Im letzten Beitrag mit dem Titel „Und wieder ist ein Ständer weg“ informierte ich Sie und die staunende Welt über den erneuten Verlust meines Fahrradständers, den wohl jemand mit seit Jahren nicht stillbaren Kastrationsfantasien zu verantworten hat – gerade auf St. Pauli eine sehr kontraproduktive Störung.Statt mir nun einen neuen Ständer zu besorgen, der alsbald wieder abgesägt würde, wie ein Blick in meine unbestechliche Glaskugel verriet, entschied ich mich zu einer Bastelstunde. Im Mittelpunkt: ein alter hölzerner Kochlöffel und eine Rolle Isolierband. Eine halbe Stunde später sah die Lage so aus wie auf dem Foto.
Allerdings spielte die Physik nicht mit. Zum einen war der Löffel etwas kurz, zum andern war er mit dem Bordmittel Isolierband nicht derart fixierbar, dass er davon abgehalten werden konnte, immer wieder zeitlupenhaft wegzuknicken. Meine Konstruktion war also nicht mal annähernd in der Lage, die selbstverständliche, mühelose Funktionalität des abgesägten Ständers auch nur vage zu imitieren. Immerhin kann ich mich seither wenigstens in der Gewissheit sonnen, weltweit der wohl einzige Radbesitzer von ganz St. Pauli zu sein, dessen Gefährt über einen ausklappbaren Kochlöffel verfügt.
Das Ganze bleibt also zunächst einmal unbehoben, deshalb widmen wir uns lieber Ms. Columbos Fahrrad, dessen Benutzung sie schon seit Langem aus Gründen, die hier nicht weiter von Belang sind, verschmäht. Seit Jahren fristet es in Ermangelung eines wettersicheren Unterstandes ein tristes Dasein auf unserem Balkon, mit allen Nachteilen, die Ero- und Korrosion so mit sich bringen.
Schon vorher war das Rad in einem Zustand, der mit „renovierungsbedürftig“ nur beschönigend beschrieben wäre. Eine der beiden Handbremsen ließ sich überhaupt nicht mehr zu einer Bewegung überreden, die andere zwar schon, indes zeigte sie keinerlei Wirkung. Die Lampen gingen weder vorn noch hinten, den Reifen gebrach es an Luft, das ganze Ding war ein einziges großes Elend. Und dann kamen auch noch die langen, einsamen Jahre auf dem Balkon hinzu, die Unbill wechselnder Jahreszeiten mit Regen, Frost und Hitzebrut, die den stetig herabrieselnden Großstadtdreck in gemeinschaftlicher Anstrengung zu einer bockelharten Schicht verbuken, deren Entfernung man nur noch einem Sandstrahler zutraute.
Die Frage war also: Was tun mit dieser Radruine? Sie weiter auf dem Balkon Platz beanspruchen zu lassen, während sie sehr, sehr langsam den Gang alles Irdischen ging, schien nicht mehr tragbar. Doch um sie zum Beispiel in den Stand eines Ersatzrades für mich zu versetzen, hätte ich gewiss 200 Euro – und damit weit mehr als den Restwert – in die Hand nehmen und sie zu einem die Hände über dem Kopf zusammenschlagenden Fachmann schleppen müssen – nur um das Rad nach Instandsetzung erneut auf dem Balkon den fatalen Folgen von Ero- und Korrosion auszusetzen. Und für 200 Euro habe ich ehrlich gesagt auf dem Flohmarkt schon Gebrauchträder gekauft, die sich drei Jahre lang weitgehend beschwerdefrei fahren ließen (ehe sie mir wieder geklaut wurden).
Nein, eine Rundumreparatur schied aus. In Absprache mit der Eigentümerin entschloss ich mich stattdessen zu einem Charaktertest der Nachbarschaft: Ich stellte das Fahrrad unten auf den Gehweg zu all den anderen dort versammelten Artgenossen – allerdings ohne es am Geländer festzuketten.
Was würde geschehen? Wie lange bliebe es wohl ungeklaut dort stehen in all seiner Verletzlichkeit? Würde jemand bei diesem Haufen Schrott überhaupt noch zugreifen? Und wenn ja, wie viel Zeit würde vergehen, bis sich ein GEWISSENLOSES RIESENARSCHLOCH OHNE WÜRDE, ERZIEHUNG UND RESTMORAL seiner bemächtigte?
Nun, es waren knapp 24 Stunden.
Ich finde, damit hat der Kiez den Charaktertest klar bestanden.
Denn es hätten ja auch nur zwei Stunden sein können.
PS: Mein Kochlöffel ist übrigens immer noch dran. Weiß auch nicht, was da los ist.