Neulich, in dieser kleinen Pension in Schwerin, lag die „Bild am Sonntag“ neben dem Tresen. Dafür würde ich selbstverständlich niemals Geld ausgeben, aber wenn sie schon rumliegt, kann man sie ja auch mal aufschlagen.
Am interessantesten war eine doppelseitige Anzeige von Rewe, in der die Kette sich unter der Überschrift „Mit jedem Einkauf Gutes tun“ auf die Schulter klopft – für einen Grundpreis von 176.500 Euro. So viel kostet nämlich eine vierfarbige Doppelseite in der BamS.
Besonders fesselte mich das vorgestellte „einzigartige Pilotprojekt“ namens „Spitz & Bube“. Dabei handelt es sich um eine Eiervariante, bei deren Produktion den Legehennen nicht die Schnäbel abgeschnitten und – noch lobenswerter – keine männlichen Küken geschreddert, sondern aufgezogen werden. Ihr Leben ist hinfort geprägt von Müßiggang und Rumpicken. So etwas könnte ich mir auch für mich vorstellen.
Ich muss vorwegschicken: Ich sehe mich als Flexitarier. Zu Hause esse ich kein Fleisch, aber wenn ich irgendwo ein Rinderfilet vorgesetzt bekomme, dann zicke ich nicht rum. Das Rind wurde aufgezogen, um gegessen zu werden. Es gibt sein Leben, um ein anderes zu erhalten; das ist nicht völlig ohne Sinn.
Ganz anders bei der Massenherstellung von Eiern. Die nutzlosen männlichen Küken wandern dabei samt und sonders in den Häcksler oder die Gaskammer. Sie werden wie Abfall behandelt, und das sollte nicht sein.
Deshalb suchen wir seit einiger Zeit nach Alternativen – und dann kommt unverhofft der zweitgrößte Einzelhändler der Republik mit Eiern um die Ecke, die nicht mit toten Küken bezahlt werden müssen, sondern nur mit ein, zwei Euro mehr pro Packung. Das ist super, sagten wir uns einhellig, da melden wir doch gleich mal Nachfrage an, um so peu à peu die Republik in puncto Eiern umzukrempeln.
Also tat ich in Schwerin etwas, was ich sonst nie selten tue: Ich entnahm der BamS die 176.500 Euro teure Doppelseitenanzeige, faltete sie, schmuggelte sie mit nach Hamburg, ging in den nächstbesten Rewe am Großneumarkt und verlangte nach „Spitz & Bube“-Eiern.
Man hatte noch nie davon gehört.
Ich zeigte die Anzeige vor, man ging damit zum Chef. Der hatte noch nie davon gehört. Allerdings sei man nur ein kleiner Markt, das Gesamtsortiment gäbe es nur in den großen.
Nächster Versuch im Portugiesenviertel, auch kein großer Markt, aber einer, der auf dem Weg lag. Der Ablauf unseres Besuchs ähnelte auf verblüffende Weise dem ersten: Die Anzeige erzeugte Stirnrunzeln, Verblüffung, Ratlosigkeit.
Wollte Rewe uns veräppeln? Aber sind 176.500 Euro dafür nicht ein paar Tacken zu viel …?
In Altona gibt es zum Glück einen wirklich riesigen Rewe-Markt. Er liegt an der Max-Brauer-Allee und bildet fast ein eigenes Stadtviertel. Dort – ich war mir ganz ein bisschen sicher – würde ich endlich meine schredderfreien Eier erwerben können.
Zunächst schnürte ich eine Weile erfolglos um die außergewöhnlich beeindruckende Eierauslage herum. Bestimmt hatte ich die „Spitz & Bube“-Sorte nur übersehen; das kann passieren bei einem exorbitanten Sortiment wie diesem. Jedenfalls war es erneut erforderlich, eine Rewe-Kraft mit meinem lodernden Bedürfnis, das eine bundesweite Anzeige unlöschbar geweckt hatte, zu behelligen.
Ich sprach eine Verkäuferin an, natürlich bewaffnet mit meinem besten Argument, der BamS-Anzeige, die so teuer war wie eine 130-Quadratmeter-Wohnung mit Fußbodenheizung und Schwimmbad in Schwerin.
Die Verkäuferin hatte noch nie davon gehört. Aber möglicherweise, sagte sie, könne man eine „Spitz & Bube“-Packung für mich bestellen.
Darauf also lief alles hinaus: Rewe gibt eine knappe Sechstelmillion Euro dafür aus, dass ein Kunde, nachdem er sich in drei Läden die Hacken wundgelaufen hat, eine Packung Eier bestellen kann. Mit ungewissem Lieferzeitpunkt.
Bisher dachte ich immer, man macht Werbung für etwas, das man auch hat. Sinn und Zweck einer solchen Investition – so meine naive Vorstellung – ist doch die Refinanzierung. Am Ende soll der durch die Anzeige generierte Gewinn höher sein als ihre Kosten. Aber vielleicht habe ich in diesem Punkt den Kapitalismus auch einfach falsch verstanden.
Ich schlich mich jedenfalls frustriert zu unserem Stamm-Edeka-Laden. Ob sie vielleicht ebenfalls Eier anböten, die ohne den Massenmord an fiepsenden Küken produziert worden wären? Immerhin habe Rewe so etwas neuerdings im Angebot, wie aus dieser Anzeige (ich zeigte sie vorwurfsvoll vor) unzweifelhaft hervorginge.
Bedauerlicherweise nicht, doch man versprach mit leichter Panik im Blick (verdammt, Rewe ist schon so weit, und dabei sind die nur die zweitgrößten hinter uns …!), sich zu erkundigen. Morgen könne ich wieder nachfragen.
Und verdammt: Das tue ich auch. Diese Spitzbuben kommen mir nicht davon.
Update v. 24.02.2017: Der Rewe-Markt im Brauerknechtsgraben (Hamburg, Nähe Michel) hat inzwischen die schredderfreien Eier. In der Edeka-Filiale Rindermarkthalle gibt es ebenfalls welche.