Meine Damen und Herren, Sie werden hier und jetzt Zeugen eines Weltereignisses. Denn noch niemals im 21. Jahrhundert, da bin ich sicher, ist eine 90 Jahre alte Briefmarke im Nennwert von einer Million Mark (hier der erste Teil der Story) abgestempelt und zugestellt worden. Meine schon! Und Sie erfahren es als Erste – bis auf Frau Treff natürlich, aber dazu später mehr.
Ich hatte den jetzt schon legendären Brief bestückt mit einem Ausdruck des entsprechenden Blogartikels, aber vorsorglich auf eine Absenderadresse verzichtet. Schließlich wollte ich eine Zustellung erzwingen. Allerdings erwartete ich statt des Briefes eine Benachrichtigung – zumal wir über ein Postfach verfügen, wo der Hinweis „Bitte am Schalter melden“ leicht zu deponieren gewesen wäre.
Am Schalter wiederum hätte man mir, so das in meinen Augen wahrscheinlichste Szenario, ordentlich Nachporto abgeknöpft und sodann den Brief mit der Eine-Million-Mark-Marke ausgehändigt. Die spannende Frage wäre dann gewesen, ob die Marke einen ordnungsgemäßen Poststempel getragen hätte oder nicht. Alles hing daran!
Doch es war alles viel simpler. Der Brief wurde per Nullachtfuffzehnstempel entwertet und mir einfach so zugestellt – ganz so, als hätte ich die eigentlich erforderlichen 80 Cent draufgeklebt und nicht eine satte Million. Irgendjemand hat allerdings in riesiger blauer Schrift die Zahl 150 auf den Umschlag gepinselt und um die Marke herum ein halbes Quadrat liniert. Kennt sich jemand aus mit internen Postcodes?
Gekritzel und Gekrakel ändern aber nichts an der Tatsache, dass die Zustellung des Briefes klaglos erfolgte, obgleich die Marke noch Gustav Stresemann als Reichsaußenminister erlebt hat. Daraus ergeben sich mehrere Überlegungen. Am naheliegendsten ist die: Die Post hält als Entlohnung ihrer Dienste auch deutlich höhere Beträge für völlig angemessen und möchte das mit dem nonchalanten Durchwinken meines Briefes unverblümt signaliseren.
Doch auch eine praktische Anwendung für uns alle lässt sich aus diesem lockeren Umgang ableiten. Warum nicht einfach ungestempelte Marken aus alten Alben klauben und damit Briefe frankieren? Warum nicht mal einen Chemnitzer Facebook-Freund mit einer jungfräulichen Walter-Ulbricht-Ostmark-Marke erfreuen? Merkt ja eh keiner.
Bleibt Frau Treff. Die distinguierte Hamburger Briefmarkenhändlerin hatte mich ja abblitzen lassen mit meiner Massenware und so erst auf die Idee der hier geschilderten Anschlussverwendung gebracht. Ihr jedenfalls schickte ich nach dem Eintreffen des Eine-Million-Mark-Marken-Briefes eine begeisterte Mail samt Fotobeweis, in der ich den Verlauf der Ereignisse schilderte. Ich schloss mein Schreiben mit den Worten:
„Nun hat eine 90 Jahre alte Briefmarke einen ordentlichen Poststempel vom 18. Juli 2019, was wahrscheinlich weltweit einmalig ist, wie ich annehme. Ändert das irgendetwas am Wert dieser Preziose …? Vielen Dank für Ihre erneute Expertise!“
Seither Funkstille. Wahrscheinlich sitzt Frau Treff nach tagelangen Beratungen mit hochrangigen Philatelisten noch am Entwurf ihres Kaufangebotes, und ich kann schon mal meine Frühpensionierung vorbereiten.