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20 Januar 2020

Der Midas von St. Pauli


Der Maler 4000 ist oft zu Gast im Haus und wurde nicht nur deshalb bereits mehrfach in diesem Blog verewigt. Jetzt ist er reif für eine weitere Erwähnung. Denn er ist wesentlicher Protagonist einer noch bis zum 1. Februar laufenden und äußerst unterhaltsamen Gruppenausstellung in der Galerie Feinkunst Krüger nahe dem Großneumarkt. Wir können die Unterhaltsamkeit beurteilen, wir waren auf der Vernissage – und einige seiner neuen Bilder habe ich auf dem Nachbarbalkon trocknen sehen

4000 findet seine Motive, wie man sieht, immer wieder auch auf St. Pauli, darunter die Fassade der Kiezkneipe Tippel II, die unverhohlen ein bestimmtes Zielpublikum anspricht und von unseren Balkonen aus zu sehen ist. 

Nachdem ich bei Feinkunst Kröger das Gemälde zur Erinnerung und Dokumentation abgelichtet hatte, beschloss ich, mit der realen Vorlage ebenso zu verfahren und mir beide Motive einmal näher anzuschauen. Und der Vergleich zwischen Kunstwerk und Foto enthüllte Verblüffendes. Denn zwei Elemente der Wirklichkeit hat 4000 – der sich ansonsten um jedes Detail bis hin zum Sky-Schild kümmerte – weggelassen während seiner Malsitzung: Laternenpfahl und Baum. 


Dass auf einem Motiv aus dem Rotlichtviertel ausgerechnet die beiden phallischsten Bestandteile der Vorlage fehlen – das lasse ich jetzt einfach mal so stehen. Und komme zu einem weiteren 4000-Werk, das bei der Ausstellung zu sehen, aber nicht mehr zu erwerben ist; eines, das diesmal nicht der Sphäre der Mal-, sondern der Konzeptkunst zugeordnet werden muss: ein nach ordnungsgemäßem Gebrauch plattgedrückter und danach achtlos entsorgter Plastiktrinkbecher mit Halm, vom Künstler locker schwingend aufgehängt in einem schwarzlackierten Holzrahmen.

4000 gluckst vor Vergnügen, wenn er erzählt, wo er den Becher fand (im unten an der Straße geparkten Autoanhänger eines Nachbarn), woher er den Rahmen hat (aus dem Sperrmüll) und was ihm schließlich ein Ausstellungsbesucher klaglos für all das bezahlte (250 Euro).

Der Mann macht buchstäblich aus Müll Geld. Wobei der Müll erst mal zu einer Idee werden musste, die sich in einem Objekt materialisierte und somit einen bezifferbaren Wert gewann, der sich wiederum erst dadurch verifizieren ließ, dass jemand den entsprechenden Kaufpreis entrichtete.

Aber warum fehlen Baum und Pfahl vorm Tippel II? Das wird noch zu klären sein – demnächst auf dem kurzen Dienstweg von Balkon zu Balkon.





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29 Mai 2017

Einmal Görlitz – und gerne wieder


Bereits direkt nach dem Untergang der DDR, die stadtplanerisch 40 Jahre lang der Maßgabe „Ruinen schaffen ohne Waffen“ gefolgt war, hielt mancher Görlitz für die schönste Stadt Deutschlands, trotz der überall bröckelnden Fassaden. 

Eine Einschätzung, die heutzutage noch weit mehr Berechtigung hat. Immerhin stehen hier 950 Jahre europäischer Baugeschichte restauriert herum. Insgesamt 4000 denkmalgeschützte Gebäude bilden ein Ensemble, welches nicht nur internationalen Filmproduktionen eine perfekte historische Kulisse liefert (die Einwohner nennen ihre Stadt nach hier gedrehten Kinoknallern wie „Inglorious Basterds“ schon „Görliwood“), sondern auch Besucher schnell bezirzt. 

Unsere typisch westdeutsche Befürchtung, dieser Zauber könnte durch vielfältige Anzeichen rechtsextremen Wirkens schnell verfliegen, bewahrheitete sich nicht. Wenn in Görlitz wirklich einmal ein Graffito auffällig wird, dann erfreulicherweise ein antifaschistisches. Und das ist ordentlich auf Stromkästen gesprüht statt auf mühsam hergerichte Renaissancefassaden.

Erstaunlich auch, wie wenig hier hörbar herumgesächselt wird. Wir hatten uns vor der Reise noch gegenseitig ermahnt, bei „Gänsefleisch mohl …“-Sätzen keinesfalls loszuprusten, doch es ergab sich keinerlei Gelegenheit, die eigenen Selbstbezähmungskräfte unter Beweis zu stellen. Vielleicht liegt es daran, dass man hier schlesische Wurzeln hat und nach böhmischen und preußischen Intermezzi erst in jüngerer Zeit dem Land Sachsen anheimfiel.

Mithilfe der den Grenzfluss Neiße überspannenden Altstadtbrücke flaniert man in Nullkommanix rüber nach Polen, wo die Stadt unversehens Zgorgelez (sprich: Sgorscheletz) heißt und am Ufer (Foto) mit gastronomischen Verlockungen aller Art zu punkten weiß. Die Preise für Schnitzel, Pizza, Pirogi und Bier sind nur halb so hoch wie auf der deutschen Seite – was allerdings auch schon den größten Zgorgelezer Reiz ausmacht. 

Der Rest der Stadt ist nämlich recht trist geraten. Statt 950 Jahre Architekturgeschichte repräsentiert der polnische Teil der Stadt allenfalls die letzten 50 davon. So zumindest unser oberflächlicher Eindruck.

Zurück im herzallerliebsten Görlitz machte uns der von zahllosen Maklerbüros repräsentierte Immobilienmarkt immer wieder fassungslos. Denn so aufwendig die prachtvollen Villen der Innen- und Altstadt auch renov- und restauriert sind: Ihre Kauf- und Mietpreise spotten aus Hamburger Sicht jeder Beschreibung.

Da kriegst du 130 modernisierte Altbauquadratmeter mit Parkett und allem drum und dran für 600 Euro warm, und wenn man sich erbarmte und als Zuziehender mindestens 18 Monate in der östlichsten deutschen Stadt wohnen bliebe, schenkte sie einem vor lauter Rührung drei Kaltmieten, einen Monat Strom und allerlei mehr. 

Wer gar erwöge, sich durch den Kauf einer Altbauwohnung noch fester an Görlitz zu binden, wäre mit durchschnittlich rund 500 Euro pro Quadratmeter dabei. Das treibt Besuchern aus St. Pauli, wo man unter 3000 Tacken/qm nicht mal mehr eine Souterrainbutze erwerben kann, natürlich Tränen in die Augen.

Und selbst die Tatsache, dass sie hier in Görlitz samstags bereits um vier die Bürgersteige hochklappen und die drei Straßenbahnlinien (Görlitz hat eine STRASSENBAHN!!!) sich im gemütlichen 20-Minuten-Takt zwischen den gotischen, barocken, Renaissance- und Gründerzeitsteinen hindurchschlängeln, verbuchen wir keinesfalls als Standortnachteil, sondern als Entschleunigungsangebot. 

Napoleon war übrigens insgesamt sechsmal in Görlitz. Das müsste zu toppen sein.


 

15 Juni 2016

Der weltbeste Pinselstrich


Heute klingelte unser Nachbar, der Künstler 4000, um uns den Katalog zu seiner „25 Jahre 4000“-Ausstellung zu schenken. Er hat ihn sogar mit einer persönlichen Widmung versehen, was ich herzallerliebst finde. 

Die skurrile Geschichte von 2011, wie der für uns bis dahin noch namenlose Nachbar mal eine freundlicherweise entgegengenommene DHL-Kiste mit Wein hereinschleppte, drei Bilder von sich an der Flurwand entdeckte und sich lakonisch als deren Schöpfer enttarnte, habe ich bereits verbloggt.

Der Katalog zur Ausstellung „25 Jahre 4000“ ist großartig; ich habe heute Abend eine ganze Halbzeit des Spiels Frankreich–Albanien verpasst, weil ich mich davon nicht losreißen konnte. 
4000s Bilder – hingerotzte, mit Worten und Textzeilen abgeschmeckte und konterkar(ik)ierte Minutenmeisterwerke in Acryl – sind es ja sowieso (also großartig), aber viele begleitende Elogen seiner Weg-, Trink- und Kampfgefährten aus dem vergangenen Vierteljahrhundert sind es auch.

Ich könnte jedenfalls juchzen vor Freude über diesen Katalog (auch wenn er ihn vorher besser mir zum Korrekturlesen gegeben hätte, aber egal), und das werde ich 4000 demnächst auch persönlich sagen, sobald er mal wieder auf dem Nachbarbalkon steht und Wunderdinge mit seinen Pflanzen anstellt. 

Der Mann nämlich hat nicht nur den weltbesten Pinselstrich von ganz St. Pauli, sondern auch einen derart grünen Daumen, dass er als Weltraumgärtner in „Silent Running“ glatt Bruce Dern aus dem Gewächshaus gefegt hätte. 

Die 4000-Ausstellung läuft seit Anfang des Monats bei Feinkunst Krüger in Kohlhöfen 8, und wer aus der Gegend zwischen Kiel und Kitzbühel kommt und es bis zum 25. Juni wirklich nicht schaffen sollte, dort mal vorbeizuschauen, der hat die Kontrolle über sein Leben verloren. 





10 Juli 2013

Offener Brief an den NSA-Zuträger Apple


Von: Matt Wagner
Betreff: Aufforderung zur Änderung der AGBs anlässlich des NSA-Skandals
Datum: 10. Juli 2013 20:56:01 MESZ
An: media.de@apple.com



Sehr geehrter Herr Albrecht,

ich bin seit vielen Jahren Apple-Kunde, mein erster Rechner war ein Performa, dann kam ein iMac, schließlich diverse Power- und MacBooks, natürlich iPods, Airport Express, Apple-TV und so weiter. So um die 20.000 Euro dürften in den vergangenen 20 Jahren von meiner Börse in Ihre geflossen sein, aber das war es mir wert. Ich war (fast) immer nicht nur zufrieden, sondern begeistert von der Qualität Ihrer Produkte und von ihrer Schönheit und Eleganz.

Das galt auch für Ihre Software. Auf iTunes bin ich begeistert eingestiegen, als Sie die iCloud gestartet haben, war ich gefühlt der erste deutsche Abonnent. Und natürlich habe ich seit langem eine Apple-ID mit entsprechender Mailadresse.

Bei den letzten beiden Punkten aber wird es neuerdings heikel. Denn, wie inzwischen herauskam, haben Sie anscheinend dem amerikanischen Auslandsgeheimdienst NSA einen generellen Zugriff auf meine Cloud- und Maildaten erlaubt. Dabei bin ich kein Terrorist.

Ich finde das erschütternd. Denn all die Jahre habe ich Ihnen vertraut. Wenn meine Freunde sagten, sie würden Dienste wie Dropbox meiden, weil sie sich Sorgen um die Privatheit ihrer Daten machten, dann habe ich nur gelächelt. Schließlich war ich bei Apple, einer Firma, die von einem Hippie gegründet worden war, dem die privaten Entfaltungsmöglichkeiten über alles gingen. Ich wähnte meine Privatsphäre bei Ihnen sicher.

Aber das war sie nicht. Sie haben meine Daten geteilt. Obwohl Sie wussten, dass die NSA mit ihrer Forderung gegen nationale Gesetze und sogar gegen das Völkerrecht verstieß, haben Sie den Zugriff erlaubt und mich nicht darüber informiert.

Dabei hätten Sie nur nein sagen müssen.

 

Recht, Gesetz, Moral und Anstand wären auf Ihrer Seite gewesen. Und mir als Kunden gegenüber, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen, wären Sie dazu verpflichtet gewesen. Das ist ein schwerer Schlag für mich und meine Meinung über Sie. Ich fange an, über die 20.000 Euro nachzudenken, die ich Ihnen überlassen habe. Und ich denke ernsthaft nach über die Zukunft unserer Geschäftsbeziehung.

Daher meine Forderung an Sie: Versichern Sie mir, dass meine Daten von jetzt an sicher sind bei Ihnen. Versprechen Sie mir, dass Sie den unrechtmäßigen, völkerrechtswidrigen flächendeckenden geheimdienstlichen Zugriff auf Apple-Kundendaten – darunter auch meine – ab sofort unterbinden. Schreiben Sie das in Ihre AGBs, in die Geschäftsbedingungen, in die Kaufverträge.

Dann werde ich mit Sicherheit auch wieder einen mit Ihnen abschließen.
Auf eine baldige Zusage freue ich mich.

Mit freundlichen Grüßen
Matthias Wagner

PS: Diesen Brief werde ich als offenes Schreiben in meinem Blog veröffentlichen und erbitte die Erlaubnis, das auch mit Ihrer Antwort tun zu dürfen. Es ist – da sind wir uns sicher einig – in unserem gemeinsamen Interesse.




Update vom 22.7.2013

Nach zweimaligem Nachfragen kam heute eine Mail mit folgendem Text:


„Apple’s Commitment to Customer Privacy

June 16, 2013

Two weeks ago, when technology companies were accused of indiscriminately sharing customer data with government agencies, Apple issued a clear response: We first heard of the government’s “Prism” program when news organizations asked us about it on June 6. We do not provide any government agency with direct access to our servers, and any government agency requesting customer content must get a court order.

Like several other companies, we have asked the U.S. government for permission to report how many requests we receive related to national security and how we handle them. We have been authorized to share some of that data, and we are providing it here in the interest of transparency.

From December 1, 2012 to May 31, 2013, Apple received between 4,000 and 5,000 requests from U.S. law enforcement for customer data. Between 9,000 and 10,000 accounts or devices were specified in those requests, which came from federal, state and local authorities and included both criminal investigations and national security matters. The most common form of request comes from police investigating robberies and other crimes, searching for missing children, trying to locate a patient with Alzheimer’s disease, or hoping to prevent a suicide.

Regardless of the circumstances, our Legal team conducts an evaluation of each request and, only if appropriate, we retrieve and deliver the narrowest possible set of information to the authorities. In fact, from time to time when we see inconsistencies or inaccuracies in a request, we will refuse to fulfill it.

Apple has always placed a priority on protecting our customers’ personal data, and we don’t collect or maintain a mountain of personal details about our customers in the first place. There are certain categories of information which we do not provide to law enforcement or any other group because we choose not to retain it.

For example, conversations which take place over iMessage and FaceTime are protected by end-to-end encryption so no one but the sender and receiver can see or read them. Apple cannot decrypt that data. Similarly, we do not store data related to customers’ location, Map searches or Siri requests in any identifiable form.

We will continue to work hard to strike the right balance between fulfilling our legal responsibilities and protecting our customers’ privacy as they expect and deserve.“

23 Juni 2011

Und am Abend Morning Glory



Weil St. Pauli ein Ort und vor allem ein Hort der Gegensätze ist, hat hier auch ein Luxushotel wie das in heimelig schummriger Backsteingrobheit gestaltete East seinen Platz – übrigens schräg gegenüber einer Absackerkneipe von geradezu stereotypischer Kiezhaftigkeit.

Ich bin immer wieder gern im East und hatte mich für die sogenannte Küchenparty angemeldet. Hierbei ist den Kunden nicht nur der Gastraum des Restaurants zugänglich, sondern auch das Allerheiligste, die Küche. Man steht also dort herum zwischen Woks und Welsfilets, zwischen Spülmaschinen und Gasflammen, und stört die gleichwohl gutmütig lächelnden Köche bei der Arbeit, was sie nicht davon abhält, uns unablässig Köstlichkeiten zuzuschanzen.

Der Küchenälteste ist Julius, ein jungenhaft wirkender Thailänder von Mitte 50 und handelsüblicher Schmächtig- und Drahtigkeit, dem man irgendwann vor Urzeiten wegen akuter Unaussprechlichkeit seines Originalnamens diesen klangvollen, wellenförmig verlaufenden Dreisilber verpasst hatte. Jetzt ist er sogar auf seiner Küchenschürze eingestickt.

Während Julius Entenstreifen mit einem Gemüse namens Morning Glory kombinierte („Wächst nur in Thailand zwischen 5 und 6 Uhr abends“, erklärte Julius, was immer das bedeuten mag), erzählte er Ms. Columbo und mir von seinen 30 Jahren Küchenhopping quer durch die Republik.

Die in diesem nomadenhaft angelegten Beruf erforderliche Mobilität hielt Julius von jeder festen Bindung fern. „Ich bin Single!“, strahlte er mit der Grundzufriedenheit dessen, der nichts vermisst, so lange er tagein, tagaus Woks mit Morning Glory füllen kann.

Meine Anmeldung bei der Küchenparty bedeutete übrigens Pi mal Daumen 4000 Kalorien Unterschied. Denn eigentlich hatte mich Chris, der Schlächter, im Fitnessstudio erwartet (- 2000); stattdessen empfingen mich freudig Julius & Co. (+ 2000). Das Sushi, welches sie dort kreieren, ist, nebenbei bemerkt, nicht irgendeins, sondern circa das beste der Welt, wenn nicht von ganz St. Pauli – so weit einer wie ich das beurteilen kann, der in Japan noch keins gegessen hat.

Dazu servierten deutsche Winzer Kreszenzen von famoser Passgenauigkeit. Einer hielt gar edelsüße Köstlichkeiten bereit, deren Dessertkompatibilität natürlich unverzüglich getestet werden musste. „Für jede verpasste Trockenbeerenauslese“, ermunterte ich Ms. Columbo in Anlehnung an Harry Rowohlt, der das Ganze allerdings auf Kalauer gemünzt hatte, „wirst du dich nämlich dereinst vor deinem Schöpfer verantworten müssen.“ Immerhin brachte ich sie so zum Nippen.

Übrigens bin ich noch immer nicht in der Lage, mithilfe handelsüblicher Essstäbchen eine befriedigende Relation aus Essmengenzufuhr und Zeitaufwand zu erzielen. Das Sushi führe ich mir daher gerne manuell oder per Besteck zu – bei Gelegenheit auch unter Zuhilfenahme der hier abgebildeten Konstruktion, welche das East dankenswerterweise alternativ parat hielt.


Sie besteht aus zwei erfreulich breiten und verehrungswürdig flachen Stöckchen, die zudem auch noch am Schaft unter Spannung zusammengesteckt sind, so dass man sie bedienen kann wie eine strunzdumme Zange.

Und ehe jetzt irgendjemand glaubt, auf eine bestimmte Idee kommen zu müssen – lassen Sie sie stecken: Ich nenne diese Dinger nämlich selbst so. Deppenstäbchen.

20 Januar 2011

Von wegen ruchlos!

Der freundliche Freund der Nachbarin hat eine Weinsendung für uns angenommen und zwischengelagert.

Nachmittags, als Ms. Columbo die Benachrichtigung vorgefunden hat und drüben klingelt, trägt er den zwölf Flaschen schweren Trumm netterweise in unsere Wohnung. Dabei erblickt er das abgebildete Tryptichon des Hamburger Malers 4000 an der Flurwand und sagt:

„Das ist von mir.“

Der Freund der Nachbarin ist 4000.
Klar, die Welt ist klein – aber so klein?

Auf 4000s Webseite schreibt ein Interpret:

„… Gleichwohl fühlt man sich angesichts der Werke frontal angeschnaubt. Es ist das nervöse Schnauben, das typisch ist für ein gewisses Popmenschentum. Er selbst wirkt in seiner cäsarenhaften Großartigkeit mitunter durchaus ruchlos.“
Und er kann hervorragend Weinkisten schleppen. Das hat der Exeget zu erwähnen vergessen.

22 Februar 2009

Unter Trophäenblondinen



Echo-Aftershowparty. Hier lässt die untergehende Musikbranche noch mal alles raushängen, was sie eigentlich nicht mehr hat.

4000 Gäste im Berliner Postbahnhof, und jeder von ihnen könnte ein Star sein – oder bloß ein Schreiberling wie ich. Alles ist möglich, alles denkbar, alles ist vollkommen unsicher.

Die Gäste mustern sich verstohlen. Kenne ich den neben mir an der Dessertbar persönlich oder doch nur aus dem Fernsehen? Und wenn ja: aus welcher Sendung? Welchem Film/Clip/Dschungelcamp? Ist der, er mich gerade angerempelt hat, ein FDP-Generalsekretär oder ein lustiger Volksmutant? Man weiß es (oft) nicht.

Eines aber stellt sich schnell heraus: 2009 sind immer noch oder schon wieder Trophäenblondinen angesagt. Je unansehnlicher/älter/schmerbäuchiger der Star/Plattenboss/Bandmanager, desto 90/60/90er das hellhaarige Babe an seiner Seite.

Und das Babe lächelt beseelt. Warum auch nicht: Es hat schließlich einen fetten Fisch geangelt. Jetzt darf es auf Partys mit 4000 Leuten und wird verstohlen gemustert, weil man es ja aus dem Fernsehen kennen könnte.

Der Typ am Sushibuffet, der mich von hinten fragt: „Ist das frisch?“, sieht aus wie Max Mutzke, und wahrscheinlich ist er es auch. Er sieht erbarmungswürdig hungrig aus, er will ein „Ja“ hören, und er kriegt ein „Ja“.

Hoffentlich habe ich jetzt nicht seine Karriere beendet, denn er kann ja singen, der Mutzke, das kann er wirklich. Ein dicker Klempner aus England fotografiert das sensationelle Dekolletee seiner noch dickeren Gattin. Vorhin stand er noch auf der Echo-Bühne und gab an, ein gewisser Paul Potts zu sein und eine Million Alben verkauft zu haben.

Mit dieser Quote bist du ein Star in der Musikbranche, du könntest dir eine beliebige 90/60/90er Trophäenblondine aus dem Sortiment auswählen. Nur wem sie wegnehmen – Dieter Gorny? Christian Neander?

Ach, das Leben ist kompliziert auf der Echo-Aftershowparty. Die beste Beschäftigung ist deshalb verstohlenes Mustern, während man Sushi möfelt und mittelmäßigen Weißwein von Gallo trinkt, dessen Mittelmäßigkeit man ihm niemals vorwerfen würde, denn er ist ja kostenlos.

Auch den abgebildeten Herrn mit der komischen Tätowierung habe ich ausgiebig gemustert und bin sicher, ihn schon mal irgendwo gesehen zu haben.

Aber ich weiß einfach nicht, wo ich ihn hinstecken soll.


19 August 2008

Der gestoppte Countdown



Renate vom Käse- und Weinladen ist tot. Das ist unfassbar.

Im Kühlschrank steht noch ein angebrochenes Döschen ihres sagenhaften roten Pestos, ich habe es ihr am letzten Freitag abgekauft. Und einen Tag später legt sie sich schlafen und wacht nicht mehr auf.

Renate Reinecke war Mitte 60 und eine unglaubliche Type. Wäre sie mit ihrer Lache damals in Jericho dabeigewesen, man hätte die Trompeten wegschmeißen können. Jeder, der ihr je begegnete, hat sie nie mehr vergessen. Ihre Bereitschaft zur dröhnenden Fröhlichkeit wurde legendär auf St. Pauli, sie war auf eine Weise herzlich, die dich berührte.

Als ich anfing zu bloggen, habe ich sofort über sie geschrieben, gleich am ersten Tag. Besser konnte man ein Kiezblog schließlich nicht starten als mit einem Original wie Renate. „Schon wieder Freitag? Schon wieder eine Woche rum?“, begrüßte sie mich praktisch jedes Mal, und ich rechnete ihr vor, dass man rund 4000 Wochen zur Verfügung habe im Leben und jeder Gang zu ihr somit eine Art Countdown sei.

Immer mal wieder kam sie vor in diesem Blog, und wie auch nicht. Kunden brachten ihr manchmal Ausdrucke der Beiträge mit, sie beömmelte sich darüber mit dröhnender Lache. So erfuhr sie auch von meinem Fremdgehen, und als ich das nächste Mal über sie bloggte, hatte sie endlich einen eigenen „Combjuder“, konnte schon „gugeln“, war also aus erster Hand informiert – und selbst dann noch höchst amüsiert, als ich sie liebevoll auf die Schippe nahm.

Im Oktober wollte Renate ihren Laden aufgeben, er rechnete sich nicht mehr. Viele Leute auf St. Pauli haben kein Geld mehr für gut abgehangenen Reblochon, Parmaschinken und Renates sagenhaftes Pesto, sie müssen jetzt Butterkäse kaufen bei Spar gegenüber.

Wo der Aufschwung der vergangenen Jahre landete, weiß kein Mensch, hier jedenfalls nicht, Renate verdiente zuletzt kaum noch etwas. Ein Vierteljahrhundert stand sie hinter der Theke, doch jetzt ging es nicht mehr weiter.

Ihr, der Frau mit der grandiosesten Lache diesseits von Jericho, standen Tränen in den Augen, als sie mir das erzählte. Gerade hatte sie hier auf St. Pauli eine neue Wohnung bezogen, gar nicht weit weg vom Käseladen. Vor ihr lag ein neues Leben, ein geruhsameres.

Doch der Countdown wurde abgebrochen, am Ende kam Renate auf nicht mal 3400 Wochen. Es ist schön, dass sie im Schlaf gestorben ist, wer wünscht sich das nicht. Doch das hätte unbedingt erst in 30 Jahren passieren dürfen,
frühestens.

„Drei Sprochen muss du hier sprächen“, sagte Renate über St. Pauli, „Hochdeudsch, Pladddeudsch und über annäre Leude.“ Mit einer solchen Reibeisenstimme, mit so rauer Herzlichkeit und diesen blitzenden Augen unterm forschen Blondschopf konnte das aber nur eine: Renate vom Käse- und Weinladen.

Am Samstag werden wir wie immer ein Lachsfilet bestreichen, mit dem Rest ihres sagenhaften roten Pestos aus dem Kühlschrank. Zum letzten Mal. Das ist unfassbar.

Foto: hotzenplotz

PS: Auch das Blog djdeutschland bringt einen Nachruf.


16 September 2005

Der Käseladen

Immer freitags geht's zum Käseladen. Die Inhaberin, Renate, begrüßte mich neulich mit amüsierter Resignation: „Schon wieder Freitag? Schon wieder eine Woche rum?“

Was ich nur bestätigen konnte. Ich ergänzte, das sei umso bedauerlicher, als man im Schnitt ja nur rund 4000 Wochen verfügbar habe.

Seitdem ist jeder Gang zu Renate eine Art Countdown.