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23 Dezember 2019

Sie nagen einfach nicht

Wir haben Mäuse. Im Plural. Das sagt zumindest unser Schädlingsbekämpfer Herr B. Dabei sehe ich immer nur eine. Aber ist es auch ein und dieselbe? Herr B. bestreitet das energisch. „Hier im Haus“, sagt Herr B., „gibt es zwei- bis dreihundert.“ Er hat das hochgerechnet.

Mindestens eine davon hat sich unsere Altbauwohnung auf St. Pauli als Heimstatt erwählt. Deshalb stellt Herr B. Fallen auf. Und Köder. „Riechen Sie mal“, sagt Herr B. und hält mir ein kleines Töpfchen mit einer grünlichen Masse unter die Nase. „Riecht wie Nutella, nicht? Schmeckt auch so.“ Ersteres stimmt, Letzteres möchte ich momentan lieber nicht ausprobieren. „Können Sie ruhig essen“, lächelt Herr B. ermunternd, „macht gor nüscht.“ 

Selbst Kinder steckten laut Herrn B. die untergemischte Giftdosis ohne Regung weg. Nur halt Mäuse nicht. Mäuse sind winzige Fellknäuel, ihre Mägen weisen einen lachhaften Hubraum auf. Ein bisschen grünliches Nutella, und der Zwerg haucht alsbald hinter irgendeinem Möbel sein fragiles Leben aus. Zumindest, wenn er davon nascht. Und das tun unsere Mäuse nun mal nicht. Auch die Fallen stehen bloß herum. In gespannter Erwartung zwar, doch zur Untätigkeit verdammt. Denn unsere Mäuse umtrippeln jede Gefahr weiträumig, warum auch immer. 

Neulich sah ich fern, als sich auf dem Teppich vorm Sofa eine Maus entspannt das Schnäuzlein putzte. Als ich mich mit schreckgeweiteten Augen aufrichtete, huschte sie auf mich zu und verschwand unterm Sofa. Auch dort stehen natürlich Köder und Fallen, aber statt eines zuschnappenden Metallbügels hörte ich – nichts. Wieder mal.

Nicht nur die dort lauernden, auch alle anderen strategisch raffiniert in unserer Wohnung verteilten Nutelladöschen bleiben konsequent unberührt. Sind unsere Mäuse etwa keine Süßschnäbel? Oder nur superintelligent, wie es sich geziemt, wenn man bei uns daheim ist? Der Kollege von Herrn B., der nach drei Wochen zwecks Kontrolle vorbeischaut, ist jedenfalls irritiert. „Im Stock über Ihnen geht eine nach der andern in die Falle“, behauptet er. Seine Stirn wirkt gerunzelt. Wohnt in diesen Runzeln bereits leichte Besorgnis? „Wahrscheinlich“, sinniert er, „fressen Ihre woanders.“ Unsere Altbauwohnung also nur ein Rückzugsraum, ein Erholung bietendes Refugium nach den anderswo ausgefochtenen Kämpfen um Nahrung und Ressourcen? 

Ich habe da so meine Zweifel, aber auch keine andere Erklärung. Wenn ich eine Maus wäre, leckte ich jedenfalls auch im gesättigten Zustand – gemäß dem Naturgesetz, dass ein Dessert immer noch reinrutscht – an jedem lockend herumstehenden süßen Leckerli, selbst an grünlichen. Wenn ich eine Maus wäre, hätte mich die Evolution also längst aussortiert.

Dass Herr B. und seine Kollegen als Schädlingsbekämpfer firmieren, behagt mir übrigens nicht richtig. Kammerjäger: Das war noch eine Berufsbezeichnung! Das roch nach Gefahr und Abenteuer, nach archaischen Gefühlen, nach Paläoentertainment. Doch zeit seines Berufslebens terminologisch einen Schädling mit sich herumschleppen zu müssen, ist unschön. Zumal es mir unfair vorkommt, jede Maus a priori als Schädling abzuqualifizieren. Schließlich macht sie auch nur ihren Job: fressen, poppen, schlafen und wieder von vorn. Wobei: Unsere frisst ja nicht. Sie huscht nur manchmal übern Teppich und verschwindet elegant in Spalten, die ihr eigentlich viel zu eng sein müssten. 

Neulich traf ich den Nachbarn aus einem Stockwerk über uns. Auch dort blieben die Maßnahmen von Herrn B. und Co. bisher erschütternd fruchtlos. Keine Falle schnappte, alle Köderoberflächen sind unbenagt. „Sie jagen sich schon gegenseitig“, erzählte mir der Nachbar mit der Resignation eines Mannes, der begriffen hat, dass der Homo sapiens doch nicht die Speerspitze der Evolution darstellt. „Und sie pfeifen sogar dabei.“ 

Seitdem fühle ich mich ein bisschen besser. So weit sind unsere nämlich noch nicht. Ich sehe ja eh immer nur eine. Und wenn sie pfiffe, dann sicherlich aus Lebenslust. Zumal sie schon bald wieder Mäusenachwuchs erwartet, mindestens zum zweiten Mal, seit all diese Köder und Fallen bei uns aufgestellt und seither links liegen gelassen wurden.

Sekunde: Habe ich gerade ein leises Pfeifen gehört? 
Oder war es sogar ein hochfrequentes Kichern?


PS: Die Fortsetzung gibt es hier.




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09 Mai 2019

Was Kiezbesucher WIRKLICH befriedigt

Draußen auf der Seilerstraße steigen zwei schrankartige Typen gemeinsam aus dem Auto (Foto) und fallen sich lachend und juchzend in die Arme. 

Der Grund: Es ist spätnachmittags auf dem Kiez, und sie haben einen Parkplatz gefunden. 

Wahrscheinlich werden sie ihn nie wieder aufgeben, und wenn sie für den Rest ihres Lebens Taxi fahren müssen.


22 März 2019

Von Brabblern und Schlenkerern

Wer einst mit sich selbst brabbelnd durch die Stadt lief, hatte entweder einen an der Waffel und/oder Freigang. 

Dann kamen die Headsetleute. Sie hatten möglicherweise auch einen an der Waffel, redeten aber nicht mit sich selbst, sondern wahrscheinlich mit einem anderen Headsetter, der irgendwo anders auf der Welt gerade öffentlich verhaltensauffällig wurde. 

Mit der Zeit habe mich sich derart an dieses grassierende Phänomen der Scheinmonologisten gewöhnt, dass ich die Frau, die mir heute in der Seilerstraße (Symbolfoto) brabbelnd entgegenkam, automatisch dieser trendsetzenden Bevölkerungsgruppe zuschlug. Allerdings trug sie, wie ich beim Vorübergehen erstaunt erkannte, gar kein Headset. Sie brabbelte definitiv mit keinem anderen als sich selbst – und hatte ergo entweder einen an der Waffel und/oder Freigang. Kurz: Diese Frau war mir sofort sympathisch, durchaus auch aus nostalgischen Gründen. 

Das galt nicht für die zwei Jungs, die ich später vom Balkon aus beim Durchschlendern unserer Straße zu Gesicht bekam. Der eine, ein hagerer Schlaks in übergroßen Joggingklamotten aus wahrscheinlich edelstem Polyester schlenkerte überlange Extremitäten durch die Gegend, als seien seine Gliedmaßen gar nicht durch Gelenke miteinander verbunden, sondern nur durch Haut und Sehnen. 

So tänzelte er an den geparkten Autos in der Seilerstraße lang, und bei jedem Wagen, an dem er vorbeikam, testete er ohne stehenzubleiben – also buchstäblich en passant –, ob sich nicht vielleicht die Fahrertür öffnen ließe.

Er hatte durchweg keinen Erfolg, was ihn aber nicht sonderlich zu stören schien. Sein schlenkeriger Gesamtzustand, sein fließender, von schräggestellten Füßen geprägter Gang: All das signalisierte eine gewisse Gelassenheit, die ihn jede einzelne der kleinen Enttäuschungen, die ihm jedes verschlossene Auto nun mal zufügte, ohne Unmut wegstecken ließ. Nein, der Schlaks blieb cool, und weiter ging’s zum nächsten, während sein neben ihm hertrottender Kapuzenkumpel dem Treiben still und stumm und duldsam zuschaute.

Was hätten die beiden Jungs wohl genau getan, wenn unverhofft eine Autotür aufgegangen wäre – erfreut reinspringen, kurzschließen, abdüsen? Oder das Handschuhfach um ein wenig Ballast erleichtern?

Ich muss zugeben: Das hätte ich schon gern erfahren. Und Sie ebenfalls!





01 Januar 2018

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (129)




Ob ohne Netz, Geländer und doppelten Boden auf dem Dach eines Reeperbahnhauses oder fünf Stock tiefer auf der Seilerstraße: So ging’s zu auf dem Kiez in den ersten Minuten des Jahres 2018.   



16 November 2017

14 Oktober 2017

Unterwegs mit einem Bolzenschneider

Wie langjährige Leser und Leserinnen wissen, sind mir bereits acht Fahrräder entwendet worden, sieben davon auf dem Kiez. Wer die Chronik der traurigsten dieser Vorfälle noch einmal nachlesen möchte, kann das hier, hier, hier, hier, hier und hier tun.  

Heute aber wurde mal keins geklaut, sondern es geschah so etwas Ähnliches wie das Gegenteil: Irgendein Witzbold nämlich hatte Ms. Columbos Rad, obgleich es bereits mit ihrem eigenen Faltschloss ans Geländer gekettet war, mit einer zusätzlichen Kette dort befestigt (Foto oben), allerdings ohne den Schlüssel da zu lassen. Das Fahrrad war also immobil. 

Um meinen Ruf als der weltweit erfolgreichste Ermöglicher unserer Haushaltes zu festigen, erbot ich mich, das Problem zu lösen, und suchte den Fahrradladen um die Ecke auf, um mir einen Bolzenschneider zu leihen. Nach einer kurzen Schilderung der Umstände und aufgrund meines ehrlichen Gesichts sowie eines 20-Euro-Scheins als Pfand drückte man mir das Werkzeug in die Hand. „Aber sagen Sie vorher der Polizei Bescheid“, riet mir der Kollege noch. Eine gute Idee – das fand man auch auf der Davidwache. 

„Wenn Sie in der Seilerstraße mit einem Bolzenschneider rumwerkeln“, sagte der Diensthabende, „stehen sofort drei Polizeiwagen da.“ Nun, dachte ich im Stillen, während meine acht Räder entwendet wurden, hätte ich mich schon über das Auftauchen eines einzigen gefreut, aber gut. Schnee von gestern. 

Die Freunde und Helfer der Davidwache erklärten sich zu meiner Freude bereit, mich zu begleiten, sogar in Gesellschaft eines polizeieigenen Bolzenschneiders. Das Gerät, welches aus der Waffenkammer hervorgeholt wurde, verhielt sich zu dem, das ich bei mir führte, wie der Hulk zu einem Heinzelmännchen. 

Noch ganz benommen von diesem Eindruck stieg ich mit zwei Uniformierten, einem Mann und einer Frau, in den Streifenwagen. Wir kamen allerdings nicht direkt durch, obwohl die Seilerstraße praktisch gegenüber der Davidwache schon anfängt. Auf dem Hamburger Berg nämlich taumelte uns ein zirka 60-jähriges Faktotum mit Fusselbart, Piratenkopftuch und Jeansweste vors Auto und verlangte die Aufnahme einer sofortigen Anzeige. 

Vorm Penny, keuchte der Mann in höchster Erregung, habe ihn so’n Typ mit Glatze und ganz, ganz komischen Augen irgendwie am Ohr erwischt und zudem damit gedroht, ihm auffe Fresse zu hauen, dabei „hab ich seine Frau gor nich annemacht!“. Die Polizistin schickte ihn auf die Wache, ihr Kollege murmelte „Spinner“, und wir fuhren weiter. 

In der Seilerstraße angekommen, trat der nächste Passant auf uns zu. Ach, man sei im Einsatz? Er wolle aber dringend eine Meldung machen, und zwar habe er im Lauf der Woche beobachtet, wie jemand dort drüben – er zeigte ins Ungefähre – haufenweise Steine gehortet und deponiert habe, wer weiß, zu welchem Behufe. 

Als auch dies registriert worden war, widmeten wir drei uns Ms. Columbos festgesetztem Zweirad. Mit ihrem Fahrradpass und durch Aufschließen des Faltschlosses hatte ich mich vorher als Bevollmächtigter der Eigentümerin legitimiert. Sonst könnte ja jeder kommen und sich von der Polizei beim Fahrraddiebstahl helfen lassen.

Zunächst probierte der Polizist es mit meinem Zwergenbolzenschneider, vergeblich. „Vielleicht doch der große?“, regte ich an, begierig darauf, das Monster im Einsatz zu sehen. Der Mann war einverstanden, doch das Billigschloss erwies sich als ungeahnt zäh. Oben zog die Polizistin die Kette stramm, unten ich, und in der Mitte nagte der von kräftiger Bullenhand geführte Bolzenschneider wütend und verzweifelt am längst freigelegten Drahtgeflecht.

Wir mühten uns gewiss fast zehn Minuten ab mit diesem zähen Miststück, ehe es endlich knack machte und die Sache erledigt war. Danach suchten wir noch längere Zeit nach der Rahmennummer, um sie mit dem Fahrradpass abzugleichen; mir traten schon die ersten Schweißtröpfchen auf die Stirn, und nicht nur, weil dieser goldene Oktobertag sich so sommerlich gerierte.

Das zerbissene Schloss entsorgte ich im Mülleimer. Wer eine Theorie hat, wieso man fremde Fahrräder irgendwo ankettet, möge hervortreten und sie darlegen. Ich bin neugierig. Als ich den kleinen Bolzenschneider wieder zurück in den Laden brachte, fragte mich der Verleiher, während er mir die 20 Euro zurückgab, ob alles geklappt habe. „Nö“, sagte ich. „Aber der kriegt sonst eigentlich alles durch“, antwortete er.

Aus diesem Erlebnis habe ich mehrerlei gelernt. Erstens: Auch mit einem Bolzenschneider vom Ausmaß eines Laubbläsers braucht man zu dritt außerordentlich lange, um ein Popelschloss zu knacken. Mir als Dieb wäre das zu nervenzerrend, ich nähme lieber eine Flex. 

Zweitens: Aus einem Polizeiwagen kann man nicht aussteigen, ohne dass jemand von außen die Tür aufmacht. Selbst wenn man nicht verhaftet ist.

PS: Ein ähnlicher Fall ist mir schon mal passiert. Und er ging so aus.



12 Juni 2017

Autos sind wie Menschen – und umgekehrt


Wie geneigte Follower dieses Blogs vielleicht noch wissen, verewigte ich hier Anfang des Jahres einen goldenen Mercedes-Benz-Oldtimer, der in der Seilerstraße parkend renommierte. 

Heute indes wurde die güldne Erinnerung daran von einem historischen VW-Käfer geradezu pulverisiert. Das Pendant zum prunkvollen Benz mühte sich redlich um eine Spitzenplatz am anderen Ende der ästhetischen Skala. Denn das, was ihn im Wesentlichen noch zusammenhielt, waren Sticker und Rost. 

Rollte mir demnächst auch noch ein flunderhafter Ludenlamborghini vor die Linse, wären die Extrempunkte des Kiezkarrenspektrums weitgehend komplett. Und irgendwie bilden sie auch eine verblüffend treffsichere Allegorie für die Menschen, die hier wohnen. 

Sie dürfen jetzt entscheiden, mit welchem Modell der Blogbetreiber am ehesten zu vergleichen wäre. Um eine wissenschaftlich fundierte Entscheidung zu treffen, müssen Sie zuvor natürlich erstmal alle Einträge lesen. 

Alle 2736.


12 Mai 2017

Der Mondpreiseffekt des ESC

Der deutsche Schauplatz des Eurovision Song Contest ist ja, wie Sie auch als Nichthamburger sicherlich wissen, der Spielbudenplatz hier auf St. Pauli, direkt an der Reeperbahn. Uns trennt genau eine Häuserzeile vom Ort des Geschehens, und bei geöffneter Balkontür bekämen wir – wie schon mehrfach mitgeteilt – auch ohne Fernsehton alles mit. 

Diese Veranstaltung erreicht zwar zugegebenermaßen nicht ganz die Vergrätzungskraft der Harley Days oder gar des Schlagermove, doch sie löst hier im Viertel reflexhaft einen ähnlichen Impuls aus – nämlich den fraglichen Abend (also diesen Samstag) lieber ganz woanders zu verbringen, zum Beispiel auf einer Almhütte oder der internationalen Raumstation.

Angesichts solcher instinktiv richtigen Fluchtreflexe umso unfasslicher ist allerdings die Tatsache, dass es anscheinend Menschen gibt, die den Kiez nicht nur nicht weiträumig meiden, sondern an diesem Wochenende wegen des ESC sogar gezielt anreisen. Die extra hierher kommen, nach St. Pauli, nur wegen des Eurovison Song Contest. 

Und das scheinen sogar erfahrungsgemäß nicht wenige zu sein – wie sonst wäre die auf dem Foto dokumentierte Mondbepreisung des Ibis-Hotels bei uns um die Ecke zu erklären? Dort rechnet die Geschäftsführung mit einem deutlich erhöhtem Gästeaufkommen – und lässt deshalb den Doppelzimmerpreis an diesem Wochenende auf sagenhafte 209 Euro explodieren. 

Zweihundertneun Euro! Dabei hat diese Absteige Etagenbetten! Sie ist mehr Jugendherberge als Vier Jahreszeiten! Und wenn schon nicht die Veranstaltung als solche, so sollte doch derlei leicht durchschaubare Melk- und Ausquetschabsicht auch den gutmütigsten Eurodancetolerierer sofort von einer Anreise Abstand nehmen lassen.

Andererseits … Möchten Sie stattdessen vielleicht lieber bei uns übernachten? Ab 666 Euro würden wir mit uns reden lassen. 

(Wobei ich Ms. Columbo über diese Offerte noch gar nicht informiert habe; da bleibt also ein Restrisiko.)



16 Januar 2017

Echte S-Klasse



Immer mal wieder fahren die Luden an der Reeperbahn ihre italienischen oder amerikanischen Flundern spazieren. Es sind Wagen mit ungefähr einer Quadrillarde PS und einer Höhe, die sich numerisch erstaunlich eng am IQ ihrer Besitzer zu orientieren scheint. Oder an den Highheels ihrer Topangestellten.

In der Regel guckt man als St. Paulianer da gar nicht (mehr) hin, das wollen die doch nur. Bei dem oben abgebildeten Schmuckstück allerdings, das heute Nachmittag in der Seilerstraße parkte, kam ich nicht nur nicht umhin, es anzustarren, sondern sogar für die Ewigkeit abzulichten. Ein historischer Benz in Gold: wow. 

Einem Luden traue ich so was nicht zu, denn das Schmuckstück macht bestimmt keine 300 Sachen, und außerdem ist es deutlich über 100 Zentimeter hoch; das geht ja gar nicht.

Also: Wem von Ihnen gehört das? Und was machen Sie beruflich?

20 Mai 2016

Begegnung mit einem potenziellen Mörder


Neulich Lärm unterm Balkon, wie so oft. Hier ein Beispiel.

Zu sehen ist eine Dreiergruppe Männer, einer davon brüllt. Es handelt sich um einen volltätowierten, stoppelhaarigen Hantelmann im Muskelshirt. „Ich will jäzz sofott’en Nigger uffhängen!“, brüllt er, „einfach nuor, weilor schwozz is!“

Einer seiner im Gegensatz zum Wortführer unauffällig gekleideten Kumpels ist verhalten irritiert. „Hier in Hamburg?“, fragt er bang. „Jöu!“, brüllt der Mordlüsterne zurück, „miör ögol! Öder ’n Kanaggn!“

Die aufrechten Ritter der politischen Korrektheit werfen mir wahrscheinlich jetzt wieder vor, ohne Not den Akzent des moralisch mächtig Herausgeforderten wiedergegeben zu haben; dies, so höre ich sie sagen, trüge eventuell zur Diskriminierung der ostdeutschen Bevölkerung bei, und das sei unfair all jenen Ostdeutschen gegenüber, die gerade keinen Nigger oder Kanaggn uffhängen möchten.

Darauf kann ich nur erwidern: miör ögol. Wenn die Wahrheit diskriminierend ist, dann ist sie, die Wahrheit, höchstselbst dafür verantwortlich, aber nicht der, der sie ausspricht.

Vom Balkon brülle ich: „Scheiß Nazis! Verpisst euch aus St. Pauli!“, aber es kommt keine Reaktion, wahrscheinlich weil der Brüllaffe das unmittelbare Gruppenumfeld sonisch zu stark dominiert.

Was bleibt, ist die bestürzende Erkenntnis, dass es wirklich Menschen gibt, die Mordlust verspüren, nur weil ein anderer von Natur aus irgendwie aussieht. Sie sind keine Fantasie, keine Comicfiguren aus dem Schwarzbuch der Antifa. Sie sind echt, sie laufen durch Deutschland, manchmal sogar durch St. Pauli.

Einer davon atmet gerade, sein Herz schlägt, sein Kreislauf funktioniert; wahrscheinlich irgendwo im Osten Deutschlands. Das darf eigentlich nicht sein.


Doch was kann man tun? Was hätte man tun sollen und müssen, damals, als er ein Kind war?

Lösungsvorschläge in den Kommentaren, danke.


PS: Wie weit so einer ideologisch entfernt ist von jemandem, der ein Schild wie das oben abgebildete ausdruckt und in Altona verliert, weiß ich nicht. Mir fallen aber ideologische Distanzen ein, die größer sind.



20 September 2015

Abgespritzt und abgehauen

Selbstverständlich hat jeder Mensch ein Recht auf Rausch. Körperchemie ist ohne jede Frage Privatsache. 

Und das gilt auch für den Junkie, der sich vergangene Nacht in unserem Hauseingang einen Schuss setzte.

Wofür mir allerdings weitgehend das Verständnis fehlt, ist das anscheinend schlagartig nach dem Abdrücken einsetzende Desinteresse des Protagonisten für seine Utensilien.

Warum lässt man eine blutige Spritze in einem fremden Hauseingang liegen? Zehn Meter weiter ist ein Mülleimer. Für diesen kurzen Gang hätte das Verantwortungsbewusstsein selbst eines halbwegs zivilisierten Junkies des 21. Jahrhunderts eigentlich ausreichen müssen.

Stattdessen ging er (Verzeihung, wenn ich die weibliche Hälfte der Bevölkerung hier sprachlich diskriminiere) das Risiko ein, dass jemand hineintritt, ein Hund sich dran die Schnauze piekst oder ein Kind damit herumspielt.

Liebe Hamburger Entsorgungsbetriebe: Im oben erwähnten Mülleimer liegt jetzt eine benutzte Spritze unbekannter mikrobiologischer Provenienz, und ich bin dafür verantwortlich.

Bitte seien Sie vorsichtig.



16 März 2015

Fundstücke (201)

Wie gut, dass wir just an diesem Tag in Süddeutschland unterwegs sind.

Entdeckt in der Seilerstraße.

27 Februar 2015

„EVRI!“


Wenige Sekunden bevor dieser keineswegs februarkompatbil gekleidete Herr seine Hose öffnete (Foto), hatte er sich bereits seiner Jacke entledigt und mit ihr und einer offensichtlich schwerbeladenen weißen Tüte auf den Anhänger links im Bild eingeschlagen.

Dieses nachts in unserer Straße nicht einmal völlig frappierende Tun untermalte er mit brünftigem Brüllen, aus dem bei aufmerksamem Hinhören Wortfetzen wie „Fucking!“ und „Evri!“ oder so ähnlich destillierbar waren.

Als er sich einer Passantin unter fortgesetztem „Evri!“-Gegrunze in den Weg stellte, riefen Nachbarn die Polizei. Die Zeit bis zu ihrem Eintreffen überbrückte der Mann mit territorialem Urinieren und – Sie ahnen es – Gebrüll. Zurzeit dürfte er sich in der Ausnüchterungszelle der Davidwache befinden. 

Weiß eigentlich jemand, was „Evri“ heißen könnte, in welcher Sprache auch immer? Aufklärung gerne in den Kommentaren, sofern jugendfrei.

Ach ja: Und meiden Sie bitte Drogen. Zumindest jene, die dieser Mann sich zuführte.


12 Juli 2014

Fundstücke (193)


Keine Ahnung, ob ein im Sattel steckender (gebrauchter!) Zahnstocher ein effektiver Schutz vor Fahrraddieben ist, aber eins ist sicher: 

Wer immer sich das Rad aneignet und damit flieht – übersehen sollte er dieses Detail besser nicht.

Entdeckt in der Seilerstraße.

19 Juni 2014

„Was soll ich jetzt machen?“


Während des Englandspiels lautes Wehklagen draußen. Vom Balkon aus sehe ich einen großen muskulösen Mann afrikanischer Herkunft, der mitten auf der Straße steht und weint. 

„Oh nein“, schluchzt er, „mein Hund ist tot! Was soll ich jetzt machen?“ 

Vor ihm liegt sein lebloser Hund, anscheinend überfahren. Es ist erschütternd, diesen Brocken von Mann weinen zu hören. Immer wieder klagt er sein „Oh nein!“ in die Dämmerung, in gebrochenem hohen Ton, den wahrscheinlich noch nie jemand von ihm gehört hat und den er nicht mal selber an sich kennt. Ein anderer Mann steht daneben und telefoniert, wenige Meter weiter warnblinkt sein Unfallwagen.

Zwei Jungs laufen vorbei, auf dem Weg in die Kieznacht. Und als sie unter unserem Balkon vorbeigehen, fangen sie an sich lustig zu machen über den weinenden Mann, der gerade seinen Hund verloren hat.

„,Mein Hund! Mein Hund!’“, äfft der eine mit Kieksstimme den Trauernden nach, „,was soll ich jetzt machen, huhuhu’?“ Sein Kumpel stimmt glucksend ein; sie haben richtig Spaß. Guter Auftakt für eine lange Nacht.

Die Polizei kommt und füllt Formulare aus. Der tote Hund liegt jetzt auf dem Gehweg, er ist ein Versicherungsfall. 

Und der große schwarze weinende Mann weiß noch immer nicht, was er jetzt machen soll.

16 März 2014

50 Meter weiter


Heute Nacht scheint eine vielköpfige Gruppe auf den Stufen vor unserem Hauseingang ein vielgängiges Fastfoodgelage veranstaltet zu haben. 

An den hier nur rudimentär dokumentierten Resten – mayonnaisekontaminierte Kunststoffboxen, Hamburgerrinden, Pommes Frites – waren sie anscheinend nicht weiter interessiert, denn sie hinterließen sie den Tauben. 

Ich geruhte mich beim Drumherumgehenmüssen darüber zu echauffieren, doch Ms. Columbo sah die Lage sachlicher. „Ein großer Vorteil ist doch“, sagte sie, „dass sie erst 50 Meter weiter kotzen.“ Völlig richtig.

Die auf nachgewiesenermaßen jedem Foto des Kiezbodens herumliegende Kippe ist diesmal übrigens links oben vorzufinden.


28 Februar 2014

Vorzüge unserer Wohnlage


Zurzeit haben wir einige ungebetene Gäste im Haus. Zum einen Silberfischchen. 

Seit ich neulich versehentlich einen Artikel darüber las, wie putzig, harmlos, ja geradezu nützlich diese „lebenden Fossilien“ seien in ihrer Gier nach allem, was uns tagtäglich so vom Körper rieselt, fühle ich mich zunehmend unwohl in meiner tradierten Rolle als Silberfischchenterminator. 

Beschämendes Ergebnis: Ich expediere die Tierchen neuerdings mit Hilfe einer Postkarte, die mir Dr. K. in den 90ern geschickt hat, vorsichtig in ein Schnapsglas (Foto) und kippe sie mit einem gemurmelten Lebwohl über die Balkonbrüstung. 

Ähnliches wäre mit der anderen Spezies ungebetener Gäste im Haus weniger gut zu machen, nicht nur, weil sie sich bevorzugt im Erdgeschoss aufhalten: Junkies.

Irgendwie schaffen sie es immer wieder, das Haus zu entern. Eine wirksame Methode ist wahlloses Betätigen der Klingeltafel; irgendein Bewohner wird im Tran schon auf den Summer drücken. Ein Kalkül, das immer noch derart oft aufgeht, dass die mahnenden hausinteren Rundmails inzwischen bevorzugt in Versalien verfasst werden. 

Die andere Methode ihres Eindringens scheint von noch weniger Raffinesse geprägt und stattdessen eine brachiale zu sein, wie am Zustand des Schließblechs an der Haustür leicht abzulesen ist.

Sobald diese armen Gestalten drin sind, verkriechen sie sich in unseren heimelig verwinkelten Mülleimerabstellraum und tun, was Junkies gemeinhin tun. Manchmal bleiben sie zu diesem Zweck auch einfach dumpf auf der erstbesten Stufe im Treppenhaus sitzen und lassen sich widerspruchslos rauswerfen.

Jedenfalls scheint unser Heim zum Geheimtipp der Drogen- und Berberszene geworden zu sein, nachdem es bisher nur in der Rangliste Vorshauskotzen/-pinkeln/-kacken sowie in der Disziplin Haustürscheibeeinschlagen ganz weit oben rangierte.

Na ja, irgendwas muss man für die gestiegene Miete ja auch geboten bekommen, was Castrop-Rauxel nicht zu bieten hat.

Silberfischchen haben sie da schließlich auch.

03 Februar 2014

Die Luft ist raus


Mensch, hier passiert ja gar nichts mehr, denken Sie sich sicherlich. Und das haben Sie richtig beobachtet. Nach den Krawallen zwischen den Jahren ist nämlich Ruhe eingekehrt auf dem Kiez. 

Praktisch alle Evakuierten der Esso-Häuser sollen inzwischen in vergleichbar billigen Wohnungen untergekommen sein – ein Erfolg für die Protestler, wenn ich das richtig sehe, und damit eigentlich ein Grund zum Feiern. Man hört nur nix davon. 

Insofern illustriert das Foto gut die derzeitige Lage auf St. Pauli: Irgendwie ist die Luft raus, und deshalb gibt es erste gute Gründe für ein schiefes Grinsen nach der Krise. 

Habe ich eigentlich schon mal erwähnt, dass immer, wenn man den Boden rund um die Reeperbahn fotografiert, unweigerlich Kippen mit aufs Bild kommen? 

Bestimmt noch nie.