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22 Juni 2021

Die Tauben eskalieren wieder

Heute auf dem Balkon wurde ich, obzwar von guten Mächten – nämlich unserem Sonnenschirm (Foto) – wunderbar geborgen, Opfer eines im Flug in Einzelteile zerfallenen Guanogeschosses. Dessen Farbe (grünweiß) und Konsistenz (schleimig) lenkten meinen Verdacht schnell auf eine Vertreterin der Taubenvögel. Obwohl ich nicht genau weiß, warum, wäre mir eine Möwe lieber gewesen.

Aber egal: Ich wurde getroffen, und zwar am rechten Brillenbügel sowie am Unterarm, und der fetteste Batzen dieser ordentlichen Portion Taubenkacke landete mitten auf dem Monitor meines MacBook Pro von 2018. Eine Fotodokumentation erspare ich Ihnen; schließlich sollen sie nicht auf unschöne Weise an einen der größten cineastischen Fehler Ihres Lebens erinnert werden, nämlich den Besuch von Faith Akins Film „Der Goldene Handschuh“ – oh, Verzeihung. Ich sage nur so viel: Dieser grünweiße Schleim war flüssig genug, um pfützenartig aufzuplatzen, jedoch auch ausreichend kohäsiv, um nicht gravitationsbedingt in Fluss zu geraten.

Dass er mich und mein MacBook Pro überhaupt traf, obwohl wir beide eigentlich wunderbar geborgen unterm Sonnenschirm saßen, lässt einen wichtigen forensischen Rückschluss zu. So kann der tatverdächtige Vogel keinesfalls aus einer Ruheposition heraus aktiv geworden sein. Es saß also nicht irgendwo über uns herum und führte gemütlich ab. Nein, im Flug muss er seine Last losgeworden sein, wodurch diese eine schräge Falllinie einnahm. Die Schutzfunktion unseres Sonnenschirms ist indes nur für Geschosse TÜV-lizenziert, die in einem akkuraten 90-Grad-Winkel herniederprasseln.

So sah mich St. Pauli heute Vormittag fluchend auf einem Retinadisplay herumrubbeln. Die letzten Spuren der Attacke entdeckte Ms. Columbo noch nachmittags, und zwar oberhalb meines rechten Ohrs, inzwischen geruchsneutral eingetrocknet.

Nach mehr als zwölf Jahren der relativ friedlichen Koexistenz im Anschluss an die legendären Taubenkriege von St. Pauli interpretiere ich diesen Zwischenfall nun als erstmalige Erhöhung der Eskalationsstufe. Jetzt muss über Reaktionsoptionen nachgedacht werden. Ich meine: Was täte Joe Biden, wenn ein nordkoreanischer Torpedo das Heck des Flugzeugträgers USS Theodore streifte?

Eine Frage, die sich vor allem die hiesigen Vertreter der Taubenvögel stellen sollten. Aber egal, was passieren wird: Ich habe nicht angefangen.




23 März 2021

Aus die Maus!


Es gibt Neuigkeiten zu unserem vielfach geschilderten Mäuseproblem, und zwar erfreuliche bzw. betrübliche; das hängt ganz von der Perspektive ab. Der letzte Stand war der, dass wir Lebendfallen aufgestellt hatten, welche unsere Nager interessiert beschnupperten, aber mehr auch nicht. Schon mehrfach habe ich an dieser Stelle widerwillig bewundernd die Intelligenz unserer fallenvermeidenden Mitbewohner gelobt. Im Lichte der jüngsten Ereignisse möchte ich zwar nicht gänzlich davon abrücken und stufe sie – die Mäuseintelligenz – noch immer höher ein als jene der Ministerpräsidentenkonferenz, doch es ist etwas geschehen, was ins Gesamturteil einfließen muss. 

Zunächst ging allerdings unsere Wildkamera kaputt, sodass visuelle Nachweise der fortdauernden Anwesenheit unserer Mäuse nicht mehr möglich waren. Auch Spuren wie köttelgestützte Reviermarkierungen tauchten nicht auf. Das Problem war wahrscheinlich noch da, doch die alte Strategie „Aus den Augen, aus dem Sinn“ bewährte sich auch in diesem Fall: Wir begannen die Mäuse zu vergessen. Das Schlagfallenarsenal hatte ich längst abgebaut, nur hier und da stand noch ein verschmähtes Köderdöschen herum, und irgendwann sammelte ich auch die meisten Lebendfallen wieder ein. 

Doch gestern stieß ich unter der Küchenanrichte auf eine gut versteckte und deshalb vergessene Doppelfalle. Diese Konstruktion zeichnet sich durch zwei gegenüberliegende Schlagfallen aus, die von einem halbrunden Plastikdach überwölbt und so in einen für Mäuse gewöhnlich reizvollen Tunnel verwandelt werden. Solche Dinger standen monatelang an allen Ecken und Enden unserer Wohnung herum, mit lecker Erdnussflips beködert und dennoch von allen anwesenden Nagern nur beäugt, doch nie betreten.

Als ich also gestern die vergessene Tunnelfalle hervorzog, um auch sie wie alle anderen in der Abstellkammer einzulagern, fiel mein Blick auf etwas Längliches, das aus einem Ende hervorragte: ein Mäuseschwanz! Da war doch wahrhaftig etwas geschehen, mit dem ich nach all unseren frustrierenden Erfahrungen nie mehr gerechnet hätte: Eine Maus war in die Falle gegangen! Doch unglaublicherweise bot sich gegenüber, am anderen Ende der Tunnelfalle, das gleiche Bild: ein herausschauender Mäuseschwanz und auch dort das dranhängende Tier, erschlagen vom Fallenbügel. 

Jetzt verstehen Sie, warum ich das Ergebnis des Mäuse-IQ-Tests relativieren muss. Ich meine: Wenn es an einem Ende der Falle bereits eine erwischt hat, sollte ihre Kollegin, die irgendwann danach am anderen Ende auftaucht – sofern sie wirklich intelligenter ist als die Ministerpräsidentenkonferenz, wovon ich weiterhin unter keinen Umständen abrücken möchte –, wenigstens so clever sein und sich trollen, anstatt den gleichen Fehler zu begehen.

Warum das dennoch geschah und wann genau, das werden wir nie erfahren. Jedenfalls endete somit doch noch alles erfreulich bzw. betrüblich. Das hängt ganz von der Perspektive ab.




09 August 2020

Jetzt aber: eine Lebendfalle!


Unser seit einem Dreivierteljahr hin und her wogender Kampf mit Supermaus ist in eine neue Phase eingetreten. Monatelang hatten sich Giftköder und Schlagfallen als untaugliche Mittel erwiesen. Der Maus entlockten sie längst nur noch ein müdes Schnurrhaarwackeln. 

Die Überwachungskamera zeigte in deprimierender Allnächtlichkeit, wie der Minisäuger zunehmend desinteressiert den Parcours abschritt; ein immer routinierterer Slalom durch ein Minenfeld, das er längst kartiert hatte. 

Also musste eine neue Strategie her. Deshalb bestellte ich nach dem Rat eines Bloglesers im Internet eine Lebendfalle. Zwei Zugänge, als Wippen konstruiert, führen ins Innere des Kastens. Dort platzierte ich in der Mitte einen ordentlichen Klecks Schokocreme samt einer verführerisch duftenden Walnuss obendrauf. Der Weg in die Falle war simpel, der wieder hinaus unmöglich. Eine so geniale wie einfache Konstruktion. Und ich würde mich keines Mordes an einem Mitgeschöpf schuldig machen müssen, das wäre ein durchaus angenehmer Nebeneffekt. Denn eigentlich haben Ms. Columbo und ich ja gar nichts gegen die Maus, wir mögen halt nur nicht mit ihr unter einem Dach leben. Sie beteiligt sich schließlich nicht mal an den Nebenkosten.

In freudiger Erwartung stellte ich die Lebendfalle dort auf, wo die Maus sich allnächtlich am liebsten tummelte: auf dem IKEA-Flokati unterm Esstisch. Vorher hatte ich die bisher so nutzlosen todbringenden Waffen alle abgebaut. Schließlich sollte eine neue Strategie etabliert werden, und Kriegstaktiken darf man nicht vermischen, das hat schon Clausewitz gesagt. Oder auch nicht, ich habe ihn nie gelesen. 

Wie auch immer: Am ersten Morgen dieses neuen Zeitalters checkte ich die Kamera und sah – nichts. Die Maus war nicht ins Blickfeld geraten. Ebenso wenig am Folgemorgen. Auch die Kastenfalle blieb öde und leer. Am dritten Morgen aber waren sechs Bilder auf der SD-Karte. 

Sie zeigten die Maus, wie sie aus respektvoller Entfernung den Kasten musterte. Dabei bewegte sie sich kaum, ganz so, als studierte sie die neue Sachlage intensiv, als machte sie sich ein genaues Bild der veränderten Situation. Am Folgetag ein ähnliches Bild. Diesmal allerdings wagte sie sich näher heran; das heutige Foto dokumentiert ihren Terraingewinn sehr gut. 

Aber in die Falle tappte der Nager noch immer nicht, und ehrlich gesagt bin ich auch längst insgeheim davon überzeugt, dass dies niemals geschehen wird – unabhängig davon, was immer ich oder irgendein Vergrämer auch unternehmen werden. Diese Maus wird never ever so unvorsichtig sein und nur aufgrund von Schokocremeduft einen unbekannten Gang betreten. Das täte sie nur, wenn sie sicher wäre, auch wieder unbeschadet herauszukommen – wie damals, als sie das Stück Käse aus der scharfen Schlagfalle holte und damit Fußball spielte.

Woher die Maus weiß, was sie tun darf und was nicht? Ich weiß es nicht. Aber eins weiß ich, und das hätte mir schon früher dämmern sollen: Friedliche Koexistenz ist eigentlich auch was sehr Schönes. 

Die Lebendfalle bleibt trotzdem vorerst einmal stehen. Ein wenig nächtliches Entertainment hat unsere Maus sich redlich verdient – nicht dass sie sich noch zu Tode langweilt, das würde ich mir nie verzeihen.



02 Juli 2020

Ist die Maus ein Monster?

Es gibt Neuigkeiten von unserer Hausmaus, und zwar beunruhigende. Vielleicht sogar gruselige. Alles fing damit an, dass sie nach wochenlanger Sichtungspause plötzlich wieder durchs Wohnzimmer flitzte. Also baute ich erneut die Wildkamera auf und konnte die Rückkehr des Mininagers in der folgenden Nacht forensisch verifizieren. 

Angesichts der Fotos schien die Maus es ganz wunderbar zu finden, sich auf unserem flauschigen IKEA-Teppich zu tummeln. Deshalb sorgte ich ebendort für einen Köderparcours galore. Ich baute alles auf, was zur Verfügung stand: mit leckerstem Käse lockende Schlag- und Tunnelfallen sowie giftige Nutellatöpfchen sonder Zahl. Und davor die Kamera. 

Am nächsten Morgen stellte ich fest, dass bei einer der Schlagfallen das Käsehäppchen fehlte, ohne dass sie ausgelöst worden war. Wie sich herausstellte, hatte ich Möchtegernkleinwildjäger schlicht vergessen, die Falle zu spannen. Die Maus hatte also aus der einzigen inaktiven Falle das Futter stibitzt und war – weil es sich um einen aus ihrer Sicht kapitalen Brocken handelte – jetzt wahrscheinlich auf Tage hinaus satt und zufrieden. 

Die Frage, die sich daraus ergab, war – wie oben erwähnt – beunruhigend. Denn woher um alles in der Welt wusste dieses Biest, dass ihr nur und ausschließlich von dieser einen dämlichen Falle keinerlei Gefahr drohte? Zufall? Die Sache fing jedenfalls an, unheimlich zu werden. Hatten wir es hier etwa buchstäblich mit einer Intelligenzbestie zu tun? 

Ich verdoppelte meine Anstrengungen. Neben zusätzlichen Fallen aus der weiterhin gut gefüllten Asservatenkammer installierte ich den Honeypot schlechthin: ein DIN-A4-Blatt mit acht symmetrisch ausgelegten Käsehäppchen, die ich jeweils mit einem verführerischen Klecks Giftnutella gekrönt hatte (s. Farbfoto unten). Hmmm!

Am folgenden Morgen sah ich mir die durch den Bewegungsmelder ausgelösten Fotos an. Es waren sehr, sehr viele. Sie zeigten die Maus, die durch den Köderwald spazierte wie ein Teenie durch Disneyland, sie schnupperte hier, schnüffelte dort und studierte auch mit Interesse das Käseblatt. 

Dann geschah etwas Seltsames, ja Verstörendes: Die Maus näherte sich einer der Schlagfallen, die ich Intelligenzbestie diesmal auch wirklich gespannt hatte (erstes Schwarz-Weiß-Foto oben) – und auf dem nächsten Bild (2) war die weiterhin gespannte Falle plötzlich käselos. Stattdessen lag der Köder auf dem Boden.

Allein das war schon unerklärlich. Aber dann schien dieses Monster von Maus mit dem Brocken auch noch Fußball gespielt zu haben, denn er hatte auf Foto 4 erneut seine Position verändert. 

Ich möchte also noch einmal explizit festhalten: Wir haben hier im Haus eine Maus, die sich a) Käse aus einer gespannten Schlagfalle holt, ohne dabei ums Leben zu kommen, und statt diese Chance zu nutzen und den Happen gefahrlos zu verzehren, kickt sie ihn b) lässig durchs Zimmer und entschwindet in die Nacht.

Was wird sie als Nächstes tun – uns aus Jux und Dollerei den Strom abdrehen? Die Senderbelegung am Fernseher verstellen? Hegels „Phänomenologie des Geistes“ mit Anmerkungen versehen? Und derweil Dutzende genauso schlauer Nachkommen herstellen?

Kurz: Wir brauchen Hilfe! ERNSTHAFT!!!



21 März 2020

Unter Corona (2): Des Virus nützliche Idioten

Was nützt einem in diesen Zeiten schon der brav eingehaltene Zweimeterabstand zu entgegenkommenden Spaziergängern, wenn keuchende, schwitzende, tropfende Jogger regelmäßig diese Lücke nutzen, um hindurchzulaufen? Heute Vormittag in Planten un Blomen (Foto) passierte uns das mehrfach. 

Außerdem rannte eine Läuferin mit Kopfhörern derart nah an mir vorbei, dass es beinahe zur Kollision gekommen wäre. Aber wahrscheinlich dachte sie, dass Anrempeln ja gar kein Übertragungsweg sein kann, weil der Virologe Drosten das in seinem Podcast noch nie erwähnt hat (sofern sie je von Drosten oder diesem komischen Virus, das heißt wie ein Bier, gehört hat). Und für das Trio russischer Jungs, das uns wenig später frohgemut palavernd überholte, war Social Distancing auch eher ein sehr fremdes Fremdwort.

Warum ich das alles erwähne: weil es erklären soll, warum ich die Wirksamkeit der offiziellen Appelle und Aufrufe, die uns davon abhalten sollen, zu Virenschleudern zu werden, eher skeptisch betrachte. Die Scheißegalhaltung vieler Mitbürger wird uns nicht nur mehr Infizierte, mehr Schwerkranke und letztlich mehr Todesopfer einbrocken, sie wird uns in Bälde auch einige bürgerliche Freiheiten kosten – und leider auch viele gute Argumente dagegen. Oder hat wenigstens die FDP noch ein paar überzeugende in petto? Ich zweifle.

Ab Montag dürften demzufolge verschärfte Ausgangsbeschränkungen in Kraft treten, die auch unsere tägliche Runde durch Planten un Blomen – den ausgedehnten Park, der vom Millerntorplatz auf St. Pauli bis zum Messegelände mitten durch die Stadt mäandert – ernsthaft gefährden könnte.

Zum Glück ist unsere Wohnung vom einen bis zum anderen Ende fünfzehn Meter lang. Wir müssten sie nur vierhundertmal ablaufen, und schon hätten wir einen ausgefallenen Spaziergang durch Planten un Blomen kompensiert. Und das sogar bei besserer Musik!



03 Februar 2020

Von Mäusen veräppelt

Vielleicht erinnern Sie sich: Unlängst schrieb ich unter dem Titel „Sie nagen einfach nicht“ über unseren flächendeckenden Mäusebefall und bemängelte den unzulänglichen Appetit der Nager auf unsere Giftköder. Auch die überall verführerisch aufgestellten Schlagfallen umliefen die Possierlinge weiträumig. 

Die Vergrämungsprofis um den alten Fahrensmann Herrn B., die die Lage inzwischen fast wöchentlich neu beurteilen, blieben so ratlos als wie zuvor. Wenn wir mal wieder eine Sichtung schilderten, begannen die Herren nur halb verhohlen die Stirn in Falten zu legen – fast als dächten sie, wir bildeten uns die Mäusepopulation nur ein.

Um unserer Glaubwürdigkeit gegenüber B. und seinem Platoon auf die Sprünge zu helfen, habe ich deshalb neulich bei Aldi eine billige Wildkamera geschossen (ursprünglich 89 Euro, jetzt nur noch 29). Und siehe: Gleich in der ersten Nacht erwies sich das Gerät als Volltreffer. Zunächst fotografierte es eine Maus, die es sich unter unserem Esstisch wohl sein ließ. Auch ein lustiges Herumhoppeln war verschwommen dokumentiert. 

Tatsache war also, dass die Mäuse uns gleichsam auf der Nase herumtanzten, und ich konnte es beweisen. In unmittelbarer Nähe von Gift und Fallen hatten sie Spaß und Freude, aber ebenso wenig Todesmut wie Hunger. Ich empfinde so was als ziemlich düpierend. 

Doch erst das dritte Foto, entstanden in derselben Debütnacht, zerschmetterte mich vollends. Zu sehen ist es oben. Es zeigt eine Maus, wie sie aus unmittelbarster Nähe die Wildkamera inspiziert und wahrscheinlich sogar beschnuppert. Wäre ihr Schnütchen nicht abgeschnitten, ich bin mir sicher, wir sähen sie lächeln.

Heute habe ich den wieder einmal unverhofft hereinschneienden Herrn B., der in unserer Wohnung inzwischen buchstäblich jeden Spalt kennt, die Beweisfotos gezeigt und sogar einen interessanten kleinen Mäusefilm, der zwei Nächte später entstand.

Herr B. wirkte hilflos. Gift, murmelte er, habe das im Film zu sehende Tierchen sicherlich noch nicht gefressen, dafür sei es „zu schnell“. In zwei Wochen will er wiederkommen. Ich hoffe, er bringt Zeit mit. Ich werde in Beweismaterial schwimmen.


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23 Dezember 2019

Sie nagen einfach nicht

Wir haben Mäuse. Im Plural. Das sagt zumindest unser Schädlingsbekämpfer Herr B. Dabei sehe ich immer nur eine. Aber ist es auch ein und dieselbe? Herr B. bestreitet das energisch. „Hier im Haus“, sagt Herr B., „gibt es zwei- bis dreihundert.“ Er hat das hochgerechnet.

Mindestens eine davon hat sich unsere Altbauwohnung auf St. Pauli als Heimstatt erwählt. Deshalb stellt Herr B. Fallen auf. Und Köder. „Riechen Sie mal“, sagt Herr B. und hält mir ein kleines Töpfchen mit einer grünlichen Masse unter die Nase. „Riecht wie Nutella, nicht? Schmeckt auch so.“ Ersteres stimmt, Letzteres möchte ich momentan lieber nicht ausprobieren. „Können Sie ruhig essen“, lächelt Herr B. ermunternd, „macht gor nüscht.“ 

Selbst Kinder steckten laut Herrn B. die untergemischte Giftdosis ohne Regung weg. Nur halt Mäuse nicht. Mäuse sind winzige Fellknäuel, ihre Mägen weisen einen lachhaften Hubraum auf. Ein bisschen grünliches Nutella, und der Zwerg haucht alsbald hinter irgendeinem Möbel sein fragiles Leben aus. Zumindest, wenn er davon nascht. Und das tun unsere Mäuse nun mal nicht. Auch die Fallen stehen bloß herum. In gespannter Erwartung zwar, doch zur Untätigkeit verdammt. Denn unsere Mäuse umtrippeln jede Gefahr weiträumig, warum auch immer. 

Neulich sah ich fern, als sich auf dem Teppich vorm Sofa eine Maus entspannt das Schnäuzlein putzte. Als ich mich mit schreckgeweiteten Augen aufrichtete, huschte sie auf mich zu und verschwand unterm Sofa. Auch dort stehen natürlich Köder und Fallen, aber statt eines zuschnappenden Metallbügels hörte ich – nichts. Wieder mal.

Nicht nur die dort lauernden, auch alle anderen strategisch raffiniert in unserer Wohnung verteilten Nutelladöschen bleiben konsequent unberührt. Sind unsere Mäuse etwa keine Süßschnäbel? Oder nur superintelligent, wie es sich geziemt, wenn man bei uns daheim ist? Der Kollege von Herrn B., der nach drei Wochen zwecks Kontrolle vorbeischaut, ist jedenfalls irritiert. „Im Stock über Ihnen geht eine nach der andern in die Falle“, behauptet er. Seine Stirn wirkt gerunzelt. Wohnt in diesen Runzeln bereits leichte Besorgnis? „Wahrscheinlich“, sinniert er, „fressen Ihre woanders.“ Unsere Altbauwohnung also nur ein Rückzugsraum, ein Erholung bietendes Refugium nach den anderswo ausgefochtenen Kämpfen um Nahrung und Ressourcen? 

Ich habe da so meine Zweifel, aber auch keine andere Erklärung. Wenn ich eine Maus wäre, leckte ich jedenfalls auch im gesättigten Zustand – gemäß dem Naturgesetz, dass ein Dessert immer noch reinrutscht – an jedem lockend herumstehenden süßen Leckerli, selbst an grünlichen. Wenn ich eine Maus wäre, hätte mich die Evolution also längst aussortiert.

Dass Herr B. und seine Kollegen als Schädlingsbekämpfer firmieren, behagt mir übrigens nicht richtig. Kammerjäger: Das war noch eine Berufsbezeichnung! Das roch nach Gefahr und Abenteuer, nach archaischen Gefühlen, nach Paläoentertainment. Doch zeit seines Berufslebens terminologisch einen Schädling mit sich herumschleppen zu müssen, ist unschön. Zumal es mir unfair vorkommt, jede Maus a priori als Schädling abzuqualifizieren. Schließlich macht sie auch nur ihren Job: fressen, poppen, schlafen und wieder von vorn. Wobei: Unsere frisst ja nicht. Sie huscht nur manchmal übern Teppich und verschwindet elegant in Spalten, die ihr eigentlich viel zu eng sein müssten. 

Neulich traf ich den Nachbarn aus einem Stockwerk über uns. Auch dort blieben die Maßnahmen von Herrn B. und Co. bisher erschütternd fruchtlos. Keine Falle schnappte, alle Köderoberflächen sind unbenagt. „Sie jagen sich schon gegenseitig“, erzählte mir der Nachbar mit der Resignation eines Mannes, der begriffen hat, dass der Homo sapiens doch nicht die Speerspitze der Evolution darstellt. „Und sie pfeifen sogar dabei.“ 

Seitdem fühle ich mich ein bisschen besser. So weit sind unsere nämlich noch nicht. Ich sehe ja eh immer nur eine. Und wenn sie pfiffe, dann sicherlich aus Lebenslust. Zumal sie schon bald wieder Mäusenachwuchs erwartet, mindestens zum zweiten Mal, seit all diese Köder und Fallen bei uns aufgestellt und seither links liegen gelassen wurden.

Sekunde: Habe ich gerade ein leises Pfeifen gehört? 
Oder war es sogar ein hochfrequentes Kichern?


PS: Die Fortsetzung gibt es hier.




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13 März 2018

Der belagerte Hauseingang

Immer mal wieder machen es sich Menschen vor unserer Haustür bequem, die nicht zu den Bewohnern dieses Hauses gehören. Nicht nur das: Sie versperren uns auch den Aus- und Zugang. Am Sonntagmorgen war es erneut so weit. 

Schon aus dem Hausflur sah ich die außen an die Glastür gelehnte Tasche. Als ich die Tür öffnete, fiel sie mir halb entgegen, und zwei Männer in ihren Zwanzigern versperrten mir den Weg. Sie saßen auf den beiden Stufen vor der Haustür und waren gerade dabei, Utensilien auszupacken. „Danke“, sagte ich, als sie aufstanden, um mich durchzulassen. 

Für eine tiefergehende Ansprache oder gar eine Ermahnung sah ich keinen Anlass, wahrscheinlich war dieser Ruheplatz nur ein temporärer, und wenn ich vom Brötchenholen zurückkäme, sähe man bestimmt nur noch ihre Hinterlassenschaften (bei deren Provenienz allerdings einige unschöne Möglichkeiten abgedeckt werden konnten; ich möchte jetzt nicht ins Detail meines Erfahrungsschatzes gehen). 

Zehn Minuten später, als ich vom Kiezbäcker zurückkam, saßen die beiden allerdings immer noch da. Sie hatten es sich sogar gemütlich gemacht. Ich sah unter anderem ein kleines Klappmesser auf der obersten der beiden Stufen liegen; zu welchem Behufe auch immer. „Sie können hier nicht bleiben“, sagte ich, „das ist ein Hauseingang, hier wollen immer wieder Leute rein und raus.“

Der eine, ein braunhaariger Zausel mit gebeugtem Kopf, entschuldigte sich sofort. „Sie haben Recht, das stimmt, wir gehen, alles klar.“ Er räumte mit rundem Rücken seine Tasche beiseite, alles an ihm signalisierte Deeskalation. „Wir wollen keinen Ärger, alles klar“, schob er nach. 

Ich stand da und sah ihm beim Zusammenräumen zu, als ich bemerkte, wie der andere mich von der Seite anstarrte. Er war blond, sein Gesicht hager und hart, er hielt den Kopf oben. „Gehen Sie durch“, sagte er. 

„Wir wollen keinen Ärger, wirklich nicht“, sagte der andere. „Gehen Sie durch“, sagte der Blonde noch einmal. 

Während sein Kumpel Unterwürfigkeit simulierte, entströmte dem Blonden die Aura unterschwelliger Aggressivität. Wahrscheinlich waren die beiden Junkies. Mit Junkies ist bisweilen nicht zu spaßen. Manchmal müssen sie auf Teufel komm raus Handlungsprioritäten setzen, die einem verständnisvollen gesellschaftlichen Miteinander abträglich sind. 

Ich sah das Klappmesser auf der obersten der beiden Stufen. Es war aufgeklappt. „Wir wollen wirklich keinen Ärger“, sagte der Unterwürfige. Der Blonde starrte mich an, gerade und aufrecht. Er trug eine hellblaue enge Daunenjacke. 

Und dann ging ich durch, hoch in den zweiten Stock, in eine ganz andere Welt.


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09 Dezember 2016

Warten auf Kerry

Nein, Modernismus oder gar Ranschmeißerei an den Zeitgeist kann man unserer Hausverwaltung keineswegs vorwerfen. 

Der erstmalige (!) Neuanstrich unseres Treppenhauses seit mindestens drei, wenn nicht acht Jahrzehnten – unser Haus wurde um 1906 errichtet – orientiert sich koloral eher an dem, was wir draußen vor der Haustür gewöhnlich an menschlichen Körperflüssigkeiten und -feststoffen vorfinden, vor allem an Wochenenden.*

Insofern eine adäquate Farbwahl, zu der man die Entscheidungsträger nur beglückwünschen kann. Ja, ich würde so weit gehen, diese Wahl als mutiges Statement gegen die Gentrifizierung des Viertels zu deuten, als ein Manifest des widerständigen Traditionalismus – umgesetzt konsequenterweise exakt in der Farbe, die bisher schon unsere Treppenhauswände zierte. Wir müssen uns also nicht mal umgewöhnen. 

Nur das charmant Abgeranzte, die Rußspuren an den Türrahmenritzen, die abgeplatzten Flächen: All das ist halt jetzt nicht mehr da. Aber das kriegen wir wieder hin in den nächsten drei, wenn nicht acht Jahrzehnten. Schließlich sind wir St. Paulianer.

Aber wir haben auch unser Päckchen zu tragen, vor allem, wenn gerade OSZE-Konferenz ist. Gestern an der Fußgängerampel am Casino stieß ich auf eine Menschenmenge, deren mentaler Zustand sich bereits bei meiner Ankunft am Siedepunkt bewegte. Denn sie wurde grundlos am Überqueren der Straße gehindert. Wie der leicht verschüchterte Polizist, der uns in Schach zu halten versuchte, erläuterte, müssten wir warten, bis die Kolonne des US-amerikanischen Außenministers vom Stephansplatz aus kommend die Kreuzung überquert habe.

Allerdings war von Kerrys Kolonne weit und breit nichts zu sehen. Und die Mitglieder der von der Straße geteilten Menge trennten nur je sechs Meter von der anderen Seite, dem Ziel aller Träume. Doch der Cop – Typ graumelierter Studienrat, unbewaffnet – ließ uns nicht.

Eine Radfahrerin war die erste, die den Aufstand wagte. Sie fuhr einfach los und rief: „Ich muss zur Arbeit!“ Eine Frau in Joggingkleidung ergänzte schrill: „Ich hab’s eilig!“ Der Polizist bekam allmählich einen runden Rücken und eine Gesichtsfarbe, die mich an unser Treppenhaus erinnerte. „Das haben wir doch alle“, lächelte er lahm und schaute bang runter Richtung Stephansplatz.

Doch von dort kein Kerry, nirgends. Hier aber eine zweigeteilte Menschenmenge, die wütend mit den Hufen scharrte, mittlerweile schon halb auf der Straße stand und immer lauter murrte. Anweisungen der Ordnungskräfte brauchen halt immer auch eine sich sinnlich erschließende Plausibilität, und die hätte in dieser Situation nur der heranbretternde Herr Kerry herstellen können. Oder wenigstens ein anschwellender Sirenenton.

Das sah nun auch der Polizist ein: Er beugte sich dem Druck des Volkes. „Okay“, sagte er seufzend, und alle strömten herüber und hinüber, von links nach rechts und rechts nach links. Und dann eilten sie davon, um auch heute endlich wieder unbehindert von Phantomen wie Kerry und Konsorten dem Sinn ihres Lebens nachgehen zu können: einer abhängigen Beschäftigung. 

Abends sah ich Kerry im Fernsehen, er war also doch noch gekommen. Im Wohnzimmer roch es ein wenig nach Farbe.


*Das gilt übrigens auch für die Ästhetik dieses Blogs, wie mir gerade dämmert.