20 April 2024

Serviceoase St. Pauli

Neulich in der Schanzenbäckerei, Hopfenstraße. Dort gibt es schmackhafte Dinkelvollkornbrötchen. Wir mögen sie sehr – und das obwohl man sie dort mit doppeltem Deppenleerzeichen schreibt: „Dinkel Vollkorn Brötchen“. Egal; ausnahmsweise. 

Da wir Übernachtungsgäste haben, sollen es ein paar mehr sein. Die Schanzenbäckerei offeriert fünf gemischte dunkle Brötchen mit Rabatt, allerdings maximal drei von einer Sorte. Deshalb bestelle ich als notorischer Sparfuchs zweimal dieses Fünferset mit der hintersinnigen Bemerkung: „Bitte mit möglichst vielen Dinkelvollkornbrötchen“ – in der Hoffnung, ich käme durch glückliche Umstände doch auf eine höhere Quote als drei zu fünf. 

Die junge Frau hinterm Tresen beginnt die Tüten zu füllen, allerdings eher regel- als wunschkonform, wie mir scheint. Da mischt sich unversehens der Chef ein. Er hatte mich bereits mit „Guten Morgen, mein Lieber!“ begrüßt, da ich dank der zuletzt auffällig häufigen Besuche wohl allmählich in den Status eines Stammgastes hineinwachse.

„Warum nehmen Sie nicht einfach zehn Dinkelvollkornbrötchen?“, fragt er. Die junge Frau unterbricht irritiert ihren Service und wartet erst mal ab. 
Ich, verdutzt: „Aber ich dachte, es dürften pro Sorte nur maximal …“
„Mein Dienst, meine Regeln“, unterbricht er mich. Und nickt der Kollegin zu, die gehorsam zwei Tüten mit insgesamt zehn Dinkelvollkornbrötchen füllt. Mit Worten der Rührung und des Dankes verabschiede ich mich.

Doch kein Glück ohne Schatten. Denn trotz dieses seltenen Beispiels einer funktionierenden Serviceoase St. Pauli keimt in mir die Befürchtung, dass ich mich beim nächsten Besuch noch nicht auf ein mattwagnersches Gewohnheitsrecht berufen kann. Einen Versuch ist es aber wert, auch bei einem anderen Diensthabenden.

Wenn Sie es nun selbst einmal ausprobieren möchten, zwei Fünferpacks derselben Sorte befüllen zu lassen – ich empfehle dringend Dinkelvollkornbrötchen –, dann drucken Sie doch diesen Blogeintrag aus und präsentieren ihn bei Bedarf als Argumentationshilfe. 

Erfahrungsbericht dann hier als Kommentar, bitte. Danke. 

  



07 März 2024

Fundstücke (262)

Der Moment, wenn du erkennst, dass deine Terrorgruppe endgültig gescheitert ist. 

Entdeckt auf dem St.-Pauli-Nachtmarkt.


29 Februar 2024

Fundstücke (261)

Keine Ahnung, ob die Firma Vytal ihre Werbeflächen auch anderswo mit diesem Motiv plakatiert oder ob der mit diesem Slogan verzierte James-Transporter auch in anderen Staddteilen tätig ist

Zum Kiez passen sie jedenfalls beide – wie die Ludenfaust aufs Auge des Freiers, der die Sexzeche prellen will. 

Entdeckt auf St. Pauli.


05 Februar 2024

Mein erstes und letztes Interview mit Lucy Diakovska, Dschungelkönigin

Heute in aller Früh gewann Lucy Diakovska (47) die TV-Realityshow „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ und gilt in einschlägigen Kreisen nun ein Jahr lang als „Dschungelkönigin“. Willkommener Anlass für mich, auf meine Begegnung mit der fünfköpfigen Band No Angels zurückzublicken, mit der Lucy 2001 europaweit berühmt wurde. Triggerwarnung: Damals nannte man selbst 24-jährige Frauen noch „Mädchen“, und ja: Auch ich tat das. Dass die fünf „Mädchen“ Teil eines Konstrukts waren, das gesellschaftlich akzeptiert als „Girlgroup“ galt, mag als Erklärung dienen. Wie auch immer: Damals gemeinsam mit Lucy und den restlichen No Angels an einer kreischenden Teeniemasse vorbeizulaufen, gehört zu den prägenden Erlebnissen meines Journalistenlebens. Der folgende Text erschien im Juni 2001 in der kurzlebigen Zeitschrift _ulysses.

Manche haben studiert, manche nicht. Manche arbeiten tags, manche nachts; manche kommen und gehen, wann sie wollen: Menschen mit Traumjobs. Wie die Girlband No Angels. Beruf: Popstars.

Wir müssen über den Gang, drei Meter bis zum Fahrstuhl. Draußen, an der Glasscheibe des Rundfunkgebäudes, quetschen sich Hamburger Teenies die Nasen platt. Als wir hinübergehen, kreischen sie, als wären wir die Beatles. Wir sind aber nur die Girlband No Angels mit einem Journalisten, der sich für zwei Sekunden im Mitläuferruhm sonnen darf. Ein seltsames Gefühl, auch für die fünf Mädchen, die vor einem Jahr noch selbst an irgendwelchen Scheiben gekreischt hätten, wenn Britney oder Blümchen drei Meter weit zum Aufzug gelaufen wären.
Jetzt ist plötzlich alles anders. Jetzt sind sie sogar dem Spiegel einen Artikel wert, auch wenn der sie als „Retortenband“ abqualifiziert. Die taz warnt vor der „singenden Geldmaschine“, und die Rheinische Post quält sich ein neues Genre ab: „braver, Clearasil-entkeimter Bonbonpop“. Das finden Sandy (19), Jessica (24), Vanessa (21), Lucy (24) und Nadja (18) ziemlich lustig.
„Na und?“, gibt Jessica sich souverän. „Finde ich überhaupt nicht schlimm. Wir sind ja zusammengecastet worden – wie viele andere auch. Mich macht es stolz, dass wir so viel Geld verdienen. Die Spice Girls haben auch Millionen gescheffelt.“

„Ich bin Lucy – und werde 25“: Den Satz indes hätte ein Spice Girl nie gesagt. Den sagt ein bis auf die Knochen gebrieftes Popsternchen nicht, wo die Bravo doch für jeden Monat, den ein Titelstar jünger ist, tausend Hefte mehr verkauft. Nein, Lucy ist noch nicht so gewieft, wie es ihr Management gerne hätte. Immerhin: Sie hat vorher schon Branchenluft geschnuppert, beim Musical „Buddy“. Die anderen tanzten höchstens ein bisschen oder sangen in der Badewanne. Aber dort fangen Träume ja immer an.
In ihrem neuen Leben bleibt nur noch Zeit für die Dusche zwischendurch. „Die Mädels“, wie der Polydor-Plattenmanager Rainer Moslener sie nennt, verbringen die Tage jetzt mit Videodrehs, Interviews und Radioauftritten, ehe sie an kreischenden Teenies vorbei zum Aufzug laufen müssen.
Das schlaucht, denn vor Kurzem noch standen sie in beschaulichen Provinzboutiquen an der Kasse, verkauften Pauschalreisen oder schaufelten sich – wie Vanessa – in Unibibliotheken Wissen rein, das irgendwann einmal für einen anständigen Beruf reichen sollte. Und weil sie gut singen konnten, träumten sie alle vom Glamour des Pop.

Vanessa war damals gerade einkaufen, als sie über das Casting zur „Popstar“-Serie auf RTL II stolperte. Sie sang, geriet unter die letzten 30, flog nach Mallorca, wo der Darwinismus der Girlgroup-Findung in die entscheidende Phase ging – und plötzlich war sie ein No Angel. Wie die anderen vier: Mädchen, die sich plötzlich in ihrem eigenen Traum wiederfinden. Und feststellen, dass sie nicht aufwachen, wenn sie sich kneifen, und dass der Traum Arbeit bedeutet und Liegestützen und Muskelkater.
„Viele“, sagt Jessica, „stellen sich vor, dass man nur noch ei-de-dei über die Straße geht.“ Falsch! Doch der Traumberuf Popstar ist nun mal genau das, was die Fünf immer wollten. Auch wenn sie das Wort Privatleben vorerst nicht mehr buchstabieren können. Lucy, mit ihren feuerroten Haaren der Kobold der Band, zuckt die Schultern und lächelt fatalistisch. „Wir haben uns ja dafür entschieden“, sagt sie. „Und wenn es weiter so gut läuft wie bisher, können wir uns eines Tages ein schönes Leben leisten – und zwar eins mit Privatleben.“

Eine Marketingkombi aus Dokusoap und Singlehit war der Pusch, weitergehen muss es jetzt ohne Fernsehschub. „Die Serie war eine tolle Plattform“, sagt Sandy, die quicke Quotenblonde der Band. „Aber die letzte Folge ist gelaufen, und jetzt gibt es nur noch die No Angels. Wir müssen jetzt da durch, wir müssen uns beweisen.“ Die Träume vom Traumjob, die sich so unfassbar schnell erfüllten, sie gehen jedenfalls weiter. Jessica hat leuchtende Augen: „Wir können eine eigenständige Gruppe werden, die alles beeinflussen kann: die Musik, die Texte. Genial!“
„Ja“, pflichtet Lucy bei, „das ist sogar erwünscht!“ Sie wird bald 25, sie ist Mitglied einer Retortenband und glaubt, ihre Kreativität sei erwünscht. Und der alte Branchenhase Rainer Moslener sitzt am Tisch und sagt dazu lieber nichts. Er mag die „Mädels“, wirklich. Nach und nach wird er ihnen alles beibringen über die Haifischbranche Popbiz. Und zwar so schonend wie möglich.

Fotos: Polydor (2001), Stefan Menne, RTL (2024)


 

01 Februar 2024

Die gemütlichsten Ecken St. Paulis (203)

Was hat dich nur so ruiniert, o Dixiklo?

Sachdienliche Hinweise und wilde Spekulationen bitte in den Kommentaren.


26 Januar 2024

Aida, diesmal nicht in Mülltüten

Vor knapp acht Jahren ging unser erster Versuch, Verdis Oper „Aida“ zu genießen, schrecklich schief: Wir flohen zur Halbzeit – „gekleidet“ in mülltütenartige Plastikregencapes – vorm Weltuntergang, der die Open-Air-Aufführung in Schwerin mit Donner, Sturm und Wassermassen zu behelligen geruhte. Wenigstens hatten wir den (echten!) Elefanten noch gesehen. Weitere Details zu diesem in mehrerlei Hinsicht unvergesslichen Ausflug nach Schwerin finden Sie hier

Nun aber gibt es unverhofft doch noch die Chance zu erfahren, wie es weitergeht, nachdem der Elefant von der Bühne gestapft ist. Denn „AIDA – Das Arena Opern Spektakel 2024“ (sic!) feiert am 2. Februar in Hamburg Premiere, und wir sind eingeladen.

Man avisiert uns Multimediales, ja, Immersives; ausstaffiert sei das Ganze mit Omnisurroundlautsprechern, Projektoren, LED-Wänden, Kameras und Scheinwerfern sonder Zahl, wahrscheinlich alles originalgetreu nach Verdis Regieanweisungen angefertigt. Der Elefant soll allerdings statt aus Elefant aus neun Frauen bestehen. Tierschutz!

Doch egal wie’s weitergeht, nachdem die neun Damen von der Bühne gestapft sind: Diesmal werden wir keine Mülltüten tragen müssen, denn das alles findet in der Barclay’s Arena in Stellingen statt. Und es gibt noch Karten, soweit ich weiß.

Foto: Christoph Eisenmenger


04 Januar 2024

Die gemütlichsten Ecken Deutschlands (202)


Entdeckt am Rande des Westerwaldes in meinem Kindheitsdorf Medenbach, Lahn-Dill-Kreis. 
Der Kaugummiautomat nimmt übrigens schon Cent.


31 Dezember 2023

Der 19. offene Brief zu Silvester

Liebe Krüppel vom Neujahrsmorgen,

seit mehr als anderthalb Jahrzehnten appelliere ich an dieser Stelle an euch. Stets vergebens. Warum ich mir also jedes Jahr wieder die Mühe mache, verstehe ich inzwischen noch weniger als euch.

Deshalb, habe ich mir gedacht, veröffentliche ich die Serie ab jetzt chronologisch neu. Denn etwas genützt hat ja keiner der Appelle, schlechter als bei der Erstauflage kann es also auch nicht laufen. Los geht’s also mit dem Debüttext, der immer noch in damaliger Frische erstrahlt, und das ganz ohne Konservierungsstoffe:

Schaut bitte jetzt noch mal an euch herab. Arme, Hände, Beine, Füße: Alles ist noch dran. Das ist gut. Noch. Denn heute Nacht werdet ihr euch etwas wegsprengen. Ja, genau. Wahrscheinlich ein, zwei Finger, vielleicht auch eine Hand. Oder beide. Manche von euch wird es noch schlimmer erwischen. Im Gesicht nämlich. Ihr werdet die Nase verlieren, den Unterkiefer, die Augen. Und einige von euch auch den Rest: euer Leben.

Alles ist momentan noch dran, wenn ihr an euch herabschaut. Das ist gut. Doch in den Zeitungen vom 2. Januar werdet ihr auftauchen: als Beispiele für Dumm-, Blöd- und Bescheuertheit. Diesmal wart ihr zu blöd, einen Böller ordnungsgemäß abzufackeln.

Euer ganzes Leben – wenn ihr es denn behaltet – wird danach ein völlig anderes sein. Wahrscheinlich verliert ihr eure Mobilität. Vielleicht könnt ihr euch danach nie mehr alleine die Zähne putzen. Vielleicht verliert ihr euren Job. Oder euren Partner. Vielleicht beides.

Und alles aus Blödheit.

Aber noch ist nicht Mitternacht. Noch könnt ihr es vermeiden, am 2. Januar in den Zeitungen als Beispiele für lebensgefährliche Blödheit aufzutauchen. Wie wär’s? Ist eigentlich ganz leicht. Aber ich habe wenig Hoffnung. Denn genau das definiert ja Blödheit: sogar das eigentlich Leichte noch zu leicht zu nehmen.

Schaut bitte noch mal an euch herab. Arme, Hände, Beine, Füße: Alles ist noch dran. Und jetzt sagt zu all dem bitte leise servus.

Melancholische Grüße

Matt


 

29 Dezember 2023

Wieder mal die Bahn

Geplant ist, in Gießen in den ICE ein- und in Hamburg wieder auszusteigen, und gut is. Jedoch:

1. Der ICE ab Gießen fällt aus. Gerümpel auf der Oberleitung oder so. Alternative: Regionalzug nach Kassel, dort in einen ICE nach Hamburg. Und gut is.

2. Der ankommende Regionalzug ist ein geteilter. Die zur Weiterfahrt nach Kassel vorgesehenen Wagen fehlen allerdings, wie wir uns nach eiligem Auf- und Ablaufen ernüchtert eingestehen müssen. Die Bahn ist ratlos und weiß auch nicht, wo die Wagen sind. Ihr Rat: den Regionalzug nach Treysa nehmen, dort in einen Zug nach Kassel umsteigen, dann weiter nach Hamburg. Klingt praktikabel.

3. Der ankommende Regionalzug ist ein geteilter. Die zur Weiterfahrt nach Treysa vorgesehenen Wagen fehlen allerdings, wie wir uns nach eiligem Auf- und Ablaufen ernüchtert eingestehen müssen. Die Bahn ist ratlos und weiß auch nicht, wo die sind. Problem: Der nächste reguläre Zug von Gießen nach Kassel entfällt sowieso. Rat: Regionalzug nach Frankfurt nehmen, dort den ICE nach Hamburg entern. Der, so räumt man ein, sei jedoch so voll, dass unsere Reservierung nicht umgebucht werden könne. Wir holen uns deshalb die Gebühr direkt bar am Schalter zurück. Die neun Euro sechzig oder so kann uns keiner mehr nehmen – und das ist bisher das Beste, was uns heute passiert ist. Aber noch nicht das Allerbeste!

4. Der Regionalzug nach Frankfurt ist voll wie Harald Juhnke an Silvester. Sein Innenleben (also das des RE, nicht Juhnkes) erinnert an selige 9-Euro-Ticket-Zeiten. Aber hey, er bringt uns in Hessens heimliche Hauptstadt!

5. An Gleis 13 des Frankfurter Hauptbahnhofs fährt laut Anzeige erst noch ein anderer ICE ab; er steht schon parat. Wir kriegen nur durch Zufall mit, dass der wartende Zug bereits unserer ist und nicht etwa der an der Anzeigetafel. Beinahe hätten wir ihn unwissentlich ziehen lassen, was uns zwei tickende Zeitbomben wahrscheinlich hätte hochgehen lassen wie Harald Juhnke an Silvester, wenn sich herausstellt, dass Peter Frankenfeld den Schampus einzukaufen vergessen hat. Wir steigen ein, der Zug, er fährt los! Nach Hamburg!

6. Aber leider nicht zum Hauptbahnhof; er wird ihn nach einem Halt in Harburg links liegen lassen. Wir könnten allerdings in Kassel, Göttingen oder Hannover in einen Alternativ-ICE umsteigen, der jeweils auf dem Nachbargleis bereitstehen wird. Das ist die bisher drittbeste Nachricht des Tages (zweitbeste folgt unten, danach die allerbeste).

7. Wir beschließen, zunächst in unserem ICE sitzen zu bleiben und eventuell erst in Hannover direkt in den Speisewagen des Alternativzugs zu wechsen; schließlich haben wir hier trotz fehlender Reservierung zwei Abteilsitzplätze ergattert (= zweitbeste N. des Tages), und so was wäre bei einem früheren Umstieg gewiss nicht wiederholbar, denn DIE GANZE REPUBLIK STÜRMT GERADE DIE ZÜGE! Wir wollen ja unser Glück, das uns heute so hold war (vgl. die dritt- und zweitbesten Nachrichten des Tages), nicht überstrapazieren.

8. Nachdem also unterwegs drei Züge ausfielen und wir unversehens Mainhattan ein herzliches „Ei gude wie!“ entbieten konnten, kamen wir um siebzehn Uhr sechsunddreißig mit lediglich eindreiviertel Stunden Verspätung in Hamburg an. Das generiert die allerbeste Nachricht des Tages, nämlich eine fünfundzwanzigprozentige Rückerstattung des Ticketpreises. Hätte dieser blöde Zug bloß eine Viertelstunde Verspätung draufgepackt, wären es sogar fünfzig Prozent gewesen. Doch wir wollen uns nicht beklagen: Wir sind angekommen und damit Gebenedeite unter den DB-Kunden.

9. Nächsten Donnerstag trete ich die gleiche Reise erneut an. Bitte schließen Sie mich in Ihre Gebete ein.


 

25 Dezember 2023

Gelbe Weihnachten

Heute Nachmittag in der Davidstraße mit Blick nach Süden.

Schnee wird überschätzt.


19 Dezember 2023

Auf den Straßen von St. Pauli

Manches, was hier in der Seilerstraße so herumliegt, wirkt kieztypisch, etwa der damenlose Büstenhalter. Er wirkt ein wenig wie wütend entsorgt. Die Geschichte dazu würde mich interessieren, und ich ersuche Sie dringend, diese in erforderlicher Ausführlichkeit in den Kommentaren zu schildern.



Anderes mutet eher überraschend an – wie etwa die handliche Bibelausgabe im Fahrradkorb. Fahrradkörbe werden hier auf dem Kiez übrigens recht oft für Mülleimer gehalten. Ich weiß nicht, wie man diesem Irrtum aufsitzen kann; normalerweise lernt man die Unterschiede schon recht früh im Leben.


Die Stolpersteine in unserer Straße wurden nach dem bestialischen Massaker der Hamas in Israel von einem kleinen Schutzwall aus Grablichten umgeben. Inzwischen trotzen sie wieder unumsäumt Wind, Wetter und Antisemitismus.



Die tote Kieztaube hat ihr Dahinscheiden wohl der einen Zigarette zu viel zu verdanken. Alle Indizien sprechen dafür.



Es ist gewiss nur Zufall, dass das „Zu verschenken“-Schild neben einem völlig intakten und scheckheftgepflegten Mittelklassewagen herumliegt. Sonst wären seine Türen doch bestimmt – ähem – nicht verschlossen gewesen.
 


24 November 2023

Die gemütlichsten Ecken St. Paulis (201)

Als ich heute auf dem Weg nach Hause die schwarze Novemberwolkenwand hinterm Riesenrad aufragen sah, während von vorne die Sonne eine Gondel links zum Erstrahlen brachte, trat ich justament auf die Bremse, stieg ab und fotografierte dieses stimmungsprachtvolle Bild.

Allerdings führten genau die dreißig Sekunden, die mich die Fotosession kostete, dazu, dass mich die schwarze Wand noch erwischte, bevor ich die Haustür erreichte. 

Egal: Es war nur Wasser. Und das hier ist für die Ewigkeit.


12 November 2023

Nick Drake goes Palazzo

Erneut war ich eingeladen zur Vorpremiere der kulinarisch aufs Vorzüglichste kontaminierten Variéteveranstaltung Palazzo in Hamburg. Der übliche Spiegelpalast, wo all das Wohlheil offiziell ab heute seinen Lauf nimmt, steht diese Saison auf einer Pferderennbahn; das Menü kommt wie immer von der Hamburger Spitzenköchin Cornelia Poletto.

Unabhängig von den unterhaltsamen Darbietungen – etwa der Schlangenfrau aus Äthopien, bei deren rückgratlosen Verbiegungen und -renkungen ich nicht immer hinschauen konnte – hatte mich das diesjährige Programm schon vor der Vorspeise in den Bann geschlagen, nämlich als die Band um den südafrikanischen Soulsänger Yamisava meinen Lieblingssong von Nick Drake coverte: „Northern Sky“

Ich glaube, wenn man mich gefragt hätte, was ich am wenigsten an diesem Palazzo-Abend erwartet hätte, dann hätte ich gesagt: dass jemand „Northern Sky“ von Nick Drake covert. Yamisava singt wie ein Hybrid aus Marvin Gaye und Nat King Cole, abgeschmeckt mit einer Prise Sam Cooke.

Jedenfalls hätte es ab dem „Northern Sky“-Moment nur noch schlechter werden können, wurde es aber nicht – zumindest wenn man vom tollpatischen Nachbarpaar zu meiner Linken absieht. Zunächst kippte er ein Glas Riesling (Markus Pfaffmann, Pfalz, Jahrgang 2022) ohne weitreichende Folgen quer über den Tisch, und etwa eine Stunde später legte seine Begleiterin mit einem Glas Mineralwasser (S. Pellegrino, Jahrgang unbekannt) nach – diesmal allerdings wurden meine Hose und unser beider Smartphones in Mitleidenschaft gezogen.

Dieser Zwischenfall ereignete sich kurz nach der Nummer des Clowns Kasimir, der mit drei Jonglierbällen in der Hand auf- und absprang und seine eigene Frage „Mit wie vielen Bällen springe ich hier auf und ab?“ mit „Fünf“ auch gleich selbst beantwortete. Ja, das Publikum und ich brauchten auch einen Moment, ehe wir die Zählung erfolgreich verifzieren konnten.

Alles zum diesjährigen Palazzo-Motto („Ladies first“), zur Show, den Artisten, zum Menü und dem ganzen Rest gibt es auf der Palazzo-Website. Hier hingegen endet jetzt alles mit einer kleinen Fotoschau.





 

01 November 2023

Pareidolien (152–154)


Dass es heute mal wieder Pareidolien zu verköstigen gibt, verdanke ich einem Blogleser, der mir dieses NASA-Foto vom Jupiter zusandte. Daraufhin schaute ich im Stehsatz nach und entdeckte zwei weitere Beispiele, die seit Längerem ihrer Veröffentlichung harrten.



Das blaue Fass hat seine triste Heimstatt auf St. Pauli, der panische Tresen fleht bei Fielmann um Hilfe.

26 Oktober 2023

Stillgestanden


Seit wir im Sommer in Lerwick, der Hauptstadt der Shetlandinseln waren, schaue ich dort täglich seufzend vor Nostalgie vorbei. Das ermöglicht mir eine Webcam, die den Anleger in den Blick nimmt, wo wir damals mit Tenderbooten anlegten. (Seufzt vor Nostalgie.)

Was mich allerdings nun schon seit einigen Wochen irritiert, sind die beiden Autos unten rechts auf dem Parkplatz, der weiße Transporter und der rote Kleinwagen rechts daneben. Beide bewegen sich nämlich nicht. Nie. Sie stehen da wie stillgelegt.

Meine Columbo-geschulte Intuition murmelt: Irgendetwas stimmt da nicht. Könntest du, Lerwicker Polizei, vielleicht mal verifizieren, dass dort wirklich keine leblosen Menschen hinterm Steuer sitzen? Oder im Kofferraum liegen? Danke.

Ergänzung vom 27.10.2023, 16 Uhr: 
Heute steht direkt gegenüber von unserem verdächtigen Duo plötzlich dessen Zwillingspaar. Wtf …?? 

Ergänzung vom 28.10.2023, 22.30 Uhr: 
Und er bewegt sich doch: Der Transporter ist weg!

Ergänzung vom 31.10.2023, 18.30 Uhr:
 
Ich widerrufe den gesamten Eintrag.


14 Oktober 2023

Die gemütlichsten Ecken St. Paulis (200)

Es ist ja schon zum Fremdschämen, wenn Hamburger sich nicht entblöden, in Dirndl und Krachlederner ein „Oktoberfest“ in der Fischauktionshalle aufzusuchen.

Wenn aber just dann eine Sturmflut kommt und all die Pseudobayern sich draußen ratlos das Dekolletee und ihre weißen Waderln verkühlen, weil die Halle überschwemmt ist und sie nicht reinkönnen, dann ist das sogar zum Fremdhämen.


05 Oktober 2023

Teilen wir das Preisgeld?


Das linke
Foto von Jaroslaw Kolacz hat soeben einen Preis beim Comedy Wildlife Award gewonnen. Dabei ist es eindeutig ein Plagiat meines Fotos eines bettelnden Alsterschwans von – festhalten – 2019!

Ich hoffe, Jaroslaw teilt das Preisgeld mit mir.


28 September 2023

20 September 2023

Warnung vor Platz neunzehn!

Nach Jahren gab es gestern mal wieder (richtigen) Fußball im Volksparkstadion, nämlich die Champions-League-Partie Donezk gegen Porto. Da musste ich natürlich hin, so eine Gelegenheit kommt nicht wieder. Genauer gesagt nur noch zweimal, wenn Donezk auch seine „Heimspiele“ gegen den FC Barcelona (7. November) und Royale Antwerp (28. November) hier notgedrungen austragen wird.

Platz drei in Reihe neunzehn des Blocks neunzehn C sah auf dem Stadionschema super aus. Denn vor mir würde niemand sitzen, der freie Blick von hoch oben versprach prachtvoll zu werden, und die Gefahr, einem Vordermann die Schuhspitzen ins Schulterblatt zu rammen, war gleich null.

Allerdings hatte ich die Rechnung ohne den Architekten des Volksparkstadions gemacht. Denn die Situation vor Ort war so, wie es das Bild oben erschütternd klar dokumentiert: Ich hatte ein Brett vorm Kopf. Beziehungsweise eine kapitale Metallstange. Sie war von den Schildbürgern am Zeichenbrett geschickterweise so platziert worden, dass stets zentrale Aspekte des Spielgeschehens unsichtbar blieben.

Als Alternative blieb mir die Option, mich zu ducken, sodass ich unter der Stange hindurchlinsen konnte. Dadurch rückte allerdings die Gitterstruktur auf Bild zwei ins Blickfeld. Ein weites Vorbeugen, um zwischen beiden Elementen ein größeres Sichtfeld zu erzielen, war zwar denk-, auf Dauer aber nicht darstellbar: Rücken und Nacken reichten nach kurzer Zeit Protestnoten ein. Obendrüberlinsen war ebenfalls nur temporär möglich, da ich dazu meinen Sitzplatz halb verlassen musste, und diese Haltung ist mit unbequem nur euphemistisch beschrieben.

Die Situation schien geeignet, mir das erste Champions-League-Livespiel meines Lebens zu vergällen. Zum Glück war in der Reihe unter mir – direkt links neben dieser vermaledeiten Metallkonstruktion – ein Platz frei. So gewitzt wie gelenkig schlängelte ich mich dorthin, warf allerdings bei dieser Aktion meinen soeben erworbenen Wasserbecher (sechs Euro mit Pfand) um, an dem ich lediglich einmal genippt hatte. Und dann kam natürlich bald der rechtmäßige Inhaber des Sitzplatzes und vertrieb mich wieder, was mich dazu zwang, die Dame, die inzwischen meinen gekauften Platz besetzte, zu vertreiben, genauer gesagt Verhandlungen darüber zu führen, die darin mündeten, dass ich gutmütig auf den ebenso schlechten Platz zwanzig hinüberrutschte.

Heute kam zum Glück eine Umfrage des HSV zu meinem „Stadionerlebnis“. Ich schrieb, es wäre mir schon lieber gewesen, bereits bei der Ticketauswahl darüber informiert zu werden, dass es sich bei Platz drei in Reihe neunzehn des Blocks neunzehn C eher um einen Hörplatz handelt.

Die Aussicht, auch die nächsten beiden Donezk-Spiele dort verbringen zu müssen, sollte mich eigentlich deprimieren. Doch zum Glück entdeckte ich auf dem (überschwemmten) Klo den abgebildeten Aufkleber. 

Darüber musste ich dann doch sehr herzlich lachen.



 

16 September 2023

Bloggeburtstag Nr. 18


Auch zum achtzehnten Bloggeburtstag nehme ich Ihre und eure Glückwünsche nur verschämt entgegen, da das zurückliegende Jahr meinerseits wieder einmal eher von Prokrastination als hoher Blogfrequenz geprägt war. Zu meinem Glück hat aber eh bisher nur eine Person gratuliert, und zwar die mir sowieso sehr zugeneigte Ms. Columbo. Somit hält sich meine Scham in Grenzen.

Apropos Prokrastination: Was generell im Leben gilt, gilt auch beim Bloggen – der innere Schweinehund ist verteufelt flexibel. Wenn ich zweitausend Blogbesucher am Tag habe, flüstert er: Du brauchst nichts zu schreiben, die Leute kommen ja eh. Und wenn es nur hundert sind, winkt er ab: Du brauchst nichts zu schreiben, interessiert ja eh keinen. Das Ergebnis ist jeweils dasselbe: Ich schreibe keinen neuen Blogeintrag. Und das kann’s ja auf Dauer nun wirklich nicht sein! 

Deshalb gelobe ich heute – wie jedes Jahr – Besserung. Denn irgendwo da draußen sind ja doch immer noch welche, die sich an sporadischen Meldungen von der Rückseite der Reeperbahn erfreuen. Wie man an oben abgebildeter Grafik sieht, welche die vergangenen zwölf Jahre abbildet, sorgen diese liebreizenden Menschen (ja, Sie!) dafür, dass sich die Besucherzahl stetig, aber immer langsamer der Sechsmillionengrenze nähert. Bei einem monatlichen Durchschnitt, der nur noch selten die Zehntausendermarke knackt (es waren auch schon mal achtzigtausend!), ist das Schneckentempo natürlich kein Wunder.

Zu den beliebtesten Blogtexten des Jahres gehört skurrilerweise einer von Anno Domini 2016. Seit Monaten erfreut er sich wieder stabiler Beliebtheit. Es geht darin um eine bizarre Grabstätte auf dem Wiener Zentralfriedhof und um ausgeraubte Nutella-Gläser in Hamburg.

Wenn mir jemand vielleicht verklickern könnte und möchte, warum ausgerechnet dieser Text wieder aus den Tiefen des Archivs hochgestiegen ist und dann auch noch so dauerhaft reüssiert, dann möge er oder sie es gerne tun. Dann schreibe ich nämlich noch mal so einen! 

Und hätte zum neunzehnten Bloggeburtstag wieder was zu erzählen.