenannter Originale: eine gewisse „Marktbärbel“, ein „Schorsch“ und ein „Karl“ (Foto).

Bereits frühmorgens fütterten sie uns mit pforztrockenen Bratwürsten und reichten dazu reichlich Frankenwein. Zudem erlaubte uns das Trio tiefe Einblicke in die fränkische Seele.

„Der Frang-ge an sich“, psychologisierte zum Beispiel der Karl, „geht scho aus sich raus – abber mehr so nach inne.“


Auch dem dort wild grassierenden Katholizismus standen die Drei überraschend pragmatisch gegenüber. „Die war Nonne“, gluggste der Schorsch über eine historische Würzburgerin, „unn zwar scho inner dridde Generadsion …“

Als ich diese Schnurren heute im Büro dem Exilfranken erzählte, lachte er sich fast einen Kropf. Wir sind also – wie man aus der letzten Bemerkung mühelos rückschließen kann – wieder zurück auf St. Pauli.

„Willkommen zu Hause!“, juchzte Ms. Columbo freudestrahlend, als wir vor unserer Haustür eine eben erst eingetrocknete Kotzpfütze vom Wochenende entdeckten. Home, schiet home …

Drunten im Frankenland haben wir solchen Straßenschmuck hingegen nirgends gesehen. Nicht mal ein Autokennzeichen mit der naheliegendsten aller Kombinationen: „WÜ-RG“.

Das ist eben der Hauptunterschied zwischen dem Kiez und Würzburg: Hier geht man zwar auch gern aus sich heraus, aber mehr so nach außen.



10 Januar 2011

Ups!



Ein Laden in der Talstraße offeriert „INTERNETcoffee“. Wahrscheinlich bestellen sie ihn online bei Tchibo, und dann tröpfelt er direkt durch die Ethernetleitung in die schnell bereitgestellte Tasse.

Warum geht das eigentlich mit Bier noch nicht? Dann wäre mir das im letzten Blogbeitrag bereits angedeutete UPS-Desaster erspart geblieben. Am 20. Dezember nämlich, das ist jetzt fast drei Wochen her, bestellte ich über einen Onlineversand einige Kisten eines raren oberbayerischen Gerstensaftes, doch ich habe sie immer noch nicht. Weil die Brauerei fatalerweise UPS mit der Lieferung betraute.

Zunächst passierte das Übliche: UPS kam vorbei, als bei uns niemand zu Hause war. Der hinterlassene Zettel verhieß einen erneuten Zustellversuch am nächsten Tag zwischen 12 und 14 Uhr. Ich rief dort an und erklärte, es sei erst ab 14 Uhr jemand zu Hause, ob man sich darauf einstellen könne.

„Eine Zustellung zu einer bestimmten Uhrzeit können wir leider nicht garantieren, Herr Wagner“, bedauerte die UPS-Dame aus dem Callcenter, doch sie könne dem Fahrer mitteilen, er möge doch versuchen, seine Tour entsprechend zu planen. „Wenn er nicht ab 14 Uhr kommen kann“, sagte ich, „dann braucht er gar nicht erst zu kommen.“

Am nächsten Tag fanden wir einen Zettel von 12:37 Uhr vor, auf dem UPS bedauerte, uns nicht angetroffen zu haben. Ich rief an und beklagte mich bitterlich über diese Verschwendung von Arbeitszeit.

„Eine Zustellung zu einer bestimmten Uhrzeit können wir leider nicht garantieren, Herr Wagner“, sagte mir eine andere UPS-Dame. Sie bot an, das Bier bei Nachbarn abzustellen. Tagsüber sei selten jemand im Haus, gab ich zu bedenken. „Können wir es denn vor die Haustür stellen?“, fragte diese fraugewordene Naivität.

„Wie bitte?“, prustete es augenblicklich aus mir heraus, „ich wohne auf St. Pauli!“ Für das Schicksal eines herrenlos auf dem Gehweg herumstehenden Kartons gibt es hier keine zwei Optionen, vor allem nicht, wenn sich erst einmal herausgestellt hat, dass sich Bierflaschen darin befinden, und zwar volle.

Meine inständige Bitte, es irgendwie zu ermöglichen, die oberbayerische Rarität erst ab 14 Uhr nachmittags zu liefern, stieß auf ingesamt kühle Ablehnung. „Nur zwischen 9 und 18 Uhr, Herr Wagner. Eine Zustellung zu einer bestimmten Uhrzeit können wir leider nicht garantieren, Herr Wagner.“

„Na gut“, gab ich schließlich nach – und bot UPS an, den kommenden Freitag (der inzwischen der vergangene ist) ganz und gar dem Warten auf Godot zu widmen, und zwar exakt zwischen 9 und 18 Uhr.

Am fraglichen Freitag traute ich mich nicht einmal zu duschen, aus Angst, ich könnte das Klingeln des UPS-Manns verpassen. Es wurde Mittag, es wurde 15, 16, 17 und schließlich 18 Uhr – kein Bier aus Oberbayern.

Mein Anruf bei UPS war von mühsam unterdrückter vulkanischer Aktivität geprägt. Wo mein Bier bliebe, fragte ich. Bis 19 Uhr würde ausgeliefert, sagte eine neue UPS-Dame. „Jetzt also bis 19 Uhr? Sie hatten mir gesagt, zwischen 9 und 18 Uhr!“

„Eine Zustellung zu einer bestimmten Uhrzeit können wir leider …“ „… nicht garantieren, ich weiß“, fiel ich ihr ins Wort, aber genau aus diesem Grund mache man doch einen ZEITRAUM aus, der in diesem Fall von den Uhrzeiten 9 und 18 begrenzt worden sei. „BEGRENZT, verstehen Sie!“

Sie könne im System leider die Hamburger Touren nicht sehen, sei aber gerne bereit, dort meine Bitte um Rückruf vorzutragen; wie denn meine Nummer sei. Ich verlangte meinerseits die Nummer der Hamburger Filiale, um selbst dort telefonisch vorstellig zu werden; das stellte ich mir lustig vor in meiner derzeitigen Gemütsverfassung, die inzwischen auf einem Sky-esken Level angekommen war.

Die dürfe sie nicht rausgeben, sagte sie. Plötzlich fühlte ich mich müde, zerbröselt und zerschreddert von UPS, versuchte sie aber dennoch darauf festzunageln, wenigstens eine heutige Lieferung zuzusagen, egal wie spät. „Das können wir leider nicht garantieren, Herr Wagner.“

Waaaaaaah!

Eine Stunde später klingelte das Telefon, die Rufnummer war unterdrückt. Es war die Hamburger UPS-Filiale, und sie hatte schlechte Nachrichten, ganz schlechte. Leider sei das Paket unauffindbar, ob ich Größe, Form und Inhalt beschreiben könne.


Unauffindbar.


Inzwischen war ich längst soweit, das Kürzel UPS als „Unfassbar Planloser Saftladen“ zu dechiffrieren und das auch jederzeit zu beeiden. „Das kann ich verstehen, Herr Wagner“, sagte der UPS-Mann, „aus Kundensicht.“ Doch leider könne er nichts machen und schon gar nichts zusagen, so lange das Paket verschwunden sei.

Gegen 21 Uhr rief ein Kollege von ihm an und bestätigte den anhaltenden Status quo. UPS hatte es also geschafft, ein fast 30 Kilo schweres Paket mit mehreren Kisten Bier darin spurlos zu verbaseln. Wahrscheinlich gab es dafür zum Ausgleich einen lallenden, sehr gut gelaunten UPS-Fahrer mehr.

Somit, fuhr der Mann fort, sei auch eine Lieferung am Samstag ausgeschlossen. Erst Montag wieder. Mein Ärger steckte inzwischen in einem dicken wollenen Kokon aus Gleichmut, und so bat ich höflich darum, den Zeitpunkt eines weiteren Zustellversuchs unbedingt vorher mit mir abzustimmen. Der Mann beruhigte mich: Klar, kein Problem.

Samstagmittag hatte sich noch niemand bei mir gemeldet. Ich rief die Hotline an. „Die Sendung“, sagte eine muntere UPS-Dame namens Reuter, „wird am Montag zwischen 9 und 18 Uhr zugestellt, Herr Wagner.“

Waaaaah!, schrie ich auf. Nur ab 14 Uhr! Nicht früher! Es wird niemand zu Hause sein vor 14 Uhr! Niemand! Das war schon zweimal so, bevor Sie beim dritten Mal das Paket verbaselt haben!

Die Frau schien beeindruckt von meinem Ausbruch. „Ich sehe mir den bisherigen Verlauf einmal an“, flüsterte sie, „aha … ach so … hmm … ah, ich sehe … ojeoje … ts … uiuiui …“

Und dann sagte sie die schönsten Worte, die ich je von einer UPS-Stimme gehört habe: „Natürlich machen wir das, Herr Wagner. Ich trage das sofort ein: erst ab 14 Uhr.“

Der heutige Montag wird also der spannendste seit dem 2. November 2004, als sich Bush und Kerry ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die US-amerikanische Präsidentschaft lieferten.

Und das war nicht mal ein Montag.

26 April 2010

11 Juni 2006

Der Fluch der Informationsgesellschaft

Unser Bauch-/Rückenkurs am Sonntag ist sakrosankt, ob nun ein WM-Spiel läuft oder nicht, selbst wenn daran die potenziell famosen Holländer beteiligt sind. Die erste Halbzeit verbringe ich noch auf dem Crosstrainer vorm Bildschirm, es steht 1-0, doch während der zweiten Hälfte muss ich Crunches machen, Liegestützen und Schlimmeres.

Zu Hause habe ich daher vorsorglich den DVD-Rekorder programmiert, ich werde also nichts verpassen. Jetzt, nach dem Kurs, gilt es nur noch den Fitnessclub zu verlassen, ohne das Endergebnis mitzukriegen. Spannung ist schließlich alles. Doch auf dem Weg vom Rödingsmarkt zum Kiez steht mir ein Parcours bevor, der mir alles abverlangen wird.

Zunächst muss ich durchs Clubfoyer, wo ein riesiger Flachbildfernseher die WM überträgt. Ein ernstes Hindernis, zumal man den Ton zur Erbauung auch der hintersten Ecke durchaus übers Anstandmaß hinaus aufgedreht hat. Mit tief ins Gesicht gezogener Baseballmütze, den Zeigefingern in den Ohren und innerlich „Na-na-na-ne-na-nä!“ rufend, haste ich durch die audiovisuelle Todeszone und schaffe es wirklich hinaus auf die Straße, ohne das kleinste Infofitzelchen aufzuschnappen.

Keine Ahnung, was die Leute dabei über mich denken. Oder was Ms. Columbo denkt, die ich im Gefolge habe. Na gut, eigentlich weiß ich, was sie denkt, aber ich frage lieber nicht. Die U-Bahn ist safe, wie Agenten oder Irak-Marines wohl sagen würden. An der Reeperbahn aber droht Ungemach. Fast jedes Bistro im Millerntorhochhaus überträgt nämlich live und versucht mit Außenlautsprechern auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. Wir müssen daran vorbei, und es besteht das hohe Risiko, durch einen herüberwehenden Sprachfetzen der Nachberichterstattung das Spielergebnis zu erfahren. Das verdürbe mir gründlich den Spätnachmittag.

Auf dem Platz vorm Hochhaus sehe ich schon von weitem eine Gruppe orangeleuchtender Holländer, wende aber sofort den Blick ab, um meine innerlich ratternde Interpretationsmaschine mit keinerlei Hinweisen auf ihre Stimmungslage und somit auf den möglichen Spielausgang zu füttern. Außerdem rufe ich unablässig lautlos „Na-na-na-ne-na-nä!“ in mich hinein. Es wirkt. Aber wie jetzt den Bistrospießrutenlauf unbeschadet überstehen?

Ms. Columbo, selbst im Kopfschütteln noch konstruktiv, schlägt den Weg hintenrum vor. Sofort stimme ich zu. Nur von einer Touristenfresshalle namens Die Scheune droht geringe Gefahr, doch wir kommen ungeschoren dran vorbei, hasten durch die Seilerstraße. Fahrig schließe ich die Haustür auf und rette mich in den Flur.

Ein feiner Schweißfilm bedeckt meine Stirn. Tief in meiner Brust aber glost neben dem Stolz auf die bestandene Bewährungsprobe auch die Vorfreude auf die zweite Halbzeit. Das Interessante am Fußball ist ja, dass man nicht weiß, wie’s ausgeht, und diesen Zustand der Unschuld habe ich mir mit einer logistischen Meisterleistung und einem eiskalten Profi an meiner Seite erhalten.

Erleichtert falle ich in den Sessel und starte die Aufnahme. Doch es passiert nichts mehr, kein Tor, kein Elfer, kein Platzverweis. Die erste Halbzeit, sie hätte vollkommen gereicht.

Aber das konnte ich ja schließlich nicht wissen, verdammt noch mal.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs übers Nichtwissenwollen
1. „Please don't tell me how the story ends“ von Kris Kristofferson
2. „I don't want to talk about it“ von Crazy Horse
3. „Don't tell and we won't ask“ von Thrice


(Das Foto hat nur einen indirekten Bezug: Es zeigt eine Tribüne auf dem WM-Fanfest von hinten. Die über den Rand ragenden Wikingerhelme fand ich lustig.)