Nicht nur Restaurants, Bars, Fitnessclubs und Frisörläden haben zu, sondern auch Puffs. Für St. Pauli natürlich ein besonders schmerzlicher Zustand. Zu den Hauptbetroffenen gehört eine stadtteilspezifische Institution mit weltweiter Bekanntheit: die Herbertstraße. Wobei sie natürlich nicht zugesperrt ist – wie auch, sie ist schließlich keine private, sondern eine öffentliche Straße.
Allerdings ist sie zurzeit völlig verwaist, die hundert Meter lange Pflasterstraße hat den Blues. Ein beispielloses Elend, das unbedingt dokumentiert und somit verewigt gehört. Deshalb ging ich gestern bei schönstem Frühlingswetter dort vorbei.
Einen Fotoapparat zu zücken gehört in der Herbertstraße normalerweise zu den tödlichsten aller Todsünden, und wer das in der Vergangenheit wagte, bekam sofort Riesenärger mit loszeternden Huren, aber alsbald auch mit deren Luden, und vor allem Letzteres ist – wie ich mir von gewöhnlich gut informierten Kreisen habe erzählen lassen – ganz und gar nicht zu empfehlen. Da bleibt es selten beim Zetern, nein, da fällt blitzschnell Elektroschrott an und manch ein Schneidezahn aus, und melden Sie dieses Ungemach mal auf der benachbarten Davidwache – die Kollegen dort hegen mehr Sympathie für hurenrächende Luden als für Fotospanner wie Sie, versprochen.
Jedenfalls wirkte die Ruhe in der Herbertstraße geradezu meditativ. In den Schaufenstern, wo sonst die bestens drapierten Damen Modalitäten verhandeln, liegen nur noch ihre Handtücher auf depressiven Drehstühlen herum. Immerhin wirkt das Interieur allzeit bereit; man hat den Eindruck, als wäre es binnen Minuten reaktivierbar. Und wer weiß, vielleicht wird das auch bald schon nötig sein. Denn warum sollten Frisöre wieder öffnen dürfen, aber die Herbertstraße nicht? Körperkontakt ist Körperkontakt.
Wenn Sie, liebe Leserinnen, also eine Zone, die für Sie außerhalb von Pandemien generell tabu ist, einmal unbehelligt inspizieren wollen, so tun Sie das am besten bald. Und wenn es nur zum Meditieren ist, mitten in der Stadt.