04 Dezember 2012

Jungfernfahrt in der U4

Wann bekommt eine westliche Großstadt schon mal eine neue U-Bahn-Linie? In Athen zum Beispiel passierte metromäßig nach 1904 erst mal 96 Jahre lang überhaupt nichts mehr.

Von daher ist die Eröffnung der U4 in Hamburg ein großes Ereignis. Endlich passiert mal wieder was! Und die schnorrerhaft veranlagten Ms. Columbo und ich nutzen natürlich sofort das Angebot der hiesigen Verkehrsbetriebe, den U-Bahn-Frischling zur Einführung kostenlos zu befahren.

Vom Jungfernstieg aus geht es unter der Elbe hindurch gen Hafencity, wo uns zwei gewaltige Bahnhofshallen erwarten, deren Kubikmeterpreis sich bei parzellenweiser Vermietung bis ins Fantastilliardenhafte schraubte.

Die Station Hafencity Universität ist gar auf geradezu „Clockwork Orange“-hafte Weise illuminiert, während dazu diverses Meeresgetier leise säuselnd den Soundtrack liefert. Ganz vernarrt in die überwältigende Kraft von multichromen LEDs und Symmetrie schieße ich ein Foto ums andere und komme am Ende zu dem Schluss: Hier lässt es sich aushalten. Ein neuer gemütlicher Ort ist geboren.

Die Station zu verlassen ist allerdings (noch) nicht angeraten, denn draußen empfängt uns ein wilder Mix aus Zäunen, Brachen und Bauschutt. Sozusagen ein Gammelsurium.

Ein bescheuerter Kalauer, der Ms. Columbo übrigens erheitert. Und dafür mache ich das doch alles!




01 Dezember 2012

Dylan hat’s verschissen

Unter der lustigen Truppe, die jährlich vom Maritim-Hotel zum Gänseessen ins mondän angeranzte Haus in der Kirchenallee eingeladen wird, befindet sich nicht nur aus unerfindlichen Gründen der Autor dieses Blogs, sondern auch Journalisten, die ab und zu wirklich Artikel über Hotels verfassen.

Dadurch erfahre ich gleichsam nebenbei, welche jährliche Summe der Musiker Udo Lindenberg  an die Eigentümer seiner Dauerresidenz, das Atlantic-Hotel, überweist – und muss sagen: Das hätte ich nun wirklich nicht gedacht …

Ein älterer Kollege wälzte hingegen ein ganz anderes Thema, welches, wie schnell deutlich wurde, seit Dekaden in ihm gärt. Er erzählte mir zwischen Amuse-Gueule und Kürbissamtsüppchen von einer bitteren Erfahrung 1970, als er das längst legendäre Festival auf der Isle of Wight besuchte.

Bob Dylan nämlich, erinnerte er sich, habe nur eine Dreiviertelstunde (!) gespielt, sei dann einfach so (!!)  „in seinen Hubschrauber“ (!!!) gestiegen und wieder abgeflogen.

„Wir waren alle sauer, wir haben gebuht!“, erregte sich der Mann. Ob er noch mal ein Dylan-Konzert gesehen habe seither? Er schüttelte wild den Kopf, denn 42 Jahre später im Hamburger Maritim-Hotel Reichshof in der Kirchenallee war seine gleichsam überzeitliche Empörung noch immer nicht abgeklungen.

Ein solches Beharrungsvermögen imponiert mir. Was so etwas allerdings über die Qualität der kulturellen Meinungsbildung in Deutschland aussagt, möchte ich lieber nicht tiefer durchdenken.

Mit Jimi Hendrix 1970 auf Fehmarn war der Kollege übrigens ganz zufrieden. Wenige Wochen später war Hendrix tot, und Dylan lebt
immer noch. Zufall?

PS: Der abgebildete Prachtkronleuchter hängt übrigens im Restaurant des Maritim und schaut den Gästen abgeklärt in die Suppe.

27 November 2012

Pareidolie (53)

Man hat nicht jeden Tag beim Kartoffelschälen das bedrückende Gefühl, ein Kapuzineräffchen zu köpfen. Auch für mich war es ein Debüt.

Ein Vegetarier wäre in diesem Moment möglicherweise entsetzt auf Rauke umgestiegen, doch ich blieb taff.

PS: Eine ganze Galerie von Pareidolien gibt es bei der Pareidolie-Tante
, wo sonst.


26 November 2012

Meide Seitenstraßen!

Als ich gestern morgen unten an der Post gerade einen Brief einwarf, packte wenige Meter weiter, wo vor einiger Zeit unser Straßenschild mal tagelang herumgelegen hatte, ein schwankendes Nachtschattengewächs sein Gemächtchen aus und pieselte versonnen an den Baum.

So weit, so Standard. Von der Reeperbahn her näherte sich unterdessen ein händchenhaltendes Paar von etwa Ende 50. Plötzlich gewahrten die beiden das pinselschwingende Überbleibsel von Samstagnacht, schauten sich großäugig an, machten unisono kehrt und gingen eilends zurück Richtung Reeperbahn.

Ich würde mein Fahrrad, das mir spätestens 2013 sowieso geklaut werden wird, darauf verwetten, dass die beiden Touristen waren, die sich aus angstgeschwängerter Abenteuerlust einmal auf dem Kiez in die Seitenstraßen hatten schlagen wollten. So viel Wagemut – und dann das.

Während der trandösige Bursche, der davon natürlich nichts mitbekommen hatte, voller Resteifer die letzten Tröpfchen abschüttelte, musste ich doch ein wenig schmunzeln.

Und dann fuhr ich Brötchen holen.

24 November 2012

Der Biss in die Bank

Neulich joggte Kramer abends mit Musik auf den Ohren durch Eppendorf. Dabei übersah er eine perfide verdunkelte Parkbank (Symbolfoto). Er traf sie auf der schmalen Seite.

Über Kramers Schienbein setzte eine naturgesetzlich bedingte Hebelwirkung ein, die seine Einsneundzig in einer parabelartigen Flugbewegung längs auf die Parkbank knallen ließ. Dabei schlug Kramer seinen Oberkiefer kraftvoll ins unschuldige Holz dieser Eppendorfer Sitzgelegenheit.

Wie er uns am Folgetag mit aufgeschlagener Oberlippe und lockerem Vorderzahn berichtete, sei allerdings unmittelbar nach dem Aufprall keineswegs die aufgeschlagene Oberlippe oder der lockere Vorderzahn das größte Ärgernis gewesen, sondern die Tatsache, dass sein iPod weiter ungerührt Musik spielte.

Und zwar einen Song der Schweizer Band Die Aeronauten.

Quälend zähe Sekunden lang befingerte Kramer demnach den vielfach verfluchten Player, ehe er den Soundtrack zu seinem Unglück endlich stoppen konnte.

Besorgte Passanten, die den zitternd und zeternd auf einem kleinen weißen Kasten herumdrückenden Trumm von Mann nach seinem Wohlbefinden fragten, beschied er in verwaschenem Duktus und unangemessen schroff, alles sei „in Ordnung“. Doch das stimmte nicht. Nichts war in Ordnung.

Und dass ausgerechnet eine Band namens Die Aeronauten Kramers Sturzflug auf die Eppendorfer Parkbank untermalte: Das hat schon ein G’schmäckle, liebes Schicksal.

21 November 2012

Das schwere Atmen

Heute tauchte zum wiederholten Male die Hamburger Telefonnummer 040-808044935 in der Anrufliste unserer Fritzbox auf. Normalerweise steht diese Nummer einfach im Protokoll, denn dem ominösen Anrufer ist es bisher zuverlässig gelungen, uns nie zu Hause anzutreffen.

Heute aber war etwas anders, nämlich eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Zu hören ist, wie jemand 50 Sekunden lang schwer in den Hörer atmet. Im Hintergrund Trubel und Stimmengewirr, meist weiblichen Zuschnitts.

Eine Webrecherche legt die Vermutung nahe, dass es sich dabei um den Kontaktversuch eines o2-Callcenters handeln könnte. Das beweissichere Hinterlassen schweren Atmens erwarte ich aber normalerweise nicht von o2. Nicht mal von der Telekom.

Warum 040-808044935 immer wieder mal anruft, aber nie etwas sagt, sondern allenfalls schwer atmet, könnte darauf hindeuten, dass sie Arbeit bloß simuliert – „hier, Chef, das sind die 1278 Nummern, die ich heute angerufen habe, krieg ich jetzt ne Gehaltserhöhung?“

An dieser Taktik muss 040-808044935 auch künftig nichts ändern, denn dass ich die Nummer jetzt endlich in die Fritzbox-Sperrliste eingetragen habe, kriegt sie gar nicht mit. Angeblich hört sie nämlich trotzdem ein Freizeichen – wir aber das Klingeln (und Atmen) nicht mehr.

Wieder mal eine Win-win-Situation, wie ich sie sehr, sehr schätze.



19 November 2012

Selig gehört (vermutlich)

 „Da vorne ist Jan Plewka! Ich habe Jan Plewka gesehen!“, brülle ich Ms. Columbo zu. Wir stehen im Kellerclub Molotow. Vorn auf der Bühne, die nicht zu sehen ist, sollen Selig spielen. Klingt auch danach.

Wenn man am Eingang des Molotow-Bühnenraums vor einer unnachgiebigen Wand aus Rückenfronten steht, hat man vielerlei Probleme, die in mehreren Dimensionen anzusiedeln sind.

Zum einen ist der Sound von strunzdumpfer Breiigkeit, aber wenigstens bläst er einem nicht das Hirn aus dem Schädel: Die Front der unnachgiebigen Körper wirkt wie ein riesiger Punchingball, der den Schall teilabsorbiert. Zugleich verhindert sie zuverlässig unser weiteres Vordringen.

Um die Situation zu verschärfen und den Weltrekord in der Disziplin „Unzumutbare Konzertbedingungen“ nicht aus den Augen zu verlieren, minimiert die unmittelbar überm Scheitel des Publikums ansetzende Molotow-Decke außerdem den Sichtspalt Richtung Bühne auf Schlipsbreite – und ich meine nicht die Schlipsmodelle aus den 70ern.

Aus irgendeinem Grund erhasche ich gleichwohl einen Bühnenblick und erkenne den Bart des Sängers. „Da vorne ist Jan Plewka! Ich habe Jan Plewka gesehen!“, brülle ich daher Ms. Columbo zu. Sie scheint mir zu glauben, und wenn nicht, dann spätestens jetzt, mit diesem Beweisbild:




Das süße Discokügelchen über der Treppe, die harmlos tuend hinabführt in den Molotow-Höllenschlund, sollten die Betreiber übrigens unbedingt abhängen. Aus Sicht der zuständigen Jury gefährdet sie möglicherweise den Weltrekord in der Disziplin „Unzumutbare Konzertbedingungen“.


15 November 2012

Glück im Unglück und im Keks


Neulich vermisste ich meine Kamera. Nirgends war sie zu finden. Ich schickte Rundmails an die üblichen Verdächtigen, ohne Erfolg.

Als ich drei Tage später zu Hause eine Jacke von der Garderobe nahm, sah ich sie plötzlich wieder. Sie hing mittels der Handschlaufe an einem der Jackenknöpfe. Die ohne Zweifel gerichtsfeste Rekonstruktion des Vorfalls lautet hiermit folgendermaßen:

 

Als ich den Parka, in deren Brusttasche sich die Kamera üblicherweise befindet, drei Tage zuvor von der Garderobe genommen hatte, verfing sich die Schlaufe im Knopf der darunter hängenden Jacke. Die Kamera wurde dadurch sanft und unbemerkt herausgezogen und blieb dort baumeln.

Die üblichen Verdächtigen waren also wirklich unschuldig. Das war Vorfall Nummer eins, der glimpflich ausging. Vorfall Nummer zwei betraf mein iPhone. Es befindet sich ebenfalls gerne mal in der Brusttasche des Parkas.

Beim Schlendern übern Flohmarkt fand ich es allerdings zu meiner Verblüffung in der Umhängetasche, in der ich normalerweise Flohmarkfunde wie rare Edelweine verstaue, aber niemals das iPhone.

Auch hier gelang mir dank meiner Sherlock-Holmes-schen Kombiniationsgabe eine lückenlose Beweisführung des Tathergangs: 


Ich hatte in einer Kiste gewühlt, die auf dem Boden stand, und mich tief hinabgebeugt. Dabei war das iPhone klammheimlich aus der Brusttasche gefallen – aber nicht etwa in die Kiste, sondern in meine Umhängetasche, die mir ob meiner gebeugten Körperhaltung und wohl auch in weiser Voraussicht vom Rücken vor den Oberkörper gerutscht war.

All das geschah
direkt vor meinen Augen und doch vollkommen unbemerkt. Zwei entscheidende Gadgets, ohne die mein Leben trübsinnig wäre und voller Harm und Ödnis, sind also aus purem Dummenglück weiterhin in meinem Besitz.

„Mit all dem“, fasste Ms. Columbo diese Slapsticknummern zusammen, „könntest du im chinesischen Staatszirkus auftreten.“ Anscheinend bin ich gebenedeit unter den Schusseln.

Apropos China: Im Asiarestaurant Bok im Schanzenviertel erwischte ich neulich oben abgebildete Glückskeksbotschaft, die meine gesamte Berufslaufbahn der vergangenen 25 Jahre trefflichst auf den Punkt bringt.

Irgendwie ein toll(dreist)er Monat, dieser November, wenn ich dieses Fazit schon mal ziehen darf.

13 November 2012

Meine Killerskills als Linguist

Über unseren Köpfen dreht sich die wahrscheinlich größte Discokugel St. Paulis und überflackert die Stuckengel an den Wänden mit silbrigem Gesprenkel. Kein Zweifel: Wir sind in der Prinzenbar, wo die Südtiroler Frauenband Ganes konzertiert.

Die aparten Damen haben die urige Eigenart, auf Ladinisch zu singen. Dabei handelt es sich einer Theorie zufolge um das Überbleibsel eines alten lateinischen Dialekts aus der römischen Provinz Raeta. Vielleicht importierten aber auch Außerirdische das Ladinische vom Aldebaran; jedenfalls höre ich fasziniert zu.

„Sie rollen das R wie die Spanier“, informiere ich überraschend sachkundig Ms. Columbo, „und manche Nuschellaute klingen deutlich nach Portugiesisch.“

„Das Stück gerade“, antwortet sie, „war aber auf Italienisch.“

Hmpf. HMPF.

Im Anschluss singen die Grazien zum Glück und ganz ohne Rrrrollen und Nuschellaute Bob Marleys „Redemption Song“, und ich bin froh, dass Ms. Columbo das Thema nicht weiter vertieft.

11 November 2012

Die Stille nach dem Kuss

Die Hälfte der Republik soll ja laut Wetterkarte heute mit bis zu 100 Liter Regen pro Quadratmeter gewässert worden sein. Wie so oft aber erfreute sich Hamburg stattdessen eines blitzeblanken Sonnentags, der sich an der Alster wie oben dokumentiert bemerkbar machte.

Bevor wir zu diesem schönen Spaziergangsziel aufbrachen, sah ich an der Reeperbahn einen rauchenden Mann, der ein Werbeplakat des russischen Staatsballetts auffällig unauffällig umschlich und musterte.

Plötzlich beugte er sich hinunter und drückte der abgebildeten Tänzerin einen schüchternen Kuss aufs Ballettröckchen. Dann eilte er rasch davon.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich finde so was recht seltsam, sogar wenn man Kiezkriterien zugrunde legt.

09 November 2012

Eine kleine Gewalt Fantasie


 

Ich glaube, wir müssen uns allmählich wirklich vom altehrwürdigen zusammengesetzten Hauptwort verabschieden.

Über Jahrhunderte tat es tapfer seinen Dienst, übte sich lustvollst im Kreieren von Neuschöpfungen, schmolz zusammen, was oft nicht mal ahnte, dass es zusammengehört, schuf wie aus dem Nichts neue Wort- und damit Sinnwelten.

Diese Ära geht nun zuende, gewalt- und grausam. Denn die Kompositazerstückelung grassiert inzwischen in einem Maße, wie sie in der Vergangenheit nur in Serienkillerhaushalten vorkam. Irgendwann werden in der deutschen Sprachlandschaft nur noch Wort fet zen her um lie gen, zuckend und zappelnd und den letzten Rest ihrer Semantik aushauchend.

Das oben dokumentierte Beispiel eines Promoteranschreibens, das mich heute erreichte, ist nur die Spitze des Scheißbergs, ich schwör. So was bloß als „Deppenleerzeichen“ zu diskreditieren, wäre eine Beschönigung, der ich mich keinesfalls schuldig machen möchte.

Nein, Hopfen, Malz und das zusammengesetzte Hauptwort scheinen verloren. Oder gibt es einen Untergrund, in den man gehen könnte, um zurückzuschlagen? Könnte man von dort aus nicht mit kapitalen Kompositakanonen auf diese Spatzen Hirne schießen?

Wenigstens einen Vorteil hätte es ja, dass schon so viele davon herumflattern: Man träfe garantiert mit jedem Schuss.

07 November 2012

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (77)

Das Komet in der Erichstraße wäre auf dem Kiez nicht nur wegen des Hank-Williams-Bildes die weltweit liebenswerteste Kneipe – würde man dort als Gast nicht zugepestet wie bei einem Werbermeeting 1963 in der New Yorker Madison Avenue.

Aber man kann schließlich nicht alles haben.

06 November 2012

Entscheidungshilfe erbeten

Auf dem Schlachthofflohmarkt ist mir die abgebildete Flasche Sauternes-Wein von 1967 (!) für einen lächerlichen Preis in die Hände gefallen.

Da der Wert dieser Kreszenz laut einer kurzen fiebrigen Webrecherche aber eher in den dreistelligen Eurobereich hineinlappt, stellt sich mir nun eine (ge)wichtige Frage: trinken oder verticken? Und wenn trinken: mit wem?

Bewerbungen bitte in den Kommentaren.

03 November 2012

01 November 2012

Vermutlich im Crackmodus

Gebrüll von draußen hat mich ja schon oft auf den Balkon getrieben, und häufig boten sich mir illustre Szenerien. Ich verweise nur auf einen legendären Polizeieinsatz von 2009.

Diesmal sehe ich einen Mann mit Astraknolle, der unten an der Postfiliale irgendwas schreit, das verschwommen nach „Fuck!“ klingt, im Kreis läuft und immer wieder mit einem Fuß voraus gegen die Wand der Postfiliale springt.

Er scheint wie gefangen in dieser Kreisbewegung, dieser Abfolge, diesem Schreien und Springen. Manche, die auf ihn zulaufen, wechseln 20 Meter vorher die Straßenseite. Andere, deren Unbekümmertheit ich bewundere – schließlich könnten sie unversehens in eine Situation
geraten wie Bart Simpson auf dem abgebildeten Ottenser Graffito –, laufen an dem tobenden Kreisläufer vorbei, als wäre er gar nicht da.

Bis vor einigen Wochen hätte ich überhaupt nicht kapiert, was da vor sich geht, was mit diesem Mann los ist, warum er in diesem beängstigenden Modus gefangen ist. Inzwischen bin ich schlauer und vermute einen unvorsichtigen Umgang mit Crack.

Also Balkontür zu und ab in die Heia. Am nächsten Morgen ist alles wieder ruhig, und an der Wand der Postfiliale kann ich keinerlei Schäden erkennen.

28 Oktober 2012

Es gibt Wichtigeres als J. Los Hintern

Mit den fröhlichen Worten „Komm, lass uns Jennifer Lopez auf den Hintern starren!“ lockte ich Ms. Columbo heute Abend erfolgreich in die o2-Arena nach Stellingen. Und da ich gebenedeit bin unter den Musikjournalisten, durften wir das Konzert in der Loge ihrer Plattenfirma Warner Music verbringen.

Die Wände dort sind geschmückt mit Porträts der bedeutendsten Labelkünstler, also Kalibern wie Miles Davis, Ray Charles, Neil Young, Lou Reed … Warner-Chef Bernd Dopp genoss sichtlich meine sinnierende Bewunderung dieser geballten Galerie der Kreativität und erzählte nicht unstolz, er sei mit sämtlichen abgebildeten Künstlern persönlich bekannt, nur mit einem nicht: Frank Sinatra.

Dabei hatte er alles versucht und ihm einst, in den 80ern, die Bitte um ein Treffen mit einer in die Garderobe geschickten Flasche Schampus schmackhaft zu machen versucht. Der Assistent des Meisters beschied ihm allerdings nach sorgfältiger Prüfung Folgendes: „Mr. Sinatra zieht es vor, Sie nicht zu treffen. Doch er bedankt sich für den Champagner.“ Für The Voice war diese Lösung anscheinend das Musterbeispiel einer Win-win-Situation.

Dopp informierte mich des Weiteren darüber, dass Paul Simons Tage in der Galerie bald gezählt seien, denn die Rechte an seinem Lebenswerk seien just an Sony Music verkauft worden. „Ehe Sie das Bild wegwerfen, geben Sie es mir“, hörte ich mich spontan sagen – und zwar leider nicht eingedenk der hier im Blog unlängst geschilderten Strategie, zu Hause kulturelle Bestände im großen Stil abzubauen.

Sofort schritt Dopp zur Wand, nahm das Bild ab und überreichte es mir. „Wir hätten es wirklich weggeworfen“, sagte er. Verblüfft und dankbar nahm ich das Geschenk an und schaffte es später beim Rausgehen sogar, das Foto an den Sicherheitskräften vorbeizuschmuggeln, ohne des Diebstahls verdächtigt zu werden.

Ich war also losgezogen, um Jennifer Lopez auf den Hintern zu starren – und kehrte zurück mit dem gerahmten Porträt eines der größten Songpoeten der Popgeschichte (vgl. „Duncan“ oder „The Boxer“).

Eigentlich habe ich das also nicht verdient. Und Lopez’ Hintern ist keineswegs so spektakulär, wie immer alle sagen.

26 Oktober 2012

Pareidolie (50): Das taucht was

Die Hamburger Fotografin Gundel Deckert kann natürlich nichts dafür, aber ihre abstrakt wirkenden Wasserbilder bringen meine eigenartigen visuellen Sensoren ziemlich auf Touren.

Durch die Vernissage im Speditionshaus lief ich jedenfalls mit voll pareidolisiertem Tunnelblick – und wurde prompt an einigen Stellen fündig.

Oder zeigt das abgebildete Fotodetail einer mallorquinischen Mittelmeeroberfläche etwa keinen schlafenden spitznasigen Mann, der in eine Gustav-Klimt-artig gemusterte Decke gehüllt ist? Und hält er nicht eine flokatiummantelte Wärmflasche in der rechten Hand?

Sehen Sie: Jetzt sehen Sie es auch.

PS: Eine ganze Galerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.