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18 November 2007

No sex, we’re british

Nachts auf dem Kiez, nicht weit vom Spielbudenplatz (Foto): Während um uns herum das Leben tobt, sitzen wir zu dritt in der beschaulichen Weinbar Traubenzauber und kriegen die Bedienung dazu, den ekligen 80er-Jahre-Pop durch Rat-Pack-Songs zu ersetzen. Sie leistet kaum Widerstand.

Als sie weg ist, kommt die Frage auf, welche Männer wir sexy fänden, wenn wir schwul wären. German Psycho erkürt (natürlich) Christian Bale zu seinem persönlichen Sexgott, zur Not akzeptiere er auch Brad Pitt.

C. pickt sich Jack Nicholson raus. Ich erbitte eine Lebensphaseneingrenzung und schlage die „Easy Rider“-Ära vor, was C. erleichtert bejaht.

Nur mir fantasielosem Hetero fällt kein Kerl ein, kein einziger. Was bedeutet das bloß, tiefenpsychologisch gesehen? Bin ich etwa – Gott bewahre – homophob?

Ohne Ergebnis wechseln wir gegen eins in den English Pub am Hans-Albers-Platz, wo plötzlich eine Prostituierte auftaucht. Sie verkörpert den orientalischen Typ mit ihren streng hinterm Kopf zusammengebundenen schwarzen Haaren, dem dunklen Teint und einer Nase, mit der man die Vorsilbe „Stups“ keineswegs assoziiert.

Durchs sorgfältig zerschnittene Blau ihrer hautengen Jeans schimmern weiße Fäden. Ihre Gürteltasche – Pflichtaccessoire aller Huren auf St. Pauli – scheint prall gefüllt. Kein Zweifel, sie will hier im English Pub klammheimlich und illegal ihr Revier erweitern.

Bald verschwindet sie mit einem jungen Türken aufs Klo. Doch die beiden haben die gewiss nicht knappe Rechnung ohne die Bedienung gemacht, die mit ihren blonden Zöpfen irgendwie zünftig und sehr entschlossen aussieht. „Heidi Stahl“ nenne ich sie insgeheim, obwohl das ein Spitzname ist, den German Psycho soeben für eine andere blonde Wuchtbrumme erfunden hat.

Heidi Stahl jedenfalls holt die beiden Geschäftspartner vom Örtchen, ihre Schimpfkanonade übertönt sogar die Musikbox. Dann schmeißt sie die Hure raus. Die wehrt sich nur der Form halber, sie weiß genau, was Sache ist und was ihr blüht, wenn sie sich mit Heidi Stahl anlegt.

Als sie sich trollt, trägt sie ihre bachtliche Nase grundlos hoch, was ihr beim Abgang zumindest den schwachen Anflug einer Siegeraura gibt.

Der frustrierte Junge hat die ganze Zeit wortlos dabeigestanden. Trotz seines offenkundigen Triebstaus lässt er keinen Kampfgeist erkennen, keinen unbedingten Willen zum Sex. Er geht ihr nicht einmal nach. Was ist nur los mit der Jugend von heute?

Amüsiert stehen wir am Tisch und kippen ein Newcastle. Es hat erstaunlich viel Schaum für ein englisches Bier, das muss ich schon sagen.

20 September 2007

Nicht nur eine Frage der Menge

Natürlich ist es pipileicht, den unlängst schon mal erwähnten Likör mit dem derben Namen zu missbrauchen.

Die spätnachmittags urgemütliche Kneipe namens Herz von St. Pauli tut das kongenial – zumal jene spezielle Dienstleistung, auf die das abgebildete Schild anspielt, nur hundert Meter entfernt in bunter Vielfalt offeriert wird.

GP und ich, die wir beim Feierabendbier über all das nachsinnen, haben aber auch angesichts der Mengenangabe „2 cl“ angemessen schlüpfrige Gedanken. Ist das nun ein guter Preis, und wie unterscheidet er sich von dem in der Davidstraße?


Wir kommen zu keinem sinnvollen Ergebnis. Erst nachdem ich über den herbstlich tristen Spielbudenplatz (Foto) nach Hause geschlurft bin, gelingt mir nach sorgfältiger Recherche die mathematische Lösung dieser Frage.

Sie sieht so aus: Während man im Herzen von St. Pauli 2 Euro hinlegen muss und dafür 2 cl bekommt, fordern die netten Damen da drüben für die Entsorgung von 2 ml (also eines Zehntels dieser Menge!) ungefähr den 30-fachen Betrag.

Im einen Fall erhält man also etwas, im anderen gibt man etwas her – und blecht trotzdem 300-mal so viel. Das ist doch nicht gerecht.

Wer jetzt vermutet, es läge am hirnerweichenden Einfluss des Kiez’, dass ich solch bekloppte Sachen nicht nur im Stillen durchdenke, sondern auch verblogge – der liegt wahrscheinlich völlig richtig.

(Diese Argumentationstechnik nennt man übrigens Immunisierung.)

14 September 2007

Der nette Vandale und die noch nettere Noack


Link: sevenload.com

Eingedenk dessen, was meinem Rad schon alles angetan wurde auf dem Kiez, war die Herangehensweise dieses Unbekannten geradezu soft. Er muss die Schutzkappen beider Reifen aufgedreht, die Ventile entnommen und anschließend solange gewartet haben, bis die Luft zur Gänze entwichen war.

Dann setzte er die Ventile wieder fachmännisch ein, schraubte beide Gummikappen drauf und ging seines Weges; in meiner Fantasie tat er das zufrieden pfeifend und mit sich im Reinen. Schikane light. Irgendwie ein netter Vandale, in meiner Fantasie. Außerdem bringt so eine erzwungene Aufpumpaktion am Morgen den Kreislauf auf Touren. Alles gut also.


Abends in Ottensen aber nicht. Ich sah im Vorbeifahren, wie ein Mann vor einem Dixieklo stand und dagegen pinkelte. Ich wiederhole: Er war nicht hineingegangen, sondern er stand davor, hatte alles ausgepackt, was auszupacken war, und pinkelte dagegen. Genauer gesagt: gegen die Tür. Manchmal schäme ich mich, zu dieser Hälfte der Menschheit zu gehören.

Das war allerdings längst wieder vergessen, als GP und ich in der Hasenschaukel einfielen, um mit rund zehn weiteren Gästen das Konzert der Berliner Sängerin Julia A. Noack zu genießen. Ich ließ die Kamera ein wenig mitlaufen, und wenn man mich schonen und es positiv ausdrücken möchte, geschah das im Stil des film noir.

Nach diesem Clip nämlich kann Frau Noack garantiert weiter unerkannt durch St. Pauli laufen; sie ist so gut wie nicht zu sehen, selbst ihre umstrittenen Schuhe nicht.

Doch das Schummerlicht, der flimmernde Kaminersatz hinter ihr, das Lagerfeuerhafte der ganzen Situation: All das passt perfekt zum Song „Leave the door ajar“, den sie hier in klassischer Folkmanier zupft. Danach setzte sie sich zu uns und wir – wie heißt das so schön? – hingen gemeinsam ab bis fast halb zwei.

Sogar GP, der eigentlich auf Cowpunk und so was steht, kaufte ihr ein Album ab, trotz der Schuhe. Feiner Kerl, irgendwie.

29 Juli 2007

Wenn es Nacht wird auf St. Pauli

In der Kiezklause nahe dem Hans-Albers-Platz brüllt uns aus der Musikbox Ballermannmucke das Hirn aus dem Schädel.

Als dann auch noch ein als Mensch getarnter Panzerschrank mit Glatze und riesigem „Thor Steinar“-Schriftzug auf dem Rücken an der Theke auftaucht, verlassen wir den Laden – nicht ohne dass GP ein Naserümpfen der Missbilligung und des Ekels Richtung Tresendame schickt. Hoffentlich hat sie verstanden.

Nächste Station: der Club Inside. Er liegt im Keller, ein DJ spielt ausschließlich Musik der 80er, doch meinen Wunsch („Electricity“, OMD) kann er trotzdem nicht erfüllen. Im Inside hängen halbierte Discokugeln an der Decke, und wenn man hochschaut durch die Kellerfenster, kann man den Huren unter die Röcke sehen.

Beim Weiterziehen Richtung Kogge verliert sich unsere Gruppe binnen zehn Metern, so viel Trubel herrscht hier nachts um eins, und wir müssen uns zusammentelefonieren. GP versucht noch schnell in einer Kneipe aufs Klo zu gehen, doch er kommt schon nach wenigen Sekunden wieder zurück. „Geht nicht“, sagt er, „da kotzt gerade einer die Treppe voll.“

Später, gegen zwei, auf dem Weg ins nächste Kneipenirgendwo, begegnen wir einem Typen, der an die ehrwürdigen Mauern der Davidwache pinkelt, doch es ist keine despektierliche Kritik an der Ordnungsmacht, sondern pures Laufenlassenmüssen in Verbindung mit Faulheit.

„Drüben an der Reeperbahn ist eine öffentliche Toilette!“, belle ich den Neandertaler an und hoffe, dass ihm vor lauter Scham der Strahl erstirbt, während ich gleichzeitig versuche, das über den Gehweg schäumende Rinnsal zu umtänzeln.

Er stammelt etwas Unverständliches, während sein Genital weiter in der kalten Julinacht baumelt und einen unbeeindruckt kräftigen Strahl gegen die Davidwache pladdern lässt. Es ist alles so vergeblich, so hoffnungslos.

Und darüber verliert sich erneut die Gruppe, wir stehen unversehens nur noch zu zweit auf dem Spielbudenplatz, schauen hin und her – doch die anderen sind verschwunden, verschluckt von den Menschenmassen, und es ist zu spät, um sich zum zweitenmal in dieser Nacht zusammenzutelefonieren.

Also verabschieden wir uns, ich kämpfe mich gegen den Strom die Reeperbahn hoch und frage mich eine Sekunde lang ernsthaft, was diese Menschen überhaupt alle hier wollen. Aber ich weiß es ja, und deshalb frage ich keinen einzigen von ihnen.

Zum Trost hing heute ein Regenbogen überm Kiez. Alles war gut.

23 Juli 2007

Fundstücke (34)

1. Neulich schlenderte ich durch die Kastanienallee, wo auch das bezaubernde Bordell Leierkasten seinen triebgenerierten Betrieb betreibt. Im Schaufenster meines Whiskyhändlers bemerkte ich im Vorübergehen ein hübsch dekoriertes Flaschenarrangement. Allerdings war mir die Marke des Alkoholikums völlig unbekannt: Es hieß „Ficken“.

Das Stöffche dürfte unabhängig von seiner objektiven Qualität vor allem in die Mallorquiner Schinkenstraße passen wie die Faust aufs Maul – Sangria war gestern. Auf der Webseite des Hersteller wird übrigens gerade ein „Rückenetikettenspruchwettbewerb“ durchgeführt, was ich vorbehaltlos unterstütze, weil der Fickenlikörhöker es mit dieser Schreibweise überraschend schafft, in keine der aufgebauten Deppenbindestrichfallen zu tappen. Kompliment.

2. Arne Beekmann vom Hannoveraner Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung sucht für eine wissenschaftliche Studie Leute, die schon einmal private oder kommerzielle Blogs genutzt haben. Betroffen sind also quasi alle, die hier mitlesen. Wer mag, kann den Fragebogen ausfüllen; habe ich auch getan. Und warum? Weil’s der Wahrheitsfindung dient.

3. Neulich lieferte GP mit dem Satz des Tages auch zugleich eine neue Diagnosemethode: „Ich vergesse immer, wo ich parke – Parkinson!“ Genial.

Dazu passt ein hübscher Patzer der Sportstudiomoderatorin Katrin Müller-Hohenstein vom letzten Samstag. Im Interview mit dem Formel-1-Küken Sebastian Vettel informierte sie ihn so gekonnt wie nebenbei über ihre Sachkenntnis in Sachen Motorsport: „Immer nur testfahren ist auch nicht gut – irgendwann braucht man auch mal Fahrpraxis.“

Sie weiß offensichtlich nicht, dass wahrscheinlich niemand auf der Welt mehr Kilometer runterreißt als ein Formel-1-Testfahrer. Zu Vettel fällt mir übrigens sofort der passende Song ein: Paul Simons „Baby Driver“, hier auch zum Reinhören.

4. Als ausgewiesener Kalauerfan muss ich diesem Schlusssatz einer Promotermail von heute höchsten Respekt zollen: „Yehudi desto Menuhin!“ Doch genug des Lobes – demnächst gibt es zum Ausgleich wieder mal eine Reihe von Fehlleistungen jener Berufsgruppe. Freut euch drauf.

02 Juni 2007

Versuch einer Busfahrt

Seit 15 Jahren schon hat der notorische CO2-Privatproduzent und Klimawandelbeschleuniger GP keinen Bus mehr bestiegen, aus diversen Gründen: weil sie ihm immer zu voll waren und zu prollig, weil die Mitfahrer stanken und ein bestürzender Mangel an rahmengenähten Schuhen ihm jede Fahrt vergällte.

Das ist im 21. Jahrhundert alles nicht mehr so, hatte ich ihn immer mal wieder zu beruhigen versucht. Gerade im Schnellbus, trumpfte ich gelegentlich auf, seien freie Platzwahl und dezente Passagiere schier an der Tagesordnung. Es handle sich bei einer solchen Unternehmung quasi um eine Stadtrundfahrt, nur viel billiger.

Als wir nun gestern Abend eine gemeinsame Party im nicht gerade fußnahen Uhlenhorst aufsuchen wollten, ließ er sich endlich einmal breitschlagen zum Busfahren, nach 15 abstinenten Jahren. Ich stieg an der Davidstraße zu, GP saß schon drin. Mir schwante sofort Übles.

Der Bus nämlich war voll wie die Reeperbahn nachts um halb eins. GP hatte zwar noch einen Platz ergattert, fuhr allerdings rückwärts und wurde von benachbarten Passagieren räumlich eingeengt. Gleichwohl versuchte der Gentleman in ihm, den ausgestrahlten Missmut nicht als Vorwurf an mich rüberkommen zu lassen.

„Was ist denn los?“, fragte ich und versuchte meinerseits, die Bestürzung, die mich sowieso bereits ergriffen hatte, mimisch als Erlebnis einer absoluten Ausnahmesituation zu codieren, so dass GP keinesfalls dem Glauben verfallen könnte, im Bus sei es immer so, wie sich die momentane Lage darstellte (was er ja sowieso 15 Jahre lang angenommen hatte).

Eine erfahrene Hanseatin im eleganten Kostüm klärte mich auf: „Die S-Bahn fährt nicht – Personenschaden. Da weiß man ja schon, was los ist.“ Sie lächelte so schmerzlich wie verschwörerisch. Ja, das weiß man in der Tat.

Ich stellte mich in den Gang und versuchte mimische Entschuldigungssignale Richtung GP auszusenden. Er sah aus dem Fenster. Zeitgleich wurde ich abgelenkt, und zwar olfaktorisch.

Neben mir nämlich stand ein grauer älterer Herr mit Pennytüte, dessen Haare seinem hellgrauem Jacketkragen einen feinen Fettschmier aufpinselten; und von ihm ging eine warme Dunstwolke aus, die mich inzwischen schmeichelnd umschloss und ihr Volumen stetig vergrößerte, und zwar in Richtung GP.

Die Dunstwolke roch nach Urin.

In diesem Augenblick zerbrach etwas in mir, vor allem meine bereits hektisch imaginierte Argumentationskette, mit der ich GP nach dem Aussteigen einen weiteren Busfahrversuch in näherer Zukunft hatte abringen wollen.

Nein, das war’s. Die Quote rahmengenähter Schuhe brauchte ich nicht mal mehr zu ermitteln. Zumal ich auch selbst keine trug.

26 Mai 2007

Der Tag nach der Nacht nach dem Aufstieg

„Ein 2:2, das reicht für Liga zwei
Nie mehr, nie mehr Liga drei!
Gar noch höher soll’s bald gehen,
bis Liga eins – und sei's mit Wehen!”


Wenn ich den Satz, den ich gerade anfange zu schreiben, sprechen sollte, klänge das ungefähr nach „Wnn ch dn Stz, dn ch grde nfönge zu schrbn, sprchn slltö …“ oder so ähnlich, jedenfalls käme ein ziemlich tieffrequentes, vokalarmes Krächzen dabei raus.

Zunächst nämlich verlor ich gestern Abend im Stadion die erste Hälfte meiner Stimme beim Runterbrüllen von „You’ll never walk alone“ und „Niemand siegt am Millerntooooor!“ und die andere Hälfte dann nachts im Drafthouse beim Versuch, mich gegen den Höllenlärm der fantastischen Hausband zu verständigen.

Als ich noch mit dem üblichen Bariton reden konnte – also vorm Spiel –, waren indes auch schon Ausfälle aufgetreten, allerdings eher geistiger Art. Nach einer verwirrenden Diskussion mit dem Franken am Imbissstand orderte ich „Zwei Thüringer mit Bratwurst, bitte“, was die Frau hinterm Tresen zu einer Nachfrage und den Franken zum hämischen Grölen bewog.

Wenn ich es recht bedenke, gab es auch nachmittags im Transmontana am Schulterblatt bereits Probleme im Dienstleistungsbereich. Ich verließ den Laden nämlich voll beladen, doch ohne zu bezahlen, und wunderte mich noch, warum mir die Barportugiesin so seltsam hinterherblickte.

Draußen fiel mir mein zechprellendes Gebaren auf, ich ging zurück und sagte: „Ich habe ja noch gar nicht bezahlt!“, und sie sagte: „Ganz genau!“, und zwar unverhohlen vorwurfsvoll. Aber vorher nur seltsam gucken, klar.

Drei Tische weiter von uns saß übrigens Michel Friedman, zusammen mit einem unstandesgemäßen Typen, der eine schwarze Lederkappe trug und wie ein obdachloser Schanzenhippie wirkte. Doch auch Friedman war nicht völlig korrekt gekleidet; über seinem (immerhin schneeweißen) Oberhemd fehlte das Jackett.

German Psycho, der Friedman vor allem aus ästhetischen Gründen heillos bewundert („Er ist wahrscheinlich schon Mitte 50, aber wir müssen es beide zugeben: Er sieht jünger aus als wir!“), schnürte um seinen Tisch herum und bewunderte Friedmans feine Schuhe, fand aber nicht den richtigen Ansatz, den Mann dafür angemessen zu loben.

GP war auch nachts im Drafthouse dabei, als mir allmählich auch physisch die Lage entglitt. Da brüllt er dir was Unverständliches ins Ohr; du fragst dreimal nach, und am Ende entpuppt sich sein Gebrüll als simple Frage nach dem just zu hörenden Song: „IST DAS SLADE?“ Ich brülle korrigierend: „NEIN, AC/DC!“, nur um eine Halbsekunde später festzustellen, es ist doch Slade, und GP zuzubrüllen: „NEIN, ES IST DOCH SLADE!“

Wegen solcher Dinge sind Nächte wie diese für mich letztlich immer mit einer Hypothek belastet. Ausgerechnet bei „Summer of 69“ wurde ich kurz darauf von Terroristen aus meinem unmittelbaren Umfeld am Kragen des St.Pauli-T-Shirts gepackt und umstandslos auf die Tanzfläche gezerrt. Dort musste ich heftig hüpfen, wobei mir völlig zu Recht die Digitalkamera aus der Hosentasche flog und lautlos auf dem Boden zerschellte.

Na ja, immerhin hätte ich sonst diese ganzen Frauen nicht kennengelernt, die extra ihre ungleich geschmeidigeren Tanzaktivitäten unterbrachen und mir nacheinander die malträtierte Kamera, den Akku und die abgerissene Klappe des SIM-Schachtes reichten. Komischerweise funktioniert der Apparat seit dem Zusammenpuzzlen wieder tadellos.

Das Erste übrigens, was mir heute Morgen nach dem Aufwachen zustieß, war ein Wadenkrampf. Einer von den O-Säften letzte Nacht war wohl schlecht.

20 April 2007

Wer brüllt, hat Unrecht

Zunächst muss ich GP im Aurel auslösen. Er hat – da als Erster eingetroffen – bereits für uns beide Bier bestellt, welches direkt am Tresen zu bezahlen ist; allerdings verfügt er zurzeit über keinen Cent Bargeld. Jetzt sitzt er da, wohlbeschirmt vom Argwohn der Barfrau. Schöner Anblick.

Eine sardonische Sekunde lang überlege ich, jede Bekanntschaft mit ihm entrüstet abzustreiten, doch die Zeit drängt: Wir müssen hoch in die Color Line Arena, wo Roger Waters uns auf einen monströsen Trip in die Vergangenheit schicken will. Und siehe da: Der alte Haudegen ist fast genauso gut wie die Pink-Floyd-Coverband, die ich vor einigen Jahren in der Großen Freiheit sah.

GP sitzt die ganze Zeit ruhig im psychedelischen Pathosdonner, während ich ihm zwischen den Stücken unnützes Fachwissen zubrülle. „Der Song war auf der ersten Floyd-Platte!“, schreie ich, „noch von Syd Barrett geschrieben!“

Er stiert mich an, als spräche ich hyperboräisch, und ich verfluche innerlich diesen ewigen Drang, der mich immer dann überkommt, wenn ich mich auf einem bestimmten Gebiet sachkundiger wähne. Auch Ms. Columbo sieht sich oftmals solchen Attacken ausgesetzt, erträgt sie allerdings mit einer Engelsgeduld, die ich als Liebesbeweis werten muss.

„Achtung, gleich kommt ein toller Solopart der Sängerin!“, brülle ich GP während „The great gig in the sky“ ins oropaxlose Ohr, und schon kommt ein toller Solopart der Sängerin. Nach der letzten Zugabe spricht GP von „einem der großartigsten Konzerte überhaupt“, was mich erfreut, aber auch wundert, denn zuvor hatte er keinerlei Anhaltspunkte für diese Einschätzung geliefert.

Er klärt mich auf: Allein die Tatsache, dass er nicht vorzeitig gegangen sei, müsse ich bereits als überschäumende Begeisterung werten. Ich entschuldige mich dafür, ihn während „Comfortably numb“ mit der gebrüllten Info erschreckt zu haben, dies sei schon immer mein Lieblingssong vom Album „The wall“ gewesen.

Insgesamt also ein toller Abend – wozu auch ein grauhaariges Waters-Groupie vor der Bühne beiträgt, das vor unseren Augen eine Ton-Bild-Schere aufführt. Die sehr rüstige Dame hüpft auf und ab und singt dabei lauthals: „We don’t need no education – teachers: leave us kids alone!“ Und das Merkwürdigste: Ihr scheint das alles überhaupt nicht merkwürdig vorzukommen.

Übrigens war der oben erwähnte Song gar nicht auf der ersten, sondern der zweiten Floyd-Platte, wie ich zu Hause feststelle, und Syd Barrett war auch nicht der Autor.


GP darf das nie erfahren.

17 Dezember 2006

Der blutverschmierte Houellebecq

Ich fragte den 10-Jährigen, mit dem ich auf dem Weg zum Zeitungsholen ein paar Bälle hin- und hergeschossen hatte, wie er hieße, und er sagte: „Miroslav. Aber jeder nennt mich Micky.“

Ein Satz wie in den Mount Rushmore gemeißelt. Ich versäumte es zu antworten: „Und ich bin Matthias. Aber meine Freunde nennen mich Matt.“ Es blieb beim ersten Satz. Warum eigentlich? Weil man nie das Optimum aus einer Gesprächssituation herausholt, die nicht in einem Drehbuch steht.

Nachmittags war ich auf dem Winterflohmarkt in den Messehallen und entdeckte Michel Houellebecqs Roman „Ausweitung der Kampfzone“ als Taschenbuch. Am Stand sollten ausschließlich neue Bücher zu haben sein, weshalb mich die dunkelroten Flecken an den Seitenenden wunderten.

„Entschuldigen Sie“, sprach ich den Händler an, hielt ihm das Buch hin und grinste sarkastisch: „Ist das Blut?“ Er schaute drauf und zögerte irritierend lange. Dann sagte er: „Ja.“

Ich war verblüfft, weil meine Vermutung als Scherz gemeint war. Er sah sich in Erklärungsnot. „Mein Kollege“, erläuterte er, „hat sich beim Aufschneiden der Folien geschnitten.“

Die Sache gefiel mir. „Wieviel wollen Sie dafür?“, fragte ich. „Drei Euro“, sagte er. „Zwei“, erwiderte ich, „wegen des Blutes.“ Er schüttelte den Kopf. „Kann ich nicht machen“, sagte er, „drei muss ich haben.“

Ich schaute enttäuscht. „Warten Sie, vielleicht habe ich noch ein Exemplar“, versuchte er die Situation zu entkrampfen. Er wühlte in einer Kiste unter dem Tisch und zog in der Tat ein weiteres Exemplar des Houellebecq-Romans hervor. Ich nahm es, schaute es mir rundum an – und entdeckte einen weiteren Blutfleck auf der Seite, allerdings war er deutlich kleiner.

Ich hielt ihm das Buch vorwurfsvoll vor die Nase. „Okay, zwei Euro“, resignierte er. Ich holte das Geld hervor, entschied mich aber instinktiv für das erste Exemplar, das deutlich großflächiger mit dem Blut seines Kumpels kontaminiert war.

Das Ganze hat zwei Seiten: Einerseits kann ich jetzt den Kumpel eines Flohmarktbuchhändlers klonen. Ich verfüge über seinen genetischen Code. Andererseits kann ich das Buch aus nachvollziehbaren Gründen nicht zu Weihnachten verschenken – höchstens an German Psycho, und vielleicht tu ich das auch.

Viele werden sich jetzt fragen, warum ich überhaupt ein blutverschmiertes Houellebecq-Buch gekauft habe, auch wenn es neu und ungelesen war. Tja, wahrscheinlich, um was zu bloggen zu haben.

Alle anderen Erklärungen scheinen mir wenig schmeichelhaft.

15 Juni 2006

Reeperwahn nachts um halb eins

An dieser Stelle muss jetzt mal German Psychos Ruf zerstört werden. Also: Er warf für uns heute nicht nur den Videobeamer an und projizierte das Spiel Deutschland-Polen auf eine eigens aufgehängte Leinwand; nein, er gewährte auch bereitwillig Zugang zu seinem Kühlschrank, in dem offenbar unerschöpfliche Astravorräte einer zweckdienlichen Verwendung entgegenbangten oder -fieberten; das weiß man bei Bier generell nicht so genau.

Seine zuvorkommende Art gipfelte im generösen Angebot, mir als Dauerleihgabe sein aussortiertes Nokiahandy zu überlassen, weil sich hinterm Display meines schraddeligen Siemensteils inzwischen derart viele Fusseln verfangen haben, dass ich mich wundere, wieso ich zu Hause überhaupt noch staubsaugen muss.


Kurz: German Psycho war ein vollendeter Gastgeber. Nur die direkt neben der Leinwand geparkte Chromaxt wirkte beunruhigend. Warum nur war sie so überaus blitzeblank gewienert …?

Als wir auf dem Heimweg die Reeperbahn erreichen, übersteigt der Trubel nach dem Sieg alle Vorstellungen. Tausende von Fans springen, hüpfen und singen auf der Meile herum, was einer Vollsperrung gleichkommt (das um 0:03 dokumentierte Bild der Kiezcam zeigt das nur sehr unzureichend). Dem Verkehr aus den Nebenstraßen bleibt nichts anderes übrig, als still zu verzweifeln. Und das war nur ein Vorrundenspiel …

Ein großer bulliger Mann in der Menge fasst plötzlich meine Hand und fragt: „Du Deutscher?“ Ich bejahe mit dem Konter „Und du bist Pole?“ Mit wehem Lächeln bestätigt er. „Tut mir Leid“, sage ich, eingedenk der polnischen Niederlage in letzter Sekunde. Er drückt meine Hand noch fester.

Weitaus merkwürdiger mutet indes der korpulente Typ unter unserem Balkon an, der um kurz vor halb eins an die Hauswand gegenüber schifft und dies mit einem dröhnenden „Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland!“ begleiten zu müssen glaubt; mit passablem Bariton übrigens.


Pissende Patrioten sind mir gleichwohl lieber als brandschatzende, weshalb ich die zag aufkeimenden Chromaxtfantasien recht erfolgreich niederkämpfen kann.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über fatalen Waffengebrauch
1. „Careful with that axe, Eugene“ von Pink Floyd
2. „If I had a rocket launcher“ von Bruce Cockburn
3. „The man who shot Liberty Valance“ von James Taylor

01 März 2006

Die Bloggertour

Monatelang war ich nicht sonderlich erpicht darauf, andere Blogger kennenzulernen. Doch die Neugier auf diese seltsame Spezies stieg stetig, und nun hat sie gesiegt. Innerhalb von sieben Tagen traf ich mich mit vieren von ihnen. Ich gestattete – etwas bang, aber auch mit einem Kribbeln im Bauch – dem Virtuellen den Zugang zum Realen.

Zunächst traf ich Lyssa, die auf wundersame Weise das Feminine mit dem Taffen verbindet und Höflichkeit mit warmherzigem Spott. Dann German Psycho und Pat Bateman, zwei schnelldenkende Businessleute, die sich die Bälle schneller zuspielen als Becker und Lendl zu ihren besten Zeiten.

Und schließlich Opa Edi, einen freundlichen, begeisterungsfähigen, gegenüber einem fremden Besucher rührend herzlichen Ex-Seefahrer, der auf seiner 14 Stockwerke hohen Kommandobrücke die Piratenflagge gehisst hat und auf St. Pauli herabschaut wie die Philantropie in Person.

Alles Menschen, die ich nie kennengelernt hätte, wenn ich nicht im letzten September aus einer Schnapsidee heraus dieses Blog gestartet hätte. Und das wäre sehr, sehr schade gewesen. Jetzt erwäge ich sogar den Besuch bei einem Bloggertreffen.


Ex cathedra: Die Top 3 der heimeligsten Chillouttracks
1. „Searching“ von Pieter Nooten & Michael Brook
2. „Kisses“ von Bent
3. „Calmed“ von Brian Eno

06 Januar 2006

Der Besuchsversuch

Nach ernstzunehmender Kritik an der ausufernden Länge meiner Blog-Beiträge wird nun gekürzt. Ich bin schließlich beeinflussbar und stolz darauf.

Also erwähne ich nur kurz die heute Abend explosionsartig auftretende dramatische Unterversorgung mit Single Malt Scotch Whisky (Laphroaig, zehnjährig), die ich erst feststelle, als die Dinnergäste schon auf dem Weg sein müssen.

Ein unerträglicher Zustand, da ich zum Dessert mit der goldbraunen Kreszenz von der Insel Islay glänzen will – und selbst schon spüre, wie sich die eine oder andere Geschmacksknospe erwartungsfroh der Verkostung entgegenreckt. Ich behebe den Mangel sofort und zielsicher in der Kastanienallee. Später stellt sich allerdings heraus, dass niemand Whiskey möchte. Selbst ich nicht.


Gestern Nacht müssen übrigens die beiden Fantasiepsychopathen German Psycho und Pat Bateman nach eigener Aussage wirr brabbelnd die Rückseite der Reeperbahn durchtorkelt haben, um dem Urheber dieses Blogs ihre Aufwartung zu machen. Ein schmeichelhaftes Ansinnen, in seinem Reiz vergleichbar mit jenem von Jack Nicholson in „Shining“
, als er seine Frau in der Abstellkammer (korrigiert mich, wenn's doch die Küche war) partout besuchen möchte – in Begleitung einer formidablen Axt.

Ich fühle mich selbstverständlich geehrt!


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „He was a friend of mine“ von Willie Nelson, „Everybody sounds like Coldplay now“ von Mitch Benn & The Distractions und „A song for Nicole“ von Minor Majority.