31 Dezember 2018

Der übliche offene Brief zu Silvester (refurbished)

Seit 2006 versuche ich Sie jedes Jahr pünktlich zu Silvester mit einem so rührenden wie flammenden Appell davon abzuhalten, sich in der Neujahrsnacht Ihre Augen, Genitalien und/oder Resthirnzellen wegzubomben. 

Dennoch war das Studium der Presseberichte Anfang Januar für mich in allen Fällen seit 2006 mit viel Frustration verbunden, denn ich konnte aus den bestürzenden Meldungen über die bundesweiten Folgen unsachgemäßer Böllerbenutzung nur einen Schluss ziehen, und der war niederschmetternd:

Sie hören nicht auf mich. 

Anders gesagt: Ihnen ist es komplett pillepalle, was ich hier schreibe. Wenn ich Sie bitte, sich kein Loch in den Kopf zu sprengen, sagen Sie „Phh!“ und machen das erst recht. Wenn ich Sie darauf hinweise, wie kontraproduktiv es für Ihre Sehfähigkeit sein dürfte, wenn Sie sich über eine gerade selbst angezündete Feuerwerksrakete beugen, dann tun Sie was? Trotzig ebendas.

All das schließe ich – wie gesagt – rück aus den jeweiligen Presseberichten von Anfang Januar. Aber vielleicht sollte ich gar nicht so pessimistisch über Sie denken. Vielleicht hat das bisherige Dutzend offener Briefe zu Silvester ja bereits Tausende von Leben gerettet, ohne dass ich je davon erfahren hätte. 

Denn Sie, die Sie überlebt haben, Sie, denen kein vorfristig hochgegangener Chinakracher eine hübsche Echtblutfontäne aus dem Armstumpf schießen ließ: Sie machen natürlich keine Schlagzeilen. Niemand kümmert sich um Sie, niemand hält Sie einer Erwähnung wert, Sie sind der Presse wurscht. Nur Idioten landen in der Zeitung.

Deshalb habe ich beschlossen, die ganze Sache ab sofort positiv(er) zu sehen. Mindestens 80 Millionen von Ihnen werden die vor uns liegende Nacht relativ unbeschadet überstehen, und wenn das nicht an diesem jedes Jahr pünktlich zu Silvester platzierten so rührenden wie flammenden Appell liegt, sich weder Augen, Genitalien noch Resthirnzellen wegzubomben, dann weiß ich auch nicht.

Achten Sie aber bitte auch auf Ihre Leber.

Foto: Gruppe anschlaege.de




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4 Kommentare:

  1. Also, früher hieß es ja einfach: keine Arme, keine Getränke. Da ging das mit der Leber automatisch. Jetzt aber unversehrt auch noch auf das Einfüllen aufpassen, ich glaube, das wird den einen oder anderen überfordern. Die Seilerstraße wird vermutlich ein Liedchen davon singen können.
    Einen guten Rutsch und Prost!

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  2. Habe diesen Post erst jetzt gelesen und kann deswegen nur mit Verspätung davon erzählen, dass ich, der ich Ihre alljährlichen Mahnungen zu Silvester stets a) albern fand und b) ignoriert habe, in diesem Jahr Abschied genommen habe vom Böllern, wahrscheinlich für immer. Ich danke dem Schicksal dafür, dass weder mir noch jemand anderem in meiner Umgebung etwas passiert ist (und ja, da hätte einiges passieren können), und werde selbiges Schicksal nicht weiter herausfordern. Einen direkten Zusammenhang zu Ihren Predigten herzustellen, wäre wohl unseriös, aber im meinem Unterbewusstsein werden sie schon eine Rolle gespielt haben. Vielleicht erfreut Sie die Mitteilung ja.

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